Schwarzsehen lähmt! - Predigt zu 2. Timotheus 1, 7-10 von Lucie Panzer
1, 7-10

Schwarzsehen lähmt! - Predigt zu 2. Timotheus 1, 7-10 von Lucie Panzer

Wer schwarz sieht, kommt nicht voran. Kein Weg ist zu sehen und erst recht kein Ziel, für das es lohnt, sich zu engagieren. Wer schwarz sieht, kann eigentlich nur noch auf der Stelle stehen bleiben und klagen. Oder man versucht es mit Verzweiflungstaten, aus der vermeintlichen Sackgasse heraus zu kommen.

Untergangspropheten und Verschwörungstheoretiker versetzen die Menschen in Panik. In diesen Wochen kann man erleben, wie Präsident Trump in den USA die Angst vor Chaos und Revolution anheizt. Wenn wir uns nicht wehren, werden die anderen uns wegnehmen, was wir hart erarbeitet haben, hämmert er seinen Wählern ein. Hier in Deutschland haben viele Angst vor den vielen Menschen mit ausländischen Wurzeln, die eine neue Heimat und sichere Existenz bei uns suchen. Die deutsche Kultur geht dabei verloren, sagen sie, bald sind wir Fremde im eigenen Land. Und wegen Corona fürchten viele den wirtschaftlichen Totalzusammenbruch und den Verlust demokratischer Rechte in Deutschland.  

Wer so denkt und schwarz sieht, der sucht verzweifelt nach Auswegen. Schwarz sehen macht einen ganz verrückt. In einer kleinen Bemerkung ziemlich am Anfang der Bibel wird erzählt, wie das anscheinend schon immer war.

In der Zeit, als die Israeliten in Ägypten lebten, ging das zunächst anscheinend ganz gut. Sie arbeiteten zusammen, bauten auf, gründeten Familien, das Land prosperierte – auch wegen der hebräischen Arbeiter im Land. Aber dann kam ein neuer Pharao, der sah nicht, wie sehr die Fremden dem Land nützten. Er sah bloß: Sie werden immer mehr. Wenn das so weiter geht, spekuliert er, „wenn ein Krieg ausbräche, könnten sie sich zu unseren Feinden schlagen und gegen uns kämpfen“. Lauter Spekulationen. Befürchtungen. Lauter Konjunktive. Noch gibt es keinen Anlass, aber: „Es könnte, vielleicht womöglich…“ (Ex 1, 10) Und dann die grausame Konsequenz, die der Pharao zieht: Wir wollen sie mit List niederhalten, damit sie nicht noch mehr werden“ – Sie wissen vielleicht, was dann kam: erst harte Sklavenarbeit und als das nichts half, der Befehl, alle ausländischen Jungen zu töten.

Schwarzsehen lähmt. Zur Zeit der ersten Christen war es ein einzelner, der das erlebt hat. Die winzig kleine Schar der Christen hatte kaum Aussichten auf ein gutes Leben im riesigen römischen Reich. Und ausgerechnet ein junger Mann namens Timotheus sollte nun Gemeindeleiter werden. Kein Wunder, dass Timotheus Angst hat, die Leitung einer Gemeinde zu übernehmen.

Ermutigung für Schwarzseher

Da schreibt ihm Paulus oder eher einer seiner Schüler einen Brief:

Aus diesem Grund möchte ich dich an etwas erinnern: Fach doch das Feuer der Gabe Gottes wieder an. Es brennt in dir, seit ich dir die Hände aufgelegt habe. Denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen. Vielmehr weckt er in uns Kraft, Liebe und Besonnenheit. Schäme dich also nicht, als Zeuge für unseren Herrn aufzutreten. Und schäme dich auch nicht für mich, weil ich seinetwegen in Haft bin. Sondern sei bereit, mit mir für die Gute Nachricht zu leiden. Gott gibt dir die Kraft dazu. Er hat uns gerettet, und er hat uns berufen durch seinen heiligen Ruf. Das geschah nicht etwa aufgrund unserer Taten, sondern aus seinem eigenen Entschluss –und aus der Gnade, die er uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat. Aber jetzt wurde diese Gnade offenbardurch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus. Er hat den Tod besiegt. Und er hat durch die Gute Nachricht unvergängliches Leben ans Licht gebracht.

