Predigt zu Psalm 118 von Jan Hermelink
118,1
Liebe Ostergemeinde,
„Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen“: die Frauen,
die ersten Zeugen der Auferstehung.
„Und sie sagten niemand etwas;
denn sie fürchteten sich“ – so endet im Markusevangelium
der Bericht vom Ostermorgen.
Zittern, Entsetzen; Furcht, die verstummen lässt –
so wirkt die Auferstehung Jesu auf die ersten,
die mit ihr konfrontiert sind.
Gerade die engsten Vertrauten des Gekreuzigten –
sie können nicht glauben, dass Jesus den Tod besiegt hat.
So werden uns die ersten Zeuginnen ähnlich:
Auch uns fällt es oft schwer, das wirklich zu glauben:
„Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“
Wie kann man das glauben, wenn man den Tod vor Augen hat,
tödliche Gefahren für sich selbst und Andere?
Der Tod ist überwunden, alle Angst ist vorbei?
Diese Nachricht verwirrt, ja sie erschreckt,
– denn wir merken so wenig davon.
„Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden“
das haben wir uns zugerufen, zögerlich, zweifelnd – immerhin.
Ein solches einander Zurufen,
das die einen verwirrt, die anderen vergewissert,
das Tod und Leben durcheinander wirbelt –
ein solcher Zuruf ist auch der Psalm 118.
Die kirchliche Tradition hat ihn dem Osterfest zugeordnet:
wird dieser Psalm gebetet, auch gepredigt,
dann erschließt sich damit der Sieg über den Tod,
den wir heute feiern – in allem Zweifel, trotz aller Furcht.
Noch einmal möchte ich darum den Psalm mit Ihnen beten.
[rechte Seite, Kanzelseite mit mir – Antwort durch die linke Seite].
Was geschieht, wenn wir den Psalm einander vorlesen, vorbeten, vielleicht auch nur zuhören, einzelnen Wendungen nachsinnen?
Vieles ist klingt vertraut – aus anderen Psalmen,
aus der Sprache der Liturgie, aus eigenem Beten:
„Ach Herr, hilf doch!“ –
„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich“ ...
Es sind vertraute, vielleicht allzu vertraute Worte:
abgenutzte Formeln, so oft gelesen und gesprochen,
dass sie kaum noch Erfahrung aufrufen.
Der Psalm nutzt Motive, die den ganzen Psalter durchziehen;
ja er besteht fast nur aus Zitaten anderer biblischer Schriften.
Es sind – zunächst – gerade nicht eigene Erfahrungen, die er aufruft,
sondern Szenen aus Israels Geschichte:
der Durchzug durch das Rote Meer,
in dem die Verfolger aus Ägypten untergehen,
Da singen Mirjam, Mose und alle Israeliten:
„Der Herr ist meine Kraft und mein Psalm; er wurde uns zur Rettung:
Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt“ (Ex 15, 1f)
Der Psalm nimmt das alte Lied auf:
„Meine Kraft und mein Lied ist der Herr,
er wurde mir zur Rettung.
Man singt mit Jubel vom Sieg
in den Hütten der Gerechten“: in den Zelten also,
die die Geretteten am Ufer aufgebaut haben.
Und dann die Erinnerung an den Tempel,
prächtig wieder aufgebaut nach dem babylonischen Exil,
so prächtig und so mächtig,
dass er Jahrhunderte, bis in die Zeit Jesu Bestand hatte.
„Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit“, oder:
„Macht hoch die Tür“ –
das lässt den Einzug in das Innere des Tempels aufscheinen,
durch große Tore, offen für alle, die dazugehören wollen
zum Volk Gottes.
Eine letzte Erinnerung, sie weist schon über den Psalm hinaus:
„Ach Herr hilf doch“ – auf Hebräisch: Hosianna –
„gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn“:
Das rufen sie auch beim Einzug des Herrn Jesus in Jerusalem,
wenige Tage vor seinem Tod;
das rufen die Kinder, als Jesus in den Jerusalemer Tempel kommt,
– und das rufen wir, immer wenn wir das Abendmahl feiern:
„Hosianna ... gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn“.
Der Psalm stellt den Gottesdienst vor Augen,
im Tempel und in der Kirche,
und er erinnert die großen Rettungstaten, die Israel widerfuhren.
Es sind, schon für die ersten Leser und Sänger,
ganz vertraute Wendungen: alte Bilder, vielleicht schon verblasst.
Vielleicht, so überlege ich, müssen alle diese Worte gesagt werden –
„Freundlichkeit“, „Güte“, „Rettung“, „Vertrauen“ –
vielleicht müssen die Ur-Geschichten des Glaubens aufgerufen werden,
damit zu ertragen ist, was hier eben auch formuliert wird:
„aus der Bedrängnis rief ich“
„alle Völker umkreisten, alle Feinde umzingelten mich,
wie Bienen umschwärmten sie mich“ –
nur knapp wird das formuliert, nur im Rückblick,
nur nachdem Gottes Rettung erinnert ist.
Eingebettet, geschützt durch Gotteslob und -dank
werden hier bedrohliche Erfahrungen laut.
Nur kurz kann ich solche Erinnerung aushalten:
an die Enge, aus der kein Ausweg zu sehen war;
oder daran, umzingelt zu sein –
von den Konkurrenten, von Misstrauen;
oder, schlimmer noch:
umzingelt von Verpflichtungen, von den Ansprüchen,
die Andere – und die ich selbst an mich stelle:
„Sie umkreisten, ja sie umzingelten mich,
wie Vogel- oder Bienenschwärme ...“
Das halte ich nicht lange aus.
