Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Elisabeth Tobaben
17,1-9

Liebe Gemeinde!

Manches verklärt sich wie von selbst - fernab von der alltäglichen Realität;
Hier auf der Insel, weit draußen am Strand,
auf dem Segelboot draußen auf dem Watt,
und erst recht hoch oben auf dem Gipfel eines hohen Berges!
Die Welt erscheint in einem andern Licht: Gipfelerfahrungen.
Alles sieht ganz anders aus, deutlicher irgendwie, klarer als sonst und als anderswo.
Die Welt hüllt sich in Schweigen,
keine gewohnten, vertrauten Geräusche - und wenn, dann nur ganz aus der Ferne,
von weit vielleicht her  Kuhglocken, das Rauschen eines Wasserfalls, einer tief unten vorbei gleitenden Eisenbahn.
Die Welt erscheint entfremdet. Verändert.
Gipfelerfahrungen verändern.
Nicht unbedingt gleich die ganze Welt,
nicht unbedingt die Realität des gesamten Alltags,
jedenfalls nicht unbedingt direkt und sofort.
Aber wer schon einmal einen relativ hohen Berg bestiegen hat, der weiß, wie anstrengend das ist, aber auch was für ein tolles Gefühl es ist, wenn man es dann geschafft hat -die 2500, 3000 m oder noch mehr!
Alles ist so weit weg, was mich sonst verfolgt, bedrängt oder ablenkt.
Dazu kommt die Klarheit der Farben und Formen, Blumen und Felsen, die Intensität des Lichtes.
Ein gemeinsamer Anstieg verbindet auch, kann die Gipfelerfahrung noch intensiver machen.
Die Erlebnispädagogik macht sich das zu Nutze, gerade mit Jugendlichen, die sonst kaum Erfolgserlebnisse haben, die gerade in den Bergen entdecken können, was es heißt, sich aufeinander verlassen zu müssen, etwas zu schaffen, was man sich selbst nicht zugetraut hatte.
Gipfelerfahrungen können auch erschreckend sein, aufrührend, können alles Bisherige in Frage stellen und mich zweifeln lassen an der Richtigkeit meiner Pläne.
Aus einem ganz andern Blickwinkel taucht das Zurückliegende wieder auf.
Und: Gipfelerfahrungen können auch ausgesprochen ernüchternd sein.
Ich muss schließlich irgendwann wieder runter vom Berg!
Auch die Empfindungen und Erkenntnisse entgleiten mir nur zu schnell wieder, ich kann sie oft genug dann doch nicht festhalten.
Kein Wunder, dass der Evangelist Matthäus diese ganz unerklärliche Erfahrung der Verklärung Jesu auf einem Gipfel spielen lässt, auf einem hohen Berg.

Lesung: Matth. 17, 1- 9

Sechs Tage danach nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg.
Und er wurde vor ihren Augen verwandelt, sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht.
Da erschienen plötzlich vor ihren Augen Mose und Elia und redeten mit Jesus.
Und Petrus sagte zu ihm: Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elia.
Noch während er redete, warf eine leuchtende Wolke ihren Schatten auf sie und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, auf ihn sollt ihr hören.
Als die Jünger das hörten, bekamen sie große Angst und warfen sich mit dem Gesicht zu Boden.
Da trat Jesus zu ihnen, fasste sie an und sagte: Steht auf, habt keine Angst!
Und als sie aufblickten, sahen sie nur noch Jesus.
Während sie den Berg hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.


Eine  traumhafte Erfahrung!
So etwas wäre mir unvorstellbar auf einem belebten Marktplatz, in einem großen Einkaufszentrum, in einem Wohnhaus oder auch in einer Kirche.
Die Abgeschiedenheit, die Stille und Klarheit der Berge scheint geradezu nötig zu sein, damit die drei überhaupt wahrnehmen können, dass da etwas Besonderes passiert.
Stellen Sie sich vor, die Verklärung Jesu hätte unter dem Flutlichtscheinwerfer eines Fußballstadions oder vor hell erleuchteten Schaufenstern  stattgefunden, die drei hätten doch gar nicht bemerkt, was für ein Leuchten das in diesem Moment von Jesus ausging!
Außerdem: es geht ja auch um eine sehr intime Erfahrung.
Offenbar will Jesus  gar nicht, dass die Massen  dieses Leuchten um ihn schon  sehen, nein, nur drei Auserwählte nimmt Jesus mit auf den Berg.
Fast kommt es mir so vor wie ein „Probelauf“, als wollte Jesus schon vorab an einigen ihm besonders Vertrauten einmal testen, wie die Menschen auf ihn als Auferstandenen reagieren werden.
Das blendende Licht, leuchtend weiß erscheinende Kleider, Erscheinungen – das alles klingt schon sehr österlich.
Und was geschieht bei den Jüngern in dem Moment? Festhalten wollen sie ihn!
Einer prescht voran, Petrus, der schon bekannt ist für sein vollmundiges Bekenntnis und seine direkte Art.
Ganz pragmatisch packt er die Sache an.
Natürlich ist auch ihm klar, dass er gerade etwas äußerst Ungewöhnliches miterlebt,  und das möchte das er bewahren.
Ich finde es sehr verständlich, dass  er sagt: “Ach, wenn‘s doch immer so sein könnte!
Hier bleiben wir, hier ist es gut!“
„Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.“
Hier, so denken die drei,  kommen wir unserer eigenen Geschichte nahe, den Wurzeln unseres Glaubens.
Die Licht- Gestalten von Mose und Elia verbinden uns mit unserer Geschichte.
Aber Licht festhalten? Das klingt doch schon sehr nach den berühmten Schildbürgerstreichen, und auch dort war es schon nicht gelungen, das Licht in Säcken in ihr fensterloses Rathaus zu tragen.

