Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde,
Es war der dritte Sonntag im August, da kam sie in die Kapelle des Krankenhauses. Sie wollte zu IHM. Seit dem Umfall, damals vor einigen Monaten, lag eine Zeit voller Höhen und Tiefen hinter ihr. Es war ein Unfall, der sie aus dem vollen Leben gerissen hatte, aus der Aktivität zwischen Beruf, Familie und den anderen eigenen Interessen, vor allem der Musik, ihrer geliebten Chormusik. In der Musik fühlte sie sich getragen, ja geborgen, gehalten im Alltag und in den Widersprüchen des Lebens. Der gute Wille Gottes für das Leben, er klang für sie durch die verschiedenen Melodien und Töne hindurch.
Und dann kam der Unfall. Und alles wurde still. Keine Melodie war mehr zu hören, kein Getragen sein zu spüren. Es war eine Durststrecke, die folgte unterbrochen durch Operationen und Therapien, voller Hoffnungen und immer wieder mit Enttäuschungen. Ja, es ist wie eine Wüstenwanderung, diese Zeit der Krankheit. Vielleicht immer mal wieder unterbrochen. Therapiepausen und Zeit mit der Familie, der Genuss von frischer Luft und Sonne auf der Haut, sind wie ein Rastplatz in der Wüste – vielleicht erklingt in solchen Momenten sogar ganz fein und leise eine vertraute Melodie, aber dann geht es weiter mit der unendlich anstrengenden Wanderung durch die Wüste. Immer wieder denkt sie an das Leben vor dem Unfall. Alles erscheint so unendlich leicht gewesen zu sein. Leben halt, selbstverständlich mit den normalen Höhen und Tiefen des Alltags. Ja, sie war all die Jahre getragen und geschützt, ja beschützt gewesen.
Und jetzt, jetzt war Wüstenzeit. Wo war sie hin, die Musik, die sie früher getragen hatte? Die Zuversicht, die sie daraus mitnahm, dass dieser Gott dem Leben einen guten höheren Sinn gibt? Wo?
Sie machte sich auf an diesem Sonntag, und nahm den langen Weg durch das Krankenhaus bis zur Kapelle auf sich. Für eine, die kaum Laufen kann, und wenn dann nur mit Schmerzen, ein Stück mehr Wüstenwanderung. Fand sie ihn hier? Sprach er hier zu ihr? Im Wort? In der Musik?
Fast drei Monate war er mit seinem Volk schon unterwegs, dann kam der Tag als sie in der Wüste Sinai ankamen. Er und das Volk brauchten eine Pause. Und vor allem brauchte Mose irgendein Wort von IHM, dem Gott Abrahams und Jakobs, der ihm dies alles eingebrockt, ja zugemutet und zugetraut hatte. So lange schon wanderten sie durch die Wüste. Anfangs war da die Begeisterung, die Freude das alte Leben endlich hinter sich zu lassen. Die schwere Arbeit, die Knechtschaft in Ägypten lag nun hinter ihnen, vor ihnen lag die lang ersehnte große Freiheit. Gott versprach ihnen das gelobte Land – und er, Mose, sollte sie dahin führen. Was für eine Verheißung! Was für ein Gott, der sich so zu seinem Volk bekennt, der Mose dies zutraut.
Er war nicht leicht, der Schritt in die Freiheit. So leicht wollte der Pharao sie nicht gehen lassen. Aber Gott war bei Mose, wirkte durch ihn und schließlich waren sie frei, konnten sogar trockenen Fußes das Schilfmeer durchqueren. Ja, Gott hatte sie bewahrt, geführt – hatte sie wie auf Adlerflügeln sicher getragen.
Doch dann wurde es schwer und mühsam. Sie waren in der Wüste angekommen. Das Volk murrte und sehnte sich zurück an die Fleischtöpfe Ägyptens. Und Mose, gerade war er noch angesehen, inzwischen beschimpften sie ihn und wollten nicht mehr weiter. Wo war er, der Gott, der Mose damals im brennenden Dornbusch erschienen war, der ihn berufen hatte? Mose brauchte ein Wort von ihm. Brauchte neue Kraft. Eine Bestätigung, dass das alles so richtig war. Und Mose stieg an diesem Tag hinauf auf den Berg zu Gott.
Und der Herr rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.
Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein. Das sind die Worte, die du den Israeliten sagen sollst. (2. Mose 19, 3-6).
