Schwach oder stark? Stark oder schwach? - Predigt zu 2. Korinther 4,6-10 von Anke Fasse
Schwach oder stark? Stark oder schwach?
Liebe Gemeinde,
er ist in Deutschland aufgewachsen, in einem protestantischen Elternhaus, hat auch an der Konfirmandenzeit teilgenommen – jetzt ist er Kämpfer für den sogenannten IS. Gerade lese ich ein Buch, in dem es um Menschen mit solchen Biographien geht. Seitdem beschäftigen mich noch mehr Fragen wie: Was finden Menschen „dort“, was sie in unserer Kultur und unserem Glauben nicht finden? Wie kommen sie dazu, mit allem zu brechen und sich dieser ganz anderen radikalen Ideologie anzuschließen? Warum finden sie „hier“ keinen Halt für ihr Leben und keine Antwort auf ihre Fragen?
Wie sehr wünschte ich, dass dieser Mann in seiner ursprünglichen Kultur und Religion ein Zuhause gefunden hätte.
Eine andere Szene. Zwei Frauen sind miteinander im Gespräch. Die eine erzählt von ihrer Arbeit in einer Kirchengemeinde. Von den Veranstaltungen und Gottesdiensten. Von all den Vorbereitungen für ein großes Fest. 2017 soll das Reformationsjubiläum gefeiert werden, in den Gemeinden, in großen Veranstaltungen, ja sogar weltweit. Nachdenklich, offen und einladend soll dieses Fest des Glaubens sein. Sie erzähle von der Freude, die ihr diese Planungsarbeit bereitet, aber auch von der Sorge und Last, die all das eben auch bedeutet.
Die andere, sie erzählt von den verschiedenen Kursen und Therapien, die sie gerade macht. Ja, sie sei auf der Suche nach der eigenen Mitte. Nach Kraft und Energie, die ihr im Alltag immer wieder fehle. In der Kirche und in Gottesdiensten sei sie auch häufiger. Das gefiele ihr oft auch sehr gut. Aber das allein würde ihr nicht reichen. Die Gottesdienste allein würden sie nicht satt machen.
„Was fehlt Dir denn?“, wird sie von der Freundin gefragt.
Wie sehr wünschte sie sich, dass die Freundin in den Gottesdiensten gemeinsam mit ihr eine Kraftquelle finden würde. Was findet sie bloß mehr in den Kursen und Therapien?
Liebe Gemeinde, wie steht es mit unserem Glauben? Finden Sie Kraft und Ruhe in den Gottesdiensten?
Und: fällt es Ihnen leicht im Gespräch mit anderen von ihrem Glauben zu erzählen? Gerade auch Menschen gegenüber, die nicht die gleiche Überzeugung teilen und dann kritische Nachfragen stellen? Ich stelle diese Frage in Anknüpfung an die erwähnten Beispiele.
Wie schnell sind immer wieder die Stimmen zu hören, die sagen, wenn dies oder das besser gemacht würde, dann wären die Kirchen voller und würden mit ihrer Botschaft auch mehr – vor allem mehr Menschen – erreichen und binden.
Der Apostel Paulus musste sich vor vielen Jahren auch mit sehr kritischen Stimmen auseinandersetzen. Denn zur gleichen Zeit gab es andere Prediger, die scheinbar viel erfolgreicher waren, viel mehr Menschen ansprachen und binden konnten und vor allem, die ein viel besseres Auftreten hatten. Denn Paulus, er war äußerlich schwach und krank und vor allem kein guter Redner. Wie konnte gerade er in dieser Zerbrechlichkeit überzeugend die Kraft Gottes vertreten?
Inmitten dieser angespannten Situation schreibt Paulus einen zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Darin heißt es im 4. Kapitel:
Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.
Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. (2 Kor 4, 6-10)
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, schreibt Paulus. Er, zu dessen Bekehrung vom Saulus zum Paulus gehört „als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel…“(Apg 9,3). Kurz danach erblindete er für drei Tage.
