Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebr 4,12.13
Liebe Gemeinde,
will ich, dass alles bloß und aufgedeckt vor Gottes Augen ist? Wollen Sie das?
Manchmal gibt es doch ein paar Dinge, die ich lieber bei mir behalte, weil sie mir peinlich sind, weil sie die intimsten Stellen meines Lebens betreffen, vielleicht auch weil ich an etwas schuldig geworden bin. Nein, da will ich nicht, dass da jemand hineinschaut und das weiß. Das ist meins und das bleibt meins. Und das ist auch gut so.
Ich bin sicher, das kennen Sie so gut wie ich. Und dann klingt das Wort des Apostels im Hebräerbrief fast schon wie eine Drohung, nicht wahr?
Es ist alles bloß und aufgedeckt vor Gottes Augen. Ja, das klingt nicht nur wie eine Drohung in meinen Ohren, das ist eine Drohung.
Aber drohen lasse ich mir nicht gern. Von Menschen nicht. Und eben auch nicht von Gott. Drohungen nämlich bringen keine Zukunft, sondern sie machen Angst, engen ein und bewegen dadurch Menschen also nur, weil sie dem angedrohten Ärger entweichen wollen. Die innere Überzeugung, das Aufblühen des Geistes aber fehlt und damit fehlt die Dauer, die Phantasie und die Kreativität. Ja, Ihr Lieben, Angst ist ein schlechter Motor und ein mindestens so schlechter Ratgeber. Das lässt sich durchaus auch an der gegenwärtigen politischen Situation feststellen. Die Angst führt ins Verderben.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gut an ein Heftchen, ein Comic, das ich einmal auf der Straße in Mannheim in die Hand gedrückt bekam. Ich war in der dortigen Fußgängerzone unterwegs. Wenn Sie da schon einmal waren, dann wissen Sie auch, dass es da eine Menge an Ständen gibt, die über verschiedene Inhalte informieren wollen.
Da stehen muslimische Verbände, Vegetarier und Veganer, die Heilsarmee, der ADAC und Greenpeace, manchmal auch Unicef oder Amnesty International. Immer aber stehen da auch, ich nenne sie jetzt mal fundamentalistische christliche Gruppen, die für den Glauben werben und nach neuen Anhängern suchen.
Da bekam ich also, wie gesagt, solch ein Comicheft in die Hand. Es war ein ganz kleines, vielleicht zwölf Seiten stark. In diesem Heft wurde eine Glaubensgeschichte erzählt.
Ich erzähle Ihnen das kurz. Dass ich dieses Heft bekam, ist nämlich schon gut zehn Jahre her.
Also die Geschichte dieses Comics erzählte von einem Mann, einem Bauarbeiter. Der Mann saß mit seinen Kollegen in der Pause bei Butterbrot und Bier. Sie sprachen miteinander. Im Gespräch tauschten sie sich aus über den Glauben. Mit einer extrem abfälligen Bemerkung aber über Gott und Jesus Christus, in der er die Existenz Gottes auf derbe Weise bestritt, beendete der Mann das Gespräch mit den Kollegen. Laut lachend ging er wieder an seine Arbeit. „Ihr und Euer Jesus, so ein Unfug!“
So kam es, wie es in der logischen Abfolge dieser Geschichte kommen musste: Der Mann bestieg ein Gerüst, rutschte aus, fiel zu Boden. Der Sturz zerschlug ihm den Schädel. Der Mann war tot.
Das Ganze übrigens, liebe Gemeinde, erzählt in durchaus drastischen Bildern. Doch bis dahin war die Geschichte noch nachvollziehbar. Vielleicht eine Lebensgeschichte. Solche Dinge passieren ja im Leben: Unfälle, Krankheiten, Bedrohungen, zerbrechende Familien. Ja, das Leben ist so, wie es einmal ein Schüler ausgedrückt hat: „ Da stehst Du morgens auf und weißt gar nicht, dass Du abends schon tot bist.“ Und den Tod gibt es nicht nur am Ende unserer physischen Lebenstage, sondern eben auch mitten darin. Es ist wie der Psalm in aller Weisheit festhält: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Auf bedrückende Weise lässt sich das im Leben immer wieder erfahren, gerade auch in seiner unerwarteten und unvorhergesehenen Plötzlichkeit.
Genau damit aber spielte diese Lebensgeschichte aus dem Comic und wandelte sich, alles andere als klug, zu einer Todes- und Angstgeschichte, die sich tief in mein Gedächtnis hineingegraben hat.
Als der gestürzte Mann nämlich wieder zu sich kam, fand er sich wieder inmitten von züngelnden und lodernden Flammen, die ihm unerträgliche Schmerzen bereiteten. Er fragte einen Leidensgenossen. Im Fegefeuer sei er, antwortete der.
Nach 1000 Jahren Qualen fand sich der Mann dann endlich vor dem Richterstuhl Christi wieder. Ein scharfes und richtendes Wort ging aus dem Mund des Gottessohnes und endlich verdammte er ihn zu ewigen Höllenqualen, weil er sich im Leben nicht zu Christus gehalten hatte. Jetzt könne er auch nichts mehr für ihn tun.
