Predigt zu Amos 5, 20-24 von Manfred Wussow
5,20

Predigt zu Amos 5, 20-24 von Manfred Wussow

Amos 5,20-24
  20 Ja, des HERRN Tag wird finster und nicht licht sein, dunkel und nicht hell.
  21 Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.
  22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
  23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
  24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Eine schlechte und eine gute Nachricht
Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie – und eine gute. Welche wollen Sie zuerst hören? Die schlechte? Gut – die schlechte zuerst: Im Himmel ist dicke Luft. Unsere Feiertage kommen nicht an, die Opfer auch nicht, nicht einmal die Lieder. Unsere ganze Frömmigkeit scheint zum Himmel zu stinken.
Und die gute Nachricht? Es ist noch nicht alles verloren. Alles, was mit Recht und Gerechtigkeit zu tun hat, lässt im Himmel Wohlgefallen aufkommen. Sehr poetisch heißt es: es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Das sind Bilder für blühendes Leben. Frische Farben in Gottes Augen.
Rückblick
Es wird zwar nichts so heiß gegessen wie gekocht, aber entsetzt bin ich schon. Sie auch? Schroff, kompromisslos, eindeutig – und das am Karnevalssonntag! Eine Büttenrede ist es nicht – allen wohl, keinem weh.
Amos kommt aus kleinen Verhältnissen. Geboren in Tekoa , einem Nest unweit von Jerusalem, lebt er als Kleinbauer von Vieh- und Maulbeerfeigenzucht. Nichts Großes. Sein König heißt Jerobeam II. Es ist eine Blütezeit – ca. 750 vor Christus. Der große und gefürchtete Nachbar Assur scheint keinen Appetit zu haben, auch noch das kleine Israel zu schlucken. Die Nachbarn in der Umgebung konnten da schon andere Geschichten erzählen. Aber was heißt schon „Blütezeit“? Blütezeiten müssen bezahlt werden. Schulden auch. Der König und seine Oberschicht greifen vor allem auf Land zurück, das Kleinbauern und einfachen Leuten gehört. Die verschulden sich erst, um dem Unheil zu entgehen, verlieren dann aber Schritt für Schritt ihre Existenzgrundlage. Innerhalb kurzer Zeit müssen sie sogar ihr Land verlassen.  Es ist eine Zeit, in der die Städte wachsen und aus den Nähten platzen. Die Armut wird dorthin gespült. Macht ist gefräßig. Dass auch Menschen als Sklaven verkauft werden, erzählen immer mehr Menschen. An den Dokumenten liegt es nicht – die sind ausgefeilt. Mit Siegel sehen alle Rechtstitel formvollendet aus.
Der Tempel von Jerusalem hat seine große Zeit noch vor sich. Wir sind in einer Zeit, in der der Kult noch nicht zentralisiert ist. Um das Heiligtum zu besuchen, müssen wir heute nach Bethel gehen, wörtlich: „Haus Gottes“. Jakob hatte hier den Traum von der Himmelsleiter. Eine große Geschichte von der Nähe und Gegenwart Gottes an diesem Ort. Jetzt gibt es nur noch einen frommen Betrieb mit Opfern und Gesängen. Alles ist ritualisiert, leider auch leer. Pro forma. Was immer wieder gerühmt wird, ist, dass Gott seinem Volk das – Land gegeben hat.  Gegeben hat! Nicht falsch, aber: wenn Land geraubt, enteignet und in der Hand weniger konzentriert wird – wem gehört das Land dann? Gott? Dem Volk? Allen Menschen? Wenn Armut gemacht wird, Angst gesät wird, Macht brutal durchgesetzt wird – wer hat dann das letzte Wort? Gott? Die Betroffenen? Ein gutes Gewissen? Wenn dann noch Korruption, Vetternwirtschaft und öffentlich zur Schau gestellte Großmachtssucht hinzu kommen … ich muss nicht weiterreden!
Amos stellt sich nicht einfach vor den Tempel, er geht einfach hin. Wir hören ihn sagen:
„Ich werde sie nicht schonen, weil sie die Unschuldigen für Geld und die Armen für ein Paar Schuhe verkaufen. ... Und bei allen Altären schlemmen sie auf den gepfändeten Kleidern und trinken Wein vom Geld der Bestraften im Haus ihres Gottes...“
Ich werde sie nicht schonen! Amos spricht aus, was Gott sagt. Was er eigentlich immer schon gesagt, immer schon gemeint hat. Nichts Neues! Es ist eine große Erinnerung daran, dass Gott mit seinem Volk einen Bund geschlossen hat – der jetzt mit Füßen getreten wird.  Als Amos zur Rede gestellt wird, wie er dazu komme, hier, an diesem Ort, so etwas zu sagen, verweist er darauf, dass Gott ihn selbst von seiner Herde weggenommen habe, um ihm stracks in Bethel auftreten zu lassen. Es ist Zeit! Zeit für die Wahrheit!
