Predigt zu 1. Mose 13,1-18 von Hans Joachim Schliep
13,1-18

Predigt zu 1. Mose 13,1-18 von Hans Joachim Schliep

1 So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot auch mit ihm ins Südland. 2 Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. 3 Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, 4 eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des Herrn an. 5 Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. 6 Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. 7 Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande. 8 Da sprach Abram zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. 9 Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. 10 Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am Jordan. Denn ehe der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie wasserreich, bis man nach Zoar kommt, wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland. 11 Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, 12 sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten am unteren Jordan. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom. 13 Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn.

14 Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der Herr zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du wohnst, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen.

15 Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit 16 und will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen. 17 Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und Breite, denn dir will ich's geben. 18 Und Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem Herrn einen Altar.

 

Liebe Gemeinde!

[1] Die Predigttexte für die Sonn- und Feiertage verbinden uns in ihrem Kernbestand mit der Christenheit der ersten Jahrhunderte. Diese Bibelabschnitte, »Perikopen« genannt, sind auf sechs Jahre aufgeteilt. Allerdings wurden von Zeit zu Zeit immer wieder Umgruppierungen und Neuaufnahmen vorgenommen. Anders würden wichtige, spannende Bibeltexte in Vergessenheit geraten. Die Lutherische Liturgische Konferenz Deutschlands bittet uns, solche Veränderungen im jetzigen Predigttextzyklus zu erproben. Für den heutigen 21. Sonntag nach Trinitatis sind wir zu prüfen gebeten, ob sich 1. Mose 13, die erste Erzählung aus dem Abra(ha)m-Lot-Kreis, als Predigttext eignet. Dabei will ich diesen Abschnitt, den wir vorhin als Biblische Lesung gehört haben, mit möglichst eigenen Worten nacherzählen, d. h. zugleich: deuten. In der Hoffnung, auf diese Weise komme längst Vergangenes uns nah. Ob wir auch dem Dauerkonflikt in Palästina, der uns so ratlos macht, der den Weltfrieden gefährdet, ein wenig auf die Spur kommen?

[2] Jede Geschichte hat eine Vorgeschichte. In dem bekannteren Abschnitt 1. Mose 12 heißt die Hauptfigur noch Abram: „erhabener Vater“. Den Namen Abraham, „Vater der Völker“, erhält er erst später: kurz bevor ihm die Geburt des zweiten Sohnes Isaak angekündigt wird (1. Mose 17,1-8). Abram vernimmt den Ruf Gottes, seine alte Heimat zu verlassen und mit seiner Frau Sara, seinem Neffen Lot sowie all ihrer Habe in das ferne, fremde Kanaan zu ziehen. Gibt es einen Grund für diesen Wegzug und Neubeginn? Oder haben wir es nur mit der undeutlichen Erinnerung daran zu tun, dass die Menschheitsgeschichte als Wanderungsbewegung begann? Aus 1. Mose 12 erfahren wir nur etwas über den Anfang biblischen Glaubens: Gottes Geheiß und Verheißung bringt Menschen auf den Weg, macht sie zu Migranten. Die ersten Worte des möglicherweise ältesten Bekenntnisses in der Bibel lauten dann auch (5. Mose 26,5): ’ăramî ’ôved ’avî: Ein Aramäer, ein umherirrender (umkommender), war mein Vater! Das ständige Herausgerufen- und Unterwegssein von einer Fremde zur anderen ist das Grundmotiv biblischen Glaubens – selbst dann noch, als Abrahams und Saras Nachkommen in festen Häusern leben! Glaube – ein Transit!

