"Vom Duft der Freiheit" - Predigt über 4.Mose 11,11-12.14-17.24-25 von Heinz Behrends
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"Vom Duft der Freiheit" - Predigt über 4.Mose 11,11-12.14-17.24-25 von Heinz Behrends

Vom Duft der Freiheit
Was gibt es an diesem schönen Pfingstsonntag bei Ihnen zu essen?
  Ein klassischer Braten mit Kartoffeln? Ein Spargelrezept mit Balsamico, einmal nicht mit Sauce Hollandaise? Huhn in Burgunder? Kartoffel mit Quark? Oder haben die Kleinen mal wieder Nudeln mit Tomatensauce bestellt?
  Vielleicht gehen Sie ja auch ins Restaurant zur Feier des Tages.
  Ich bin zu Hause der leidenschaftliche Koch, es entspannt mich. Ich koche nach den Gottesdiensten am Morgen und Nachmittags Spargel mit Lendchen, davor eine Spargelcreme-Suppe mit Krabben, dazu einen Württemberger Rosé. Meine Frau deckt den Tisch festlich, wir freuen uns schon. Da gibt es nichts zu meckern. Es ist Festtag.
  
  Zu meckern über das Essen hatte das Volk Israel kurz vor Eintritt ins Gelobte Land. Sie hatten gehungert in der Wüste. Immer noch nicht begriffen, dass die Wüste nicht erspart bleibt, wer von der Unfreiheit in die Freiheit will. Aber Gott tut ein Wunder. Er schickt ihnen Manna, jeden Tag Manna. Manna, mein Gott. Sie versuchen Abwechslung durch neue Rezepte. Suppe, Kuchen. Aber es schmeckt nach Öl und nach Harz. Die Hartgesottenen schimpfen, die Sensiblen ziehen sich resigniert in ihre Zelte zurück. Sie träumen: Ach, wäre wir doch in Ägypten geblieben. Da gab es Zwiebeln, Lauch, Fische, Kürbis, Melonen. Die Erinnerung legt den Geschmack von Knoblauch in ihren Gaumen. Natürlich, sie übertreiben.
  Mose ärgert sich, er antwortet mit einer Übertreibung: Hab ich sie denn als Volk empfangen, dass ich sie tragen sollte wie eine Amme ihr Kind trägt? Ich will die Verantwortung nicht mehr. Nimm sie weg von mir oder lass mich sterben, wenn du gnädig bist, Gott.
  
  Ich habe gut reden angesichts der für heute verheißenen Speisekarte. Aber ich verstehe das Volk, das mehr will als den Geschmack von fadem Ölkuchen.
  Auch die Resignation des Mose ist mir verständlich. Man kann müde werden in stetigem Engagement für andere. Raus aus diesem Amt. Oder schlimmer noch: Lass mich sterben, Herr. Wenn der Bauch über den Geist regiert. Ein aufrichtiger Mann, der Mose.
  
  Der Bauch ist voll, der Geist ist leer
  
  Unser Bauch ist voll. Aber die Abwesenheit von Geist können wir auch  beklagen. Die es durchschauen, drohen zu resignieren.
  Was für eine Gesellschaft, die ein Fünftel Lebenszeit vor billigen Soaps verbringt, mit Surfen im Netz. Was für eine Gesellschaft, die Fremden Arbeit zu Hungerlöhnen aufbürdet. Faschistische Neigungen kehren zurück. Der NSU-Prozeß in München wird uns diese Wochen noch sehr beschäftigen.
  Was für eine Gesellschaft, die Gewachsenes aus dem Boden holt, veredelt und wieder wegwirft. Räubermentalität.
  Was für eine Gesellschaft, in der ein mittelmäßiger Fußballspieler in der 1. Liga mehr Geld bekommt als die Bundeskanzlerin.
  Was für eine Gesellschaft, der es wenig gelingt, Lust auf Kinder zu machen und die Alten angemessen zu pflegen, in der Gesundheit nicht wie ein Volksgut verstanden, sondern zunehmend als Ware verkauft wird.
  Das alles geschieht noch vor unseren Augen, das ist durchschaubar, Gott sei Dank. Nicht zu reden von den unsichtbaren Geschäften auf dem Finanzmarkt, in den großen Waffengeschäften der Industrie.
  Was für eine Kirche, die mit so vielem beschäftigt ist, aber vor allem mit sich selbst und ihrem Erhalt. Oder sich in Hyper-Aktivität oder in Innerlichkeit zurückzieht.
  Schon vor 75 Jahren sagte Antoine St. Exupéry: „Es gibt nur ein Problem, ein einziges in der Welt. Wie kann man den Menschen eine geistige Bedeutung, eine geistige Unruhe wieder geben, auf sie niedertauen lassen, was einem Gregorianischem Gesang gleicht: Sehen Sie, man kann nicht nur leben von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln“.
  