So klar, wie sich das jetzt anhört, ist es wohl nicht. Die Kreise, die sich im Tempel treffen, fühlen sich nicht einmal verunsichert – sie sind stinksauer. Über diesen – Viehtreiber. Und Maulbeerfeigenzüchter. Seit wann hat der dann  was zu sagen? Und dann auch noch – hier? Der Tempel gehört ihnen. Hier feiern sie. Es ist ihr Ritus. Die Opfer sind vom Feinsten. Aber sie stinken – nach Fett.
Der Oberpriester Amazja tritt auf. Mit der Würde seines Amtes. Eine Heerschar frommer Gelehrten und beamteter Propheten hinter sich. Allesamt gut versorgt und selbst bedient. Wenn Gott doch das Land versprochen, wenn Gott doch den Vätern unbedingte Treue versprochen habe – was soll das denn jetzt?  In einer bewegenden Szene sehen wir Amos sich rechtfertigen. Gott steht zu seinem Wort, aber Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit können nicht länger fromm verbrämt werden. Gott schützt die Schwachen. Er macht die Sache der Witwen und Waisen zu seinen eigenen. Er liebt die Fremden. Das Land, das er schenkt – ist Heimat für alle.
Am Ende sehen wir Amos weichen. Aber: er ist der erste Prophet,  dessen Worte aufgeschrieben und überliefert werden. Schriftprophet! Jetzt sind seine Worte im Raum, wuchtig, leidenschaftlich, nicht mehr wegzudenken, nicht mehr wegzudiskutieren: „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Es ist die Stimme Gottes – und die eines Vieh- und Maulbeerfeigenzüchters. Auf der Zunge muss das zergehen!
Übrigens: Im Jahre 722 vor Christus haben die Assyrer dann auch das Nordreich Israel zerstört. Das falsche Vertrauen währte nicht lange, die Blütezeit auch nicht. Amos hat es nicht nur kommen sehen, Amos hat es gesagt: Wort des Herrn:
„Habe ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt und ebenso die Philister aus Kaphtor und die Aramäer aus Kir? Siehe, Gottes Augen sehen auf das verdorbene Königreich, damit ich es vom Erdboden vertilge... Alle Sünder meines Volkes, die da sagen, „es wird das Unheil nicht so nahe sein noch uns begegnen“, sollen durch das Schwert sterben.“
Harte, ungewohnte Worte – aber eine bittere historische Erfahrung: eine Welt geht unter, wenn es kein Recht, keine Gerechtigkeit gibt. Es entsteht nur neues Unheil. Ein Unheil gebiert das andere. Und das Land, auf das sich so viele etwas einbildeten, ist auf einmal in fremder Hand. Und bleibt doch: Land Gottes.
Einrede und Fürsprache
Die Geschichte ist schnell erzählt. Wenn Sie sie besser verstehen wollen: Das Buch Amos ist nicht lang – Sie können es in einem Zuge lese – oder besser: Stück für Stück. Nachdenklich. Oder zumindest neugierig.
Wir merken, wie die Worte des Amos zu verstehen sind: Sie richten sich gegen eine falsche Frömmigkeit, die sich mit Feiern, Opfern und Gesängen nur selbst bestätigt. Sie sprechen aber für Recht und Gerechtigkeit. Pro-vocatio! Fürsprache! Das gibt diesen Worten einen sehr modernen Klang. So modern, dass wir geneigt sein könnten, das alles zu – wissen!
Wissen Sie, dass in vielen Ländern – nennen wir sie meinetwegen auch Entwicklungsländer – Land okkupiert wird für große Unternehmen, die auf dem Rücken wehrloser Menschen den Weltmarkt erobern? Und auf edel bedrucktem Papier unsere Bedürfnisse in der westlichen Welt hofieren?
Wissen Sie, dass in Griechenland viele einfache, kleine Menschen fassungslos davor stehen, die Zeche zahlen zu müssen für die, die ihr unversteuertes Vermögen längst außer Landes gebracht haben? Sie werden noch viele Opfer bringen müssen, ohne zu sehen, dass es besser wird.
Wissen Sie, dass auch in unserem Land die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, dass Geld über Ansehen und Würde entscheidet und die anderen Werte sich nur noch eignen, beschworen zu werden?