Eine andere Szene, nicht weniger schrecklich, verbirgt sich
in der einen Zeile „ein Stein, von den Bauleuten verworfen“:
eine alltägliche Erfahrung, bei jeder Pflasterung, jeder Gartenmauer –
aber was ist, wenn ich selbst jener Stein bin,
der verworfen wird: nutzlos, Abfall?
Was ist, wenn meine Bewerbung aussortiert wird,
wenn mein Forschungsantrag abgelehnt,
wenn meine Initiative ausgebremst wird: nutzlos?
Wir alle kennen die Szene als Kinder,
wenn die beiden Stärksten sich ihre Mannschaften zusammen suchen,
wenn sie nach und nach aus der Reihe auswählen –
und immer bleiben am Ende die Gleichen übrig:
zu langsam bist Du, zu ungeschickt – nutzlos.
Alle diese Szenen sind hier eingebettet in das Gotteslob
in den Dank für seine Hilfe.
Umso abgründiger die Szenen,
in denen Gott selbst zur Bedrohung wird:
„Gezüchtigt, ja geschlagen, fast vernichtet hat mich der Herr –
auch wenn er mich dem Tod (noch?) nicht überlassen hat.“
Dieser Satz ist schlimm genug. –
Noch abgründiger jedoch ist für mich
eine Zeile weiter vorne im Psalm:
„Du stießest, ja du stießest mich, damit ich falle –
aber der Herr hat mir geholfen.“
Dieses Du, darin sind sich die Ausleger einig,
dieses Du, das da im Gebet angeklagt wird:
es ist Gott, der Herr selbst.
Auch das erinnert mich:
Der Vater, dem ich vertraute – er verlässt mich, unversehens.
Die Frau, der ich mich anvertraut habe – gerade sie verspottet mich
in aller Öffentlichkeit.
Der Lehrer, dem ich so viel verdanke – plötzlich lässt er sich verleugnen.
„Du stießest mich – du, gerade du wolltest mich zu Fall bringen.“
Die Person, auf die ich ganz vertraut habe –
da ist die Enttäuschung kaum auszuhalten.
„Du, ja du wolltest mich zu Fall bringen“ –
ist das auch eine Gotteserfahrung?
Ja, das ist es – so hat es Martin Luther erkannt.
Das ist die tiefste, die dunkelste Begegnung mit Gott:
Alles, worauf ich mich verlasse, woran ich mein Leben ausrichte:
es löst sich auf in Nichts – ja schlimmer noch:
Gott, mein erstes und letztes Gegenüber,
mir näher als der Vater, die Partnerin, die eigenen Kinder –
er bedroht mich zu Tode.
Ist das ein fremder, ein falscher Gott –
oder ist das nur das Abbild meines eigenen Versagens:
Du, ja du stößt mich, damit ich falle“ –
ist das ein letzter Versuch, mich selbst zu entlasten:
Es ist doch alles nicht meine Schuld –
nein, ein Anderer, ein Stärkerer hat mich zu Fall gebracht.
Der Psalm ruft Todeserfahrung wach –
vorsichtig, verpackt in Gotteslob und -dank –
aber doch abgründig.
Die Ostererfahrung ist vielstimmig präsent:
„Ich werde nicht sterben, sondern leben,
und von den Werken Gottes erzählen“;
„Du hast mich errettet, hast mich ins Weite geführt“ –
aber die Enge, der Druck, das Misstrauen,
zuletzt gegen Gott selbst –
das alles ist ebenso präsent;
es bildet die dunkle Folie, die Ostern nicht überstrahlen kann:
„Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.“
Am Osterfest erinnern wir uns:
Die Enge, die Umzingelung, das Entsetzen – das hat ein Ende.
Die Furcht wird in Freude verwandelt,
das Dunkel weicht dem Licht des Morgens.
Aber dieser Sieg – das ist nur selten eine plötzliche Wende;
die Angst, enttäuscht zu werden, weicht allenfalls langsam.
Was am Ostermorgen aufblitzt, das muss allmählich Raum bekommen,
es muss viele Male eingeübt und erprobt werden.
Psalm 118 verstehe ich als eine solche Einübung in die Osterwende,
als beharrliche, wechselseitige Ermutigung zum Vertrauen,
trotz aller Enttäuschung –
und ich frage, wie diese Ermutigung hier geschieht.
Einige Beobachtungen will ich mit Ihnen teilen.
Zunächst eine eher theoretische Beobachtung,
die Sie möglicherweise auch gemacht haben:
Dieser Psalm eignet sich nicht nur zum Sprechen,
sondern auch zum Lesen, zum genauen Hinschauen.
Höchst kunstvoll ist er geformt:
– mit Wiederholungen, so zwischen Anfang und Schluss,
oder bei der Wendung „er wurde / du wurdest mir zur Rettung“;
– auch zur Steigerung dienen die Wiederholungen:
das dreifache Umkreisen; die dreifache Rechte des Herrn;
die Tore, die sich zweifach öffnen.
– Höchst kunstvoll ist auch der Wechsel der Stimmen,
zwischen ‚ich’ und ‚wir’,
zwischen Rückblick, Gebet, Kommentar und Segenswunsch.
Wahrscheinlich haben Sie längst noch weitere Entsprechungen, Symmetrien, Sinnachsen entdeckt –
ganze Bücher sind darüber geschrieben worden.
Dieser Psalm, so ist zu folgern, ist auch ein Lesepsalm,
er wendet sich ebenso an das analytische Auge
wie an Ohr und Gefühl. – Ich folgere:
Es ist nicht zuletzt das Lesen, das hier tröstet und ermutigt;
es ist die schöne Form, in der sich die Osterbotschaft verbirgt.
Es gibt, davon bin ich überzeugt, so etwas wie einen Trost der Form,
eine Freude an der schönen Gestalt.
