Wie Eisen zum Stahl wird: Aufnehmen und Entschlacken - Predigt zu Hebräer 10, 35-39 von Ulrich Kappes
10,35-39

Wie Eisen zum Stahl wird: Aufnehmen und Entschlacken - Predigt zu Hebräer 10, 35-39 von Ulrich Kappes

Wie Eisen zum Stahl wird: Aufnehmen und Entschlacken

Viele Texte im Neuen Testament wenden sich an Christinnen und Christen, die kurz zuvor vom Heidentum bekehrt wurden. Der Hebräerbrief richtet sich an Menschen, die lange schon Christen waren, aber wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Hier, bei den Adressaten des Hebräerbriefes, treffen wir auf Menschen, deren Eltern schon Christinnen und Christen waren und dafür mit ihren Kindern büßen mussten.

Diese „Hebräer“ haben, so ist zu lesen, „den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet“. (10,34) Was waren das für einzigartige Glaubenszeugen! Sie wurden danach, wie es wiederum heißt, zu Pilgern „ohne bleibende Stadt“ (13,14) Ungeachtet dessen haben sie in der Fremde neue Gemeinden gegründet. Die Tragik war, dass sich Müdigkeit im „Besuch der Versammlungen“ breit machte, ja sie „verlassen“ wurden (10,35). Der Glaube schwand zusehends in ihren Reihen. Ihnen wird im heutigen Abschnitt des Briefes an gesagt:

Werdet fest im Glauben!

Bewahrt die Zuversicht und es begleite euch die Geduld!

Zunächst: Werdet fest im Glauben!

Im Mittelpunkt des Briefabschnittes steht ein Zitat aus dem Buch des Propheten Habakuk: „Mein Gerechter“, so spricht Gott, „wird aus Glauben leben“. (Habakuk 2,4)

Voran geht diesem Satz ein anderer: „Wer hochmütig ist, ist nicht recht (beschaffen) in seiner Seele.“ Das Gegenstück zum Hochmütigen ist „der Gerechte“. Er lebt „aus Glauben in Glauben“.

Das hebräische Tätigkeitswort „glauben“ kann man mit den Worten „fest sein“ oder „fest werden“ übersetzen.1 Gottes „Gerechter“ ist der, der darum ringt „fest zu sein“ oder „fest zu werden“, darin fest zu sein, bei seinem Gott zu bleiben.

Wie wird man im Glauben fester und gewisser?

Ich meine, dass es dazu zweierlei bedarf.

Glauben ist nicht einfach „zu machen“ und zum Glauben kann man sich nicht entschließen. Darin entzieht er sich. Das ist seine eigentliche und wichtigste Seite. „Fest zu sein“ und „fest zu werden“  ist nicht Ergebnis einer Selbstaufforderung. Wir können uns Festigkeit im Glauben im Wesentlichen nur schenken lassen und diese Festigkeit im Gebet erbitten. Das macht Glauben zu einer eigenen Art zu leben. Es ist das Erste, was zu sagen ist.

Um fest zu bleiben, d.h. nicht wankelmütig und labil zu werden, bedarf es als Zweitem einer ständigen Arbeit und Auseinandersetzung. Der Glaube wird angegriffen und diese Angriffe müssen abgewehrt werden.

Es sind die Zweifel, ob es Gott überhaupt gibt. Es ist die Frage, warum Gott soviel Unglück zulassen kann. Es ist das Problem, ob es nicht viel einfacher und geradliniger ist, ohne Gott zu leben. Es ist das Gefühl, allein zu sein, allein zu glauben in der Welt, in der wir leben.

Die zweite Weise, Glauben zu festigen, ist die anhaltende Auseinandersetzung. Was sagt die Schrift? Was höre ich in mir und von anderen dafür oder dagegen? Wie ernst sind die Einsprüche gegen den Glauben? Wer ist es, der sie vorträgt? Sind es ehrliche oder nur provokative Fragen? Glauben hängt, so das Zweite (ich wiederhole) mit Arbeit, täglicher Arbeit zusammen.

In Delhi steht eine Eisensäule mit einem Alter von 1600 Jahren. Sie ragt ca. sechs Meter über den Boden, hat einen Durchmesser von 42 cm, der sich nach oben auf 30 cm verjüngt. An ihrer Spitze befindet sich ein sehr schöner Knauf von ca. einem Meter Länge, der in mehrfache Ringe eingeteilt ist. Die oberste Spitze enthält das wichtigste Symbol der indischen Religion, das Rad, und eine kleine Figur. Die Oberfläche der Säule ist seidenmatt.