Amos hätte sich nicht träumen lassen, dass immerhin mehr als zweieinhalbtausend Jahre später seine Einrede, seine Provokation in Bethel uns die Worte leihen würde, mit uns und der Welt ins Gericht zu gehen. Um nichts weniger geht es:
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Trotz und Trost
Eine Schlussfolgerung sollten wir nicht ziehen! Dass unsere Feiertage sinnlos, unsere Opfer vergeblich, unsere Lob- oder Bittgesänge verwerflich seien! Nur: leer und verlogen sollte nicht sein, was wir zu den Schätzen unserer Frömmigkeiten zählen.
Unsere Feiertage erzählen die große Geschichte Gottes mit uns Menschen. Sie erinnern uns daran, woher wir kommen und wohin wir gehen. Sie schenken uns, Atem zu holen – und immer wieder neu anzufangen. Die Feiertage sind Unterbrechungen. Sie bewahren auch die Schlüssel auf, unsere alltäglichen Erfahrungen aufzuschließen. Weihnachten erzählt, dass Gott einer von uns wird, Ostern, dass er den Tod überwindet, Pfingsten, dass ein neuer, anderer Geist weht. Ich kann in wenigen Worten nicht einmal andeuten, was uns die Feiertage an Wissen, Mut – und Vertrauen schenken.
Viele Menschen bringen Opfer. Sie opfern für andere ihre Zeit. Sie opfern für andere auch Geld. Also etwas, von dem, was sie haben und teilen können, teilen wollen. Mag sein, dass manches Opfer berechnend ist, manches Opfer auch dazu verleitet, sich herauszustellen und abzuheben. Die meisten Opfer aber geschehen unerkannt, ohne große Worte. Vieles von dem, was wir in unserer Gemeinde, unsere Kommune, unserem Verein machen – und machen können -, lebt von dem, was Menschen unter uns einbringen. Sie meisten wollen nicht einmal eine Auszeichnung. Bekommen aber oft genug nicht einmal ein „Danke“. Das alles selbstverständlich wird, geht nicht mit rechten Dingen zu.
Und dann die Lieder! Wir haben ein reiches Gesangbuch. Für alle Situationen unseres Lebens. Geprägte, einprägsame Wendungen wachsen uns zu, formuliert von Menschen, die wir meistens nur aus der Geschichte kennen (oder auch nicht), aber sie teilen unsere Ängste und Hoffnungen, als würden sie jetzt mit uns singen. Johann Sebastian Bach – zum Beispiel - füllt die Kirchen und Konzertsäle. Er ist dabei nicht einmal allein. Er singt und spielt den Glauben in die Herzen der Menschen. Ob sie glauben, zweifeln, sich längst abgewandt haben – es geht ein Licht auf. Ein Ton wird angeschlagen, der sonst nicht laut werden könnte in einer lauten Welt. Diese Musik ist sogar der Kirche entwachsen. Dass Kirchenmusik, Musik überhaupt, verfeindete Menschen  zusammen bringt, wird zu einem kostenbaren  Geschenk.
Fällt Ihnen etwas auf? Unsere Feiertage, unsere Opfer, unsere Lieder haben einen trotzigen Geist. Sie verschönern zwar auch unser Leben, fordern uns aber immer wieder heraus. Sie stoßen uns auf das, was wichtig ist. Sie geben unseren Gedanken eine Weite, die wir uns selbst nicht geben können. Sie helfen uns, die Dinge abzuwägen – und auf den Grund zu gehen. Sie nennen sogar Schuld bei Namen. Sie halten die Wahrheit wach. Oft genug verwandeln sie den Trotz dann in Trost. Wenn wir mit uns am Ende sind. Wenn wir resignieren. Wenn uns die Worte fehlen. Wenn wir wieder einmal mehr versagt haben.
Feiertage, Opfer und Lieder! Sie sind: Kraftquellen, Markierungen und Spielräume für – Recht und Gerechtigkeit.  In jedem Gottesdienst werden wir hineingezogen: im Sündenbekenntnis, im Gnadenzuspruch, in der Verkündigung, im Gebet – in der Feier des Hl. Abendmahles. Wenn wir zu seinem – Jesu – Gedächtnis tun, was er uns anvertraut hat.
Amos bin ich dankbar für seine Formulierung:
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Nach alter hebräischer Art verstärken sich die Worte  und Bilder gegenseitig. Ich wollte schon an eine Oase denken, aber das reicht nicht. Wenn das Recht strömt und die Gerechtigkeit fließt – gibt es die Wüste drum herum nicht.
Und der Friede Gottes,
  der höher ist als alle Vernunft,
  bewahre unsere Herzen und Sinne
  in Christus Jesus,
  unserem Herrn.