Dann wird erzählt, wie aus Migranten Asylanten werden. Sind sie etwa „Wirtschaftsflüchtlinge“? Wegen einer Hungersnot zieht Abram mit seiner Sippschaft bis ganz nach Ägypten, zu den Kornkammern des Pharao. Dort bewahren die ihnen sehr fremden Ägypter sie vor dem Verdursten und Verhungern. Aber um welchen Preis? Ägyptens Pharao verlangt keinen Preis. Doch Abram, einst aus dem Sicheren ins Unsichere gerufen, zieht nun das Sichere dem Unsicheren vor. Er entrichtet einen hohen Preis im Voraus. Zahlen muss ihn Sara. Denn Abram gibt seine Frau als seine Schwester aus. Tatsächlich war sie seine Halbschwester. Jetzt aber ist sie seine Frau. Das ist ein schwerwiegender Unterschied! Dennoch, Abram gibt Sara dem Pharao, der sich ihrer erotisierenden Schönheit und sexuellen Anziehungskraft bedient. Doch wo für Abram, der seine Frau zum Tauschobjekt degradiert, das – ob ich es so sagen kann? – „Fressen vor der Moral“ kommt, erwacht im Pharao das Gewissen. Als er den Betrug merkt, schiebt der empörte Herrscher Abram mit seiner Sippschaft regelrecht ab aus seinem Land. Der ungläubige Ägypter lehrt den gottesgläubigen Abram Mores: was sich gehört, was sich frommt! Abgesehen von seinem Seelenschaden, von dem aber nirgendwo die Rede, der vielmehr meine Erfindung aufgrund meiner Empfindung ist, geht Abram unbeschadet aus dieser Sache hervor.

[3] Mehr als unbeschadet. Nämlich reich, nach 1. Mose 13 Verse 2 und 5 schwer reich: Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. … Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. Also hatte auch Lot ein für sein Auskommen hinreichendes Einkommen angesammelt. Bei deren Rückwanderung aus dem Süden war das für Abram offenbar ein Grund, den Namen des Herrn anzurufen dort, wo er ihm den ersten Altar errichtet hatte, als er vormals im Land Kanaan vom Norden her angekommen war.

Ob die Anrufung Gottes in Abram eine Wende hervorgerufen hat? Das Leben noch einmal anders zu betrachten als zuvor in Ägypten, wo er, fixiert aufs Sattwerden, seine Verantwortung meinte wahrnehmen zu müssen um den unverantwortlich hohen Preis der Ehre seiner Frau?

[4] Jetzt sind wir mittendrin in 1. Mose 13. In dieser Erzählung begegnen sich Vertrauen in Gottes Verheißung und Gründe der Vernunft, die Ertragskraft eines schönen Landes und die menschliche Verkommenheit, krude Wirtschaftsinteressen und sensibler Friedenswille. Abram ist wie verwandelt. Wo er in Ägypten ohne moralische Skrupel ganz auf ›Nummer Sicher‹ gehen wollte, wagt er nun wieder den Schritt ins Unsichere. Er erkennt, wie die Ressourcen des Landes begrenzt sind und wie unvernünftig es ist, diesem Land das Letzte abzupressen: Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß… (V. 6)

Und das Land konnte es nicht ertragen… In diesem lapidaren Satz steckt die frühe Erkenntnis eines schlichten Sachverhalts. Für den sind viele Menschen immer noch blind. Vor dem verschließen wir zu unserem eigenen Schaden weiterhin die Augen: Es gibt einen Wohlstand, der die natürlichen Lebensbedingungen, denen dieser Wohlstand zwar durch menschliches Gestalten abgerungen, aber letztlich doch zu verdanken ist, belastet, überfordert, langfristig gefährdet! Wenn es einen sog. Fortschritt gibt, kann dieser nur durch Selbstbeherrschung, Selbstbeschränkung und Selbstverzicht nachhaltig, also ein Fortschreiten in der menschlichen Kulturentwicklung sein. Und es ist auf weite Sicht pure Unvernunft, sich Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen, sich der Güter anderer zu bemächtigen und dabei sich die Köpfe einzuschlagen, durch immer höhere Rüstung Werte zu vergeuden. Schon aus kleinem Zank wird großer Krieg! Zwischen den Abram- und den Lot-Leuten wird es um die Zugänge zu den wenigen Brunnen gegangen sein, also um Wasser. Das wird wieder der Hauptkonflikt im jetzigen 21. Jh. sein: der Zugang zu Wasser! Dagegen ist es ein Gebot der Vernunft, das Land, die Luft, das Wasser, das Gegebene und immer wieder Verheißene gerecht zu teilen. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit. Zur gerechten Landnutzung gehört auch, der Urbevölkerung – genannt sind hier die Kanaaniter und Perisiter im Lande (V. 7b) – ihr Lebensrecht zu lassen, statt sie zu vertreiben oder zu vernichten. Also wollen auch diejenigen, die von Israels Erwähltsein sprechen, keinen ethnischen Einheitsbrei, sondern Vielfalt, buntes Leben!