Timotheus war wie gelähmt, weil er sich vor der Aufgabe gefürchtet hat, der vor ihm stand. Da erinnert ihn dieser Brief an das Evangelium: Gott ist stärker, sogar stärker als der Tod. Verlass dich auf seinen Geist. Der bewahrt nicht vor allem Bösen. Aber er begleitet dich. Mit Gottes Geist kannst du tapfer der Zukunft entgegen gehen.

Kraft, Liebe und Besonnenheit – die hast du, verstehe ich. Vertrau darauf. Verlass dich darauf. Dann musst du keine Angst haben vor großen Aufgaben. Timotheus kriegt nicht einfach gesagt: Hab keine Angst. Reiß dich mal zusammen! Sondern: Verlass dich auf Gott und seinen Geist. Der beflügelt dich. Der inspiriert dich. Der gibt dir, was du brauchst. Kraft Liebe und Besonnenheit.

Gottes Geist gibt Kraft

Das griechische Wort, das Paulus benutzt hat, ist Dynamis. Gottes Geist macht dynamisch. Bringt wieder in Bewegung, was vor Angst starr geworden ist. Gottes Geist bringt Bewegung ins Denken. Man kann raus aus den Befürchtungen, die einen einengen. Die Resignation hört auf. Man kann neue Ideen entwickeln, wenn Gottes Geist einen beflügelt. Auf einmal sieht man die Chancen, die da sind. Und man traut sich, mitzuarbeiten an einem neuen Weg. Einer, der das erlebt und danach gehandelt hat, war Dietrich Bonhoeffer. In seinem Tagebuch in der Nazi-Haft hat er geschrieben: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandkraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. …““ (Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 30 f)

Raus aus dem alten Trott, neue Ideen, aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten – das schenkt Gottes Geist. Darauf soll sich der junge Timotheus verlassen. Und ich vertraue darauf bis heute. Das gilt für Ehekrisen, für persönliche Misserfolge, für die großen Probleme, die uns in unserem Land Sorgen machen. Gottes Geist ist nicht der Geist der Furcht. Gottes Geist bringt in Bewegung!

Gottes Geist befeuert die Liebe

Und er hilft, lieben zu können. Wer liebt, stellt nicht sich und seine Ängste, sondern den anderen in den Mittelpunkt. Wer liebt, will, dass es auch dem anderen gut geht. Nicht nur den Familienangehörigen und Freunden, hat Jesus gesagt. Sondern auch den Fremden, ja sogar, denen, die man als Feinde fürchtet. Denen soll es gut gehen. Dann hört nämlich die Feindschaft und das Fremdsein auf. Verstehen, was der andere sagt. Warum er sich verhält, wie er sich verhält. Verstehen, was der andere will. Und vielleicht auch Verständnis aufbringen. Ist es nicht verständlich, dass mein Partner auch Zeit für sich selber braucht und für sein Hobby – obwohl ich mich immer ein bisschen allein gelassen fühle? Ist es nicht verständlich, dass Menschen sich zu uns flüchten, die in ihrer Heimat kein Auskommen finden? Ist es nicht verständlich, dass Menschen gern Fleisch essen oder gern die Welt sehen möchten und deshalb Flugreisen machen?

Wer liebt, schreit den anderen nicht nieder, sondern hört zu. Aber muss man mit allem einverstanden sein? Ich glaube nicht. Aber wenn man den anderen verstanden hat und Verständnis für sein Handeln – dann kann man ganz anders miteinander reden. Dann kann man sein eigenes Denken, seine Befürchtungen daneben setzen. Um Verständnis werben für das, was ich möchte und für gut halte. Und schließlich können wir hoffentlich gemeinsam nach Lösungen suchen. Das ist nicht einfach. Da muss man zu Kompromissen bereit sein. Manchmal tut das weh. Manchmal muss man auch leiden für das, was man denkt und glaubt. Darauf bereitet Paulus den jungen Timotheus vor. Und ich  glaube, das kann man schaffen, wenn Liebe einen antreibt und nicht Hass und nicht Angst. Dass wir das schaffen, das schenke uns Gottes Geist.