Auf diese Weise wird eine Ordnung vor Augen gestellt,
angesichts derer sich die Enge weitet.
Wer liest, wer ein solches Psalmgedicht betrachtet und durchdringt –
der oder die wird seltener verzweifeln.
Eine weitere Beobachtung;
„Sie umkreisten mich wie Vogel- oder Bienenschwärme“ –
denen ich vertraute, die suchten mich zu Fall zu bringen:
Wer so formuliert, hat seine Todeserfahrung erst einmal hinter sich,
genauer: hat sie auf Abstand gebracht,
indem er den Schrecken in Worte fasst.
Der Psalm ermutigt dazu, von den eigenen Erfahrungen zu erzählen,
von der Erfahrung der Rettung, aber auch der Bedrängnis.
Er ermutigt dazu, das Erlebte zu artikulieren:
in Zitaten und in eigenen Worten,
im Gebet – und vielleicht auch im Gedicht.
Gerade so konkretisiert sich, was der Psalm sagt:
„Ein Stein, verworfen, ist zum Schlussstein geworden“.
Ausgesondert, nutzlos, überflüssig zu sein – das wandelt sich für die,
die von der eigenen Wende sprechen oder schreiben kann.
Wer erzählt: von der Umzingelung und der Befreiung,
der oder die wird selbst zum Teil des Gotteslobes,
zu einem Stein im Tempel des Geistes,
unscheinbar vielleicht, doch unverzichtbar.
Ostern – das heißt, folgt man dem Psalm:
Sich einfügen lassen in das, was im Tempelbau geschieht,
selbst zum Eckstein zu werden:
zum unverzichtbaren Teil dessen, wofür der Tempel da ist.
Ich entrinne der Enge, der Todesangst,
indem ich mich einfüge in das vielfältige Lob Gottes.
Und ich entrinne der Todesangst, vorher schon,
indem ich zu Gott rufe, klage, auch anklage,
ihn zur Verantwortung ziehe
„Du, du stießest mich, damit ich falle“ –
Abgründiger Schrecken und Vertrauen in das Du –
beides verbindet sich;
Kyrie und Gloria erklingen zugleich.
Ostern – das ist, dem Psalm zufolge,
zuerst und wesentlich ein Geschehen im Tempel:
ein gottesdienstliches Geschehen.
Ostern geschieht allererst, indem wir es feiern,
indem wir die großen und kleinen Lebenswenden
mitbringen in den Gottesdienst –
jeden Sonntag, und heute besonders.
Es muss kein feierlicher Einzug in den Tempel sein,
kein überschwänglicher Jubel wie in diesem Psalm –
auch auf andere Weise kann man sich am Gottesdienst beteiligen:
mitsingen, mitbeten, vielleicht auch einfach dasitzen,
oder zum Festschmuck beitragen –
mit Zweigen bis an die Hörner des Altars,
mit Blumen oder Musik ...
Ostern, die Auferstehung von den Toten –
sie geschieht zuerst im Gottesdienst: Dort wird die Wende laut,
dort können wir lesen und aussprechen,
was uns beengt und was uns weitet.
Zu Ostern gehört aber auch – damit will ich schließen –,
dass wir selbst tätig werden.
Ostern ist nicht nur eine Erfahrung: die Wende vom Tod zum Leben –
Ostern ist auch ein Handeln – ein Handeln „im Namen Gottes“.
Wenn Misstrauen mich umgibt,
wenn die Ansprüche mich umschwirren wie ein Bienenschwarm –
dann ist es zuerst an mir, diesen Schwarm abzuwehren:
„in der Kraft des Herrn“ – in der Zuversicht also,
dass Gott mir helfen wird,
wenn ich selbst beginne, die Bedrohung auf Abstand zu bringen.
In der Kraft, im Namen des Herrn soll ich handeln,
soll selbst mit dafür sorgen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Zu diesem Handeln gehört auch – noch einmal der Psalm –
dazu gehört es schließlich auch, selbst zu segnen:
„Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn“ –
und wir antworten: „Wir segnen euch vom Hause Gottes her.“
Im Namen Gottes, gestärkt durch den Aufenthalt in seinem Haus,
sind wir beauftragt, selbst zu segnen, wörtlich: etwas gut zu heißen.
Wir sollen das Leben gut heißen, es loben –
und nicht nur darüber klagen.
Wir sollen das Vergangene gut heißen –
und es nicht nur schlecht machen.
Und wir sollen das Kommende gut heißen –
nicht etwa ängstlich, sondern voller Erwartung.
Segnen, gut heißen:
Das steckt in jeder Arbeit, die wir zuversichtlich beginnen.
Das steckt in jeder Freundschaft, die wir neu aufleben lassen.
Segnen, gut heißen im Namen Gottes:
dazu gehört auch, etwas gut sein zu lassen:
eine Aufgabe abzugeben, ein Haus zu verlassen.
Auch auf diese Weise lässt sich Ostern feiern:
Segen geben und Segen empfangen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle unsere Vernunft,
als all unser Reden und Hören:
der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, der Auferstanden.
Amen.
Hinweise und Texte zum Gottesdienst:
Eingangslied: EG 106 [Erschienen ist der herrlich Tag]
Ostern: ein Widerfahrnis, das sich durch Zuruf realisiert,
durch Wort und Antwort, und nicht zuletzt: durch Singen und Beten.
Das wollen wir in diesem Gottesdienst feiern.
Dazu soll uns – wie in allen Gottesdiensten dieses Semesters
in St. Nikolai – ein Psalm helfen.
Heute ist es Psalm 118: seit alters der Psalm,
der zu Ostern gelesen und gebetet wird.
