Überflüssig - Predigt zu Johannes 2,1-11 von Wolfgang Vögele
"Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was geht's dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn. Danach ging Jesus hinab nach Kapernaum, er, seine Mutter, seine Brüder und seine Jünger, und sie blieben nicht lange da."
Liebe Gemeinde,
am Anfang halte ich diesen billigen Kugelschreiber aus Plastik in die Höhe. Mit diesem Kugelschreiber habe ich Teile der Predigt auf Schmierpapier notiert. Der Kugelschreiber aber ist auch ein Zeichen der Trauer. Solche Kugelschreiber oder Buntstifte haben die Pariser Bürgerinnen und Bürger bei dem großen Gedenkmarsch am letzten Sonntag in die Höhe gehalten, um an die ermordeten Opfer der Attentate bei Charlie Hebdo und im Supermarkt von Porte de Vincennes zu erinnern. Die bekannten französischen Karikaturisten sind ermordet worden, weil sie Religionen verhunzt und Gläubige auf die Schippe genommen haben.
Das hohe Gut der Meinungsfreiheit setzt für Glaubende voraus, sich auch einen Humor gefallen zu lassen, der die eigene Religion und die eigene Meinung kritisch auf den Bleistift spießt, selbst wenn der Humor der Satirezeitschrift Charlie Hebdo - wie zu lesen ist - oft unter der Gürtellinie lag. Der Schock über die ermordeten Karikaturisten, die die Leser zum Lachen bringen wollten, sitzt tief. Christlicher Glaube tut gut daran, großzügig, souverän und ohne falsche Empfindlichkeit auch mit schmähender Kritik umzugehen. Unbeirrbar erinnert daran der in die Höhe gereckte Kugelschreiber.
Es stellen sich Fragen nach der Verbindung von Glauben, Lachen und Gott. Müssen Glaubende diejenigen fürchten, die die Menschen zum Lachen bringen wollen? Lachen und Humor sind in der Lage, die starren Denkgebäude der Menschen, seien sie von Philosophie, Politik oder Religion bestimmt, zum Wanken zu bringen und sie zu verändern. Christlicher Glaube fühlt sich nicht wohl in starren und phantasielos errichteten Denkgebäuden aus dogmatischem Beton. Christlicher Glaube lebt von Veränderung, mindestens von der Hoffnung darauf. Das intellektuelle Rüstzeug dafür ist nicht schwer zu tragen; es ist so leicht wie ein Bleistift, es muß für die Wanderschaften und Veränderungen des Glaubens in einen Rucksack passen, damit niemand über der schweren Last von Dogmatik und Bekenntnis das Vertrauen auf Gott verliert.
Ist in der Bibel vom Lachen die Rede? Sara, Abrahams alt gewordene Frau, hat sich hinter einer Zeltwand versteckt. Vor dem Zelt sitzen Abraham, der Ehemann sowie drei Engel und essen miteinander. Die Engel kündigen dem alten Abraham die Geburt eines Sohnes an. Hinter der Zeltwand muß Sara lachen, als sie hört, daß sie in ihrem hohen Alter noch ein Kind gebären soll. Die Engel sind von diesem Lachen nicht begeistert, aber das ist eine andere Geschichte.
Wissenschaftliche Ausleger, nach Humor in der Bibel gefragt, verweisen auf die Geschichte der Hochzeit zu Kana (1). Denn die Hochzeit der beiden jungen Leute ist ja auch eine ganz weltliche Angelegenheit. Es geht um Feiern, Trinken, Essen statt um Gottesbeweise und Jungfrauengeburt. Das flüssige Wunder, das Jesus vollbracht haben soll, muß die vielen Gäste der Hochzeit verblüfft und zum Staunen gebracht haben. Vielleicht haben sie, wie spätere Leser, geschmunzelt, gestaunt, gelacht. Hoffentlich hat nicht nur der Alkohol im Wein die Gäste in große Begeisterung versetzt.
Für diese Begeisterung gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der Evangelist Johannes erzählt die Geschichte der Hochzeit als das allererste Wunder Jesu. Johannes spricht von einem besonderen Zeichen. Keiner der Hochzeitsgäste kann wie die Leser des Evangeliums von der besonderen Aufgabe Jesu als guter Hirt, als Tröster, als Brot des Lebens gewußt haben.
Wenn man die Mengenangaben für die Wasserkrüge ernst nimmt, so hat Jesus das Wasser aus sechs Krügen mit jeweils zwei oder drei "Maßen" Inhalt in Wein verwandelt. Umgerechnet auf heutige Inhaltsangaben ergibt das um die sechshundert Liter Wein. Rechnet man sehr großzügig eine Dreiviertelliterflasche pro Person, so hätte der Hochzeitsplaner achthundert Gäste in die Einladungsliste aufnehmen müssen. Das erscheint als eine unwahrscheinliche Übertreibung.
