Predigt zu Römer 15,7 von Winfried Klotz
15,7

Predigt zu Römer 15,7 von Winfried Klotz

Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom:

„(Darum) Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“

Liebe Gemeinde!

Einfach und klar ist die Botschaft der Jahreslosung 2015, aber wer ein wenig Lebens- und Gemeindeerfahrung hat, weiß, wie groß die Aufgabe ist, zu der sie auffordert.

Nehmt einander an! Mit ein wenig Liebe, so meinen manche, ist das doch kein Problem. Man muss sich einfach einen Ruck geben und auf den anderen zugehen und schon ist die nötige Einheit hergestellt. – Schön, wenn‘s so einfach ist! Meistens ist es mit der Einheit zwischen Christen und Gemeinden schwieriger.

Um es im Bild zu sagen: Wir spielen jeder sein Instrument in einem großen Orchester, wir spielen nicht immer schön, aber was weit schwieriger ist, wir spielen oft ohne auf den Klang und die Melodie der anderen Instrumente zu hören. Wir halten unsere Melodie und unser Instrument für das wirklich wichtige und bestimmen den Gesamtklang danach. Wenn unser Spiel schön klingt, dann muss das doch gut und richtig sein! Der Dirigent am Pult mag wedeln wie er will, ich halte mich nach meinem persönlichen Geschmack. Und meine Noten habe ich so umgeschrieben, wie ich sie spielen will und kann.

Es kann natürlich auch anders sein: eine Gruppe, sagen wir mal die Blechbläser, haben sich zusammengetan unter dem Motto: Wir sind das Orchester! Nun spielen sie so laut und eigenwillig, dass kein anderes Instrument mehr zu hören ist.

Oder noch anders: Der Dirigent am Pult hat einen so langen Taktstock, dass er jedes Orchestermitglied damit erreichen kann. Er schlägt seinen Stab jedem um die Ohren, der nicht seinen Weisungen folgt. Ich weiß, hier nähere ich mich stark der Karikatur; aber gibt es nicht auch in der christlichen Gemeinde manchmal tyrannisches Verhalten eines Einzelnen?

Nun gut, ich brauche das Bild nicht weiter auszumalen; wer Phantasie hat, kann es ja gerne gemäß eigenen Erfahrungen gestalten und dann vergnügt oder grimmig betrachten.

Nun kann man natürlich auch sagen, das ist doch egal, wie jeder spielt. Jeder geht in sein Zimmer und spielt für sich allein, dann ist das alles kein Problem. Wir brauchen kein Orchester und kein gemeinsames Spiel. Wir sind eben Individualisten, für was ein Zusammenspiel und ein wohltuender Gesamtklang? Oder, um Klartext zu sprechen: Für was Gemeinde Jesu Christi und Gemeinschaft der Christen? Die Gemeinschaft der Heiligen, die wir im Glaubensbekenntnis bekennen, die kann ja dann im Himmel geschehen. Hier auf der Erde geht jeder seinen Weg, glaubt jeder wie er kann und will, schließt jeder sich mit denen zusammen, die ihm passen.

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob, schreibt der Apostel Paulus. Es ist für ihn undenkbar, dass die, die durch Jesus Christus erlöst und Gottes Volk geworden sind, nun jeder seinen Weg geht. Es ist für ihn undenkbar, dass Christen ohne Gemeinschaft miteinander leben. Zentrum der christlichen Gemeinde ist doch das gemeinsame Lob Gottes! Diese fröhliche, manchmal auch klagende Hinwendung des Herzens zu Gott, in der wir bekennen: Du, Gott, bist mein Schöpfer, in Jesus Erlöser, im Heiligen Geist Lebendigmacher! Du hast uns und diese Welt in Deiner Hand. Dir vertrauen wir uns an. Wie kann da jeder seinen eigenen Weg gehen und für sich bleiben? Wie kann da einer gegen den anderen stehen, oder Gruppen in der Gemeinde für sich beanspruchen allein die rechte Gemeinde zu sein?

Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Zentrum der Gemeinschaft der Christen ist Gottes Lob. Jesus Christus hat uns dazu frei gemacht, indem er uns angenommen hat. Er ist Vorbild dafür, wie wir einander annehmen sollen, aber noch mehr: Jesus hat nicht nur mit Zöllner und Sündern gegessen und getrunken, er hat in seinem Sterben und Auferstehen die Brücke gebaut über den Abgrund von Sünde und Tod, so dass wir wirklich Gott loben und anbeten können. Deshalb: Nehmt einander an!

