Predigt zu Offenbarung 3,7-13 von Antje Marklein
3,7-13

Predigt zu Offenbarung 3,7-13 von Antje Marklein

Es ist Advent, der zweite heute; wir sind schon auf dem Weg auf Weihnachten zu, aber es ist noch Zeit, viel Zeit. Zeit zum Backen und Putzen, Zeit zum Einkaufen und Briefe schreiben,  Zeit für spontane Besuche und lang aufgeschobene Telefonate. Zeit für äußere und innere Vorbereitungen. Zeit für melancholische Rückblicke und traurige Erinnerungen, Zeit für fröhliche Begegnungen und für freudige Erwartung.
Adventszeit.
‚Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht‘. Der Wochenspruch bringt Bewegung in den zweiten Advent: Er fordert uns auf, den Blick zu heben, uns aufzurichten und nach vorn zu schauen, ‚weil sich unsere Erlösung naht‘. Jetzt kommt Bewegung in den Advent. Wir bewegen uns und es bewegt sich etwas auf uns zu. Unsere Erlösung.
Adventszeit. Gespannte Endzeitstimmung.
Auf diesem Hintergrund hören wir den Predigttext für den 2. Advent, einen endzeitlichen Text des Visionärs Johannes aus der Offenbarung im 3. Kapitel. Es ist eines der sieben sogenannten Sendschreiben an Gemeinden. Der Seher Johannes  bekommt sie von dem Auferstandenen Christus in die Feder diktiert. Erst auf den zweiten Blick ist es ein adventlicher Text. Hören Sie selbst.

Dem Engel der Gemeinde in "Philadelphia" schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf:
Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet….
Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.
Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!
Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen.
Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(Offb. 3, 7-13 in Ausschnitten)


Eine Vision, ein Tagtraum des Sehers Johannes. Was sieht er?
Christus hat die Schlüsselgewalt. Er öffnet mir die Tür und niemand kann sie zuschließen. Er kommt auf mich zu und macht mich zum Pfeiler seines Tempels im neuen Jerusalem.
Eine überraschende Botschaft.
Eigentlich sind wir es doch, die Türen öffnen im Advent? Verschenken Adventskalender in allen Varianten, öffnen kleine Türchen, hinter denen sich geheimnisvolle weihnachtliche Symbole verstecken; wir singen ‚Macht hoch die Tür‘ und stimmen uns darauf ein, Jesus in uns aufzunehmen. Wir öffnen unsere Türen beim Lebendigen Adventskalender, öffnen unsere Herzen für Menschen in Not.
Aber Advent ist mehr als das Warten auf die Geburt im Stall. Advent ist Warten auf die Wiederkunft Christi – am Ende der Zeit,  morgen,  immer wieder neu. Und das Warten lohnt sich, weil der auferstandene Christus uns die Tür öffnet und niemand kann sie zuschließen.
Die Bewegung  kommt von außen: Uns wird eine Tür geöffnet, uns als christlicher Gemeinde, die mit kleiner Kraft versucht, Gottes Wort zu bewahren und seinen Namen zu bekennen.
Uns wird zugesagt: weil ihr geduldig seid, werde ich wiederkommen.

Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen

Eine Botschaft gegen den Augenschein. Ein Blick in eine Zukunft, die uns in unserem Alltag verschlossen bleibt.
Es ist schwer zu glauben. Was ich in meinem Alltag sehe, sind verschlossene Türen. Verschlossene Türen an den Grenzen Europas, wo nur wenige Einlass bekommen und das erst nach penibler Kontrolle; verschlossene Türen für Millionen Menschen, die Zugang haben möchten zu einem menschenwürdigen Leben, zu Nahrung und Bildung. Verschlossene Türen für Menschen aus Syrien, die sich in Nachbarländern auf eine lange Zeit im Flüchtlingslager einrichten müssen. Verschlossene Türen, hinter denen unsere gewählten Politiker/innen sich auf faule Kompromisse einlassen, um ihre Wählerschaft nicht zu verlieren.
Und die Schlüsselgewalt liegt in der Hand der Regierungen, der Banken, der Wirtschaft.

Ich sehe die verschlossene Wohnungstür einer alten Frau, die es nicht mehr schafft, dem Besuch zu öffnen, geschweige denn ihre Wohnung zu verlassen. Ich sehe die verschlossene Tür der Intensivstation, hinter der Menschen sich an einen Funken Lebenshoffnung klammern; ich sehe die verschlossenen Türen vieler Seniorenheime, in denen sich Menschen auf einsames Sterben vorbereiten. Wer hat da die Schlüsselgewalt?

Wenn die Zukunft so verriegelt scheint, wie gut ist es da, im Advent der Sehnsucht Raum zu geben, der Sehnsucht nach Türen die sich öffnen in eine neue, ganz andere Zukunft. Wenn wir diese Sehnsucht in uns nicht mehr spüren, dann ist doch alles verloren.

Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen.

Advent ist seit alters schon die Zeit der Buße und der Umkehr. Beim melancholischen Rückblick stelle ich fest, was ich versäumt habe in meinem Leben; in traurigen Erinnerungen denke ich an Türen, die verschlossen blieben. Melancholie und Traurigkeit gehören zum Advent. Wenn ich mich dann  aber einlassen kann auf die freudige Erwartung des Advent, wenn ich mich aufrichten kann und nach vorn schaue, entdecke  ich neue offene Türen, die darauf warten, von mir durchschritten zu werden. Wenn ich mich einlasse auf ungewohnte Begegnungen, auf gewagte Entscheidungen, wenn ich meine Sehnsucht offen teile mit anderen, dann wächst etwas. Dann öffnen sich überraschende neue Türen.
Advent. Wir bewegen uns und es bewegt sich etwas auf uns zu. Unsere Erlösung. Eine Tür öffnet sich einen Spalt. Zukunft, die wir jetzt nur erahnen.
Da öffnet sich eine Tür im Stadtteil, wo Nachbarn, Politiker und Vereine für die neu angekommenen Flüchtlinge einen Runden Tisch und ein Willkommensfest planen.  Da öffnet sich eine Tür im Seniorenheim, wo eine alte, sehr kranke Frau nicht mehr künstlich am Leben gehalten wird, sondern in Frieden und begleitet sterben darf. Da öffnet sich eine Tür einen Spalt, wo ein ganzer Stadtteil sich mutig gegen Rechtsradikalismus stellt. …

Die Vision des Johannes ist ein adventlicher Text. Am Ende des Sendschreibens aus der Offenbarung steht der schöne Schlusssatz: Halte was du hast, dass niemand deine Krone nehme. Halte, was du hast, deine Krone, das kostbarste,  das heißt für mich im Advent: halte fest an den liebgewonnenen Traditionen, die den Advent so besonders machen; halte fest an deinem Glauben, der dir kostbar ist und der dich trägt durch das Kirchenjahr mit allen Höhen und Tiefen; aber auch: halte fest an der unerschütterlichen Hoffnung, dass sich dein Leben nicht in dem erschöpft was du im Alltag erlebst, halte fest an einer hoffnungsvollen Zukunft, auch wenn die Gegenwart verriegelt scheint. Und schließlich: Übe  Geduld  und werde nicht müde  im Engagement für ebendiese Zukunft.
Pfeiler des  Tempels Gottes im neuen Jerusalem werden wir, welch eine großartige Verheißung!
‚Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!‘

Literatur: Predigtstudien 2013/1014  Perikopenreihe VI, Erster Halbband, 32 ff