Am Anfang, gleichsam um sich vorzustellen, vollbringt der dem Volk ganz unbekannte Jesus ein Weinwunder. Eigentlich wollte er das gar nicht, Maria muß ihn eigens dazu auffordern. Jesus verhält sich – mit Verlaub – rüpelhaft und halbstark ihr gegenüber und antwortet ganz brüsk: Meine Stunde hat noch nicht geschlagen. Ich meide noch das Licht der Öffentlichkeit. Das wird erst später kommen. Danach erst schreitet er zur Tat, und eigentlich handelt er gegen das, was er vorher gesagt hat. Die kluge Mutter Maria hat das verstanden.
Unabhängig davon, ob diese Wunder wirklich wie erzählt geschehen sind, denken wir pragmatischen Protestanten sofort: Bei seinem ersten Wunder hätte er sich aber etwas vernünftiger anstellen können. Er hätte einen Blinden, einen Lahmen oder einen Leprakranken heilen können. Damit hätte er etwas für Diakonie und Gesundheitswesen getan. Für Epilepsie oder Besessenheit hätte es sich viel eher gelohnt, die Naturgesetze zu übertreten. Aber viel Wasser in noch mehr Wein verwandeln, Entschuldigung, das ist doch eine peinliche Taschenspielerei mit dem Wunderglauben, oder nicht? Damit wäre die Geschichte der Hochzeit von Kana mißverstanden. Sie gehört zu den Wundern, die auf kindlich unschuldige Weise Fülle, Überfluß und Heil in den Mittelpunkt rücken. Damit steht die Hochzeit von Kana auch nicht allein. Bei der Speisung der Fünftausend zum Beispiel bleibt körbeweise Brot und Fisch übrig.
Im Johannesevangelium erscheint Maria, anders als im Lukasevangelium, nur an zwei Stellen. Bei Lukas ist Maria die Schwangere, die fürsorgliche Mutter vor der Krippe, die geduldige Ehefrau Josefs, die mit ihm und dem Kind nach Ägypten flieht, die übereifrige Helikoptermutter, die sich um den Zwölfjährigen im Tempel Sorgen macht.
Nichts davon hören wir bei Johannes. Maria begleitet Jesus zur Hochzeit in Kana, und sie steht dann ein zweites Mal neben dem Lieblingsjünger, dessen Namen wir nicht kennen, unter dem Kreuz. Das ist die berühmte und ergreifende Szene, die im 16.Jahrhundert der Maler Matthias Grünewald auf den Tauberbischofsheimer Altar (2) gemalt hat: Am Kreuz hängt der verwundete, sterbende Jesus, links und rechts daneben stehen trauernd, unsicher und verstohlen Maria und der Lieblingsjünger. Maria begleitet den Anfang des Wirkens Jesu bei einer Hochzeit, und sie sieht sein grausames Ende unter dem Kreuz.
Jesus beginnt sein öffentliches heilsames und wundertätiges Wirken in dem kleinen Ort Kana in Galiläa. Wir wissen heute nicht mehr ganz sicher, wo in Galiläa dieser Ort liegt. Johannes spricht davon, daß Kana in der Nähe von Kapernaum lag. Die damals lebenden Menschen in Kana und Kapernaum teilen mit uns heutigen Predigthörern die Überzeugung, daß eine Hochzeit zu den Höhepunkten im Leben zweier sich liebender Menschen und ihrer Familien gehört. Wer als Paar zusammenleben will, der feiert häufig den Anfang mit Gottesdienst, Empfang und Festbankett.
Hochzeit - heute ist das der eine große Tag, der Beginn einer tiefen und nachhaltig dauerhaften Beziehung zwischen zwei verliebten Menschen. Monate im Voraus gelten Planung, Vorbereitung, Überlegung diesem einen festlichen Ereignis. Welchen Stoff soll die Braut für das Kleid auswählen? Welche Schuhe passen dem Bräutigam? Welcher Fotograf soll das Ereignis festhalten? Welches Restaurant eignet sich am besten für die Feier am Abend? Die Planungsaufgaben gestalten sich so kompliziert und umfassend, daß viele Brautpaare sie an einen Hochzeitsplaner weitergeben.
