1 Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir einen Bau von Gott erbaut, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.
2 Darum stöhnen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden.
3 So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen.
4 Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, stöhnen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
5 Der uns aber dazu bereitet hat, das ist Gott, der uns auch als ersten Anteil den Geist gegeben hat.
6 So sind wir allezeit getrost und wissen, dass wir fern vom Herrn in der Fremde leben, solange wir in diesem Leib zu Hause sind;
7 denn wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen.
8 Wir sind aber getrost und begehren sehr, aus dem Leib auszuwandern und daheim beim Herrn zu sein.
9 Darum suchen wir unsere Ehre darin, ihm zu gefallen, ob wir daheim oder in der Fremde sind.
10 Denn wir alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat. (2. Kor. 5, 1-10. Einheitsübersetzung und Luther 2017)
„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg!“ – das sind die ersten Worte des Totengedenkens, das heute am Volkstrauertag an zahlreichen Orten begangen wird.
„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg“, sich bewusst zu machen, dass Krieg immer Tod bedeutet, Menschenleben vernichtet, tiefe Wunden schlägt, über Generationen hinweg sind der Grund dieses jährlichen Gedenktages. Das Gedenken wird getragen von der Hoffnung, dass es dem Frieden auf der Welt hilft, sich an die schrecklichen Folgen von Krieg zu erinnern. Nie wieder! Nie wieder soll es so sein. So gesehen ist das Erinnern, das Gedenken ein Tun für den Frieden.
„Unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen hier und in der ganzen Welt.“ – mit diesen Worten endet das Totengedenken.
Erinnern heißt Verantwortung für den Frieden zu übernehmen. Ist ein Tun für den Frieden.
Leicht ist das nicht. Jedes Erinnern, jeder Blick auf die Schrecken vergangener Kriege hält mir vor Augen, dass jetzt gerade irgendwo Krieg ist. Menschen sterben. In diesem Moment. Es ist zum Heulen und Verzweifeln. Frieden scheint in der Welt nicht möglich zu sein, auf Dauer schon gar nicht. Das macht Verantwortung für den Frieden schwer. Was kann ich tun?
Stöhnen und sehnen - zwei Worte zum Weiterdenken, die ich mir aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth zur Seite nehme. Paulus schreibt: Darum stöhnen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden, [...] damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
Stöhnen, ächzen, seufzen … wahrnehmen all dessen, was mich bedrückt und stört, den Unfrieden in der Welt, und ja, auch in meinem Herzen. So sehr ich mir wünsche, dass die Welt ein friedlicher, freundlicher Ort für alle ist, spüre ich die Grenzen. Grenzen meiner eigenen Freundlichkeit anderen gegenüber, wenn sie mich nerven, wenn sie die Welt ganz anders sehen als ich. Und ich nehme wahr, was an den Ländergrenzen geschieht. Die Zäune, die gezogen werden, damit Menschen nicht „in Frieden“ kommen können. Aus den Kriegs- und Krisengebieten. Es macht mich wütend und ich fühle mich gleichzeitig ohnmächtig. Was kann ich schon tun?
Zunächst einmal stöhnen, ächzen, seufzen. Damit reagiere ich auf das, was ich als Unfrieden wahrnehme. Hinsehen, auch wenn es schmerzhaft ist und mich zum Stöhnen bringt, ist ein Tun für den Frieden. Weil das Hinschauen auch ein Weiterschauen möglich macht. Da steht ja noch ein Sehnen. Hinter dem Stöhnen.
Darum stöhnen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden, (…) damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
Das ist ein starker Gedanke. Die „Lebens“-Erfahrung und -Angst, dass Unfrieden Leben bedroht, dass dagegen nicht anzukommen ist, dass Tod Leben verschlingt, stellt Paulus in ein anderes Licht. Er schreibt vom Leben, dass das Sterbliche verschlingt. Vom Leben, das Sterbliches, den Tod, in sich aufnimmt. Verschlingt! Also ganz und gar in sich aufnimmt. Und Leben ist. Und bleibt. Dieses Leben ist von Gott gegeben. Es ist ein „Kleid des Himmels“, ein Gewand, das Widerstandskraft gegen den Tod in sich trägt. Stöhnen über die Welt, wie sie ist, ist ein Erinnern an dieses Himmelskleid Leben. Und Sehnen ein Versuch, es mir jetzt anzuziehen. Anziehen zu lassen. Von Gott.
Darum stöhnen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden, (…) damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
Sehnen: Ich sehne mich nach Sicherheit. Genug zu essen zu haben. Gut schlafen zu können. Menschen um mich zu haben, die mich verstehen, die mir das Gefühl geben, ich gehöre dazu. Ich sehne mich nach Geborgenheit und Leichtigkeit, Ruhe und Erholung. Ich sehne mich danach, dass Sinn ergibt, was ich tue, dass ich mit den Menschen um mich herum die Welt so gestalten kann, dass ich friedlich und zufrieden leben kann.
Ich sehne mich zutiefst nach Leben. Diese Sehnsucht ist so etwas wie eine Platzhalterin im Himmel! Bei all dem, was mich hier Stöhnen macht, bei allem Unfrieden und der Erfahrung von Sterblichkeit und Tod grenze ich noch an etwas anderes. An die Kraft, die mich überkleidet, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben. Mein Sehnen kann mich mit dieser Kraft verbinden. Ich nenne sie Gottes Geist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Creaci%C3%B3n_de_Ad%C3%A1m.jpg
Ein Bild vom Himmel der Sixtinischen Kapelle in Rom: Die Erschaffung Adams. 1508 von Michelangelo Buonarroti gemalt. Leben beginnt.