Zu ihr gehört die Sage, dass derjenige, der sie mit seinen Händen nach hinten umfasst und es schafft, dass sich seine Fingerspitzen berühren, nun im Leben Glück haben wird.

Über der Säule schwebt das Geheimnis, warum sie trotz ihres Alters von 1600 Jahren nicht rostet.

Ohne das Geheimnis lüften zu wollen oder zu können, lässt sich so viel sagen:

Die Schmiede, die sie einst herstellten, mussten den Stahl sehr stark erhitzt haben, damit er Kohlenstoff aufnimmt. Erst der Kohlenstoff macht den Stahl hart. Sie mussten  zum anderen mit allen Methoden, die sie kannten, Verunreinigung aus dem Stahl entfernt haben, vor allem Schwefel und Schlacke mussten entfernt werden. Verunreinigungen machen den Stahl weich und rostanfällig. So ist Eisen im Feuer: es empfängt und nimmt auf und muss gleichzeitig entschlackt und gereinigt werden. 2

Die Säule in Delhi ist – jetzt mache ich einen Sprung – aus meiner Sicht ein Gleichnis zur Erlangung von Festigkeit im Glauben. Wie werden wir fester, gewisser und stärker im Glauben?

Wie das Eisen der Säule im Schmiedefeuer den „edlen“ Kohlenstoff in sich aufnahm und sich so veränderte, können die Christin und der Christ durch „Umkehr und Ruhe, Stillhalten und Vertrauen (Jes. 30,15) Festigkeit „von oben“ in sich aufnehmen. Das Gebet um das „Edle“ und das Wissen, darauf keinen Anspruch zu haben, stehen am Anfang.

Wie die indischen Schmiede zum anderen einst bei dem Eisen der Säule, Verunreinigungen entfernt haben, wie sie mit verschiedenen Verfahren weichmachende Elemente ausgemerzt haben, heißt das Streben nach Festigkeit im Glauben, sich mit Themen und Fragen auseinander zu setzen, die den Glauben gefährden oder zerstören. Mit der Vernunft des Glaubens ist abzuwehren und zu bekämpfen, was den Glauben schwach machen will. Das ist nicht wenig. Das kostet Mühe und verlangt Wachheit.

Als Zweites wird uns im Predigttext gesagt: Bewahrt die Zuversicht!

Der Hebräerbrief ist voll von Bildern und Gleichnissen aus dem Leben des Volkes Israel. Im Zusammenhang mit der Thematik des Bundesschlusses mit Israel wird im 8. Kapitel das Bild vom Gottesvolk, das durch die Wüste wandert, assoziiert.

Bewahrt die Zuversicht! Vor dem Hintergrund der Wüstenwanderung heißt das:

Bewahrt die Zuversicht, auch wenn euch euer Leben wie ein Weg durch die Wüste erscheint.

Wüste: das ist von Schlangen gebissen zu werden.

Wüste ist Durst, Durst nach Wasser und damit Durst nach Leben.

Wüste ist Hitze und damit Qual.

Wüste, das ist zu unterscheiden zwischen dem, was real vor Augen ist und dem, was eine Fata Morgana vorgaukelt.

Bewahrt die Zuversicht, dass ihr den Weg zum Ziel schafft!

Haben wir Zuversicht in Blick auf die Zukunft unserer Kirche? Was wird sein, wenn alle, die jetzt oberhalb der 70 sind und durch ihren Einsatz eine breite Basis des Gemeindelebens erstellen, nicht mehr sind? „Und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“ – Muss die Kirche überhaupt von den „Pforten der Hölle“ überwältigt werden, weil sie doch von selber auszusterben scheint?

Haben wir Zuversicht, dass unsere Familien zusammen bleiben, auch wenn sie, wie heute vielfach gang und gäbe, weit verstreut, wenn nicht in verschiedenen Ländern leben? Haben wir Zuversicht, dass Kinder und Enkel Christen bleiben?

Haben wir Zuversicht, dass die Kirche inmitten des Flüchtlingsdramas dieser Tage ihre Rolle findet? Wird sie die Weisheit besitzen, aus ihren Wurzeln und von ihren Texten her, zu einer vernunftgeleiteten Nächstenliebe zu motivieren?