  Gott hilft demokratisch
  
  Mose ist müde, er kann und mag die Verantwortung nicht mehr tragen. Er weiß nichts anderes als sich bei Gott zu beschweren.
  Und Gott erhört ihn.
  Er nimmt den Geist, aber jetzt nicht den vom Himmel, sondern vom Geist des Mose, von dem müden, klagenden und resignierenden Mose und verteilt ihn auf 70 Männer, eigentlich auf 72 Männer, denn zwei sind noch im Zelt geblieben. 72. 6 mal 12. Der Geist des einen Resignierenden reicht für 72.
  Ist das nicht Seelsorge für jeden, der unter seiner Last ermüdet? Zu Hause als Mutter oder Vater, als Chef, als Lehrerin, als Seelsorgerin? Der Geist der einen kann immer noch 72 beleben.
  Die Lösung in dieser Geschichte dessen, der unter der Verantwortung zusammenbricht, ist also demokratisch.
  Verantwortung wird verteilt. Unter meinem Bildschirm hängt das Ergebnis einer Umfrage unter 2000 Führungskräften im Land, welches die größten Führungsfehler sind: Auf Platz 4 steht: „Falsch oder gar nicht delegieren“. Platz 1 übrigens „Konflikten ausweichen“.
  
  Im Volk Israel in der Wüste wie auch Pfingsten in der ersten Gemeinde wird delegiert.
  Allerdings muss ein Führender da sein. In der Wüste ist es Mose, von dessen Geist ausgeteilt wird. Ohne Lehrer geht es nicht. Ohne Jesus als Lehrer geht es nicht. Ohne jene, die ihm als Lehrende folgen, geht es nicht: Roger Schutz in Taizé, Mutter Teresa in Kalkutta. Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis.
  Was müssen sie erfüllen, um Lehrer zu sein? Dinge durchschauen, die Wahrheit Gottes leben, innerlich unabhängig sein. Für den Glauben einstehen. Vom gelingenden Leben erzählen können.
  Vielleicht wohnen unsere modernen Lehrer ja nicht mehr in unserem Land, sondern in der pfingstlichen Bewegung der Ökumene.
  Vielleicht reicht ja auch nur einer für Dich aus, der dich geprägt hat durch ein Leben, durch ein Wort.
  Wichtig ist, dass die Verantwortung  auf viele verteilt wird. Im alten Israel sind es noch die Ältesten, im Neuen Testament sind es alle, auch Du und Du und ich. Die möglich Begeisterten.
  
  Geistbegabte ziehen ins Gelobte Land
  
  Was geschieht als erstes, als der Geist auf sie kommt?
  Sie sind entzückt. Sie tanzen. Entzuckt, die Zuckungen verlassen sie und münden in fließende Bewegungen des Tanzens.
  Die meckernden Leute sind verkrampft. Der Geist löst sie.
  Sie machen als erstes kein Programm, keine Strategiediskussion, auch kein charismatisches Programm einer Gemeinde-Erneuerung nach US-amerikanischem Muster.
  Sie tanzen und freuen sich des Geistes.
  Ein Oberkirchenrat kommt auch noch in der Geschichte vor. Es ist Josua: Mose, wehre ihnen, sagt er. Ekstatische Leute sind nicht gut für die Sache, Bringe Ihnen wieder diplomatische Formen bei, den Amtsträgern.
  Aber Mose antwortet: Wollte Gott, dass alle im Volk des Herren Propheten wären und der Geist über sie käme.
  Ein Geist der Offenheit, der Wahrheit. Er bringt in Bewegung. Leute des Geistes haben alles, was sie brauchen. Und sie haben eine Vision, die über den Bauch hinausweist.
  Die Geschichte von Mose und dem Volk in der Wüste endet nicht ohne Humor. Der Geist ist kein Kostverächter. Er kommt und bringt Wachteln. Der Wüstenwind drückt den Schwarm zu Boden, da liegt das köstliche Fleisch ihnen zu Füßen. Das hebräische Wort ruach bedeutet Geist und Wind zugleich. Feinstes Geflügel, mir fallen sofort französische Rezepte ein.
  Die Menge reicht für einen Monat. Die sich wild darauf stürzen und reinhauen, sterben an den kleinen Knochen und ersticken. Die Bauchleute sind unverbesserlich.
  Die Geistbegabten genießen und ziehen weiter ins Gelobte Land.