Von der Herzen bewegenden und Realität verändernden Kraft der Hoffnung auf Gott - von Friedrich Hauschildt
29,17
Von der Herzen bewegenden und Realität verändernden Kraft der Hoffnung auf Gott
Liebe Gemeinde,
„Was wird einmal aus mir? Wie wird das weitergehen?“, so fragt sich der junge Mann, der schon die siebente Absage auf seine Bewerbungen bekommen hat. Es fällt ihm schwer, den Mut aufzubringen, sich weiter zu bewerben. Denn die Vorstellung, möglicherweise ein Versager zu sein, lähmt ihn zunehmend. Die Tatsache, dass er in den letzten Monaten siebenmal eine Absage erhalten hat, hat sich zu einem Gesamtbild verdichtet: „Ich tauge offensichtlich überhaupt nichts.“
Aber auch das Umgekehrte geschieht unter uns ‑ Gott sei Dank: Eine ältere Frau merkt selbst, wie ihre Kräfte zurückgehen. Das stimmt objektiv, aber zugleich spürt sie, wie sie ‑ so wie sie ist – weiterhin von ihrer Familie „gebraucht“, ja geliebt wird. Dankbarkeit prägt ihr Selbstbild. Und das gibt ihr Kraft. Das Bibelwort, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig sei (2. Kor. 12,9), hört sie als Ermutigung. In dieser Vorstellung findet sie Zuflucht.
Ja, das Bild, das wir von uns selbst, unserer Zukunft haben, die Sichtweise, in der wir unser Leben sehen, hat eine große Wirkung. In dem einen Fall lähmen uns die düsteren Zukunftsaussichten, nehmen uns den Mut. Im anderen Fall beflügelt eine erwartungsvolle Einstellung zur Zukunft und entbindet Kräfte, die nicht mehr vorhanden zu sein schienen.
Das galt zu allen Zeiten: Viele Menschen haben die Grauen des 2. Weltkrieges, Flucht und Vertreibung nur überstehen können, weil sie trotz allen Dunkels eine Vorstellung davon hatten, wie die Welt nach Gottes Willen sein soll. Und sie haben daran – gegen den Augenschein – festgehalten. Das gab ihnen Kraft. In der Hungerkatastrophe in Ostafrika, in einer möglicherweise drohenden Wirtschaftskrise, immer fragen sich die Menschen: Worauf läuft es hinaus? Wie wird es enden? Was hat Gott mit uns vor? Und wer nicht in Resignation oder Zynismus oder Gleichgültigkeit verfallen will, der braucht ein tragfähiges Hoffnungsbild: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde“ (2. Tim. 2,4).
Wir neigen dazu, uns in einer als düster angenommenen Zukunft einzurichten: „Es hat ja doch alles keinen Zweck“, sagt der junge Mann und lässt sich gehen oder lässt sich vielleicht sogar auf krumme Geschäfte ein. „Mit ehrlicher Arbeit kann man sowieso nichts erreichen“.
Die dunklen, niederdrückenden Erfahrungen treten mit dem Anspruch auf, die Realität zu sein. Was könnte den jungen Mann von der Resignation abhalten? Es wäre wichtig, dass er trotz der düsteren Gegenwart ein Bild davon vor Augen gestellt bekommt, wie es sein soll, wie es sein kann, wie es im Grunde ist, damit er die Hoffnung nicht sinken lässt.
Aber ist ein solches Hoffnungsbild nicht eine bloße Illusion, Ideologie, der Versuch, sich wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen? Zugegeben, es ist nicht ganz leicht, den Unterschied zwischen einer berechtigten und einer illusionären Hoffnung zu erkennen.
Der heutige Predigttext aus dem Buch des Propheten Jesaja zeichnet ein solches Bild der Hoffnung. Eigentlich war Jesaja ein Mann der Kritik, der Zurechtweisung. Das Volk Israel war von ausländischer Besetzung bedroht, suchte sein Heil in scheinbar kluger Bündnispolitik und scheiterte immer wieder damit. Das Volk drohte den Mut sinken zu lassen nach dem Motto „es hat ja doch alles keine  Zweck“. In dieser Situation hält der Prophet ihnen ein Hoffungsbild vor Augen. Er hatte das Volk früher scharf kritisiert. Aber nun hält er ihnen ein Hoffnungsbild vor Augen. Er ist ein Mann Gottes, er vertritt nicht wie die Politiker bloße Durchhalteparolen, die auf menschliche Klugheit bauen. Er lenkt ihre Aufmerksamkeit auf Gottes Handeln. Es ist bemerkenswert, mit welchen „Pinselstrichen“ Jesaja sein Hoffnungsbild zeichnet. Hoffnung resultiert nicht aus dem Vertrauen auf dieses oder jenes taktisch gut eingefädelte Bündnis. Er ruft nicht zum Vertrauen in militärische Macht auf. Bei ihm findet sich der überraschende Satz „durch Stillesein und Hoffen würdet ihre stark sein“ (Jes. 30, 15).
Gegen die Wirklichkeit, wie sie seinen Zuhörern unmittelbar vor Augen steht, zeichnet er ein Vision:
Die felsigen Gebirgskuppen des Libanongebirges sollen fruchtbar werden. Dieses Hoffnungsbild ruft uns ins Gedächtnis, welch überwältigende natürliche Lebenskraft der Schöpfer unserer Erde eingestiftet hat. Uns gilt die Zusage, dass trotz aller Zerstörung und Belastung, trotz aller Grenzen der Endlichkeit und Vergänglichkeit „Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter“ nicht aufhören werden (1. Mose 8, 22). Das Bewahrungshandeln Gottes wird sich gegenüber dem Zerstörungshandeln der Menschen als überlegen erweisen. Diese Hoffnung wird  nicht – wie manche befürchten – dazu führen, dass wir die Hände in den Schoß legen, sondern umgekehrt, dass uns neuer Mut zufließt, unser Handeln am Willen Gottes auszurichten.
