Predigt zu Lukas 11,17-19 von Hanna Hartmann
11,17-19

Predigt zu Lukas 11,17-19 von Hanna Hartmann

Predigt zu Lukas 17,11-19

11 Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog.

12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!  

14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.

15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme

16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.

17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?

18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?

19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

 

Liebe Gemeinde,

die Krankheit hatte sie zusammengeführt und zu einer Schicksalsgemeinschaft gemacht. Ausgestoßene waren sie. Und vermutlich alles andere als eine Augenweide. Wie das bei einer Hautkrankheit halt so ist: Die sieht man; die ist einem auf den Leib geschrieben: auf Armen und Händen oder sogar ins Gesicht. Und selbst wenn sie nicht ansteckend ist, ist da die Scheu, vor der Berührung.

Hautkrank zu sein, ist auch heute noch schwer. Aber zur Zeit der Bibel waren Hautkrankheiten ein Grund, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden. Ob es nun Lepra war, Schuppenflechte, Neurodermitis, ein Ekzem oder was auch immer. Die Leute nahmen Abstand: „Man kann ja nie wissen…“ Und man wusste damals tatsächlich auch nicht, was zB ansteckend war und was nicht.

Doch für die Betroffenen war es das gesellschaftliche Aus. Sie durften an nichts mehr teilnehmen und mussten Glück haben, wenn ihre Familien sie weiter versorgten.

Und so waren die Zehn zusammengekommen und schlugen sich irgendwie durch. Woher sie kamen und was sie vorher gewesen waren, das war jetzt zweitrangig: Rang, Name, Volkszugehörigkeit. Auch bei dem Mann aus Samarien, der unter normalen Umständen  abgeblitzt wäre. Jetzt war es ihr gemeinsames Schicksal, das sie verband.

Schicksalsgemeinschaften heute haben andere Gründe; aber es gibt sie auch heute: vom Unglück Betroffene; Patienten; Arbeitslose; und manchmal auch Menschen in Prüfungszeiten. Die gemeinsame Situation, in die sie geworfen sind und die bewältigt werden will, verbindet. Das gemeinsame Schicksal überbrückt Unterschiede. Nicht alle natürlich, aber viele. Man leidet gemeinsam, bangt gemeinsam und hofft gemeinsam. Und unterstützt sich. So wie damals auch die Zehn.

Einer war unter ihnen, der sich erinnerte: „Jesus? -  das ist doch der, der Kranke heilen kann! Kommt, das lassen wir uns nicht entgehen!“ Und er beginnt zu rufen und die anderen fallen mit ein: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!  So schreien sie; so betteln sie. Schaden kann es ja nie! Und sei es nur, dass er vielelicht ein Almosen gibt oder etwas zu essen da lässt. Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!  

Doch was tut Jesus? Er gibt ihnen nichts, nur einen Auftrag: Geht hin und zeigt euch den Priestern!  Das war damals sozusagen das Gesundheitsamt mit den Priestern als „Amtsärzten“.

Der eine mag verstört geschaut haben und der andere müde gelächelt. Aber ein paar wollten es auch riskieren: „Kommt, das machen wir jetzt einfach! Wir probieren‘s! Zu verlieren haben wir ja sowieso nichts…“  Und es geschah, so lesen wir weiter, als sie hingingen, da wurden sie rein. Ich stelle mir vor, dass es langsam war; beim Gehen. So, dass sie es gar nicht gleich merkten. Bis einer sich wunderte: „Du, mein Arm juckt gar nicht mehr.“ Und den andern anschaut und sagt: „Und deine Flecken im Gesicht! Knallrot hat du gestern ausgesehen; und heute sieht man sie nur noch ganz schwach. 

Und dann kam die Untersuchung. „Rein!“, sagte der Priester nachdem der Leibesvisitation des Ersten. Und dann noch neun Mal: „Rein!“ Gleich danach noch das offizielle Reinigungsritual mit dem Dankgebet, und sie hatten’s geschafft! Jetzt konnte das Leben also weitergehen; oder erst recht beginnen. Also nichts wie los!

„Geschafft!“ – so sagte man auch zu Harry nach seinem überstanden Darmkrebs: „Du hast es geschafft!“ Er saß in der Chefetage einer großen Versicherungsgesellschaft. Strebsam und ehrgeizig war er immer gewesen, einer der besten in seiner Branche. Jeder rechnete damit, dass er nach der gelungenen Operation wieder an seinen Schreibtisch zurückkehren würde. Das tat er auch. Aber nach zwei Tagen kündigte er. Etwa ein Jahr lang arbeitete Harry überhaupt nicht. Dann kaufte er einen Weinberg und wurde Weinbauer.  Später erzählt er: „In dem Moment, als ich aus der Narkose erwachte, da wusste ich ohne jeden Zweifel, dass ich das Leben eines anderen führte. Es hatte so viel Druck von meiner Familie gegeben, erfolgreich zu sein. … Zuerst hat mich die Herausforderung fasziniert. Und irgendwann habe ich dann aufgehört, auf mich selbst zu hören. … Es war ziemlich hart einsehen zu müssen, dass ich mich dermaßen an das Geschäft verkauft hatte, dass ich es selbst gar nicht mehr bemerkte.“ (R.N. Remen, Aus Liebe zum Leben, Arbor-Vlg., S. 55)

Dass wir nach einer Krankheit wieder gesund wurden, liebe Mitchristen, das haben wir alle mit Sicherheit schon am eigenen Leibe erlebt. Es muss ja keine so schwere Krankheit gewesen sein wie bei Harry; auch keine Hautkrankheit wie bei den Aussätzigen damals, die zu allem Elend auch noch den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutete.

