Liebe Gemeinde,
„Miteinander essen, das kann schön sein. Froh zu Tische sitzen, lieben wir. Gaben lasst uns teilen und auch noch verweilen, schön, dass wir beisammen sind!“ Es ist ein Kinder-Tischlied.
Miteinander essen und trinken. Gemeinsam am Tisch sitzen und außer dem Essen auch Zeit, Worte und Gedanken teilen, auf‘s gemeinsame Wohl anstoßen, miteinander lachen – das ist etwas Schönes und verbindet. Auch Ihr als Tauffamilie werdet nach dem Gottedienst sicher irgendwo miteinander sitzen, essen und feiern. Und auch im Martinssaal unten wird es nachher für uns alle noch etwas zu essen und zu trinken geben.
Oder ich denke an die Vesperkirche im Winter, wenn unsere ganze Kirche für ein paar Wochen zum Gasthaus wird und sich die unterschiedlichsten Menschen bei Tisch treffen, gemeinsam essen und miteinander ins Gespräch kommen.
Wie oft lesen wir auch in den Evangelien von Jesus, wie er Gast bei jemandem war und mit den Leuten zu Tisch saß. Miteinander essen, ja, das kann echt schön sein!
Aber es kann – leider – auch ganz schwierig sein. Denn am Essen scheiden sich nicht selten die Geister und Gemüter. Essen ist nämlich weit mehr als nur Geschmackssache. Essen ist auch Einstellungssache: Ob mit oder ohne Fleisch oder gar vegan. Ob bio oder konventionell. Ob frisch zubereitet oder aus der Packung. Ob koscher oder halal oder weder noch. Ob slowfood oder fastfood.
Wir sehen also: So sehr Essen Menschen verbinden kann, so sehr kann es auch trennen. Was wurde und wird über das Essen nicht überall diskutiert und gestritten! Von solchen Tisch- oder Kühlschrankgesprächen wüsste sicher jede und jeder von uns zu erzählen.
Heute, am Sonntag vor Erntedank, hören als Text für die Predigt einen Abschnitt aus dem Römerbrief, Kapitel 14. Dort schreibt der Apostel Paulus:
Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. 18 Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. 19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander.
Streit ums Essen, ums richtige Essen, das gab es auch schon damals vor zweitausend Jahren. Auch wenn die Hintergründe andere waren als heute. Damals ging es darum, dass es Fleisch ausschließlich als „den Götzen oder dem Kaiser geopfertes Fleisch“ gab. Darf man das als Christ essen oder nicht? Die einen sagten: „Götzen – was gehen mich die Götzen an? Die gibt es doch sowieso nicht! Oder der Kaiser, der sich als Gott aufspielt? Ha! Ich kenne nur einen Gott, den Unsichtbaren und Lebendigen!“ – und aßen munter drauf los.
Die anderen aber machten sich einen Kopf, ob ja oder nein, und entschieden sich dann dagegen. Das hieß: ab jetzt lebten sie vegetarisch. Sie fanden es falsch, Fleisch zu essen, das jemandem geopfert worden war. Deshalb verzichteten sie lieber darauf.
Dass diese unterschiedlichen Einschätzungen zu heißen Diskussionen in der Gemeinde führten, das kann man sich lebhaft vorstellen. Denn beide hatten ja einleuchtende Argumente und triftige Gründe für ihr Essen bzw. nicht-Essen. Und beide fühlten sich aus ihrer Sicht „zurecht im Recht“. Und wenn sich zwei „zurecht im Recht“ fühlen, dann fliegen einfach die Fetzten. Das war damals nicht anders als heute.
Und in diesen Streit hinein schreibt der Apostel seinen Brief und erinnert die Gemeindeglieder von Rom: He, liebe Leute, das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!
Essen und Trinken, ja, das braucht der Mensch. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Und es kann auch Menschen zusammenführen. Aber das Reich Gottes ist es deshalb noch lange nicht! Denn das ist mehr. Das ist Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Große Worte sind das. Doch was bedeuten sie?
Dazu hilft es, wenn wir uns ein Bild vor das innere Auge malen, das auch dem Apostel vorschwebte. Nein, nicht ein Bild aus der Küche, sondern ein Bild vom Bau. Im Griechischen ist es das Wort „Oiko-domä“, zu Deutsch: „Hausbau“, also der Bau eines Hauses.
Jede und jeder von uns kennt die Kinderbilder, wo ein Haus zu sehen ist: ein Viereck unten, ein rotes Dreieck-Dach oben, eine Tür und ein Fenster. Gerne noch ein Baum oder eine Blume davor und ein Kamin, aus dem Rauch steigt. Fertig. Es ist ein Haus, in dem eine Familie wohnt - am besten die eigene. Das Haus als eine Art „Nest“, wo es sich aufwachsen und groß werden lässt. Wo Gäste ein- und ausgehen. Wo auch Tiere mit leben dürfen. Wo man zuhause ist. Wie es im Trausegen heißt, wenn zwei sich das Ja-Wort gegeben haben: „Gottes Segen komme reichlich über euer Haus!“ Das Haus und die Familie als Keimzelle der Gesellschaft, als Wurzelgrund für das Wachsen jedes einzelnen.