Licht. „Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht.“ ( 1. Mose 1,3).
Licht. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht und über denen, die da wohnen, scheint es hell.“ (Jes 9, 1)
Licht. „Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8, 12)
Licht und Gott, Licht und Glauben gehören zusammen. Aber das Licht ist nur zu erkennen, weil es auch Dunkelheit und Finsternis gibt. Zur Offenbarung Gottes in der Welt gehören immer wieder diese Spannungen.
Licht und Dunkelheit.
Neugeborener König in einem Stall.
Gottessohn und Kreuz.
Gott gibt sich in die Welt, in die Dunkelheit, in die Not und das Leid. Er nimmt es auf sich. So macht er die Dunkelheit der Welt hell. Durchleuchtet, ja erleuchtet sie, macht sie aber nicht weg.
Gott wird Mensch. Er gibt seinen Schatz in irdene Gefäße. Die Jünger Jesu sind keine herausragenden Menschen. Nicht besonders schön, nicht besonders reich, nicht besonders intelligent. Sie sind irdene Gefäße für die Sache Gottes.
Sie sind erfasst vom Licht und vertrauen auf das Licht, lassen sich erfassen, trotz aller Schwäche – und leuchten.
Viele folgen. Darunter Paulus, dem vorgeworfen wird zu schwach und nicht überzeugend genug zu sein. Sicher auch herausragende Menschen der Geschichte kommen dazu. Aber vor allem sind es Menschen, wie Du und ich, diese irdenen Gefäße. Zerbrechlich. Mit Stärken und Schwächen. Mit Glaubenskraft und mit Zweifeln. So, in und mit ihnen ist der Schatz Gottes da, wird weitergetragen, durchleuchtet, ja, erleuchtet die Finsternisse der Welt.
Und auch als Glaubende leben wir weiter in den Spannungen der Welt mit allen Fragen, mit der Suche nach Antworten, mit Sorgen, mit Fehlern, aber auch mit Freuden und Erfolgen, aber vor allem mit dem Licht und der Kraft Gottes in unseren Herzen.
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns.
Liebe Gemeinde, das ist es, denke ich, was unseren Glauben ausmacht. In der Bibel wird nicht in erster Linie von Glaubenshelden berichtet, sondern von Menschen, die ihren Weg mit Gott gehen, inmitten aller Verstrickungen, Aufgaben, Freuden und Verfehlungen. Und Gott, er hält an seinen geliebten Menschen fest. Ist durch Jesus Christus mitten unter ihnen. Ist Licht in der Finsternis. Die Fragen, das Leid, der Tod ist nicht weg. Aber Gott ist da. Licht ist da in der Finsternis. Und der Tod hat nicht das letzte Wort. Das ist unser Halt. Darauf können wir vertrauen und unser Leben bauen. Das ist das Evangelium. Eine Einladung. Offen. Mit Freiraum.
Mit Blick auf die beiden Beispiele vom Anfang der Predigt kann ich sagen, ich bin dankbar für die Offenheit und Freiheit, die uns dieser Glaube schenkt. Eine Freiheit, die auch Verantwortung bedeutet.
Eine Freiheit, die dadurch geschenkt ist, dass Gott uns Menschen mit allen Fehlern annimmt. Während wir noch nach dem Sinn und der eigenen Mitte suchen, hat er, Gott, uns längst gefunden. Im Vertrauen darauf ist Leben in dieser Freiheit möglich und ein wahres Geschenk Gottes, aus dem wir nie herausfallen können.
Die Verantwortung, die diese Freiheit schenkt bedeutet: Immer wieder neu sind wir gefragt uns auseinanderzusetzen mit unserem Glauben und den aktuellen Herausforderungen der Zeit. Niemand nimmt uns die Antworten ab, aber in uns selbst tragen wir den größten Schatz um all das zu schaffen und Licht in die Finsternis der Welt zu bringen. Denn Gott gab seine Kraft in irdene Gefäße.
Das lässt mich vertrauen. „Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jes 60,2)
Amen