Mose hört Ihn – das lesen wir im 2. Buch Mose, dem Predigtwort für den heutigen Sonntag. Mehr noch Gott spricht gewaltig. Er gibt Mose einen Auftrag. Er erinnert durch Mose das Volk an die Bewahrung in der Knechtschaft, an die Befreiung, an die Führung durch die Wüste – all das war nur möglich durch Gott, wie auf Adlerflügeln hat er sein Volk getragen, das dürfen und sollen sie nie vergessen.
Ja, Gott hat dies Volk auserwählt. Er knüpft einen besonderen Bund mit ihnen. Er ist bei ihnen, in Wüstenzeiten und auf Adlerflügeln, aber sie müssen diesen Bund eben auch einhalten – das soll Mose dem Volk sagen. Das ist das Wort, was Mose hört, die Bekräftigung seines Auftrags, die er bekommt.
Im Kirchenjahr hat der heutige Sonntag einen besonderen Namen – Israelsonntag wird er genannt. In den Lesungen und Texten wird die besondere Rolle Israels in den Mittelpunkt gestellt. Gott offenbart sich in und durch die Begleitung seines Volkes. Er offenbart sich als ein Gott der Liebe, der aus dieser Liebe heraus einen Bund eingeht und die Einhaltung dieses Bundes von seinem Volk fordert.
Die Geschichte des Volkes Israels mit dem Gott Abrahams, Jakobs und Moses ist Teil unserer Glaubenswurzeln. Es ist die Geschichte von großen Taten Gottes, der sich offenbart, der sich Stammväter, Führer, Könige und ein Heiligtum auswählt. Es ist die Geschichte aber auch von Wüstenwanderung, von Zweifeln an der Begleitung dieses Gottes, von Verfehlungen und Wirrungen des Volkes und seiner auserwählten Führer. Zerstörung und Zorn Gottes sind auch Teil dieser Geschichte.
Ich versuche mir das Bild des Moses noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, der sich nach einem neuen Wort Gottes sehnt.
Und ich rufe mir das Bild der Patientin in den Kopf, die eine Wüstenzeit erlebt und heute im Gottesdienst sich nach einem Wort, einem Zeichen, einer Melodie von Ihm, von Gott sehnt.
Wo und wie ist Gott?
Ich entdecke an diesem Sonntag noch einmal mehr und neu den Gott des Bundes. Gott schließt mit den Menschen einen Bund. Er schließt mit dem Volk Israel einen Bund, mitten in der Wüste, mitten in der Wüstenzeit.
Und viele Jahre später schließt er durch die Taufe einen Bund der weiter und größer ist. Gott bekennt sich zu den Menschen. Er sagt ihnen seine Begleitung zu. Und er erwartet, dass dieser Bund auch von der anderen Seite eingehalten wird – von seinem Volk und von uns als Getauften. Es geht um das Vertrauen in IHN.
Mein treuer Gott auf deiner Seite bleibt dieser Bund wohl feste stehn; wenn aber ich ihn überschreite, so lass mich nicht verlorengehn, nimm mich, dein Kind, zu Gnaden an, wenn ich hab Fall getan. – so heißt es in einem bekannten Tauflied.
Gott steht zu seinem Bund, den er geschlossen hat, darauf kann ich mich verlassen. Das gilt in Zeiten, in denen es mir gut geht, in Zeiten, in denen er mich wie auf Adlerflügeln durch das Leben trägt. Dies gilt aber auch für andere Zeiten, für Wüstenzeiten, wo mir die Kraft fehlt, wo es keine Orientierung zu geben scheint, wo ich mutlos bin und ich den Glauben und das Vertrauen in den Gott Abrahams und Jakobs, in den Gott, mit dem ich durch die Taufe verbunden bin, zu verlieren scheine. Ja, diese Wüstenzeiten gibt es. Und manchmal ist da dann doch noch die Kraft sich aufzumachen und ihn zu suchen in der Kapelle eines Krankenhauses oder wo auch immer.
Und manchmal mag sie dann erklingen, vielleicht ganz leise nur, die Melodie, die etwas von seiner Nähe ausdrückt. In Wüstenzeiten und auf Adlerflügeln ist er da.
Denn: Ich bin getauft auf seinen Namen, Gott Vater Sohn und Heiliger Geist. Ich bin gezählt zu seinem Samen, zum Volk, das dir geheiligt heißt.
Amen