Gottes Geist schenkt Besonnenheit

Gottes Geist schenkt auch Besonnenheit. Ich finde schön, dass das Wort „Sonne“ in Besonnenheit steckt. Wo einer besonnen handelt, da kann sich der finstere Hass nicht ausbreiten. Wo eine besonnen redet, da wird es hell. Da kann man sehen, was eigentlich los ist. Da sieht man, was wahr ist und was Lüge. Besonnenheit macht den Kopf klar. Wo andere einen umnebeln wollen mit Panik und Furcht und sagen: „Früher war alles besser!“, da hilft Gottes Geist zur Besonnenheit. Da kann man klar sehen, was los ist. Was besser geworden ist. Vor ein paar Jahren hat ein schwedischer Statistiker (Hans Rosling, factfulness) ein Buch geschrieben über lauter Dinge, die heute besser sind als in der Vergangenheit. Dass anzuerkennen und daraus Mut zu schöpfen, dazu hilft Gottes Geist.

Man wird nicht panisch. Auch nicht hyperaktiv. Sondern man kann besonnen abwägen. Was kann ich tun. Was vielleicht andere? Mit wem sollte ich reden? Ich muss ja nicht alles allein machen. Auch das zeigt Gottes Geist.

Ich denke noch einmal an die Israeliten damals im alten Ägypten. Fast alle haben sich den hasserfüllten Zwangsmaßnahmen des Pharao gebeugt. Haben es hingenommen, auch voller Angst vor Konsequenzen. Nur ein paar wenige blieben besonnen. Und hatten rettende Ideen. Eine Mutter hat ihren neugeborenen Jungen in einem Körbchen aufs Wasser gesetzt, statt ihn gleich zu töten, wie es vorgeschrieben war. Das war ein Akt der Verzweiflung, klar. Aber immerhin – sie hat sich etwas überlegt. Und: Es hat geklappt. Eine ägyptische Frau hat das Kind aus dem Wasser gezogen und Mose genannt.

Und zwei Hebammen damals haben sich dem Befehl des Pharaos auch widersetzt. Sie haben die Jungen bei der Geburt am Leben gelassen und noch dazu mit einer schlauen Ausrede ihr eigenes Leben geschützt.

Genau hinschauen, statt schwarzsehen!

Lauter Menschen, die nicht gedacht haben: Man kann ja doch nichts machen, das hat doch alles keinen Sinn. Menschen, die Ideen hatten, Werte und Hoffnung. Und für das Volk, das damals im Finstern wandelte, ging ein Licht auf. Solche Besonnenheit, meine ich, würde uns auch heute guttun: Ideen und Hoffnung und Optimismus statt Pessimismus für die Zukunft.

Der Geist Gottes kann der Angst und den Sorgen einen Riegel vorschieben. Er bringt in Bewegung und schenkt neue Ideen und Hoffnung. Mit Gottes Geist kann man tapfere Schritte in die Zukunft wagen. Die mutigen Hebammen damals. Der junge Timotheus. Und wir heute. Wahrscheinlich sollten wir öfter bitten: Komm Heiliger Geist. So, glaube ich, kann man auch die gegenwärtigen Krisen durchstehen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Lucie Panzer: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist geschrieben mit Blick auf meine Wohngemeinde im Stuttgarter Westen. Städtisches, bürgerlich-intellektuelles Publikum.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die aufgeregte, pessimistische Debatte unter den Menschen und in den Medien über die gesellschaftlichen Entwicklungen in unserem Land beunruhigen mich. Dagegen steht für mich der Begriff „Besonnenheit“ im Predigttext.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Hoffnung und das Vertrauen auf Gottes Geist, der uns alle Besonnenheit schenken möge und Kraft für ein Verhalten, dass die Zukunft heller macht..

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die einfühlsame Rückmeldung des Predigtcoaches hat mich bestärkt und mir dazu verholfen, zwei Punkte klarer zu formulieren.

Perikope
Datum 27.09.2020
Bibelbuch: 2. Timotheus
Kapitel / Verse: 1, 7-10