Abram sind wahrhaftig derartige kluge und nötige Einsichten zuteil geworden: Da sprach Abram zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken. (V. 8+9)

 [5] Es ist eindeutig: Indem Abram seinem Neffen Lot die freie Wahl lässt, übt er Selbstbeschränkung. Dabei ist klar: Sein Vorschlag zur Güte an Lots Leute birgt das Risiko herben wirtschaftlichen Verlustes. Doch wodurch kommt er zur Vernunft solchen Selbstverzichts? Woraus speist sich sein wahrhaft vernünftiger Friedenswille, der auf eine freundschaftliche anstelle einer feindschaftlichen Trennung zielt? Durch seinen Glauben! Denn einzig im Vertrauen auf Gottes Verheißung kann Abram dieses Wagnis eingehen, das Sichere in den Hintergrund und das Unsichere in den Vordergrund zu stellen, weil er sich gleichsam in Gott gesichert weiß. Das ist die Pointe dieser Erzählung als Ausdruck biblischen Glaubens: Der Glaube setzt die Vernunft frei, das Angemessene, Kluge, einzig Richtige zu tun bzw. geschehen zu lassen, eben die Gründe der Vernunft zur Geltung zu bringen. Warum kann der Glaube, der Glaubende das? Weil er sich, statt sich zu messen an Gewinn und Verlust im Sichtbaren, ganz darauf verlässt, von Gott begleitet und geleitet zu werden. Dem Glauben, den Glaubenden, Männern wie Frauen, kommt es darauf an, von Gott geführt zu werden – statt verführt von dem, was vor Augen liegt.[1]

Eben dieser Versuchung erliegt Lot. Er schaut. Doch schaut er weder nach links noch nach rechts, sondern lässt ohne Verstand sein Herz gefangen nehmen von dem lustvollen Blick auf das Jordanland: blühende Landschaft, wie der Garten Eden, wie Ägyptenland: ein Flussland, das ewige Fruchtbarkeit verspricht. Wer ließe sich von einem solchen Land nicht verlocken?! Wem wäre die Überlegung fremd: Abram hat ohnehin mehr als ich, jetzt kann ich reich werden wie er, vielleicht ihn übertrumpfen?! Auch in Familien gibt es Konkurrenzen, wollen die einen aus dem Schatten der anderen heraustreten. Und wir? Unsere Wirtschaftsweise ist ganz und gar auf Konkurrenz, aufs Mehrhaben, aufs Übertrumpfen ausgerichtet. Der Welterste und -beste sein zu wollen, kann trickreich, unvorsichtig, ja betrügerisch machen, wie wir es beim Abgasskandal eines so renommierten Unternehmens wie VW erleben. Dessen noch kaum wirklich absehbaren Folgen zeigen: Eine größere Dummheit, die Ausschaltung der Vernunft bei „rationalen“ Ingenieuren und Ökonomen kann es gar nicht geben. Aber das ist – im Blick auf die Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen – alles nur ein Symptom unter vielen. Die unbedachten Folgewirkungen solcher mit Gewinnsucht gepaarten Unvernunft werden in 1. Mose 13, diesem uralten, aber brandaktuellen Text, mit den Namen der brennenden Städte Sodom und Gomorrha symbolisiert.

