Verstecken spielen macht Spaß – Predigt zu Jeremia 23, 16-29 von Heinz Behrends
23,16-29

Ich möchte Verstecken spielen, Großpapa“, sagt Emil. „Ich fange an, ich versteck mich“. Großvater möchte noch fragen, auf welches Gebiet zum Verstecken sie sich einigen, bis zu der Hecke im Garten oder auch noch dahinter. Aber schon ist er fort. „Okay, spielen wir verstecken“. Großvater zählt bis 20. „Ich komme“. Er schaut sich um, nichts zu sehen. Doch, da hinter dem Kirschbaum, da schimmert ein rotes T-shirt. Aber er geht nicht gleich hin, sondern tut so als suche er. Auf der Terrasse, am Car-Port, hinter dem blühenden Rhododendron. Langsam schleicht er sich näher, mit dem Rücken zum Jungen. „Wo ist er nur?“ Er hört ein leichtes Kichern, dreht sich um. „Da bist du, da hab ich dich“. Emil quietscht vor Freude. „Noch mal“, sagt er. Verstecken spielen macht Spaß. Noch mehr Freude macht es, gefunden zu werden. Emil teilt die Erfahrung anderer Kinder nicht, die sich verstecken, weil sie Angst haben.

 

Verstecken aus Angst

Das Malheur ist passiert. Paula wollte Mutters Tasse von der Anrichte nehmen und hat sie fallen lassen. Sie wollte sie doch nur mal in die Hand nehmen. Nun  ist sie auf den Boden gefallen, zerbrochen in 1000 Stücke. Es war ein Erbstück von Großmutter. Mutter hat es geliebt und gehütet wie einen kostbaren Schatz, er ist  nicht zu ersetzen. Mutter wird es gehört haben und gleich runter in die Stube kommen. Es wird ein Donnerwetter geben. Paula versteckt sich in der Ecke, am liebsten würde sie sich unsichtbar machen. Da kommt Mutter schon. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr. Mutter entdeckt die Scherben, schreit kurz auf und sieht Paula zusammengekauert in der Ecke. „Was hast du getan“! Für eine Entschuldigung reicht Paula der Atem nicht. Sie ist wie erstarrt.

Gott sieht alles

Ein schreckliches Gefühl ist das. Nichts kann ich verbergen. Mutter sieht viel, aber der liebe Gott sieht noch mehr, er sieht alles.
„Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?“ Wir sind nicht perfekt, wir bleiben hinter dem zurück, was Gott von uns fordert. Dies Gefühl verlässt uns nicht. Wir wissen nur zu gut, was gut ist, was dran ist. Das Wissen, Gott sieht alles, macht es nicht besser. Eigentlich ein schreckliches Gottesbild. Ich möchte Orte haben, wo niemand hinguckt, ich möchte Geheimnisse haben. Die digitale Technik ersetzt den allwissenden Gott. Kameras überall. Navigatoren kennen meine Wege und Orte. Allmählich wehren wir uns dagegen, dass wir durch Satelliten-Ortung überall aufzuspüren, zu sehen sind. Oft von Augen, die ungnädiger sind als Gott es sein kann. Ich kann mich nicht verbergen. Schlimm.

 

Wenn Gott sich versteckt

Noch schlimmer ist, wenn Gott sich versteckt. Daniela hat MS. Sie ist erst 23. Zwei Schübe im ersten Jahr. Leben auf einem Pulverfass. Das Gebet im Haus verstummt. Jeden Morgen hatte Mutter für alle am Tisch gebetet. Für die Kranken, gedankt für die Gesundheit, das Glück. Die Realität ist nun so bitter. Warum das alles? Wozu? Fragen ohne Antwort. Wenn Beten hören ist, dann hört sie nichts mehr. Gott schweigt. Gott hat sich versteckt, er hat sich verborgen. Deus absconditus nennt Martin Luther diese Gotteserfahrung, diesen Gott. Der verborgene Gott.