Nur unvollständig im Gesangbuch zu finden –
daher als Blatt ... auch Predigttext
Psalm 118 – ein Osterpsalm
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und ewig währet seine Güte.
So sprechen, die den Herrn fürchten:
„Ja, ewig währet seine Güte.“
Aus der Bedrängnis rief ich zum Herrn;
es erhörte mich der Herr und führte mich ins Weite.
Der Herr ist für mich – ich fürchte mich nicht:
was sollten Menschen mir antun?
Der Herr ist für mich, unter meinen Helfern;
und ich werde herabsehen auf meine Feinde.
Besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen,
als sich auf Menschen zu verlassen.
Besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen,
als sich auf Fürsten zu verlassen.
Alle Völker umkreisten mich –
aber in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Sie umkreisten, ja sie umkreisten mich –
aber in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Sie umkreisten mich wie Bienen –
ausgelöscht wurden sie wie Feuer im Dorngestrüpp;
in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Du stießest, ja stießest mich, damit ich fiele;
aber der Herr hat mir geholfen.
Meine Kraft und mein Lied ist der Herr,
und er wurde mir zur Rettung.
Man singt mit Jubel vom Sieg in den Hütten der Gerechten;
die Rechte des Herrn erwirkt den Sieg.
Die Rechte des Herrn erhöht,
die Rechte des Herrn erwirkt den Sieg.
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und von den Werken des Herrn erzählen.
Gezüchtigt, ja gezüchtigt hat mich der Herr,
aber dem Tod hat er mich nicht überlassen.
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich sie durchschreite und danke dem Herrn.
Dies ist das Tor zum Herrn,
die Gerechten dürfen es durchschreiten.
Ich will dir danken, dass du mich erhört hast;
und du wurdest mir zur Rettung.
Ein Stein, verworfen von den Bauleuten –
er ist zum Schlussstein geworden.
Durch den Herrn ist das geschehen,
ein Wunder ist es in unseren Augen.
Dies ist der Tag, an dem der Herr gewirkt hat,
wir wollen jauchzen und frohlocken über ihn.
Ach Herr, hilf doch;
ach Herr, lass es zuletzt gelingen!
Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn –
wir segnen euch vom Hause des Herrn her.
Gott ist der Herr, er gab das Licht.
Schmückt das Fest mit jungen Zweigen, bis an die Hörner des Altars.
Mein Gott bist Du, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und ewig währet seine Güte.
Tagesgebet
Gott, allmächtig und lebendig:
In Jesus, deinem Sohn, hast du den Tod besiegt,
durch ihn hast uns das Tor zum Himmel geöffnet.
Wir bitten dich:
Halte uns fest auf dem Weg zu dir,
lenke unsere Schritte,
damit wir zur vollkommenen Freiheit gelangen,
und zum ewigen Leben.
Das bitten wir durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn,
der mit Dir und mit dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt,
in Ewigkeit.
Gem.: Amen
Lesung I
1. Kor 15, 1–11
Lied: EG 117 [Der schöne Ostertag!]
Lesung II
Markus 16, 1–8
Lied vor der Predigt: EG 113, 1–4 [O Tod, wo ist dein Stachel nun?]
Lied nach der Predigt: EG 294, 1–3 [Nun saget Dank und lobt ...]
Fürbitte (nach Josuttis, Offene Geheimnisse, 160f)
Gott, ewig und allmächtig,
gegenwärtig und unbegreiflich:
Aus dem Nichts hast du alles geschaffen,
aus dem Tod rufst du zum Leben,
aus Ohnmacht und Enttäuschung erweckt uns dein Wort.
Du tötest und machst lebendig,
du erhältst uns auf Erden
und führst uns in dein himmlisches Reich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, deren Leben bedroht ist:
für Kranke und Sterbende,
für Verzweifelte und Umnachtete,
für Süchtige und Überlastete,
für Verfolgte, für Gefolterte,
für Opfer und Täter im Krieg.
Deine Macht ist größer als unser Elend.
Hilf Du – so ist uns geholfen.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, die ihr Leben verspielen:
die stolz, hochmütig, gefühllos sind,
die ihre Macht über Menschen missbrauchen,
die ihr Leben auf Lügen und Gewalt bauen,
die ohne Glauben, Liebe und Hoffnung ihr Leben fristen,
die allein an die Vernunft glauben.
Deine Macht ist größer als aller Wahn.
Rufe du zur Umkehr – so ist unser Leben erneuert.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, die nach Dir suchen
und Rettung von Dir erhoffen,
für alle, die das Wunder der Auferstehung nicht glauben können,
für alle, die deinen Geist nicht spüren,
für alle, die nicht verstehen,
warum es in ihrem Leben so viel Angst, so viel Verwirrung gibt.
Deine Macht, lebendiger Gott, ist größer als aller Zweifel.
Schenke Du Glauben – so sind wir gewiss.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich in der Stille für alle, um deren Leben wir uns sorgen.
---
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Gott, ewig und barmherzig,
gegenwärtig und unbegreiflich:
Alles, was atmet, lobt deinen Namen.
Alles, was lebt, dient deinem Willen.
Alles, was stirbt, kehrt zurück zu dir.
Nimm dich unser gnädig an,
rette und bewahre uns.
Denn Dir allein gebührt der Ruhm, die Ehre, die Anbetung:
dem Vater, dem Sohn, dem Heiligen Geist,
jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Vater unser im Himmel ...
Lied: EG 303, 1–3 [Lobe den Herrn, o meine Seele]
Lied: EG 294, 4 [Er, der da kommt in Gottes Namen]
Schlusslied: EG 100, 1. 4. 5
„Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen“: die Frauen,
die ersten Zeugen der Auferstehung.