Auf dem hohen Berg scheinen die drei und Jesus dem Himmel etwas näher.
Zwei Wirklichkeiten schieben sich in der  Verklärungsgeschichte übereinander:
die Macht des Himmels geht auf die Erde über, die Kraft Gottes erreicht diese  Welt – sicher, unverfügbar wie zu Pfingsten – manchmal recht verborgen, aber manchmal auch urplötzlich sichtbar, spürbar!
Jemand hat die Szene der Verklärung Jesu einmal mit einer Ikone verglichen:
Da gibt es eine sichtbare obere Schicht mit bunte Farben und ganz zuletzt aufgetragenen Lacken.
Und es gibt eine Tiefenschicht - den Goldgrund - der bei jeder Ikone zuerst auf das Holz kommt und ihr den Glanz des Echten, Wahren und Wertvollen geben soll.
Durch die darauf  gemalten Bilder und Motive leuchtet  überall immer wieder einmal der Goldgrund hindurch.
Und so leuchtet auch in unserer Welt und in unserem Leben hin und wieder Gottes Gegenwart besonders glänzend durch.
In der Bibel  sind übrigens oft Berge der Ort einer besonderen Begegnung mit Gott.
Gerade die beiden in dieser Erscheinung so unvermittelt aufgetauchten Mose und Elia   bringen ihre ganz eigenen Bergerfahrung mit:
Mose bekommt auf dem Sinaigebirge, die Anweisungen zum Leben und Glauben, die ihn und sein Volk durch Jahrtausende begleiten sollten, die bei uns bis heute Gültigkeit haben als „die 10 Gebote“.
Und Elia kämpft auf dem Berg Karmel gegen fremde Götter, schießt mit seiner Gewalttätigkeit weit übers Ziel hinaus und macht trotzdem gerade in dieser dunkelsten Stunde seines Lebens eine herausragende Erfahrung:
Er weiß sich getröstet, versorgt und erlebt, dass Gott ihm eine neue, schwierige Aufgabe zutraut.
Und da ist die Lichtwolke.
Licht lag schon auf Moses Gesicht, nachdem Gott ihm die Richtlinien für das Leben und das Miteinander gab, als Mose wieder abgestiegen war mit den schweren Steintafeln unter dem Arm, und die Menschen erkennen daran, dass ihm etwas ganz und gar Außergewöhnliches begegnet ist.
Verhüllt geht Gott mit, nur manchmal leuchtet etwas auf, erstrahlt Lebens- und Glaubensgewissheit auf dem Gesicht eines Menschen,
im Regenbogen vielleicht, Glanz- und Hoffnungszeichen Gottes
über einer neu erstehenden Welt.
Es ist ein schöner Gedanke, dass auch wir unser Lebenspanorama auf einen Goldgrund malen können, wie auf einer Ikone!

