ZDF-Predigt zu Matthäus 22,15-22 von Bettina Klünemann
22,15-22

Ein heißes Eisen – das Verhältnis von Staat und Kirche. Viele Menschen in der Kirche sind deswegen beunruhigt. Wie stehen Sie dazu? Wollen Sie in der Kirche Ihre Ruhe haben vor den Problemen draußen? Oder ist sie Ihnen als kritisches Gegenüber zum Staat wichtig? Oder fragen Sie vielleicht: Warum überhaupt darüber nachdenken?

Martin Luther hat dieses heiße Eisen vor knapp 500 Jahren angepackt. Er stellte die römisch-katholische Kirche auf den Prüfstand. Und die weltliche Obrigkeit gleich mit. Er schrieb: Wir müssen nun "lernen, wie lang ihr Arm reiche" – also der Arm der weltlichen Obrigkeit – "…, dass sie sich nicht zu weit erstrecke und Gott in sein Reich und Regiment greife."

Luther wollte die Macht von Kirche und Staat stärker trennen. Die Macht des Papstes und des Kaisers sollten Grenzen haben – obwohl er selbst von der weltlichen Obrigkeit profitiert hat: Als er zum Ketzer und damit für vogelfrei erklärt wurde, konnte er nur überleben, weil sein Landesfürst ihm Asyl gewährte.

In den folgenden Jahren beschäftigte er sich - intensiv mit dem angemessenen Verhältnis von Staat und Kirche. Dabei orientierte er sich - u.a. an einem Streitgespräch zwischen Jesus und der religiösen und politischen Elite seiner Zeit:

Daraufhin kamen die Pharisäer zusammen. Sie beschlossen, Jesus mit einer Fangfrage in die Falle zu locken. Sie schickten ihre Jünger zusammen mit einigen Anhängern des Herodes zu Jesus. Die sagten zu ihm: "Lehrer, wir wissen: Dir geht es nur um die Wahrheit. Du sagst uns die Wahrheit,wenn du lehrst, wie wir nach Gottes Willen leben sollen. Du fragst dabei nach keinem anderen. Denn du siehst nicht die Person an. Sag uns bitte, was du für richtig hältst:Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?"

Jesus durchschaute ihr böses Spiel und sagte: "Wollt ihr mir eine Falle stellen, ihr Scheinheiligen? Zeigt mir eine Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!" Sie gaben ihm eine Silbermünze. Jesus fragte sie: "Wer ist auf dem Bild zu sehen und wer wird in der Inschrift genannt?" Sie antworteten ihm: "Der Kaiser." Da sagte Jesus zu ihnen: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Als sie das hörten, waren sie sehr erstaunt. Dann ließen sie Jesus einfach stehen und gingen weg.

Matthäus 22,15-22 nach der BasisBibel

"Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?" Eine Fangfrage. Spricht Jesus sich öffentlich gegen die römische Kopfsteuer aus, könnte er für einen Staatsfeind gehalten werden. Spricht er sich dafür aus, würde er die römische Herrschaft akzeptieren. Das war für fromme Juden wie die Pharisäer und ihn selbst undenkbar. Denn der römische Kaiser ließ sich als Gott verehren. Ihm zu huldigen verstieß gegen das erste Gebot. Ein echtes Dilemma!

Doch Jesus zieht den Kopf aus der Schlinge. Er nimmt die Männer mit ihrer Frage beim Wort: Ist es erlaubt? Also: Entspricht es dem Willen Gottes? Die Steuermünze mit dem Bild des Kaisers soll Aufschluss geben. Doch sie enthält nur die halbe Antwort: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser zusteht!" Erst danach setzt Jesus seine Pointe: "Und gebt Gott, was Gott gehört!" So überlässt er jedem Einzelnen die Entscheidung, ob das, was er dem Kaiser gibt, auch dem Willen Gottes entspricht.

"Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!" Ein Wort, das es in sich hat und oft missbraucht wurde. Auch von Martin Luther. Er nutzte es als Argument gegen die Freiheitsbestrebungen der Bauern. Sie bräuchten sich in ihrem Kampf gegen die hohen Steuerlasten an die Fürsten nicht auf die Bibel zu berufen, meinte er.