Zwischen Abram und Lot kehren sich die Rollen um. Hat Abram, der in Ägypten das „Fressen vor die Moral“ gestellt hat, sein Gottvertrauen wiedergefunden und durch Glauben seine Vernunft, gerät Lot nun durch seine blindmachende Fixierung auf Wohlstand und Glück in eine noch schwierigere Lage: Abram muss vor Gott um Lots und seiner Familie Rettung bitten (1. Mose 18,16-33). Aber Lot verliert seine Frau, die überwältigt von ihren Heimatgefühlen zurückschaut auf Sodom und Gomorrha und dabei zur Salzsäule erstarrt (1. Mose 19). Er behält nur seine beiden Töchter, deren Männer umgekommen sind und sie kinderlos hinterlassen haben. Diese – für damaliges Frausein – „Schmach“ tilgen die beiden jungen Frauen, indem sie ihren Vater Lot so betrunken machen, dass er gar nicht bemerkt, wie er mit seinen Töchtern Kinder zeugt. Diesen Inzest, zweifellos ein moralischer Tiefpunkt, erzählt die Bibel ohne Empörung, ohne Anschuldigung. Sie erzählt ja vom Leben in seinen Verwicklungen und Verstrickungen. So ist das Leben! Doch die entscheidende Botschaft dahinter und darin tröstet mich und lässt mich hoffen: Gott schreibt auch auf krummen, sehr krummen Linien gerade. Gott öffnet Wege des Heils auch für „unmoralische Helden“. Jede Sünderin hat eine Zukunft, jeder Heilige eine Vergangenheit.

[6] An einer Stelle jedoch widerspreche ich. In 1. Mose 13 gelten alle Sympathien dem Abram. Er steht irgendwie unmittelbarer zu und anerkannter vor Gott. Das kann ich weder hinnehmen noch entspricht es dem Ganzen der biblischen Botschaft. Ein Gotteskind ist wie ein anderes – und alle, auch die Fremden, sind Gotteskinder in gleichem Maß, wenn vielleicht auch in ungleicher Weise. Wie kann ich dann diese Erzählung verstehen? Nun, sie trifft und berührt mich am tiefsten, wenn ich in Lot und Abram die zwei Seiten einer Person wahrnehme. Diesen Gedanken kann ich jetzt nur andeuten. Darum bitte ich Sie, mit mir über diesen Sonntag hinaus darüber nachzudenken: Wo steckt Abram in mir, wo steckt Lot in mir – in den Verwicklungen und Verstrickungen, Widersprüchen und Widerborstigkeiten meines, unseres Daseins? Ich vermute, erst wenn ich den Lot in mir und den Abra(ha)m in mir wahrnehme, nehme ich mich ganz wahr.

Das scheint mir wichtig, gerade weil ich, weil wir heute in einer doch noch anderen Lage sind. Zwar bietet die Erde genug Platz. Kein Volk müsste, dürfte sich mit jenem Unheilswort vom „Volk ohne Raum“ bezeichnen. Dennoch, insbesondere die westlichen Wirtschaften und Staaten haben sich eines erheblichen Teils der Erde bemächtigt, dabei ganze Völker ausgerottet. Durch Waldrodung und Landraub werden indigene Stämme aus ihrem Lebensraum verjagt. Die – bei mancher Besserung – immer noch ungleiche Verteilung des Wohlstands und der Klimawandel, die ja einen Zusammenhang bilden, führen zu den starken Flüchtlingsströmen; 60 Millionen Menschen sollen derzeit in Migration sein. Aber eine schiedlich-friedliche Teilung wie bei Abram und Lot – der eine nach rechts, der andere nach links – wäre heute, da es im Zuge der Globalisierung im Grunde nur noch Eine Welt gibt, in der wir alle Nachbarn und Nächste sind, keine Lösung. Umso mehr wird das gerechte Teilen zur Maxime aller Politik und aller Ökonomie. Der Gemeinwohlgedanke muss gestärkt werden. Darum ist es vernünftig, wenn immer mehr Menschen, statt viele Gebrauchsgüter zu besitzen, diese teilen, d. h. gemeinsam nutzen wollen. Richtungweisend ist es auch, wenn immer mehr Menschen ihr Geld bei sog. ›Ethischen Banken‹ anlegen. Meine Familie hält Kleinaktien einer Ökumenischen Entwicklungsbank, bei der auch Landeskirchen sowie Kirchenkreise und -gemeinden Geld angelegt haben; die Zinsen werden nicht abgeschöpft, sondern re-investiert. Dadurch können vor allem Frauen, weil die an die Zukunft ihrer Kinder denken, und Kooperativen kleine und mittelgroße Projekte durchführen. Dadurch werden Handel und Wandel vor Ort – in Afrika, Asien, Südamerika – in Eigenverantwortung aufgebaut. Dann können und wollen die Menschen dort leben und bleiben, wo sie sich beheimatet fühlen. Und in Anbetracht der aktuellen Flüchtlingsströme gilt es, das Land, unsere Heimat, mit ihnen zu teilen, ihnen Heimat zu geben. Die wohl bedeutendste Herausforderung in diesem Jahrhundert! Noch ist weder in Deutschland geschweige denn in Europa zusammengewachsen, was zusammengehört, nun muss schon zusammenwachsen, was bisher keineswegs zusammengehört hat![2]

