Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.
Die Welt verläuft in geregelten Bahnen als Dietrich Bonhoeffer 1906 in Breslau zur Welt kommt. Alles hat seine Ordnung. Preußisch und pflichtbewusst gestaltet die Familie ihren Alltag. Pflegt die Traditionen. Dazu gehören auch die Familienfeiern an den großen Feiertagen. Die Kinder zählen gerne die Tage bis zum nächsten großen Fest. Freuen sich auf die festliche gedeckte Tafel. Das gute Essen. Das Beisammensein.
Über die Jahre begehen die Bonhoeffers alle Feste und vielleicht stehen zu Ostern auch gelbe Tulpen in einer Vase auf dem großen, sechseckigen Tisch, um den sich die Familie zu versammeln pflegt. Die kleinen Frühlingsboten bilden einen schönen Kontrast zu der weißen Tischdecke und sie weisen voraus auf das was noch kommt. Das Gute. Das Licht.
Die ewige Ordnung ist gestört.
Auch über die Kriegsjahre hinweg pflegt die Familie diese Tradition. Als Dietrich Bonhoeffer später ins Gefängnis kommt, weil er sich aktiv im Widerstand gegen Hitler engagiert hat, helfen ihm die Erinnerungen an diese Zusammenkünfte.
Es fällt Bonhoeffer nicht leicht, von der Familie getrennt zu sein. Auch wenn Familie für ihn immer schon mehr war als nur Vater, Mutter und die Geschwister. Zur Familie gehören für Dietrich Bonhoeffer nicht nur die Blutsverwandten. Aber die gemeinsamen Feste nehmen in seinen Erinnerungen einen besonderen Platz ein.
Weiß ist die gute Tischdecke auf dem sechseckigen Tisch, um den sich die Familie versammelt. Weiß ist auch die Farbe dieses Abends. In der Kirche und ihrer Liturgie steht weiß für Licht und Reinheit. Aber der heutige Gründonnerstag wird nicht rein weiß bleiben. Auch auf dem Weiß dieses Tages gibt es Flecken. Spuren von Menschen. Verrat liegt in der Luft.
Der Abend bleibt nicht makellos.
Weiße Tischdecken.
Die meiste Zeit des Jahres liegt die weiße Tischdecke wahrscheinlich gestärkt in einer Schublade, aber an hohen Feiertagen ist sie Pflicht.
Und wenn man genauer hinsieht, sieht man hier und da auf der Tischdecke auch Soßenspritzer oder einen alten Rotkrautfleck. Kleine Ausrutscher. Verblasst, aber noch zu sehen.
Die Tischdecke ist nicht makellos.
Keine der Tischdecken, die ich kenne, hat im Laufe ihrer Nutzung nicht auch Spuren davongetragen. Fast so, wie die Menschen, die sich immer wieder um den Tisch herum versammeln, auf dem sie liegt. Wir kennen Ärger und Liebe. Sind schon mal verletzt worden und haben selber schon andere verletzt.
Jede Gemeinschaft ist zerbrechlich.
Zerbrechlich, weil sie gefährdet ist. Im Mittelpunkt des Gründonnerstags steht das gemeinsame Mahl. Die Israeliten nehmen es an dem Abend ein bevor sie aus der Sklaverei fliehen.
Jesus und seine Jünger nehmen es ein an dem Abend bevor er stirbt.
Es ist jedes Mal ein widersprüchlicher Augenblick. So wie die Farbe weiß für diesen Abend. Der Abschied steht kurz bevor, der Tod Jesu ist längst beschlossen. Es gibt kein Entrinnen. Keine Flucht.
Heute ist es noch ein weißer Abend, aber schon morgen hängt hier schwarz. Leben und Licht vor dem Leiden und der Dunkelheit. Das Problem Dietrich Bonhoeffers war nie die Frage, wie zuverlässig Gott ist. Für ihn ist klar, Gott ist mit ihm.
Und die Erinnerungen an die Tischgemeinschaft der Familie tragen ihn durch die Dunkelheit hindurch.
Dieses innere Erbe stärkt ihn, hilft ihm auszuhalten. In einem Brief an die Eltern schreibt er: „Das Bewusstsein, von einer geistigen Überlieferung getragen zu sein, die durch Jahrhunderte reicht, gibt einem, allen Bedrängnissen gegenüber, das sichere Gefühl, geborgen zu sein. Ich glaube, wer sich im Besitz solcher Kraftreserven weiß, braucht sich auch weicherer Gefühle nicht zu schämen. […] Gott behüte uns: in großer Dankbarkeit und Liebe seid herzlich gegrüßt!“
Der heutige Abend ist ein Schutzraum. Allen Bedrängnissen zum Trotz. Gemeinsam Essen, gemeinsam trinken. Zusammen sein. Mit allen Kränkungen beieinandersitzen.
Sich mit der eigenen Angst, mit meinen Sorgen gut aufgehoben fühlen in dieser Runde.
Und mittendrin Jesus, der sich weigert zu hassen. Bis zum Ende wird er Vergebung und die Bereitschaft zu verzeihen durchbuchstabieren.
Er weiß, was kommt. Er hat auch Enttäuschungen erlebt, zuletzt die schlafenden Freunde im Garten, wenn er ihren Beistand am nötigsten gebraucht hätte. Er ahnt den bevorstehenden Verrat des Judas, weiß um das Einknicken des Petrus, der lieber seine eigene Haut retten will.
Der heutige Abend ist ein Schutzraum. Ein inneres Erbe, wie Bonhoeffer schreibt. Denn im Angesicht der Dunkelheit steht eine andere Macht neben uns. Gott.
AMEN.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Besucherzahlen am Gründonnerstag sind rückläufig. Seit ein paar Jahren stagnieren sie. Es kommt „die Kerngemeinde“. Bunt gemischt. Die Witwe, deren Mann ich beerdigt habe, ein paar Konfis, Vertreterinnen und Vertreter aus der kommunalen Politik. Kon-firmierte. Alles in allem sehr unterschiedlich, aber alle gemeinsam auf der Suche nach Trost und Halt „in Bedrängnis, Not und Ängsten.“
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild des Schutzraumes am Tisch an diesem Abend. Und die Vorlage von
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gott hält die Ordnung aufrecht. Er ist da, ganz egal, wo ich bin. Gott ist ein „inneres Erbe“ das gemeinsame Mahl ist ein Schutzraum.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Konzentration auf ein gutes Bild: Schutzraum.