„Und sie sagten niemand etwas;
denn sie fürchteten sich“ – so endet im Markusevangelium
der Bericht vom Ostermorgen.
Zittern, Entsetzen; Furcht, die verstummen lässt –
so wirkt die Auferstehung Jesu auf die ersten,
die mit ihr konfrontiert sind.
Gerade die engsten Vertrauten des Gekreuzigten –
sie können nicht glauben, dass Jesus den Tod besiegt hat.
So werden uns die ersten Zeuginnen ähnlich:
Auch uns fällt es oft schwer, das wirklich zu glauben:
„Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“
Wie kann man das glauben, wenn man den Tod vor Augen hat,
tödliche Gefahren für sich selbst und Andere?
Der Tod ist überwunden, alle Angst ist vorbei?
Diese Nachricht verwirrt, ja sie erschreckt,
– denn wir merken so wenig davon.
„Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden“
das haben wir uns zugerufen, zögerlich, zweifelnd – immerhin.
Ein solches einander Zurufen,
das die einen verwirrt, die anderen vergewissert,
das Tod und Leben durcheinander wirbelt –
ein solcher Zuruf ist auch der Psalm 118.
Die kirchliche Tradition hat ihn dem Osterfest zugeordnet:
wird dieser Psalm gebetet, auch gepredigt,
dann erschließt sich damit der Sieg über den Tod,
den wir heute feiern – in allem Zweifel, trotz aller Furcht.
Noch einmal möchte ich darum den Psalm mit Ihnen beten.
[rechte Seite, Kanzelseite mit mir – Antwort durch die linke Seite].
Was geschieht, wenn wir den Psalm einander vorlesen, vorbeten, vielleicht auch nur zuhören, einzelnen Wendungen nachsinnen?
Vieles ist klingt vertraut – aus anderen Psalmen,
aus der Sprache der Liturgie, aus eigenem Beten:
„Ach Herr, hilf doch!“ –
„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich“ ...
Es sind vertraute, vielleicht allzu vertraute Worte:
abgenutzte Formeln, so oft gelesen und gesprochen,
dass sie kaum noch Erfahrung aufrufen.
Der Psalm nutzt Motive, die den ganzen Psalter durchziehen;
ja er besteht fast nur aus Zitaten anderer biblischer Schriften.
Es sind – zunächst – gerade nicht eigene Erfahrungen, die er aufruft,
sondern Szenen aus Israels Geschichte:
der Durchzug durch das Rote Meer,
in dem die Verfolger aus Ägypten untergehen,
Da singen Mirjam, Mose und alle Israeliten:
„Der Herr ist meine Kraft und mein Psalm; er wurde uns zur Rettung:
Ross und Mann hat er ins Meer gestürzt“ (Ex 15, 1f)
Der Psalm nimmt das alte Lied auf:
„Meine Kraft und mein Lied ist der Herr,
er wurde mir zur Rettung.
Man singt mit Jubel vom Sieg
in den Hütten der Gerechten“: in den Zelten also,
die die Geretteten am Ufer aufgebaut haben.
Und dann die Erinnerung an den Tempel,
prächtig wieder aufgebaut nach dem babylonischen Exil,
so prächtig und so mächtig,
dass er Jahrhunderte, bis in die Zeit Jesu Bestand hatte.
„Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit“, oder:
„Macht hoch die Tür“ –
das lässt den Einzug in das Innere des Tempels aufscheinen,
durch große Tore, offen für alle, die dazugehören wollen
zum Volk Gottes.
Eine letzte Erinnerung, sie weist schon über den Psalm hinaus:
„Ach Herr hilf doch“ – auf Hebräisch: Hosianna –
„gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn“:
Das rufen sie auch beim Einzug des Herrn Jesus in Jerusalem,
wenige Tage vor seinem Tod;
das rufen die Kinder, als Jesus in den Jerusalemer Tempel kommt,
– und das rufen wir, immer wenn wir das Abendmahl feiern:
„Hosianna ... gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn“.
Der Psalm stellt den Gottesdienst vor Augen,
im Tempel und in der Kirche,
und er erinnert die großen Rettungstaten, die Israel widerfuhren.
Es sind, schon für die ersten Leser und Sänger,
ganz vertraute Wendungen: alte Bilder, vielleicht schon verblasst.
Vielleicht, so überlege ich, müssen alle diese Worte gesagt werden –
„Freundlichkeit“, „Güte“, „Rettung“, „Vertrauen“ –
vielleicht müssen die Ur-Geschichten des Glaubens aufgerufen werden,
damit zu ertragen ist, was hier eben auch formuliert wird:
„aus der Bedrängnis rief ich“
„alle Völker umkreisten, alle Feinde umzingelten mich,
wie Bienen umschwärmten sie mich“ –
nur knapp wird das formuliert, nur im Rückblick,
nur nachdem Gottes Rettung erinnert ist.
Eingebettet, geschützt durch Gotteslob und -dank
werden hier bedrohliche Erfahrungen laut.
Nur kurz kann ich solche Erinnerung aushalten:
an die Enge, aus der kein Ausweg zu sehen war;
oder daran, umzingelt zu sein –
von den Konkurrenten, von Misstrauen;
oder, schlimmer noch:
umzingelt von Verpflichtungen, von den Ansprüchen,
die Andere – und die ich selbst an mich stelle:
„Sie umkreisten, ja sie umzingelten mich,
wie Vogel- oder Bienenschwärme ...“
Das halte ich nicht lange aus.
Eine andere Szene, nicht weniger schrecklich, verbirgt sich
in der einen Zeile „ein Stein, von den Bauleuten verworfen“:
eine alltägliche Erfahrung, bei jeder Pflasterung, jeder Gartenmauer –
aber was ist, wenn ich selbst jener Stein bin,
der verworfen wird: nutzlos, Abfall?
