Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Werner Schwartz
Predigt zum Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr, 10. November 2013, über Lukas 18,1-8 - Von der bittenden Witwe: Gottes und unsere Sorge um das Recht der Geringen
1 Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten,
2 und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.
3 Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher!
4 Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue,
5 will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
6 Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!
7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen?
8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?
Gleichnisse sind bemerkenswerte Geschichten. Sie wollen uns ein Licht aufstecken. Jesus will uns durch eine Geschichte wie die von der bittenden Witwe etwas deutlich machen. So dass wir’s begreifen. Und zugleich immer wieder bedenken, weil uns die Geschichte wieder und wieder einfällt, unsere Gedanken und unsere Phantasie beschäftigt und uns so, wenn es gut geht, davon abhält, das Falsche zu tun, und einlädt, das Richtige zu tun.
Ein solches Gleichnis ist die Geschichte vom Richter und der Witwe. Ein gewissenloser Richter und eine wehrlose Witwe treffen aufeinander.
Das ist ein altes Thema in der biblischen Überlieferung. Und vermutlich eine alte Erfahrung in der Menschheitsgeschichte. Nicht immer erhalten Menschen das Recht, das ihnen zusteht. Manchmal versagen die Instanzen, die eigentlich für das Recht sorgen sollten. Zu fehlbar sind die Menschen, zu viele schlimme Erfahrungen haben Menschen schon einstecken müssen. Das spiegelt sich auch in alten biblischen Texten, die beschreiben, andeuten wollen, wie das denn geht: recht richten.
Etwa 5.Mose 16:
18 Richter und Amtleute sollst du dir bestellen in allen Toren deiner Städte, die dir der HERR, dein Gott, geben wird, in jedem deiner Stämme, dass sie das Volk richten mit gerechtem Gericht.
19 Du sollst das Recht nicht beugen und sollst auch die Person nicht ansehen und keine Geschenke nehmen; denn Geschenke machen die Weisen blind und verdrehen die Sache der Gerechten.
20 Was recht ist, dem sollst du nachjagen, damit du leben und das Land einnehmen kannst, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
Oder 2.Chronik 19:
4 Und Joschafat ... brachte sie zurück zu dem HERRN, dem Gott ihrer Väter.
5 Und er bestellte Richter im Lande in allen festen Städten Judas, Stadt für Stadt,
6 und sprach zu den Richtern: Seht zu, was ihr tut! Denn ihr haltet Gericht nicht im Namen von Menschen, sondern im Namen des HERRN, und er ist bei euch, wenn ihr Recht sprecht.
7 Darum lasst die Furcht des HERRN bei euch sein, haltet und tut das Recht; denn bei dem HERRN, unserm Gott, ist kein Unrecht, weder Ansehen der Person noch Annehmen von Geschenken.
So ist das in der Bibel beschrieben. Gerechte Richter soll das Volk haben, die das Recht nicht beugen und nicht vor den Starken kuschen, sondern die Schwachen schützen und ihnen zu ihrem Recht verhelfen. Das hat nicht immer in der Geschichte Israels so recht geklappt, deshalb begegnet häufig in der Bibel, vor allem bei den Propheten die Anklage gegen die falschen Richter, die das Recht beugen und die Einflussreichen besser wegkommen lassen als die Armen, die Witwen und Waisen, die schutzlos sind, die keinen haben, der sie schützt.
Und es begegnet die Anklage und die Aufforderung, doch zum alten Recht zurückzukehren, zum gerechten Gericht, zum unparteiischen Urteil, das allein auch den Schwachen zu ihrem Recht verhelfen kann.
Selbst wenn wir heutzutage gelegentlich ein wenig resigniert spotten, man sei nirgendwo so sehr in Gottes Hand wie vor Gericht und auf hoher See, dann wissen wir hierzulande, dass wir in (prinzipiell) unabhängigen Gerichten doch ein hohes Gut haben, das sicher notfalls zu verteidigen wäre. Denn die Vermutung, dass Gerichte auch in unserem Land parteiisch geurteilt haben, eben nicht Recht gesprochen, sondern eher Unrecht geschaffen haben, ist nicht einmal im Blick auf unsere jüngere Geschichte von der Hand zu weisen.
