Predigt zu Johannes 3,14-21 (Text der Perikopenrevision) von Johannes Neukirch
3,14-21

Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, 15 damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. 19 Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. 20 Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. 21 Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.

Liebe Gemeinde,

hier ist alles beieinander,
was nötig ist – damit sich alles zum Guten wendet:

Gott liebt die Welt
Er gab seinen Sohn
damit die Welt gerettet werde
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet
Menschen lieben die Finsternis
aber Jesus ist als Licht gekommen, das die Finsternis besiegt

So eine Art Welt-Rettungs-Programm, höchste Zeit, dass es wirkt!

Wenn ich in den Nachrichten höre, dass syrisch-orthodoxe Christen ermordet und verschleppt werden, wenn ich an die weltweit Millionen Flüchtlinge denke, an Krieg, Gewalt und Terror – die Liste ist zur Zeit lang – dann kommt mir das in der Tat wie eine große Finsternis vor.

Und ich frage mich, woher Licht kommen kann
und wann endlich das Gericht kommt und allen brutalen Schlächtern der Prozess gemacht wird.
Und wo die Liebe bleibt.
Und warum Jesus in die Welt gekommen ist.

Das Welt-Rettungsprogramm hat bisher nicht funktioniert.
Eine Überschrift unter vielen: Verbrechen in der Nachbarschaft - Im Frühjahr 1945 wurden Hunderttausende KZ-Häftlinge auf Todesmärsche getrieben. «Heute will man uns glauben machen, die Eltern und Großeltern hätten den Häftlingen Hilfe geleistet», sagt ein Überlebender. «Aber nirgendwo wollte man uns aufnehmen oder gab man uns zu essen.»

Am Aschermittwoch hat Bischof Trelle in Hildesheim ein Schuldbekenntnis der Sünden in der Geschichte des Bistums abgelegt. Es ging über einen Zeitraum von 1.200 Jahren. So alt ist das Bistum Hildesheim. Den Text über die letzten fünf Jahrhunderte können wir als evangelische Kirche ganz einfach mitsprechen.

Gott liebt die Welt
Er gab seinen Sohn
damit die Welt gerettet werde
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet
Menschen lieben die Finsternis
aber Jesus ist als Licht gekommen, das die Finsternis besiegt

Eigentlich haben wir also alles beieinander für Liebe, für Frieden, für Gerechtigkeit. Warum funktioniert das Welt-Rettungsprogramm, das vor 2000 Jahren begonnen hat, nicht?

Es ist offensichtlich eine sehr spezielle Welt-Rettung
Menschen legen andauernd Hilfs- und Rettungsprogramme auf.
Um Kriege zu beenden, um den Hunger zu besiegen, um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Immer alles mit Fehlern
Hilfsprogramme sind schwierig
Erst recht, ist es schwierig, will sagen: unmöglich, die Welt zu retten, die Finsternis zu besiegen und das Licht leuchten zu lassen

Gottes Hilfsprogramm ist anders.
Gleich am Anfang muss jemand sterben.
Jesus am Kreuz.
Das ist in dem Satz enthalten „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,  damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“

Dieser Satz erinnert an eine Geschichte im Alten Testament. Ich muss ein wenig ausholen:
Das Volk Israel, im Auftrag Gottes von Mose aus der ägyptischen Sklaverei befreit, ist in der Wüste. Da kehrt sich die Erfahrung der Freiheit um in ein tiefes Gefühl des Mißtrauens: "Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt?" so fragen die Menschen Gott und Mose, "etwa, damit wir in der Wüste sterben?" In ihrer Angst tritt ein, was sie befürchten: Viele werden von Giftschlangen gebissen und sterben. Mose soll im Auftrag Gottes eine Schlange aus Kupfer machen und sie an einer Stange befestigen. "Und jeder, der gebissen wird", so heißt es, "wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht." Der Satz aus unserem Text: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,  damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ meint: So wie die Schlange an dem Pfahl hing, so wird Jesus am Kreuz hängen. Und so wie die Israeliten zur kupfernen Schlange aufschauten und ihr Leben vor dem Tod retten konnten, so haben alle das ewige Leben, die zum Kreuz und zum Gekreuzigten aufschauen und ihm vertrauen.