Was ist, wenn meine Bewerbung aussortiert wird,
wenn mein Forschungsantrag abgelehnt,
wenn meine Initiative ausgebremst wird: nutzlos?
Wir alle kennen die Szene als Kinder,
wenn die beiden Stärksten sich ihre Mannschaften zusammen suchen,
wenn sie nach und nach aus der Reihe auswählen –
und immer bleiben am Ende die Gleichen übrig:
zu langsam bist Du, zu ungeschickt – nutzlos.
Alle diese Szenen sind hier eingebettet in das Gotteslob
in den Dank für seine Hilfe.
Umso abgründiger die Szenen,
in denen Gott selbst zur Bedrohung wird:
„Gezüchtigt, ja geschlagen, fast vernichtet hat mich der Herr –
auch wenn er mich dem Tod (noch?) nicht überlassen hat.“
Dieser Satz ist schlimm genug. –
Noch abgründiger jedoch ist für mich
eine Zeile weiter vorne im Psalm:
„Du stießest, ja du stießest mich, damit ich falle –
aber der Herr hat mir geholfen.“
Dieses Du, darin sind sich die Ausleger einig,
dieses Du, das da im Gebet angeklagt wird:
es ist Gott, der Herr selbst.
Auch das erinnert mich:
Der Vater, dem ich vertraute – er verlässt mich, unversehens.
Die Frau, der ich mich anvertraut habe – gerade sie verspottet mich
in aller Öffentlichkeit.
Der Lehrer, dem ich so viel verdanke – plötzlich lässt er sich verleugnen.
„Du stießest mich – du, gerade du wolltest mich zu Fall bringen.“
Die Person, auf die ich ganz vertraut habe –
da ist die Enttäuschung kaum auszuhalten.
„Du, ja du wolltest mich zu Fall bringen“ –
ist das auch eine Gotteserfahrung?
Ja, das ist es – so hat es Martin Luther erkannt.
Das ist die tiefste, die dunkelste Begegnung mit Gott:
Alles, worauf ich mich verlasse, woran ich mein Leben ausrichte:
es löst sich auf in Nichts – ja schlimmer noch:
Gott, mein erstes und letztes Gegenüber,
mir näher als der Vater, die Partnerin, die eigenen Kinder –
er bedroht mich zu Tode.
Ist das ein fremder, ein falscher Gott –
oder ist das nur das Abbild meines eigenen Versagens:
Du, ja du stößt mich, damit ich falle“ –
ist das ein letzter Versuch, mich selbst zu entlasten:
Es ist doch alles nicht meine Schuld –
nein, ein Anderer, ein Stärkerer hat mich zu Fall gebracht.
Der Psalm ruft Todeserfahrung wach –
vorsichtig, verpackt in Gotteslob und -dank –
aber doch abgründig.
Die Ostererfahrung ist vielstimmig präsent:
„Ich werde nicht sterben, sondern leben,
und von den Werken Gottes erzählen“;
„Du hast mich errettet, hast mich ins Weite geführt“ –
aber die Enge, der Druck, das Misstrauen,
zuletzt gegen Gott selbst –
das alles ist ebenso präsent;
es bildet die dunkle Folie, die Ostern nicht überstrahlen kann:
„Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.“
Am Osterfest erinnern wir uns:
Die Enge, die Umzingelung, das Entsetzen – das hat ein Ende.
Die Furcht wird in Freude verwandelt,
das Dunkel weicht dem Licht des Morgens.
Aber dieser Sieg – das ist nur selten eine plötzliche Wende;
die Angst, enttäuscht zu werden, weicht allenfalls langsam.
Was am Ostermorgen aufblitzt, das muss allmählich Raum bekommen,
es muss viele Male eingeübt und erprobt werden.
Psalm 118 verstehe ich als eine solche Einübung in die Osterwende,
als beharrliche, wechselseitige Ermutigung zum Vertrauen,
trotz aller Enttäuschung –
und ich frage, wie diese Ermutigung hier geschieht.
Einige Beobachtungen will ich mit Ihnen teilen.
Zunächst eine eher theoretische Beobachtung,
die Sie möglicherweise auch gemacht haben:
Dieser Psalm eignet sich nicht nur zum Sprechen,
sondern auch zum Lesen, zum genauen Hinschauen.
Höchst kunstvoll ist er geformt:
– mit Wiederholungen, so zwischen Anfang und Schluss,
oder bei der Wendung „er wurde / du wurdest mir zur Rettung“;
– auch zur Steigerung dienen die Wiederholungen:
das dreifache Umkreisen; die dreifache Rechte des Herrn;
die Tore, die sich zweifach öffnen.
– Höchst kunstvoll ist auch der Wechsel der Stimmen,
zwischen ‚ich’ und ‚wir’,
zwischen Rückblick, Gebet, Kommentar und Segenswunsch.
Wahrscheinlich haben Sie längst noch weitere Entsprechungen, Symmetrien, Sinnachsen entdeckt –
ganze Bücher sind darüber geschrieben worden.
Dieser Psalm, so ist zu folgern, ist auch ein Lesepsalm,
er wendet sich ebenso an das analytische Auge
wie an Ohr und Gefühl. – Ich folgere:
Es ist nicht zuletzt das Lesen, das hier tröstet und ermutigt;
es ist die schöne Form, in der sich die Osterbotschaft verbirgt.
Es gibt, davon bin ich überzeugt, so etwas wie einen Trost der Form,
eine Freude an der schönen Gestalt.
Auf diese Weise wird eine Ordnung vor Augen gestellt,
angesichts derer sich die Enge weitet.