Auch zur Zeit von Kaiser Wilhelm wurde Jesu Antwort gerne zugunsten der weltlichen Herrscher ausgelegt. Wer dem Kaiser dient, dient Gott, predigten manche Pfarrer. Und wer Gott dient, dient selbstverständlich auch dem Kaiser. Kaisertreue und Treue zu Gott, Vaterlandsliebe und Glauben waren in ihren Augen eins. Aber damit haben sie Jesus gründlich missverstanden. Denn Gott steht für Jesus über dem Kaiser. Ohne wenn und aber.

Und heute? Der Kaiser hat längst abgedankt. Trotzdem ist Jesu listige Antwort auch für uns aktuell. In unserer Demokratie sind wir Christenmenschen ja beides: Staat und Kirche, Nation und Gottesvolk zugleich. Deswegen kann die Frage auch für uns nicht heißen: Wem gegenüber bin ich loyal - Staat oder Kirche? Eine falsche Alternative! Eine "Falle", in die wir uns heute genauso wenig locken lassen sollten wie Jesus damals. Als Christen sind wir beiden, Staat und Kirche verpflichtet.

Aber wir setzen Prioritäten: Meine Bürgerpflichten kann und soll ich erfüllen, solange sie Gottes Willen nicht widersprechen. Darum lasse ich mich als Bürgerin dieses Staates davon leiten, was ich als Christin für richtig erachte. So verstehe ich Jesus. Die Kirche ist ja kein "Schneckenhaus".

Was das im Einzelnen bedeutet, gilt es immer wieder neu auszuloten. Im Kleinen, privaten Leben wie im Miteinander der Institutionen Kirche und Staat. In welcher Beziehung sollten sie zueinander stehen?  Und was bedeutet es für uns als Kirche, wenn wir mit dem Staat zusammenarbeiten? - Zum Beispiel bei Abschiedsfeiern für gefallene Bundeswehrsoldaten. Es ist üblich, dass Staat und Kirche sie gemeinsam begehen. Der Staat fordert in solchen Fällen, dass Kirchengemeinden für diese Gottesdienste ihr Hausrecht an die Bundeswehr abtreten. Das geht vielen Christen deutlich zu weit. Sie schlagen daher vor, den Staatsakt und die kirchliche Trauerfeier lieber räumlich zu trennen, damit niemand falsche Kompromisse machen muss.

Ihr Vorschlag erinnert mich an den Rat des Paulus, den wir eben in der Lesung gehört haben: -Passt euch nicht dieser Zeit an". Ich verstehe seine Worte so: Unterscheidet euch. Bleibt in kritischer Distanz zum Staat, aber grenzt euch nicht aus. Das belebt eine Beziehung. Und bewahrt den ungetrübten Blick auf Strukturen und Arbeitsweisen. Es fordert heraus und bringt Entwicklungen in Gang.

Aktuelles Beispiel: Das Kirchenasyl. Viele Flüchtlinge hat der Staat nachträglich anerkannt, nachdem sich die Kirchen für sie eingesetzt haben. Und umgekehrt das Arbeitsrecht: Seit die Politik Bedarf anmeldet, die Rechte der Mitarbeiter in den Kirchen zu stärken, ist viel Bewegung in die Diskussion gekommen. So kann eine kritische Partnerschaft beiden dienen, Kirche und Staat.

Und wenn in dieser kritischen Partnerschaft unsere Motivation und Richtschnur ist: Gott zu geben, was Gott gehört, dann ist die Kirche mittendrin im Leben und gibt auch dem Staat viel. "Als sie das hörten, waren sie sehr erstaunt." So endet das Gespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Die Jesus in die Falle locken wollten, erkennen an, was er sagt. Davor haben sie Respekt. Das wünsche ich uns auch in Staat und Kirche. Gegenseitigen Respekt!

Wenn wir in dieser Haltung offen unser Verhältnis diskutieren, es auf den Prüfstand stellen und dieses heiße Eisen immer wieder neu schmieden, dann kann auch in Zukunft viel Gutes daraus erwachsen. Für mich genügt da ein Blick auf unsere Christuskirche: Von außen alt und aus einer anderen Zeit, aber drinnen: Leben - und Platz für jede Menge neue Töne.

Amen.

Perikope
12.01.2014
22,15-22