Woraus die Krone eines Menschen besteht – Predigt zu Offenbarung 3,7-11 von Ulrich Kappes
3,7-11

Woraus die Krone eines Menschen besteht – Predigt zu Offenbarung 3,7-11 von Ulrich Kappes

Woraus die Krone eines Menschen besteht

Mit 1700 Kilometern pro Stunde rotiert die Erde um sich selbst. Zugleich rast sie mit 29,8 km pro Sekunde um die Sonne, die ihrerseits mit 275 km pro Sekunde um den Mittelpunkt der Milchstraße jagt. I1I Es würde eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes nach sich ziehen, wenn es hier auch nur geringste Abweichungen gäbe.
Sind diese Geschwindigkeiten sicher? Ist die Möglichkeit einer kosmischen Katastrophe abwegig oder müssen nachdenkliche Menschen mit ihr leben können?
Diese Frage wurde im Verlauf der Menschheitsgeschichte bis heute unterschiedlich beantwortet.
Die Texte von Epistel und Evangelium richteten sich an Menschen, die  mit einem nahen Weltende und einem katastrophalen Weltuntergang rechneten.
Es ist der zweite Adventssonntag. Wir hätten gern etwas Besinnliches dazu gehört. Und nun dieses Worte.
Seit Jahrhunderten ist es  in der Christenheit aber so, dass wir uns in den Gottesdiensten im Advent  nicht allein an das Kommen des Gottessohnes in Bethlehem erinnern, sondern auch  sein künftiges Kommen „am Ende der Tage“ bedenken. Besonders der 2. und 3. Advent haben diesen Schwerpunkt. Versuchen wir,  uns dafür zu öffnen.

Text:
7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe:
Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der die Schlüssel Davids hat, der öffnet und niemand wird zuschließen und der verschließt und niemand öffnet.
8 Ich kenne deine Taten – siehe, ich habe dir eine Tür geöffnet, welche niemand verschließen kann. Du hast eine geringe Kraft und hast (dennoch) mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet.
9 Siehe, ich füge es so: aus der Synagoge des Satans, von den Leuten, die sich Juden nennen, aber es nicht sind, sondern lügen - siehe ich füge es so, dass sie kommen und vor deinen Füßen niederfallen werden, weil sie erkannt haben, dass ich dich geliebt habe.
10 Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast, werde auch ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren, die über die ganze Erde kommen wird, zu versuchen die Bewohner der Erde.
11 Siehe, ich komme bald, halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme. (Übersetzung: U.K.)

Sieben sogenannte „Sendschreiben“ gibt es im Buch der Offenbarung. Ein Apostel namens Johannes (der ein anderer ist als der Jünger Johannes) hatte in Kleinasien, auf dem Gebiet der heutigen Türkei, sieben Gemeinden gegründet. An sie schrieb er „Sendschreiben“  während seiner Verbannung auf die Insel Patmos. I2I  In ihnen gibt er wieder, was er als Worte des Herrn, des „Heiligen und Wahrhaftigen“, hörte. Heute geht es um das Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia.

Beginnen wir mit einer Passage aus dem Mittelteil des Textes, die uns wohl am meisten befremdet.
„Siehe, ich füge es so: aus der Synagoge des Satans, von den Leuten, die sich Juden nennen, aber es nicht sind, sondern lügen,  - siehe ich füge es so, dass sie kommen und sich vor dir niederwerfen …“
Was ist gemeint?
Es hat in der antiken Stadt Philadelphia Juden gegeben. Dabei ist zwischen den wahren Juden und solchen, die sich „Juden nannten“, zu unterscheiden. Was taten die, die sich nur „Juden nannten“ und zur „Synagoge des Satans“ gezählt wurden?
Der Text selbst sagt es nicht. Möglicherweise erklärten sie, wie einst Saulus, die Christen zu Feinden, die man nur verfolgen und töten könnte. Denkbar ist, dass sie dabei einen kalt administrativen Weg einschlugen und daraufhin arbeiteten,  Christen aus der Synagogengemeinde auszuschließen. Da im römischen Reich, wozu Philadelphia zählte, der Kaiser nur mit den Synagogengemeinden Staatsverträge abgeschlossen hatte, bedeutete der Verlust der Mitgliedschaft in einer solchen Synagogengemeinde Rechtlosigkeit. Die Entlassenen waren vogelfrei. Sie waren ein Nichts.
Zu beachten und festzuhalten ist: Die Kesseltreiber der Feindschaft gegenüber den Christen waren nicht „die Juden“, sondern solche, die sich „Juden nannten“. Ein wirklicher Jude handelt so nicht. Für ihn gilt, was 3. Mose 19,18 steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ I3I