Wer liest, wer ein solches Psalmgedicht betrachtet und durchdringt –
der oder die wird seltener verzweifeln.
Eine weitere Beobachtung;
„Sie umkreisten mich wie Vogel- oder Bienenschwärme“ –
denen ich vertraute, die suchten mich zu Fall zu bringen:
Wer so formuliert, hat seine Todeserfahrung erst einmal hinter sich,
genauer: hat sie auf Abstand gebracht,
indem er den Schrecken in Worte fasst.
Der Psalm ermutigt dazu, von den eigenen Erfahrungen zu erzählen,
von der Erfahrung der Rettung, aber auch der Bedrängnis.
Er ermutigt dazu, das Erlebte zu artikulieren:
in Zitaten und in eigenen Worten,
im Gebet – und vielleicht auch im Gedicht.
Gerade so konkretisiert sich, was der Psalm sagt:
„Ein Stein, verworfen, ist zum Schlussstein geworden“.
Ausgesondert, nutzlos, überflüssig zu sein – das wandelt sich für die,
die von der eigenen Wende sprechen oder schreiben kann.
Wer erzählt: von der Umzingelung und der Befreiung,
der oder die wird selbst zum Teil des Gotteslobes,
zu einem Stein im Tempel des Geistes,
unscheinbar vielleicht, doch unverzichtbar.
Ostern – das heißt, folgt man dem Psalm:
Sich einfügen lassen in das, was im Tempelbau geschieht,
selbst zum Eckstein zu werden:
zum unverzichtbaren Teil dessen, wofür der Tempel da ist.
Ich entrinne der Enge, der Todesangst,
indem ich mich einfüge in das vielfältige Lob Gottes.
Und ich entrinne der Todesangst, vorher schon,
indem ich zu Gott rufe, klage, auch anklage,
ihn zur Verantwortung ziehe
„Du, du stießest mich, damit ich falle“ –
Abgründiger Schrecken und Vertrauen in das Du –
beides verbindet sich;
Kyrie und Gloria erklingen zugleich.
Ostern – das ist, dem Psalm zufolge,
zuerst und wesentlich ein Geschehen im Tempel:
ein gottesdienstliches Geschehen.
Ostern geschieht allererst, indem wir es feiern,
indem wir die großen und kleinen Lebenswenden
mitbringen in den Gottesdienst –
jeden Sonntag, und heute besonders.
Es muss kein feierlicher Einzug in den Tempel sein,
kein überschwänglicher Jubel wie in diesem Psalm –
auch auf andere Weise kann man sich am Gottesdienst beteiligen:
mitsingen, mitbeten, vielleicht auch einfach dasitzen,
oder zum Festschmuck beitragen –
mit Zweigen bis an die Hörner des Altars,
mit Blumen oder Musik ...
Ostern, die Auferstehung von den Toten –
sie geschieht zuerst im Gottesdienst: Dort wird die Wende laut,
dort können wir lesen und aussprechen,
was uns beengt und was uns weitet.
Zu Ostern gehört aber auch – damit will ich schließen –,
dass wir selbst tätig werden.
Ostern ist nicht nur eine Erfahrung: die Wende vom Tod zum Leben –
Ostern ist auch ein Handeln – ein Handeln „im Namen Gottes“.
Wenn Misstrauen mich umgibt,
wenn die Ansprüche mich umschwirren wie ein Bienenschwarm –
dann ist es zuerst an mir, diesen Schwarm abzuwehren:
„in der Kraft des Herrn“ – in der Zuversicht also,
dass Gott mir helfen wird,
wenn ich selbst beginne, die Bedrohung auf Abstand zu bringen.
In der Kraft, im Namen des Herrn soll ich handeln,
soll selbst mit dafür sorgen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Zu diesem Handeln gehört auch – noch einmal der Psalm –
dazu gehört es schließlich auch, selbst zu segnen:
„Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn“ –
und wir antworten: „Wir segnen euch vom Hause Gottes her.“
Im Namen Gottes, gestärkt durch den Aufenthalt in seinem Haus,
sind wir beauftragt, selbst zu segnen, wörtlich: etwas gut zu heißen.
Wir sollen das Leben gut heißen, es loben –
und nicht nur darüber klagen.
Wir sollen das Vergangene gut heißen –
und es nicht nur schlecht machen.
Und wir sollen das Kommende gut heißen –
nicht etwa ängstlich, sondern voller Erwartung.
Segnen, gut heißen:
Das steckt in jeder Arbeit, die wir zuversichtlich beginnen.
Das steckt in jeder Freundschaft, die wir neu aufleben lassen.
Segnen, gut heißen im Namen Gottes:
dazu gehört auch, etwas gut sein zu lassen:
eine Aufgabe abzugeben, ein Haus zu verlassen.
Auch auf diese Weise lässt sich Ostern feiern:
Segen geben und Segen empfangen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht als alle unsere Vernunft,
als all unser Reden und Hören:
der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, der Auferstanden.
Amen.
Hinweise und Texte zum Gottesdienst:
Eingangslied: EG 106 [Erschienen ist der herrlich Tag]
Ostern: ein Widerfahrnis, das sich durch Zuruf realisiert,
durch Wort und Antwort, und nicht zuletzt: durch Singen und Beten.
Das wollen wir in diesem Gottesdienst feiern.
Dazu soll uns – wie in allen Gottesdiensten dieses Semesters
in St. Nikolai – ein Psalm helfen.
Heute ist es Psalm 118: seit alters der Psalm,
der zu Ostern gelesen und gebetet wird.
Nur unvollständig im Gesangbuch zu finden –
daher als Blatt ... auch Predigttext
Psalm 118 – ein Osterpsalm
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und ewig währet seine Güte.