Das Leben der Menschen wird von schmerzhaften Einschränkungen eingeengt. Es gibt körperliche Einschränkungen wie Blindheit und Taubheit. Es gibt auch Einschränkungen im sozialen Umfeld: ungerechte Lebensverhältnisse mit tyrannischer Unterdrückung oder Rechtsverdrehung und Lüge. Menschen werden beschämt, sie erhalten nicht das Maß an Anerkennung und Zuneigung, das sie brauchen. Jesaja hält seinen Zuhörern ein Gegenbild vor: Diese Einschränkungen dürfen und werden nicht endgültig sein. Dabei setzt er nicht auf menschliche Klugheit, sondern auf das weltverwandelnde Handeln Gottes[1].
„Denn sie werden sehen die Werke meiner Hände“, spricht der Herr. Wer sich auf die Verheißungen einlässt, für den geraten die Lebensverhältnisse in ein besonderes Licht, sie werden als Werk der göttlichen Hände durchsichtig. Es entsteht ein Vertrauen nicht nur auf diese oder jene förderliche Lebensbedingung, sondern auf Gott selbst, den Ursprung allen Lebens.
Ist solche Hoffnung berechtigt, hat sie Anhalt an der Wirklichkeit oder handelt es sich um eine schöne Illusion? Machen wir mit unseren Hoffnungsbildern nicht doch den Versuch, uns wie Münchhausen selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen?
Ein solches Hoffnungsbild kann eine Illusion sein, es gibt keinen objektiven Beweis für die Stichhaltigkeit. Aber es gibt ermutigende Glaubenserfahrungen mit solchen Hoffnungsbildern und ihrer aufrichtende Kraft:
Zwei Beispiele will ich nennen:
In den Herzen, in den Gewissen der Geschwister Scholl und ihrer Freunde war ein Bild des christlichen Glaubens lebendig, wie die Welt nach Gottes Willen aussehen soll. Die Wirklichkeit entsprach dem nicht, ja sie befand sich in schreiendem Gegensatz dazu. Der Kreis um die Geschwister Scholl hat dieses Bild festgehalten und es unerschrocken und mutig ausgesprochen, demonstrativ darauf hingewiesen, sich auch durch Drohungen nicht abschrecken lassen. Die Wahrheit dieses Hoffnungsbildes war ihnen wichtiger als ihr Leben. Sie haben an dem Bild festgehalten bis in den Tod. Sie waren davon überzeugt: In diesem Bild ist mehr Wahrheit als in der zu ihrer Zeit übermächtigen Gewalt einer Herrschaft, die sich tausendjährig nannte. In Wirklichkeit dauerte sie zwölf Jahre, und statt ein Reich aufzurichten, legte sie die halbe Welt in Schutt und Asche.
Das zweite Beispiel. Vor einigen Wochen ging eine Nachricht durch die Presse: Der Sohn eines Palästinensers wurde von israelischen Soldaten getötet. Der Vater hat trotz seines unendlichen Schmerzes die Organe seines getöteten Sohnes für eine Organtransplantation freigegeben auch zugunsten eines israelischen Kindes. Hass und Rache, Verzweiflung und Depression wären verständlich gewesen, wer hätte das dem Vater vorwerfen können? Dieser Vater aber hatte offensichtlich ein starkes inneres Bild davon, wie die Welt nach dem Willen des Allerhöchsten sein soll. Und dieses Bild hat ihm die schier übermenschliche Kraft gegeben, andere Gefühle zurückzudrängen und der Liebe Raum zu geben. Er hat wahrgemacht, was uns die Jahreslosung dieses Jahres einschärft – wirklich überwunden werden kann das Böse nur mit Gutem.
Die Bilder des 11. September 2001 stehen uns auch nach 10 Jahren noch deutlich und erschreckend vor Augen. Und wir spüren: Solange wir noch im Bann dieser schrecklichen Bilder stehen, wird es uns kaum gelingen, Frieden und Versöhnung eine neue Chance zu geben. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt kann nur unterbrochen werden, wenn das innere Bild von Versöhnung in unseren Herzen Macht gewinnt.
Es gibt Bilder der Hoffnung, Bilder, wie das Leben der Menschen nach Gottes Willen sein soll, und diese Bilder haben eine realitätsverändernde Kraft, wenn wir sie in unser Herz und Gewissen einlassen.
Dann kann es geschehen, dass ein geknicktes Rohr doch nicht völlig zerbricht, und ein Docht, der nur noch ein wenig glimmt, nicht völlig erlischt (Jes. 42,3), sondern das Dunkel mit seiner schwachen Kraft weiter erhellt.
Und wir werden sein wie die Träumenden, erlöst aus unseren Gefangenschaften, und unsere Zunge wird voll Rühmens sein (Ps: 126,1f). Amen.

  
  
    [1] Vgl. Gottfried Voigt, Die geliebte Welt. Homiletische Auslegung der Predigttexte. Reihe III, Göttingen 1980,  S. 360.
Perikope
11.09.2011
29,17