Predigt zu Hebräer 4,12-13 von Heinz Behrends
4,12-13

Ein scharfer Ton. Scharfes Schwert. „Männerbilder“, sagt Dorothe Sölle. Frauen tragen kein Schwert. Poetischer ist das Bild von Max Frisch: „Du musst dem anderen die Wahrheit hinhalten wie einen Mantel, damit er hineinschlüpfen kann“, und ihm nicht wie einen nassen Sack um die Ohren hauen. Nicht schneiden und trennen mit dem Schwert. Denn der Mensch kann klare Worte schwer vertragen, wenn es um ihn geht. Er wehrt sich. Niemand möchte sein Leben, seine Geschichte diffamieren lassen oder sich entlarvt fühlen. Wenn man jemandem etwas Wichtiges, Hilfreiches sagen will, muss man wissen, wie ein Mensch hört, vor allem wenn man in der Form des Monologs dialogisch predigen will.

Wir haben das gelernt in der Ausbildung zum Pastor, die Gesetze der Kommunikation. Sprechen und Hören, senden und empfangen geschieht auf zwei Ebenen, der sachlichen und der emotionalen. Wie etwas gehört wird, das entscheidet die emotionale Ebene, die Beziehung. Du hörst selektiv. Was du nicht hören willst, sortierst du aus. Und wenn ein Prediger mit einer politischen Aussage eine andere Meinung vertritt, löst er Ärger aus. Seine Botschaft landet nicht. Der Hörer wehrt sich. „Der soll lieber vom Glauben reden.“ Ich habe 41 Jahre immer versucht, seelsorgerlich zu predigen und liebevoll die Wahrheit des Wortes Gottes zu sagen. Worte können verletzen. Nicht schneidige Worte sind verlangt. Du bist auf der Kanzel kein Chirurg mit einem Skalpell. Predigt ist keine OP ohne Betäubung. Nur, und das macht mich nachdenklich, Beifall für eine Predigt habe ich immer dann erhalten, wenn ich kräftig und scharf geredet habe.

Wahrheiten aufgedeckt. Es wundert mich nicht. Es gibt so eine Sehnsucht nach Klarheit mitten im Geschwätz der Medien, den Floskeln der Politik. Verschleiernde, verdummende Begriffe, die zudecken wollen. Phantasie-Begriffe für kriminelle Finanzkonstruktionen wurden erfunden. Cum-Ex-Papiere, Derivate und andere. Mit ungedeckten Werten Konjunktur machen. Mit gedrucktem Geld. Ich habe verstanden, warum die Geldscheine Scheine heißen. Sie scheinen den Wert nur zu haben, der drauf seht. Und der Bürger heißt Bürger, weil er für die hohen Schulden bürgen wird. Die Zinsen werden klein gehalten, damit die Staaten nicht pleitegehen. Werteverfall durch Verfall der Werte. Gottes Wort hat die Welt der Banker nicht mehr geleitet. Ein Verlust an ethischer Orientierung in nachchristlicher Kultur. Dabei ist das Wort Gottes noch bekannt: „Du sollst nicht stehlen“. Durch verschleiernde Sprache Wahrheiten verstecken. Verschleiern hat Konjunktur. VW kurz vor dem Gipfel der größten Automobilfirma der Welt stürzt über ihre eigenen Lügen. Dabei ist das Wort Gottes klar. „Wenn Gott dein Herr ist, dann wirst du nicht lügen (8.Gebot)“.  Als Niedersachse war ich gewohnt, stolz auf VW zu sein, diese erfolgreiche seriöse Firma. Verschleierung, Lügen umgeben uns. Gottes Wort lenkt Menschen nicht mehr.

Dagegen die Sehnsucht nach Klarheit, nach klaren Worten, scharf wie ein Schwert. Darum werden die Vereinfacher in der aktuellen Flüchtlingsdebatte gehört. Sie schüren Emotionen  und haben selber keine Antworten. Umfragen befürchten, sie seien bald die drittstärkste Partei im Lande. „Lügenpresse“ rufen sie denen zu, die sich um eine differenzierte Darstellung mühen. Machos sind es, die die Silvester-Nacht in Köln benutzen, um sich als Beschützer der Frau aufzuspielen. Niemand hat eine Lösung in diesen Tagen. Wahr ist, dass wir uns im Lande eingerichtet haben, auch auf Kosten der Armen. Und nun kommen sie zu uns. Unsere Kanzlerin ringt um eine Lösung, bei der alle Europäer zusammenwirken. Eine Grad-Wanderung steht uns bevor, auf der viel schief, aber auch viel gut gehen kann. Gemeinsam müssen wir besonnen und ehrlich daran arbeiten. Das Wort Gottes ist klar. „Du sollst den Fremdling nicht bedrängen“. Wir werden ein anderes Land werden, aber unsere christlichen Überzeugungen wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit werden dieselben bleiben, wichtiger denn je. Wir haben uns im Wohlstand eingerichtet und sind aufgescheucht in unseren Gewohnheiten, nicht nur im politischen Feld.