Manchmal erscheint der Hochzeitsplaner sogar anstelle des Brautpaars zum Traugespräch im Büro des Pfarrers. Aber das führt dann doch zu weit. Und so ein Traugespräch mit dem Brautpaar läuft manchmal nicht ohne Mißverständnisse ab. Denn der Pfarrer will in der Regel den besonderen Charakter des Gottesdienstes festhalten, während manche Brautpaare - keineswegs alle! - die Vorstellung haben, der Kirchenraum sei nur Kulisse für die bewundernden Blicke der Familie. Der Gottesdienst sei nur das fromme Vorspiel für das große Fest am späteren Abend. Und man kann wunderbar darüber streiten, ob das beliebte "Over the Rainbow", gesungen von der Schwägerin und auf der Ukulele begleitet vom Neffen, wirklich sein muß nach dem Tausch der Ringe und dem allfälligen Kuß.
Die Brautleute damals in Kana haben sich selbstverständlich auch Gedanken um Organisation und Vorbereitung gemacht. Bei den Getränken warfen sie sich schon während des Festes vor, daß sie nicht genug Wein besorgt hatten. Aber damit enden auch schon die Gemeinsamkeiten in der Planung. Von Hochzeitstorten, Trauringen und weißen Tauben wußte man damals nichts.
Johannes erzählt von der Hochzeit in Kana aus einem anderen Grund. Eine Trauung verbindet zwei Menschen, aber sie ist auch ein Bild für die große Verbindung zwischen Gott und dem Volk Israel.
Immer wieder, im 2.Buch Mose, bei Hosea und anderen Propheten redet die Bibel von der Beziehung zwischen Gott und Mensch im Bild der Hochzeit. Mose und die Propheten haben von einem Bund zwischen Gott und den Menschen gesprochen. Diese Beziehung fängt mit einem geistlichen Fest an. Das Fest wird so schön gestaltet, daß es jedem Gast dauerhaft in Erinnerung bleibt. Viele Gäste sind eingeladen. Es gibt im Überfluß zu essen und zu trinken. Gott und die Menschen versprechen sich, in Treue miteinander zu leben. Wenn man diesen Bildhintergrund der Hochzeit ausleuchtet, gewinnt das Wunder der Wasserverwandlung in Kana seinen ganz besonderen Sinn. Fülle und Treue kommen zusammen. Gott hält sich an das Versprechen, das er den Menschen gegeben hat, dem Volk Israel zuerst, dann auch allen anderen.
Und vor diesem Bildhintergrund erklärt sich auch, warum Jesus ausgerechnet bei einer Hochzeit sein erstes Wunder vollbringt. Die Hochzeit dieses jungen Paares in Kana erinnert an die andere große Hochzeit, an den Bund Gottes mit den Menschen. Die Anwesenheit Jesu von Nazareth bei dieser Hochzeit beglaubigt die Treue Gottes zu Israel. Die Menschen haben das bei der Hochzeit selbst noch nicht richtig verstanden. Deswegen ärgerte sich auch der Kellermeister über die vermeintliche Dummheit des Bräutigams, der erst nach den Krügen mit schlechtem den guten Wein aufgetischt habe.
Gottes Treue zu den Menschen zeigt sich in der bleibenden Verbindung, die durch Jesus von Nazareth gestiftet wird. Er verkörpert beides: Seine Menschlichkeit und Würde findet sich in der Zuneigung und in dem Respekt, mit denen er auf die Armen, Schwachen, Blinden, Kranken, Alten zugeht. Die Nähe Gottes zeigt sich bei ihm in der unerschütterlichen Überzeugung, daß zwischen ihm selbst und dem väterlichen Gott kein Unterschied festzustellen sei. Wo Menschlichkeit und Gottes Nähe sich verbinden, da zeigen sich Fülle, Überfluß, Heil und Glauben. Da zeigen sich auch Humor, Lachen, Lächeln, ohne alle Verletzung. Um das zu sehen und zu spüren, müssen wir die Augen und die übrigen Sinne offen halten. In Kana ging das Leben nach der Hochzeit der jungen Leute schnell wieder seinen gewohnten Gang. Aber die Fülle Gottes, von der wir Menschen leben, bleibt in Erinnerung. Sie ermuntert uns zur Hoffnung, Glaube und Liebe. Das Bild der Hochzeit, eine liebevolle Zeichnung des humorvollen Evangelisten Johannes, lebt in unseren Herzen. Amen.
(1) Der Versuch einer - hoffentlich - humorvollen und gereimten Predigt über Joh 2,1-11 findet sich unter: http://predigten.evangelisch.de/predigt/glauben-und-lachen-predigt-zu-jo...
(2) Weitere Bemerkungen zu Grünewalds Altarbild bei: Wolfgang Vögele, Der Schmerzensmann, 2008, http://www.predigten.uni-goettingen.de/bgpredigt.php?id=119&kennung=de