Petrus bekommt leuchtende Augen: Hier lasst uns Hütten bauen!
Eine für Christus: festhalten, dass er Herr ist über mein Leben, verlässlicher Halt in meiner schwankenden Lebensgeschichte.
Petrus sucht den Weg des Eindeutigen: Hütten für Mose und Elia, ein Heiligtum, etwas zum Festhalten und Anfassen, einen Ort schaffen, wo Gott verfügbar erscheint.
Heute stehen auf dem „Berg der Verklärung“ in Israel nach langer, wechselvoller Geschichte zwei Kirchen - eine griech. orth. und eine röm. kath., man konnte sich nicht einigen im Streit um das Gelände und um die Darstellung der Verklärung...
Für Petrus sind Mose und Elia die Verbindung zum Früher, Garanten dafür, dass Gottes Zusage sich durchhält, auch damals schon war.
Petrus zielt auf End-Gültiges, will Halt bieten, Autorität, religiöse Heimat.
Damit würde er sicher auch heute bei vielen offne Türen einrennen und auf begeisterte Zustimmung stoßen.
Die Sehnsucht ist groß in unseren Zeiten nach Sicherheit, nach unverbrüchlicher Glaubensgewissheit.
Und zugleich ist die Gefahr ist nach wie vor groß, im Vordergründigen stecken zu bleiben,
Hütten auf dem Berg zu bauen und vielleicht gar nicht mehr zu merken, dass sich der Glanz schön längst verflüchtigt hat...
Festhalten und Festschreiben um jeden Preis: So ist es und nicht anders-
Das ist Gewissheit gegen andere, gefährlich erscheinende Überzeugungen.
Sie macht die Angst nicht kleiner, führt eher dazu, dass jede auch noch so leise Anfrage als Angriff erlebt wird, als ungeheuer bedrohlich;
Führt dazu, dass Menschen (oder sogar ganze Gemeinden) sich abschotten.
Sie verstärkt eher die Anstrengung, Glanz aufrecht zu erhalten nach außen.
Keine tragfähige Kraft für das Leben.
So verläßt Petrus der Mut im Sturm.
‚Er kann das Scheitern nicht aushalten in Gethsemane,
der Angst nicht standhalten, als der Hahn kräht.
Gipfelerfahrungen wie diese - sie sind eben gerade nicht herstellbar, zu erzwingen oder einzufordern, sie sind Geschenk und Herausforderung zugleich.
Gott zeigt sich, und für einen Moment scheint der Goldgrund der Ikone durch, erstrahlt Gottes Zusage in deinem Leben.
Die Frage ist: wie ist das Erlebte zu deuten?
Die Stimme gehört dazu, mysteriös aus den Wolken in diesem Fall,
sonst eher in mir selbst, meinen eigenen Überlegungen und Meditationen zu finden, manchmal auch als zufällig hingeworfener Satz eines andern - Wegweisung - gehört dazu, ("Ihn sollt ihr hören!" hatte übrigens auch schon Maria bei der Hochzei zu Kana gesagt.)
Und: „Dies ist mein lieber Sohn“  sagt die Stimme, - wie schon bei der Taufe im Jordan...
Zum Glauben gehört eben auch das Hin- und  -Hergerissensein zwischen Angst und Schrecken und dem Fürchtet - euch - nicht, der österliche Glanz der Verklärung und Erleuchtung und  Karfreitag.
Und die Ernüchterung nach der Gipfelerfahrung folgt auf den Fuß: die Erscheinung ist verschwunden, nur noch Jesus zu sehen, und die drei fragen sich vielleicht: haben wir grad „nur“ geträumt?
Jedenfalls müssen sie wieder herunter vom Berg und –was ich mir ziemlich schwierig vorstelle- dürfen noch nichtmal von dem erzählen, was sie erlebt haben!
Nebenbei: vielleicht lässt es sich auch kaum erzählen? Wenn schon die Erfahrungen einer ganz normalen Bergbesteigung so schwer zu vermitteln sind?
Dennoch sind Petrus, Jacobus und Johannes ganz sicher  nicht so zurückgekommen, wie sie aufgebrochen sind.
Angerührt sind sie.
Wieder aufgerichtet, nachdem der Schrecken sie zunächst umgeworfen hatte.
War nicht die Gipfelerfahrung, die sie gemacht haben, nun tatsächlich so etwas wie eine vorzeitige Ostererfahrung?
So wie sie Jesus gesehen und erlebt hatten, werden sie ihn erst als  Auferstandenen wiedersehen.
Auferstehung mitten im Leben. Aber handfester, alltäglicher jetzt noch: Jesus fasst sie an, um sie aus dem Schrecken zurückzuholen.
Vielleicht legt er ihnen beruhigend die Hand auf die Schulter, ergreift ihre Hand, um sie vom Boden wieder hochzuziehen.
Aber schon Widerspruch gegen die tag- tägliche Gewissheit: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen..."
Am Übergang von der Epiphaniaszeit zur Passionszeit gewinnt diese Geschichte eine ganz eigene Bedeutung:
Hier schneiden sich die Linien vom herrlich leuchtenden "Morgenstern" und dem elend leidenden Gekreuzigten.
Beides zusammen macht erst das Ganze aus, in Christus wie in jedem einzelnen Menschen.
Gipfel - und Tiefenerfahrungen gehören zusammen.
Sternstunden und der krähende Hahn.
Und manchmal verklärt sich etwas - wie von selbst.
Der Goldgrund scheint durch - Leben wird transparent für Gottes Gegenwart.

Amen

Perikope
25.01.2015
17,1-9