Ein Zweites:
Jedes Sendschreiben, so auch das uns vorliegende nach Philadelphia, beginnt mit den Worten: „Dem Engel der Gemeinde schreibe.“
Wer oder was ist der „Engel“?
Einige Ausleger sagen, dass damit der Gemeindevorsteher gemeint sei. Dagegen spricht, dass es der Bibel fremd ist, einen Menschen  als „Engel“ zu bezeichnen. Da es sich in jedem Sendschreiben entweder um sehr irdisches Lob oder eine zum Teil vernichtende Kritik handelt, kann der Engel auch nicht ein geistlicher Lehrer oder Heiliger gewesen sein.
Am überzeugendsten finde ich die Auslegung, wonach der „Engel“ für die gesamte Gemeinde steht, die Gemeinde also als solche im Bild des Engels beschrieben wird.

Wie ist das gemeint, eine Gemeinde soll sich wie einen „Engel“ sehen und verstehen.
Ein Engel steht vor Gott. Er betet ihn an. Er empfängt eine Anweisung und führt sie aus.
Ein Engel ist kein Mensch. Wie er ist und was er ist, lässt sich nicht definieren.
„Dem Engel der Gemeinde schreibe.“
Eine Gemeinde ist keine Versammlung von Vereinsmitgliedern.
Wie sie ist und was sie ist, lässt sich nicht mit menschlichen Worten definieren. Es gibt sie, weil Gott sie will. Ihre ganze Wesensart ist darin begründet. Wer ihre Versammlungen besucht, vernimmt keine vernunftlosen Worte, aber, was hier gesagt wird, kann menschliche Logik und menschliche Vernunft letztlich nicht ergründen.
Insofern ist eine Gemeinde etwas Fremdartiges in der Welt. Eine Gemeinde ist mit ihrer Predigt, ihrem Gotteslob und dem heiligen Mahl ebenso wenig von der Welt wie ein Engel.

Ein drittes.
Christus sagt zu seiner Gemeinde:
„Siehe, ich habe dir eine Tür geöffnet, welche niemand verschließen kann.“
„Ich habe dir eine Tür geöffnet.“
Halten wir als Gemeinde und als einzelne einen Moment inne und fragen uns, ob es auch in unserem Leben hier und da eine offene Tür gab, da wir dachten, es sei alles verschlossen. Wie sich der kleinasiatischen Gemeinde immer wieder eine Tür auftat und es weiter ging, so werden auch wir gefragt, ob wir uns an Zeiten erinnern, da Gott eine verschlossene Tür für uns öffnete. I4I

War es die Tür zu einem guten Arzt, die sich auftat?
Fand ich einen Freund, einen wirklichen Freund, der ein Ohr für mich hatte und es gab ein gutes Gespräch, wonach ich es nicht mehr ausweglos war?
Ich las in einem Buch, was ein Menschen in einer vergleichbaren Situation dachte und so fand auch ich einen Weg aus dem Gefängnis
„Ich habe dir eine Tür geöffnet.“
‚Erinnere dich als Gesamtheit der Gemeinde und als einzelner, dass und wie ich  in deinem Leben gegenwärtig war. Ich war greifbar in deinem Leben da. – Sollte das nicht künftig auch geschehen und Zuversicht geben?