Die Christenheit, so scheint mir, hängt in weiten Teilen fest in ihrer Kirchlichkeit. Sie verwendet viel Zeit, Kraft und Geld auf die Erhaltung von Strukturen. Überkommenes muss fortgeschrieben werden, gesellschaftlicher Einfluss gesichert. Ach würde diese Christenheit doch beherzigen, dass ihr Zentrum Gottes Lob ist und wir dazu durch Jesus angenommen und frei gemacht sind! Meine Erfahrung ist: wir sind nicht nur zum Lob Gottes befreit, sondern Lob und Anbetung Gottes machen uns auch frei. Wir gewinnen den Weg in die Zukunft nicht durch Kreisen um uns selbst, so belastend manches sein mag, sondern gerade im gemeinsamen Lob Gottes werden wir frei gemacht für die nächsten Schritte. Ich wünsche mir Gemeinden und Christen, die sich nicht in eine Kirchlichkeit einengen lassen, sondern die den Mund aufmachen- zum Lob Gottes, weil ER uns in Jesus Christus angenommen hat. So geschieht doch Erneuerung der Kirche.

Nehmt einander an! Vielleicht meint jemand, damit ist ja alles in Butter! Kräftiges Singen und Beten löst alle Probleme. JEIN! das kommt auf die Haltung an. Nämlich ob mein Singen und Beten wirklich aus der Liebe zu Gott und meinen Nächsten kommt. Und ich nun auch die manchmal schwere Aufgabe annehme, den anzunehmen, der nach meinem Eindruck so anders, so schräg, so ärgerlich ist. Der nicht so ordentlich ist wie ich, oder auch schrecklich pedantisch. Der den Gottesdienst mit traditioneller Liturgie braucht, oder aber lieber ein spontaneres Singen und Beten. Der die Bibel nicht für ein unfehlbares Buch hält, oder auch umgekehrt, der überzeugt ist von der wortwörtlichen Eingebung der Hl. Schrift durch den Heiligen Geist und deshalb ihrer Irrtumslosigkeit. Was bedeutet es für unsere geistlichen Erkenntnisse, dass wir von Jesus Christus ergriffen und angenommen sind und deshalb in gleicher Weise Töchter und Söhne Gottes? Sind dann noch Grabenkriege und grundsätzliche Verurteilungen möglich?

Eine Regel scheint mir für das Annehmen untereinander grundlegend zu sein: Die, die sich in einer Position der Stärke befinden, haben die Aufgabe, die Schwachen in ihrem Unvermögen zu tragen. Es gibt in der christlichen Gemeinde kein Herrschaftsprinzip, weder der Mächtigere noch der Klügere noch der Glaubensstärkere hat Recht. Es gibt aber ein Dienstprinzip: Wer Macht hat, wer klug ist, wer einen starken Glauben hat, der diene damit dem Schwachen, Unvermögenden, Bedürftigen, Zweifelnden. Es gibt in der christlichen Gemeinde kein selbstgefälliges „Wir haben‘s“. Wer die Wahrheit Gottes, die Jesus Christus ist, erkannt hat, dessen Ausweis ist, dass er in Liebe diese Wahrheit bezeugt. Und das diese Liebe auch dazu bereit macht, für Jesus Christus zu leiden. Selbst wenn ich die Dinge wirklich richtig sehe und in der mir durch Christus geschenkten Freiheit gebrauche,- im Hintergrund unseres Wortes steht ja die Auseinandersetzung zwischen Juden – und Heidenchristen darüber, was Christen erlaubt ist zu essen und welche Feiertage sie halten müssen, - bin ich nicht dazu berechtigt den, der die Dinge eng sieht, fertig zu machen. Und umgekehrt ist es mir nicht erlaubt, dem die Gemeinschaft aufzukündigen, der aus dem Vertrauen auf Jesus Christus sich nicht nach meinen Regeln verhält. Nehmt einander an, d. h. billigt dem anderen zu, dass auch er zu Jesus Christus gehört. Was und wo Gemeinde Jesu Christi ist entscheidet sich nur daran, ob sie glaubt und in Liebe bezeugt, dass Jesus Christus ihr Herr ist.

Zum Schluss: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Es sind manchmal gar nicht die großen Streitfragen, sondern die kleinen alltäglichen Ärgernisse, die die Einheit belasten. Da hat einer immer recht, da trödelt einer immer rum, da ist einer, der sich nicht an Absprachen hält, ein anderer schwätzt gerne hinten rum…

Ob wir es schaffen, liebevoll einander zu korrigieren? Ob wir bereit sind Ermahnung anzunehmen? Haben wir die Größe die Schwester, den Bruder um Vergebung zu bitten? Daran hängt viel, auch das gemeinsame, ungehinderte Lob Gottes. Amen.