2
Der Richter in dem kleinen Gleichnis scheut vor Unrecht nicht zurück. Es ist auch ein doppelter Grund angegeben: weil er Gott nicht fürchtet und sich vor keinem Menschen scheut.
Sich vor Menschen nicht scheuen, das kann ihn auszeichnen. Keine Rücksicht nehmen auf Interessen der Konfliktparteien, ein unparteiisches Urteil sprechen, einfach nur das Recht suchen und dem Recht zur Geltung verhelfen.
Gott nicht fürchten – das scheint tiefer zu gehen. Der alte Spruch: Tue Recht und scheue niemand, hieß in seiner vollen Fassung einmal: Fürchte Gott, tue Recht und scheue niemand. Dahinter steht die uralte Vorstellung, die Gottesfurcht sei die Voraussetzung für menschliche Gerechtigkeit.
Gott wird als Garant für Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit gesehen. Wer Gott fürchtet, handelt nach seinen Geboten, oder er hat zu fürchten, dass er seinem Gericht und seinem Zorn verfällt. Da nicht unentdeckt bleiben wird, was Menschen tun, wird er sich aus Rücksicht auf sein eigenes Wohlergehen vermutlich auf dem rechten Weg bewegen.
Nicht so unser ungerechter Richter. Er ist das Gegenteil des Gerechten. Er ist gottlos und deshalb ruchlos.
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Ganz anders die Situation der Witwe. Sie gehört zu den sozial Schwachen. Denn es gab keine soziale Vorsorge für sie, nicht die allerschmalste Witwenrente. Wo doch bei uns Witwenrenten schon schmal genug sind für Frauen, die nicht selbst einen Beruf hatten und deren Mann nicht einen sehr guten Beruf hatte.
Wie immer in der Weltgeschichte gab es solche, die die hilflose Lage anderer schamlos ausnutzten. Deshalb ja galt es als die vornehmste Pflicht der Richter im Volk, den Witwen und Waisen Recht zu schaffen.
Uralte Vorschriften sorgten dafür, etwa 5.Mose 24:
17 Du sollst das Recht des Fremdlings und der Waise nicht beugen und sollst der Witwe nicht das Kleid zum Pfand nehmen.
Oder 5.Mose 27:
19 Verflucht sei, wer das Recht des Fremdlings, der Waise und der Witwe beugt! Und alles Volk soll sagen: Amen.
Oder 5.Mose 24:
19 Wenn du auf deinem Acker geerntet und eine Garbe vergessen hast auf dem Acker, so sollst du nicht umkehren, sie zu holen, sondern sie soll dem Fremdling, der Waise und der Witwe zufallen, auf dass dich der HERR, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hände.
Oder 5.Mose 26:
13 Und du sollst sprechen vor dem HERRN, deinem Gott: Ich hab aus meinem Hause gebracht, was geheiligt ist, und hab's gegeben den Leviten, den Fremdlingen, den Waisen und den Witwen ganz nach deinem Gebot, das du mir geboten hast. Ich habe deine Gebote nicht übertreten noch vergessen.
Oder Jesaja 1:
23 Deine Fürsten sind Abtrünnige und Diebsgesellen, sie nehmen alle gern Geschenke an und trachten nach Gaben. Den Waisen schaffen sie nicht Recht, und der Witwen Sache kommt nicht vor sie.
Oder Jeremia 22:
3 So spricht der HERR: Schaffet Recht und Gerechtigkeit und errettet den Bedrückten von des Frevlers Hand und bedränget nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen und tut niemand Gewalt an und vergießt nicht unschuldiges Blut an dieser Stätte.
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Eine breite Überlieferung im Ersten Testament. Sie belegt die Sorge, dass die Schwachen von den Starken unterdrückt werden, dass die Starken sich aufkosten der Schwachen zusätzliche Vorteile verschaffen.