Leben beginnt: Ich sehe einen nackten Mann. Er liegt wie hingegossen auf einer grünen Wiese. Nah bei Gott. Fast auf Augenhöhe. Beide strecken die Arme aus. Fast berühren sie sich. Nur eine kleine Lücke ist da. Der Funke Leben, Geist, Atem kann da überspringen. Gott lässt erkennen: Ich habe Dich Erdling „Adam“ gemacht. Du bist schön. Kräftig. Also lebe! So deute ich mir die Geste.
Ein Bild, eine Einladung, sich zu erinnern: So ist Leben. Im Anfang. Nackt (wie Gott es schuf!), ganz da. (Anm: Auch wenn Michelangelo einen Männerkörper darstellt). Bereit, Gottes Geist überspringen zu lassen, Gottes Nähe zu spüren.
1 Wir wissen: Wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, dann haben wir einen Bau von Gott erbaut, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel.
2 Darum stöhnen wir und sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden.
3 So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen.
4 Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, stöhnen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
Ich sehe: Freien Himmel. Weite. Berge im Hintergrund. Eine Wiese. Adam liegt und ist nackt. Gott trägt ein weites, weißes Kleid. Ein flatterndes Tuch. Wie es wohl ist, damit „überkleidet“ zu werden? Ich stelle mir vor: Es fühlt sich gut an auf der Haut. Im Sommer kühl, im Winter warm. Es schützt mich vor dem Pieksen und den Käfern im Gras. Vor Regen. Und es riecht vertraut. Nach Heimat. Und Sicherheit. Nach Frieden.
….. , damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.
Ich sehe die Lücke zwischen den Fingern Gottes und Adams. Und stelle mir vor, dass dort der Platz für meine Sehnsucht ist. Für jede Sehnsucht. Genau da, wo der Funke Leben, Geist, Atem überspringt. Und sagt: Du bist schön. Kräftig. Also lebe!
Sehnsucht verbindet mich mit Lebenskraft. Ist ein Vertrauen darauf, dass für mich heute gilt, was von Anfang an galt: Gottes Geist wirkt im Leben. Und kann Kraft entfalten. Auch jetzt.
Wenn wir heute an die Opfer von Gewalt und Krieg erinnern, trauen wir uns, all das zu sehen, was Frieden im Leben entgegensteht, ihn schwer macht. Was schmerzt. Uns stöhnen lässt. Dabei ist es gut zu wissen, dass wir einen „Platz im Himmel“ haben, von dem aus wir mit „Lebenskraft“ bekleidet werden. Unsere Sehnsucht führt uns an diesen Platz. In die Nähe Gottes. Hier werden wir daran erinnert, dass das Leben Kraft hat, das Sterbliche zu verschlingen.
Ich sehe noch einmal die Lücke zwischen den Fingern. Die Lücke ist frei. Lässt Platz. Um mir auszumalen, wie Leben das Sterbliche verschlingt. Wie Frieden wird. Gerade fehlen mir konkrete Bilder. Ich weiß nicht recht, was gehen kann. Was ich tun kann. Vielleicht ist die Lücke der Raum, wo noch gar keine Bilder sind. Wo es noch gar nicht darum geht, dass mir etwas einfällt. Nur den Platz sehen. Zum Dasein. Zum Hinsehnen. Und spüren: Wie steht es um meine Lebenskraft? Jetzt? Habe ich viel? Oder eher wenig? Kann ich vertrauen? Auf Gott? Den Frieden in der Welt? Und mich damit nicht zu verstecken. Sondern mich sehen zu lassen. Vielleicht ist ja jemand da, die oder der meine Sehnsucht teilt. Eine Idee hat. Vertrauen hat. Mir Vertrauen schenkt. Und mit mir glaubt, dass Gott da ist. Leben, das das Sterbliche verschlingt.
Erinnern heißt, stöhnen über die Welt, wie sie ist. Und vertrauen darauf, dass da mehr ist. Ein Himmelskleid Leben. Mich nach diesem Kleid zu sehnen ist ein Versuch, mir dieses Himmelskleid jetzt anzuziehen. Anziehen zu lassen. Von Gott. Damit Frieden wird.
Um diesen Frieden lasst uns jetzt beten:
Du, Gott des Friedens,
Führe mich vom Tod ins Leben,
aus dem Trug in die Wahrheit.
Führe mich aus Verzweiflung
in die Hoffnung,
aus Angst in Vertrauen.
Führe mich vom Hass zur Liebe,
vom Krieg zum Frieden.
Lass Frieden unser Herz erfüllen,
unsere Erde und das All.
(Londoner Gebetskette)
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der vorletzte Sonntag im Kirchenjahr ist belegt mit Volkstrauertag, Friedensdekade und anderen Gedenktagen (Mauerfall, Martinstag, Novemberpogrome), die sich im November häufen. Ich vermute, dass die innere Grundstimmung der Menschen eher nachdenklich und melancholisch ist.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Meine ersten Gedanken zu 2 Kor 5,1-10 habe ich mir im Zwiegespräch mit einer KolleginFreundin an einem schönen Oberharzer See gemacht. Wir waren schwimmen, tranken Kaffee und es schien möglich, dass der Himmel freundlich ist und unsere Sehnsucht schon immer beherbergt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das Sterbliche wird vom Leben verschlungen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Verständlichkeit, mehr erzählerisch, die Bestätigung der These, dass Predigen immer ein Plural ist!