Wir sollen aufschauen zum Gekreuzigten.
Das heißt vor allem: den Gekreuzigten aushalten.
Leiden und Tod aushalten.
Nicht davonlaufen.
Und gleichzeitig: darauf vertrauen, dass Gott aus Liebe zur Welt seinen einzigen Sohn dahingegeben hat.
Er hat es zugelassen.
Es ist sein Weg – eine andere Sicht der Dinge.

Manche sagen: weg mit dieser schrecklichen Geschichte von dem Gekreuzigten. Wenn Gott die Welt liebt, braucht er das nicht. Das haben sich die Menschen so zusammengereimt.

Ich glaube aber, dass dieser Blick aufs Kreuz ganz entscheidend ist.
Er verändert uns, er berührt uns, er erreicht unser Herz.
Weil wir dabei nicht auf uns selbst sehen, sondern auf Gott.
Das ist ein anderer Blick als der übliche auf Leistung, Ruhm, Ehre, Erfolg, Geld, Macht, Kampf.
Weil ein Gott sichtbar wird, der in unsere Welt eintaucht,  der sich aufs Leiden einlässt, auf Schmerzen, auf den Tod. Auf all das, was uns geschieht.

Was passiert, wenn wir aufs Kreuz schauen und das Kreuz aushalten?

In unserem Text heißt es: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. (…) Das IST aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist“
das passiert alles schon jetzt, nicht in der Zukunft.  „Das IST aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist“ –  kein zukünftiges Gericht. Das Licht ist schon da.

Gott hat  nicht einfach Licht angeschaltet. Wir schauen nicht auf einen Supermann, der Licht anzündet. Wir schauen auf den Gekreuzigten und lassen uns von ihm in unseren Herzen berühren. Dann sind wir im Licht.

Deshalb ist hier von dem Gericht die Rede.
Kein primitives Rache-Gericht, kein „Tod den Feinden“, auch keine langwierigen Gerichtsverhandlungen. Es gibt auch keinen Moment, in dem wir sicher sein können, auf der Seite der Guten zu stehen.

Ich verstehe das Gericht so: Alles wird aufgedeckt und verwandelt!
Das Licht leuchtet alle Ecken aus, alles wird sichtbar, nichts kann mehr versteckt werden. Dann merken wir, dass wir die Finsternis lieben, weil wir Menschen sind. Aber wir können uns erleuchten lassen.

Keine Angst vor dem Gericht!
Gerade dadurch, dass alles aufgedeckt wird, dass unser Menschsein offensichtlich wird, werden wir gerettet!

Wir sehen durch den Gekreuzigten hindurch ins  Licht!

Uns wird klar, wem wir vertrauen können.
Wir sehen, was wirklich wichtig ist im Leben.
Wir spüren, dass Gott uns liebt.
Wir fühlen seine Gnade.

Keine Angst vor dem Gericht, es meint:
Jesus nimmt uns aus der Finsternis heraus und stellt uns ins Licht.

Das hat Folgen.
„Wer Böses tut“, so unser Text, „der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.“

Wenn wir ins Licht gestellt worden sind, wird uns klar, was Böses tun und die Wahrheit tun, meint.

Das Welt-Rettungsprogramm besteht also nicht aus irgendwelchen Maßnahmen, Plänen, Strategien Gottes. Kein Zehn-Punkte-Plan.  Es läuft nicht automatisch ab.
Es funktioniert durch Liebe. Gott liebt die Menschen. Deshalb hat er seinen Sohn in das Menschenleben hineinversetzt, der Welt preisgegeben.

Wenn Menschen auf den Gekreuzigten schauen und dadurch verwandelt werden, wenn Menschen aus der Finsternis ins Licht gestellt werden, wird die Liebe Gottes sichtbar. Jesus ist nicht gekommen, um zu richten, sondern um zu retten.

„Gott liebt diese Welt“, werden wir gleich singen, „und wir sind sein eigen. Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: Gott liebt diese Welt.“
Amen.
 

Perikope
01.03.2015
3,14-21