Gott ist fern

„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist?“- Nein. Ist er nicht. Eine tiefe Lebens-, eine erschütternde Glaubenserfahrung. Realität. Darum wettert der Prophet Jeremia gegen die Propheten, die den kuscheligen Gott verkünden. „Sie sagen denen, die des Herrn Wort verachten: Es wird Euch wohlgehen“. Vielleicht meinen sie es gut und wollen Menschen zu Gott bringen. Aber das geht nicht mit einem Kuschelkurs. Sie wollen nach dem Mund reden. Träumer sind sie. Was ihre Herzen wünschen, ist nicht Realität, ist nicht das Leben. Es kann nicht gut gehen, wenn Menschen den Bund mit Gott nicht mehr ernst nehmen. Für Jeremia ist das ein großes Thema. Gott hat einen Bund mit den Menschen geschlossen, hat ihnen die Weisungen, die Thora, gegeben, damit sie wissen, wie Leben gelingen kann. Als Antwort auf diese Wohltat verlangt Gott, dass sie danach leben. Da kann man nicht drum herum reden wie die anderen Propheten es tun. Sie wollen geliebt werden, sie wollen sich nur selbst bestätigen. „Wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte gepredigt, um sie von seinem bösen Wandel zu bekehren.“ Jeremia schimpft, er ermahnt. „Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen, spricht der Herr?“ Auf Stroh hinterlassen die Kamele ihren Kot. Weizen dagegen, das Wort Gottes ist lebenswichtig. Es ernährt.

 

Keinen Kuschelkurs

Aus Kulturen vor Jeremia ist bekannt. Wenn ein Prophet ein Wort an das Volk richtet, muss er eine große Locke abgeben und aus seinem Gewand schneidet man ein Stück Tuch, damit man ihn später erkennt, wenn er falsch gesprochen hat. Kuschelkurs ist nicht angesagt. Nicht nach dem Munde reden. Jeremia macht das nicht, er redet wie es Wetterberichte tun. „Es wird ein Wetter des Herrn kommen, ein schreckliches Ungewitter“. Er spricht wie ein Schmiede- und Maurermeister spricht. „Ist mein Wort nicht wie Feuer, wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt“.  Ein moderner Text ist das, dieser Jeremia. Die Lehrerin in der Schule für Krankenpflegerinnen bespricht mit den Schülerinnen das Gleichnis vom Weltgericht, um ihnen die Werke der Barmherzigkeit zu vermitteln. Sie lehnen die Erzählung vehement ab. „Gericht gibt es nicht“. „Das ist doch Quatsch“. „So ein blöder Gott“. Sie haben als Konfirmandinnen die Lieder von der Liebe Gottes gelernt. Und falsch verstanden. Liebe als Akzeptanz jeder Verhaltensweise. „Ich bin okay, du bist okay“. Wir können nicht lieben, wenn  wir uns alle für lieb halten. Die Unwuchten aushalten, das ist es. Die Liebe lebt von der Wahrheit, damit ich weiß, was ich lieben kann.

Nahe durch seinen weiten Blick

„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist“? Nein, Gott ist nicht fern. Gott ist nahe durch seine Ferne. Stefan steigt auf den Kirchturm und hat einen weiten Blick. Die Sicht ist klar wie selten. Er sieht dort unten die ganze Landschaft. Die Straßen unter ihm. Er sieht das Haus, in dem er lebt, den Rathausplatz. Den Bäcker, bei dem er jeden Morgen die frischen Brötchen holt, den Friedhof dort am Rand, wo er seine Eltern begraben hat. Er sieht die Wege in der Feldmark wie sie am Horizont wie in eine Zukunft verschwinden. Ja, selbst den Rand der kleinen Stadt dort am Horizont kann er sehen, wo er im Krankenhaus geboren wurde und seine Mutter starb. Ein klarer Blick. Er sieht die Details, Und er sieht das Ganze. Er sieht das alles nur, weil er Distanz hat, von dort oben. Ja, Gott ist nahe, weil er das Ganze sieht.  Die Scheidung nach 21 Jahren Ehe war damals ein kleine Katastrophe, die Kinder blieben bei der Mutter. Dann die Diagnose: Prostata-Krebs vor 8 Jahren, die OP, 5 Jahre halbjährige Nachsorge, immer wieder leicht verängstigt. Der Karriere-Knick. Die versprochene Leitungs-Stelle bekam ein anderer. Aber jetzt, beim Blick vom Kirchturm ist er glücklich. Er hat wieder geheiratet, die Patchwork-Familie ist kein Problem. Wenn er das Ganze betrachtet, war Gott nie fern, sondern nahe.

Ja, so ist Gott. Er ist nahe, weil er als der Ferne den Überblick hat. „Bin ich es nicht, der Himmel und Erde füllt?“ Darum muss ich mich nicht verstecken vor dem, der mehr über mich weiß als ich selber. Gefunden werden ist schön.

Perikope
03.06.2018
23,16-29