Schließlich ein Viertes.
„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast, werde auch ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren …“ I5I
„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast …“
Andere Übersetzungen lauten:
„Weil du das Wort vom standhaften Warten auf mich bewahrt hast …“ (Hermann Menge)
Oder:
„Weil du das Wort vom Harren auf mich bewahrt hast …“ (Jerusalemer Bibel)
Was ist der Gemeinde aufgegeben?
Das Schriftwort heute am 2. Advent ruft uns auf, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein“. „Immer“ oder „standhaft“ oder ‚ohne Unterbrechung’.
Jedem von uns wird unablässig gesagt, was helfen kann. Es gibt ungezählte Worte und gut gemeinte Ratschläge.
Keine Tages, - keine Wochenzeitung, die nicht Hinweise und Tipps zu einem sinnvollen und glücklichen Leben enthält.
Eine unübersehbare Menge an Theaterstücken, Romanen und Filmen wollen beitragen, das Leben zu bestehen. Kunst und Philosophie sind dazu da, uns das Leben zu erklären und die Zeit, die uns gegeben ist, sinnvoll zu gestalten.
Wer wollte das bestreiten?
Das Schriftwort heute am 2. Advent ruft uns auf, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein“.
Was heißt das? Ich versuche es mit einem Bild zu sagen, das oft in Predigten verwendet wird.
Wer mit einem Segelschiff auf hoher See fährt, schaut zu den Sternen, weil sie ihm die Richtung anzeigen. Er beachtet den Wind und wie sein Boot im Wind liegt. Die Sonne ist es, die ihm die Richtung der Segelfahrt im Groben vorgibt. Er unterlässt es auch nicht, die Strömung des Meeres zu beachten. Das ist gut und richtig.
Entscheidend aber ist sein Kompass. So wichtig der Stand der Sterne und der Sonne auch ist, so erforderlich eine Kenntnis der Meeresströmung und der Windrichtung ist, entscheidend für seinen Kurs ist der Kompass. Ihm hat er sich immer von neuem zuzuwenden. Er gibt die Richtung vor. Er korrigiert. Ohne ihn würde er den Kurs verlieren.
Nach jedem Windstoß muss er sein Boot nach seinem Kompass ausrichten. Schlagen Wellen über sein Boot, so weiß er, dass er vor allem den Kompass retten muss. Er ist sein ein und alles.

Das Wort aus der Offenbarung des Johannes ruft uns auf, wie ein Bootslenker zu seinem Kompass immer wieder zu Christus zurück zu kehren, „immer auf Christus ausgerichtet zu sein …“
Es kann ein Kreuz an der Wand sein, das mich anhält, am Morgen für den kommenden Tag zu beten. Eine Kerze kann ich entzünden, wenn ich ihn bitte, dass ich Licht in die Welt trage und keine Finsternis verbreite. Ich kann an das Bild denken, dass ich im Inneren von Christus habe und das mich anhält, Friedensstifter zu sein.

„Weil du das Wort, immer auf mich ausgerichtet zu sein, bewahrt hast …“,  so heißt es, werde ich dich in der Stunde der Versuchung bewahren.’

Die immer neue Ausrichtung auf Christus bedeutet, dass Christus mir in der Folge davon etwas übereignet, das ich nicht in mir selbst trage.
Darum ist die immer erneute Ausrichtung auf Christus nicht Erfüllung einer  Moral, sondern dient dazu, mir eine Zuversicht zu geben,  ein Mensch des Widerstandes gegen die Versuchung zu werden.

Der  Text schließt mit den Worten: „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“
Welche Krone?
Nach allem, was wir bis jetzt sagten, kann es nur heißen: Unsere Krone, das Wertvollste, was wir in den Händen halten, ist, auf Christus ausgerichtet zu bleiben … und dann zu glauben, was er verheißen hat: Ich komme in dein Leben, wenn die Stunde der Versuchung kommt. Es gibt meinen Advent in deinem Leben. Mein Advent ist deine Rettung.

I1I Nach Kurt Marti, Die Psalmen. Annäherungen, Stuttgart 2004, S. 132.
I2I Übernommen aus Akira Satake, Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2008, S. 47.
I3I Vgl. dazu Klaus-Peter Hertzsch, Pred. med. z. Stelle, in: Göttinger Predigtmeditationen, 56.Jg., 2001/2002, Göttingen 2002, 12-17, S. 15: „Aber obwohl ihre Gegner … als Satansschule bezeichnet werden, geht es hier nicht um Antisemitismus. Nein, wird hier gesagt, so handeln Juden nicht. Wenn sie sich als Juden bezeichnen, eignen sie sich diesen Ehrennamen fälschlich an.“
Ebenso Klaus Berger, Pred.med. z. St., in: Calwer Predigthilfen, 1.Halbband, Reihe VI,1, Stuttgart 1995, 19-16, S. 22: „Es geht daher nicht … um das ‚Judentum’, sondern nur um bestimmte, angepasste oder mit der heidnischen Obrigkeit … kollaborierende Juden.“
I4I A. Satake, a.a.O., S. 182, schreibt, dass die „Aussage ‚ich gab vor dir eine geöffnete Tür’ … darin einzigartig (ist), dass sie auf eine schon vollzogene Einzelgnadentat Christi hinweist; in den übrigen Sendschreiben wird von der Gnade Christi nur in Form von Verheißung gesprochen.“
I5I Luthers Übersetzung von hypomone mit „Wort von der Geduld“ kann missverstanden werden. Im gesamten Artikel zu hypomone von Friedrich Hauck, in: ThWB 4, Stuttgart 1942, 585-593, wird hyponome nicht ein einziges Mal mit „Geduld“ übersetzt.