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Jesus wendet sich in seinem Gleichnis an Menschen, die in Not sind. In Drangsal und Bedrückung wie die Witwe. Sie wissen, wovon er spricht. Und sie warten sehnsüchtig auf den Tag, wo Gott sein Recht erweist, sein Recht gegenüber den Bedrängern und Unterdrückern. Sie warten auf das Weltende, denn dann wird alles gut. Dann werden die Verheißungen Gottes erfüllt, und der Himmel bricht auf Erden an.
Sie wissen auch: Nach bisheriger Erfahrung ist diese Wende in der Welt noch nicht gekommen. Noch ist die Erde eher Jammertal als Freudensaal. Noch ist das Elend eher zu erfahren als der Jubel.
Da, in dieser Situation nehmen sie in der Gleichnisgeschichte Jesu das Gegenbild wahr: Gott ist nicht so wie der ungerechte Richter, Gott ist barmherzig, lässt sich durch Bitten erreichen, viel eher als dieser furchtbare Richter, den es vermutlich ja auch gibt. Die Menschen dort hören: Gott nimmt ihre Bitten wahr, er erhört Gebete, er schafft ihnen Recht, schon bald.
3
So ist das Gleichnis ein Gleichnis darüber, dass sie, die Jünger und Nachfolgerinnen Jesu, die Menschen in seiner Gemeinde, allezeit beten und nicht nachlassen sollen: Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.
Festhalten an der Zuversicht, dass Gottes Reich kommt, zumal wenn stimmt, was wenige Verse zuvor zu lesen: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Mitten unter uns. Wo wir’s spüren, ist es ein kräftiges Zeichen dafür, dass Gottes Reich am Ende der Tage kommt. Wo wir Recht und Gerechtigkeit, Leben und Liebe, Freundlichkeit und Barmherzigkeit erfahren – und sie einander gewähren.
Mitten unter uns, in unserem Alltag: Gottes Reich. Wo wir das erleben, im Leben miteinander, als Schwestern und Brüder, die wir untereinander sind, wo wir das erleben: Gerechtigkeit, Herzlichkeit und Menschlichkeit, Freundschaft und Liebe, Barmherzigkeit und Leben, da wächst Gottes Reich unter uns.
4
Bleibt die Frage: ... wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden? Wird er diesen Glauben finden? Einen Glauben, der in der Liebe, durch Liebeswerke tätig wird? Wird er diesen Glauben finden?
Die Frage lädt zum Leben ein, zu bestimmtem, ganz konkretem Leben im Alltag. Wenn Gott ein Gott ist, der Recht schafft, gerade den Armen Recht schafft, dann wird Glaube zu dem Bemühen, dies zu unterstützen: dass die Armen Recht finden, dass die bittende Witwe Gehör findet, dass wir auf die Not von Menschen reagieren, ihre kleine und große Not.
So ruft diese Gleichnisgeschichte Jesu uns angesichts all dessen, was uns müde macht und hoffnungslos, zurück zum Vertrauen auf Gott, zum Glauben, zur beharrlichen Bitte und zur tätigen Liebe. Und zur Zuversicht. Denn wenn schon dieser Richter sich erweichen lässt, dann sicher doch auch Gott, der das Heil der Menschen will, ihr Glück, der will, dass ihr Leben, unser Leben Erfüllung findet, in Zeit und Ewigkeit.
Wird dieser Glaube zu finden sein auf dieser Erde, jetzt unter uns, und dann, wenn das Ende der Zeit anbricht? Das ist die Frage des Menschensohns an uns. Dieser Frage entspricht unser Gebet, in dem wir nicht müde werden: Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erde ... denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit Amen.
Darum wollen wir beten, und dafür wollen wir tätig sein, dass Gottes Reich kommt. Damit halt niemand so um sein pures Überleben betteln muss wie die Witwe. Oder wenn sie schon bittet, dass ihr dann auch Gerechtigkeit widerfährt. Dass wir dann das Nötige tun, dass wir einander hilfreich zur Seite stehen. Weil das Gottes Weg ist, die Welt zu erlösen, die Welt zu retten. Und wir haben teil daran.