Hier geschieht „Aufbau“ (Erbauung) im ganz Kleinen: Beim gemeinsamen Essen, beim Lesen einer Gute-Nacht-Geschichte, beim Schlichten von Streit, beim gerechten Verteilen von Süßigkeiten, beim Setzen eines klaren Ja oder Nein, beim Suchen nach Kompromissen.
Schon in einer so kleinen Einheit wie einer Ehe oder Familie ist es immer wieder eine Herausforderung zusammenzuhalten und das Verbindende zu stärken. Sonst kann es auch da schnell passieren, dass man nebeneinander oder gar gegeneinander agiert.
An einem Haus, wenn es Bestand haben soll, muss weitergebaut und etwas investiert werden. Sonst fängt es an zu bröseln.
Das Bild des Hauses reicht aber noch weiter. Es weist über den kindlichen Horizont hinaus steht auch für eine größere Gemeinschaft. So spricht die Bibel zum Beispiel vom „Haus Israel“ als dem Volk Gottes. Da ist jeder Einzelne wichtig und trägt dazu bei, das Ganze der Gemeinschaft zu bauen und zu erhalten. Auch als eine Art „Haus“, wo die Schwächeren Hilfe bekommen und Fremdlinge Zuflucht und einen gastlichen Tisch finden.
Auch die christliche Gemeinde ist so etwas wie ein Haus. Gebaut aus vielen einzelnen – lebendigen – Steinen: aus uns, den Christen-Menschen. Sie beziehen sich aufeinander. Sie tragen andere mit und werden selbst auch getragen. Und der Grundstein, der ganz unten – als Fundament – uns alle trägt: das ist Jesus Christus!
Der Apostel lenkt also den Blick weg vom Essen und dem Konflikt darum, hin auf etwas Größeres: auf das Haus als Sinnbild der Gemeinschaft.
Er schreibt: Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zum Bau des Hauses beiträgt!
Und so entsteht ein Raum, der viel Offenheit lässt für das, was dann tatsächlich geschieht: Wo gelacht und gespielt werden kann, geschlafen und gestritten, aber auch gegessen und gefeiert.
Zuerst und immer gilt also: Sucht das, was Euch untereinander verbindet! Schaut nach dem, wo Ihr zusammengehört, wo Ihr Euch gegenseitig tragen und stärken könnt. Helft Euch gegenseitig, als Gemeinschaft zu leben: als Gemeinschaft von Christen und auch als Gemeinschaft aller Menschen.
Sucht das Euch Verbindende! Immer neu und immer wieder.
Das Trennende, das entdecken wir ja meistens ganz leicht und total schnell: die andere Hautfarbe, das ungewohnte Verhalten, die fremde Sprache, das andere Essen. Und unbewusst geht man dann auch auf Distanz, ist kritisch und skeptisch: Das sieht aber komisch aus - ob das schmeckt?
Leicht passiert es, dass man das Fremde abwertet und eine andere Meinung als die eigene nur mühsam gelten lässt. Ob es nun ums Essen geht oder ums Auto oder um anderes. Sich distanzieren, voneinander abrücken, wegschauen oder sich aus dem Weg gehen: das sind Verhaltensweisen, die oft unser Leben prägen, im Umgang miteinander und auch in unserem Konsumverhalten.
Sucht das Euch Verbindende! Daran erinnert uns die Bibel: Denkt an den Bau eines Hauses und verbindet Euch untereinander. Sucht und versucht das Verbindende!
Das, was einen mit dem anderen verbindet, das liegt nicht immer auf der Hand. Da muss man genauer hinschauen. Und nachfragen und zuhören. Da hat man nicht von vorneherein immer nur recht.
Doch das uns Verbindende zu suchen, das brauchen wir dringender denn je in unserer Zeit, wo der Bau von Mauern und Zäunen wieder so normal geworden ist. Und wo die Zahl der Kinder, die in armen Verhältnissen aufwachsen, auch hier bei uns von Jahr zu Jahr zunimmt. Darum ist es heute vielleicht aktueller denn je, was der Apostel damals sagte: Tut, was zum Frieden dient und euch untereinander verbindet und aufbaut.
Wir brauchen es in unseren Familien und Häusern, damit wir miteinander und nicht nur nebeneinander her leben. Wir brauchen es in unserer Gemeinde, damit wir auch wirklich Gemeinde sind. Wir brauchen es als Menschheitsfamilie, wenn wir mit- und füreinander Menschen bleiben wollen. Und auch mit der Erde, auf der wir leben und von der wir leben, müssen wir uns neu in Achtung und Liebe verbinden. Mit den Pflanzen und den Tieren, die uns Nahrung geben oder Nahrung sind. Und mit den Generationen, die nach uns kommen werden - auch sie sollen ja noch im Haus dieser Erde leben und wohnen können.
Auf einmal merkt man, wie eng doch alles und alle miteinander zusammenhängen. Und dass es durchaus gute Gründe gibt, über das Essen, das auf unserem Tisch steht, genauer nachzudenken: Woher es kommt und ob ich beim Essen auch gerne und dankbar an die denken mag, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass es jetzt vor mir steht. Denn in der Tiefe unseres Herzens wünschen wir uns alle, dass sich auf unseren Tellern etwas widerspiegelt von Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.
Und dann können wir nächsten Sonntag auch von ganzem Herzen Erntedank feiern und Gott danken! Amen.