Doch es ist dem Kranksein eigen, dass sie etwas ins Wanken bringt. Vielleicht nur für kurze Zeit, aber immerhin. Da muss ein Termin storniert und verschoben, oder eine Reise abgesagt werden. Kranksein wirft aus dem Tritt. Sie bringt einen ins Stolpern – v.a. wenn es eine schwere Krankheit ist. Sie fragt: Wer bist du, Mensch? Was tust Du? Und was ist dir wirklich wichtig?

Man kann sich diesen Fragen stellen. Man kann sie aber auch zur Seite schieben, überhören und nach überstandener Krankheit weitermachen, als sei nichts gewesen. Muss man aber nicht...

Es sind freilich meist nur einzelne, die es anders machen, die sich trauen, etwas zu ändern. Wie auch der einzelne in unserer Geschichte. Er kehrt um. Er geht noch einmal zurück an den Ort des Schreckens und erinnert sich: an das Elend, die Demütigungen, die Schmerzen. Aber auch an die Schicksalsgenossen, die sich kaum mehr von ihm verabschiedeten, weil sie es so eilig hatten. Dabei hatten sie doch so viel zusammen erlebt!

Doch vor allem will er zu dem, der sein Schicksal gewendet und sich erbarmt hat: zu Jesus!  „ER war es doch, der uns geholfen hat! IHM muss ich unbedingt Danke sagen!“ Es ist ein tiefes Bedürfnis, das ihn zurückkehren lässt.  Eine innere Notwendigkeit.

Sicher wird er auch schon in Gegenwart des Priesters Gott gedankt haben. Schließlich war er ja im Tempel gewesen. Und außerdem gehört dieser Dank zum Reinigungsritual dazu. Aber nein, das reicht ihm nicht. Er muss noch einmal zu Jesus selbst: … und er kam zurück, lobte Gott und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm.

Ja, es ist gut und wichtig, dass Dank auch konkret wird. Dank macht die Welt schön und von innen her reich und lebenswert.

Ich denke an jenen alten Lehrer. Er hatte viele Schüler durch die Grundschule seines Dorfes begleitet und ihnen ein solides Fundament gelegt. Eine ganze Reihe von ihnen konnte später sogar Abitur machen und studieren. Doch dass einmal jemand zu ihm gekommen und ihm gedankt habe, so erzählte er (etwas traurig), das sei nur ein einziges Mal vorgekommen.

Ein Dankgebet ist schön und gut, aber das allein reicht nicht. Auch den konkreten Menschen soll ein Danke! zukommen für das, was sie konkret Gutes getan haben und was wir ihnen verdanken. Bleibt uns doch nur dadurch bewusst, dass wir nicht für uns allein leben. Und dass wir unser Leben nicht uns selbst, sondern vielen, vielen anderen verdanken!

Oder auch nach einer Krankheit: Gesundwerden ist wichtig. Klar! Aber Gesundwerden ist nur der Anfang der Heilung. Denn bis zum Heil ist es noch ein weiter Weg. Und der will unter die Füße genommen werden. Mit einem Dankgebet. Ja. Aber auch mit einem konkreten Dank: an den Arzt und die Schwestern, die dazu ihr Teil beigetragen haben. Oder auch an die freundliche Frau aus Serbien, die immer so bescheiden und rücksichtsvoll das Zimmer geputzt hat? Oder an einen treuen Besucher…

Erst mit im Danken schließt sich der Kreis. Erst da geschieht Heil. Erst im Danken kommt der „Schalom “ Gottes an: Friede und Ganzheit!  Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen. – sagt Jesus. Warum?

Von ihrer Krankheit befreit, wurden doch auch die anderen, die nicht zu ihm zurückgekehrt waren? Doch ihnen bleibt verwehrt, was Jesus nur dem zusprechen kann, der zu ihm kommt: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Denn Gesundheit ist eines. Aber Dankbarkeit ist nicht weniger. Und ob nicht sogar ein Kranker, der danken kann, näher am Leben, heiler ist, als ein Gesunder, der nicht weiß, wie Danken geht?

Die in Amerika lebende jüdische Ärztin Remen erzählt von einer Frau namens Mae. Sie hatte ihr Leben lang hart gearbeitet. Und als sie sich trafen, war Mae bereits alt und schwer an Krebs erkrankt.  Doch Mae liebte das Leben. Von ihr konnte man lernen, was Lachen heißt. Als die Krankheit fortschritt, so erzählt die Ärztin, rief sie Mae alle paar Tage an, um zu hören, wie es ihr ging. Und Mae antwortete immer auf dieselbe Weise: „Ich bin gesegnet, Schwester. Ich bin gesegnet.“ Auch am Abend, bevor sie starb, brachte man ihr das Telefon ans Bett. Mae rang nach Luft und konnte kaum sprechen. Die ersten Worte waren nicht zu verstehen. Aber dann sagte sie wieder und mit einem Lächeln in ihrer Stimme: „Ich bin gesegnet, Rachel. Ich bin gesegnet.“ (R.N. Remen, a.a.O., S. 25f)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Perikope
Datum 06.09.2015
Bibelbuch: Lukas
Kapitel / Verse: 11,17-19
Wochenlied: 365
Wochenspruch: Ps 103,2