Bewahrt die Zuversicht! Der Verfasser setzt diesen Aufruf mit den Worten fort: „weil das eine große Belohung hat.“ Sozusagen als Dublette heißt es einen Vers später: „Geduld aber habt ihr nötig, damit … ihr das Verheißene empfangt.“

Wir wollen das nicht überlesen und überspringen. In diesen Worten liegt die theologische Herausforderung des Textes an uns. Der Apostel wagt sich auf ein schwieriges Terrain. Ein falscher Satz und alle Verse des Predigtabschnitten werden missverstanden.

„Bewahrt die Zuversicht, weil das eine große Belohnung hat …

Geduld aber habt ihr nötig, damit … ihr das Verheißene empfangt!“

Was heißt das? Fällt der Verfasser des Hebräerbriefes hinter Paulus zurück? Wir erinnern uns an Luthers große Entdeckung aus dem Römerbrief: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch Glauben.“ Gilt  nun doch und im Gegenteil „wenn … dann“ oder „wenn nicht … dann nicht“ im Hebräerbrief? Haben wir etwas zu „leisten“ und dafür gibt es die ausstehende Belohnung? Ist das die Botschaft dieses Sonntages?

Es gilt, genau hinzuhören. Es heißt: „Bewahrt die Zuversicht, weil das eine große Belohnung hat.“ Es geht nicht um eine konkrete Belohnung für ein konkretes Verhalten, sondern um etwas Einzigartiges und Großes. Gemeint ist, dass Gott vor unser Leben ein großes Ziel hingestellt hat, das es zu erreichen gilt. Der Mensch hat wie bei Paulus und in den Gleichnissen Jesu keinen Rechtsanspruch auf eine Belohnung. Er läuft aber einem großen Ziel entgegen, das er vor Augen haben soll, das er sich verdienen soll, ohne dass er es einklagen könnte.3

Diese „große Belohnung“, dieses (große) Verheißene ist nach dem Hebräerbrief eine einzigartige Ruhe, in die Gott die Seinen eingehen lässt. (4, 1–11; 6,12 u. ö.) Sie ist etwas Unbeschreibliches. Das Wort „Erquickung“, die Jesus den Mühseligen und Beladenen verheißt, ist in dieser „Ruhe“ enthalten. So spreche ich die Worte um:

Bewahrt die Zuversicht und es begleite euch die Geduld, dass ihr immer das große, schöne Ziel vor Augen habt, mit dem Gott die Seinen belohnen wird! Dieses Ziel unverrückbar vor Augen zu haben, soll – und das ist die Absicht des Verfassers – zur Kraftquelle für Zuversicht und Geduld werden.

Menschen, die Zuversicht und gleichzeitig Geduld haben, sind ein Geschenk. Sie tragen etwas von der Ruhe in sich, die ihnen einmal gegeben wird. Ein Hauch von Sicherheit und Gelassenheit gehört zu ihnen. Sie schaffen ihr Tagwerk und ihr Leben, gehen fest und klar, Schritt um Schritt durch ihren Alltag bis zum Ende ihrer Tage.

Möge dieser Funke zu einem Leben in einer umfassenden Zuversicht und einer ungebrochenen Geduld aus den Worten des Hebräerbriefes auf uns überspringen.

I1I Cf. Gesenius 1959, aman, S. 28. 5.

I2I C.J. Smithells und A. Hessenbruch, Beimengungen und Verunreinigungen in Metallen. Ihr Einfluß auf Gefüge und Eigenschaften, Berlin, Heidelberg, Göttingen 1931, digital als pdf, S.225: „Die Anwesenheit von Verunreinigungen hat … einen wichtigen Einfluß und in der Tat findet man, daß die reineren Eisenformen … am widerstandsfähigsten gegen Korrosion sind.“ – Hier wurde auch der Hinweis auf die „Eiserne Säule“ in Dehli auf S. 227 gegeben.

I3I Erich Gräßer, An die Hebräer, Zürich, Neukirchen-Vluynn1997, S. 72: „Ein Beweggrund für die Einführung des Lohnmotivs kann für unseren Verf. ausgeschlossen werden.“ Er „macht den Verdienstgedanken keineswegs im Sinne eines Rechtsanspruches geltend.“