[7] Zum Schluss noch einmal zurück zu 1. Mose 13. Nachdem Lot – eher zum Schaden als zum Nutzen – das augenscheinlich bessere Land gewählt hat, darf Abram das ihm verbleibende karge Land besehen, in alle Himmelsrichtungen (V. 14). Wichtig ist dabei eine Nuance: Lot hat selbst geschaut – Abram wurde das Land gezeigt, er sieht es, weil Gott es ihn sehen lässt. Die selbstgewählten Wege enden oft schneller als die Wege, die Gott uns begleitet und leitet. In diesem Glauben darf Abram nun das Land, das er eigentlich schon kennt, richtig besehen und soll es nun durchziehen … in die Länge und Breite (V. 17). Es ist ihm und seiner großen Nachkommenschaft gegeben vom Geber aller Gaben (V. 15+16). Diese Aussagen wollen gewiss rechtfertigen, dass die Abraham-Leute, also Israel, in diesem Land wohnen, dieses Land nutzen. Von Schädigung und Vertreibung der Urbevölkerung ist aber, wie schon angedeutet, keine Rede. Es geht auch um sehr viel mehr. Abraham und seine Nachkommen sollen nicht nur sagen können: Dieses Land ist unser Besitz. Sie sollen vor allem sagen: Dieses Land ist Gottes Geschenk. Was wir Menschen nutzen dürfen, gehört Gott. Abram hat das verstanden. Er wohnt weiter in seinem transportablen Zelt, obwohl der Hain Mamre im Süden Kanaans sein Hauptwohnsitz wird. Dort errichtet er einen Altar. Nicht zu seinen Ehren, als Ausweis seiner Leistung, sondern dem Herrn (V. 18). In Manhattan, Frankfurt, Singapur, Hannover sehen die Bankgebäude, meist größer als Kirchen und Tempel, aus wie Gotteshäuser eigener Art. Im Hain Mamre, der  bei Hebron ist (V. 18), fällt zuerst der Altar für Gott auf.

Das alles ist das Ergebnis einer Selbstbeschränkung. Wo sie Verzicht bedeutet, kommt dieser weder aus der Freude an der Entsagung noch aus der Vernunft um der Vernunft willen. Die Einsicht in die Vernunft der Selbstzurücknahme kommt aus dem Glauben, dass zuerst und zuletzt Gott alle Gaben gibt. Dieser Glaube ist ein Transit. Er bahnt uns die neuen Wege: die Wege, die für uns gut sind, die uns an das Ziel bringen, zu dem Gott alles, auch das Unvollkommene und Hinfällige, herrlich hinausführt. Lasst uns schon jetzt alles im Licht dieser Verheißung sehen!

Amen.


[1] Hier wie an einigen anderen Stellen übernehme ich Gedanken von Eberhard Jüngel: Geistesgegenwart. Predigten I und II, München 1979, S. 9-15.

[2] Hier nehme ich, sie im ersten Teil zugleich abwandelnd, Gedanken auf, die Bundespräsident Joachim Gauck zum 25. Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung (3. Oktober 1990 bis 3. Oktober 2015) in Frankfurt am Main geäußert hat.