„Wenn die Propheten einbrächen“, dichtet Nelly Sachs.
„Durch die Türen der Nacht
Mit ihren Worten Wunden reißend
In die Felder der Gewohnheit,
ein weit Entlegenes hereinholend
für den Tagelöhner
der längst nicht mehr wartet am Abend-
Wenn die Propheten einbrächen
durch die Türen der Nacht
und dein Ohr wie eine Heimat suchten-
Würdest du hören?“

Aus der Gewohnheit herausholen.

Wenn Gottes Wort dich aus der Gewohnheit herausholt? Wir wünschen uns die Wahrheit des Wortes Gottes übergehängt wie einen warmen Mantel. Worte, die verletzen, sitzen lange und tief, ihre Wunden bleiben lange sichtbar. Wenn ich die Wahrheit über andere sage, bekomme ich Beifall. Aber wenn das Wort mich selber anspricht. Mein Lebensmotto ist seit meinem 30. das Christuswort: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Ich habe erst später erkannt, warum gerade dieses. Weil ich die Wahrheit meines Lebens lange nicht leben konnte. Immer beliebt sein, immer anerkannt sein, wollte ich. Dafür bereit, alles zu tun. Damit mich ja kein schneidendes Wort treffen könne. Daran zerbrechen Beziehungen. Ich merke heute noch, dass ich Ausreden suchen, wenn meine Frau mich kritisch anfragt. Das Wort Gottes von der Wahrheit trennt mich von allen Rechtfertigungsversuchen, holt mich aus den Verstecken. Deckt mich auf. Macht mich durchschaubar, Gott sei Dank. Ich brauche das Wort von außen. Es ist nicht schon alles in mir, was ich brauche. „Ich horche in mich rein, in mir muss doch was sein. Ich hör nur Gax und Gix. In mir da ist wohl nix.“ Robert Gernhardt.

Seele und Geist vermischen sich, Psyche und Pneuma, weil ich den bequemen Weg suche. Gedanken und Sinne des Herzens wollen es gut haben. Reflexion kann wehtun. Aber Wahrheit ist nicht, was konsensfähig ist. Ich bin auf die Ansprache angewiesen, dass ich angesprochen werde.  Durch Sprache drücken wir uns aus. Durchs Wort offenbart sich Gott.

Es wird Fleisch, lebendig in dem Leben Jesu Christi. Er verkörpert Gottes Willen in Liebe und Eindeutigkeit, in Worten der Seligpreisungen und in Gleichnissen. Gelebtes Wort, darum überzeugend. Selig sind die Barmherzigen. Das Wort macht mich sensibel für alle Unbarmherzigkeit. Solange ich das „Selig sind die Friedfertigen“ kenne, werde ich den Krieg ablehnen. Wenn ich höre „Selig sind, die nach Gerechtigkeit dürstet“, bin ich aufmerksam für alle Ungerechtigkeit. Das Wort Gottes schärft meine Sinne und macht das Herz stark. Es sucht Heimat in mir.

Wenn mich das Wort „Gott, dem wir Rechenschaft geben müssen“ noch trifft, werde ich meiner Verantwortung bewusst. Dass nicht alles egal ist. Dass ich einmal vor meinem Herrgott stehe und eindeutig und in Liebe gefragt werde „Wat haste jemacht?“ Darum muss das Wort in dieser Welt gesagt werden. Das Wort Gottes schneidet aber nicht nur. Genau übersetzt beginnt V. 12 im Hebräerbrief: „Leben ist das Wort und Energie.“

„Wie hieß das Wort aus der Bibel auch noch“ fragt mich der erfolgreiche Vorstands-Vorsitzende einer großen Sparkasse nach meiner Andacht in der Aufsichtsratssitzung im Krankenhaus. „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen.“ -„Schreiben Sie mir das bitte auf, das stell ich auf meinen Schreibtisch.“ „Gerne, wenn’s der Wahrheitsfindung dient.“

Darum sei Gott für sein Wort hoch gepreist. Ich schließe mit dem Mantel des Elia. Der Prophet war nicht bekannt für salbungsvolle Worte, sondern kräftig und scharf. Als er zum Sterben kommt, gibt er seinem Schüler Elisa seinen Mantel und sagt. „Immer wenn du Trost brauchst, dann leg ihn um. Er wird dich ins wärmen.“

 

Perikope
31.01.2016
4,12-13