So sprechen, die den Herrn fürchten:
„Ja, ewig währet seine Güte.“
Aus der Bedrängnis rief ich zum Herrn;
es erhörte mich der Herr und führte mich ins Weite.
Der Herr ist für mich – ich fürchte mich nicht:
was sollten Menschen mir antun?
Der Herr ist für mich, unter meinen Helfern;
und ich werde herabsehen auf meine Feinde.
Besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen,
als sich auf Menschen zu verlassen.
Besser ist es, auf den Herrn zu vertrauen,
als sich auf Fürsten zu verlassen.
Alle Völker umkreisten mich –
aber in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Sie umkreisten, ja sie umkreisten mich –
aber in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Sie umkreisten mich wie Bienen –
ausgelöscht wurden sie wie Feuer im Dorngestrüpp;
in der Kraft des Herrn wehrte ich sie ab.
Du stießest, ja stießest mich, damit ich fiele;
aber der Herr hat mir geholfen.
Meine Kraft und mein Lied ist der Herr,
und er wurde mir zur Rettung.
Man singt mit Jubel vom Sieg in den Hütten der Gerechten;
die Rechte des Herrn erwirkt den Sieg.
Die Rechte des Herrn erhöht,
die Rechte des Herrn erwirkt den Sieg.
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und von den Werken des Herrn erzählen.
Gezüchtigt, ja gezüchtigt hat mich der Herr,
aber dem Tod hat er mich nicht überlassen.
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich sie durchschreite und danke dem Herrn.
Dies ist das Tor zum Herrn,
die Gerechten dürfen es durchschreiten.
Ich will dir danken, dass du mich erhört hast;
und du wurdest mir zur Rettung.
Ein Stein, verworfen von den Bauleuten –
er ist zum Schlussstein geworden.
Durch den Herrn ist das geschehen,
ein Wunder ist es in unseren Augen.
Dies ist der Tag, an dem der Herr gewirkt hat,
wir wollen jauchzen und frohlocken über ihn.
Ach Herr, hilf doch;
ach Herr, lass es zuletzt gelingen!
Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn –
wir segnen euch vom Hause des Herrn her.
Gott ist der Herr, er gab das Licht.
Schmückt das Fest mit jungen Zweigen, bis an die Hörner des Altars.
Mein Gott bist Du, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und ewig währet seine Güte.
Tagesgebet
Gott, allmächtig und lebendig:
In Jesus, deinem Sohn, hast du den Tod besiegt,
durch ihn hast uns das Tor zum Himmel geöffnet.
Wir bitten dich:
Halte uns fest auf dem Weg zu dir,
lenke unsere Schritte,
damit wir zur vollkommenen Freiheit gelangen,
und zum ewigen Leben.
Das bitten wir durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn,
der mit Dir und mit dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt,
in Ewigkeit.
Gem.: Amen
Lesung I
1. Kor 15, 1–11
Lied: EG 117 [Der schöne Ostertag!]
Lesung II
Markus 16, 1–8
Lied vor der Predigt: EG 113, 1–4 [O Tod, wo ist dein Stachel nun?]
Lied nach der Predigt: EG 294, 1–3 [Nun saget Dank und lobt ...]
Fürbitte (nach Josuttis, Offene Geheimnisse, 160f)
Gott, ewig und allmächtig,
gegenwärtig und unbegreiflich:
Aus dem Nichts hast du alles geschaffen,
aus dem Tod rufst du zum Leben,
aus Ohnmacht und Enttäuschung erweckt uns dein Wort.
Du tötest und machst lebendig,
du erhältst uns auf Erden
und führst uns in dein himmlisches Reich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, deren Leben bedroht ist:
für Kranke und Sterbende,
für Verzweifelte und Umnachtete,
für Süchtige und Überlastete,
für Verfolgte, für Gefolterte,
für Opfer und Täter im Krieg.
Deine Macht ist größer als unser Elend.
Hilf Du – so ist uns geholfen.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, die ihr Leben verspielen:
die stolz, hochmütig, gefühllos sind,
die ihre Macht über Menschen missbrauchen,
die ihr Leben auf Lügen und Gewalt bauen,
die ohne Glauben, Liebe und Hoffnung ihr Leben fristen,
die allein an die Vernunft glauben.
Deine Macht ist größer als aller Wahn.
Rufe du zur Umkehr – so ist unser Leben erneuert.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich für alle, die nach Dir suchen
und Rettung von Dir erhoffen,
für alle, die das Wunder der Auferstehung nicht glauben können,
für alle, die deinen Geist nicht spüren,
für alle, die nicht verstehen,
warum es in ihrem Leben so viel Angst, so viel Verwirrung gibt.
Deine Macht, lebendiger Gott, ist größer als aller Zweifel.
Schenke Du Glauben – so sind wir gewiss.
Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Weil du ein Gott des Lebens bist,
bitten wir dich in der Stille für alle, um deren Leben wir uns sorgen.
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Gemeinsam rufen wir:
Herr, erbarme dich.
Gott, ewig und barmherzig,
gegenwärtig und unbegreiflich:
Alles, was atmet, lobt deinen Namen.
Alles, was lebt, dient deinem Willen.
Alles, was stirbt, kehrt zurück zu dir.
Nimm dich unser gnädig an,
rette und bewahre uns.
Denn Dir allein gebührt der Ruhm, die Ehre, die Anbetung:
dem Vater, dem Sohn, dem Heiligen Geist,
jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Vater unser im Himmel ...
Lied: EG 303, 1–3 [Lobe den Herrn, o meine Seele]
Lied: EG 294, 4 [Er, der da kommt in Gottes Namen]
Schlusslied: EG 100, 1. 4. 5
Perikope