Ein letztes Bild. Ein schmerzverzerrter und gequälter Gesichtsausdruck. So geht es denen, die nicht glauben. Der Mann ging unter im feurigen Pfuhl der Hölle.
Das Wort Gottes, ein scharfes, richtendes Schwert der Verdammnis. Kein Leben. Aber Angst. Furcht und Zittern, Heulen und Zähneklappern.
Das Perfide an dieser Geschichte aber, liebe Gemeinde, ist ja, dass sie nicht einfach aus der Luft gegriffen ist, sondern dass sie mit dem Wort Gottes spielt, das sich in der Bibel finden lässt. All die Bilder lassen sich in den Schriften Alten und Neuen Testaments finden und sie haben seit jeher dazu geführt, dass Menschen Angst vor Gott hatten.
Aber muss denn das sein? Ich habe mich schon sehr gefragt, warum denn diese Gruppe nicht mit den schönen Dingen des christlichen Glaubens und des christlichen Lebens arbeitet, um für den Glauben zu werben. Warum gelingt es gerade dem Glauben, der immer wieder hört „Fürchte dich nicht!“, warum gelingt es dem häufig so schlecht eine positive Motivation für das Leben in ihm zu finden und festzuhalten.
Das sage ich durchaus auch selbstkritisch. Wie oft hadern wir auch als landeskirchliche Gemeinden darum, dass Gemeindeglieder oder Geld fehlen und die Zukunft im Dunkeln verschwindet! Die Kirche sei in ihrem Bestand bedroht, heißt es oft.
Wie schwer fällt es uns, auf die gute Dinge zu schauen, diese zu stärken und damit aller Sorge und aller Not entgegenzutreten.
Was nämlich können wir als Gemeinde Gottes nicht alles leisten im Trost und im Dank! Was haben wir für Stärken im Umgang mit den Menschen, wenn wir aufeinander in Augenhöhe achten! Wie entsteht manchmal schon im ganz Kleinen eine tiefe geistliche Verbindung. Welche Kraft besitzen wir, Neues anzupacken und zu beraten und endlich auch in konzeptioneller Stringenz umzusetzen.
Wie gut tut es dieser Gesellschaft, dass wir Christenleute über das Hier und Jetzt hinausschauen und die Perspektive der Ewigkeit in das Leben dieser Welt einbringen können, nicht dadurch dass wir Angst machen, sondern dass wir es einordnen und dadurch auch bereit sind zu pflegen und aufzubauen, Unsicherheiten zu bekämpfen und Neugier zu schüren.
Es sind reiche Schätze, die der Glaube da pflegt. Diese Schätze tun gut.
Wissen Sie, es ist ja richtig, dass es die verdammenden und verurteilenden Sätze Gottes gibt. Und es ist auch richtig, dass Paulus im zweiten Korintherbrief schreibt: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.
Aber was ist denn das Ergebnis dieses Richtens Gottes, mein Tod und meine Verdammung in Ewigkeit? Gottes Wort doch eher ein einscheidiges Schwert, das nur zu töten weiß?
Denn, liebe Gemeinde, das muss ich ja nüchtern bekennen, mein Glauben und mein Tun aus mir heraus wird niemals die Größe und die Herrlichkeit Gottes erreichen, wird niemals ihm in die Augen sehen können und vor ihm bestehen. Das steht für mich außer Frage.
So bin ich in all meinem Leben und Durchgehen durch diese Zeit angewiesen auf Gottes Vergebung und Heilung, auf sein lebendiges, kräftiges und scharfes Wort. Ja, ich bin angewiesen auf sein richtendes Wort.
Das aber spricht zu mir in Jesus Christus, spricht zu mir vom Kreuz herunter und aus der Grabkammer der Auferstehung heraus: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Es spricht zu Ihnen und zu mir, wie es der Hebräerbrief sagt, als ein Richter der Sinne und Gedanken. Es bringt mich wieder zurecht, ordnet mich neu und lässt mich nicht fallen, sondern stärkt Sie und mich für die Zukunft unseres Lebens in Gottes Gegenwart und Nähe.
Und wissen Sie, dann ist es gar nicht so schlimm, dass alles vor Gott offenbar, bloß und aufgedeckt ist, es ist auch keine Drohung, sondern es gehört zu Gottes heilendem Plan über unserem Leben. Denn was aufgedeckt ist, das kann er auch nehmen und wenden und in eine gute Zukunft führen.
Ich weiß aber auch, dass wir Menschen immer wieder den Zuspruch darüber brauchen. Ich weiß, dass unter den angstmachenden Einflüssen dieser Welt die Zusage Gottes immer wieder verloren geht.
Deswegen ist es so wichtig, das Leben unseres Gottes immer wieder zugesprochen zu bekommen. Es ist wichtig, das Leben Gottes unter uns zu teilen und es festzuhalten für alle Ewigkeit.
Ja, Ihr Lieben, es ist wichtig, dass wir das Zeichen Gottes empfangen, unter dem unser Leben bleibt. Es ist das Zeichen des Kreuzes, der Tod unseres Todes, das Leben unseres Lebens, von dem Christus zu uns tritt, bei uns ist und bei uns bleibt. Sein Segen.
So hört nur, Ihr lieben Christenmenschen: „Fürchtet Euch nicht! Denn ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Amen.