Zeichen der Liebe – Vorbild zum Handeln, Predigt zu Johannes 13,1-15 von Georg Freuling
13,1-15

Zeichen der Liebe – Vorbild zum Handeln

Jesus und seine Jünger sind zusammen. Es ist ihr letzter gemeinsamer Abend. Die letzte gemeinsame Mahlzeit. Jesus weiß es; die anderen wissen es nicht. Trotzdem nimmt Jesus Abschied von ihnen.
Es ist ihr letzter gemeinsamer Abend. Sie sind zusammen. Aber Johannes stellt in seinem Evangelium nicht das letzte Mahl in den Vordergrund; alles, was ihm daran wichtig ist, hat Jesus schon gesagt: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Etwas anderes tritt bei Johannes in den Vordergrund: Beim gemeinsamen Essen passiert etwas. Etwas Besonderes, mit dem Jesus diesem Abend eine Bedeutung gibt:

Während des Essens – sie liegen zu Tisch – steht Jesus auf. Was hat er vor? Er legt das Obergewand ab. Für Männer damals ein Zeichen der Würde. Es ist das Gewand, das sie ihm am Kreuz nehmen werden. Er legt es ab. Wozu? Dann bindet er eine Schürze um. Wie ein Diener. Will er sich etwa zum Diener machen? Er nimmt eine Schüssel mit Wasser und fängt an, seinen Freunden die Füße zu waschen. Wie kommt er darauf?

Was passiert hier?
Damals lagen die Menschen zu Tisch. Damit waren die Füße auf der Höhe des Essens. Draußen gingen die Menschen barfuß oder mit offenen Sandalen. Dass der Dreck der Straße nichts neben dem Essen zu suchen hat, war klar: Vor dem Essen wurden die Füße gewaschen.
In einfachen Häusern machten es die Menschen selbst. Bei den Reichen und Vornehmen gab es Diener, die diese unangenehme Aufgabe übernahmen. Wenn ein Lehrer, ein Rabbi, Schüler hatte, wuschen die ihrem Meister die Füße. Die Rollen waren klar verteilt.
Deshalb ist das, was Jesus hier macht, nicht nur etwas Besonderes, nicht nur etwas Überraschendes. Es ist viel mehr als das: Es ist anstößig und unpassend! Jesus stellt alles auf den Kopf. Er ist ihr Lehrer und Meister und entwürdigt sich zum Diener:

Er steht auf. Er legt das Obergewand ab. Er bindet sich ein Leinentuch um. Er nimmt die Wasserschüssel... Es wird so erzählt, als ob jemand live berichtet, dabei ins Stocken gerät und seinen Augen nicht traut. Kann das sein, was da passiert? Man kann sich kaum vorstellen, wie überrascht die Jünger gewesen sein müssen. Wahrscheinlich auch irritiert, verstört, beschämt.

Petrus ist der Erste, die die Sprache wiederfindet. Er spricht das aus, was vermutlich alle denken: „Du – mir die Füße waschen?“ Das geht nicht!
Mit der Fußwaschung passiert etwas Besonderes: Jesus fällt ganz bewusst aus der Rolle. Er setzt sich über Konventionen und Gewohnheiten hinweg. Damit ist garantiert, dass die anderen es merken, sich wundern, sich dran stoßen. Deshalb wäscht Jesus ihnen die Füße. Er provoziert, dass sie fragen. So wie Petrus dann fragt: „Du – mir die Füße waschen?“ Was soll das?

Was soll das, dieses merkwürdige Verhalten Jesu?

Johannes liefert in seinem Evangelium die Antwort gleich mit: Wenn Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, dann zeigt er ihnen seine Liebe. Die Fußwaschung ist Zeichen der Liebe Jesu zu den Seinen. Und: Wenn Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht, dann sollen die das auch untereinander tun. Die Fußwaschung ist Vorbild und Beispiel für alle, die zu Jesus gehören. Zeichen der Liebe und Vorbild zum Handeln – um beides geht es und beides hängt zusammen.

Zuerst: Im Abschied gibt Jesus seinen Jüngern ein Zeichen seiner Liebe. Wie eine Überschrift steht es über der Geschichte: „Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.“ Bis ans Ende bedeutet so viel wie „bis zur Vollendung.“ Im Abschied gibt er ihnen noch, was er geben kann, geht aufs Ganze.
Wenn wir lieben, dann legen wir alles, was wir sind und haben, in unsere Liebe hinein. Dann möchten wir alles für den anderen tun. Dann legen wir dem anderen die Welt zu Füßen.
Bei Gott ist ist das auch so. Johannes spricht in seinem Evangelium eine eindeutige, manchmal auch merkwürdige Sprache. Er schreibt: Jesus und Gott, sein Vater sind eins. In Jesus begegnet uns kein anderer als Gott selbst, Gottes gestaltgewordene Liebe. Der, der größer ist als diese Welt, gibt sich ganz in diese Welt hinein. Was kann der geben, wenn er aufs Ganze geht? Sich selbst! Das passiert, wenn Jesus vor den Füßen der anderen kniet, ihnen die Füße wäscht. Er gibt sich ganz. Und er kommt ihnen damit nahe.

Eine solche Nähe anzunehmen, fällt uns manchmal schwer. Da sind wir Petrus ähnlich, der sich sperrt und diese Nähe nicht zulassen will.
Bei einem Trauergespräch erzählt mir die Tochter der Verstorbenen von den letzten Lebensmonaten ihrer Mutter. Sie war auf Pflege angewiesen, konnte sich auch nicht mehr selbst waschen. Die Tochter hatte Urlaub genommen für die Pflege. „Das Waschen – wenn ich daran gedacht habe, hatte ich ein Problem. Da war eine Scheu, das Gefühl: Das passt nicht, das kannst du nicht bei deiner Mutter. Doch dann war es gar nicht schwer. Und ich war froh, dass ich meine Scheu überwunden habe. Gesprochen haben wir nie darüber – aber wahrscheinlich war meine Mutter froh, dass ich das gemacht habe. Und kein Fremder.“
An dieses Gespräch musste ich denken: Nähe und Distanz brauchen ein Gleichgewicht. In jeder Beziehung ist das so – auch dann, wenn Menschen sich lieben. Jesus setzt hier ganz auf Nähe. Er macht das, um seiner Liebe ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, das die anderen nicht übersehen können. Als Petrus das spürt, will er mehr – alles, auch Hände und Kopf. Aber da hat Jesus schon erreicht, was er will: Er hat gezeigt, wie weit seine Liebe geht.

Als Zeichen dieser Liebe feiern wir heute das Abendmahl. Wir teilen Brot und Wein und lassen damit Gottes Liebe an uns herankommen. Wir nehmen sie in uns auf, diese Liebe. Sie soll uns in Fleisch und Blut übergehen. Und damit bin ich beim zweiten:

Die Fußwaschung ist ein Vorbild, ein Beispiel für die, die zu Jesus gehören. „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Viele Kirchen nehmen das wörtlich. In der katholischen Kirche gehört es zum Gründonnerstag, dass der Papst zwölf ausgewählten Gläubigen die Füße wäscht. In einigen Gemeinden wird es auch vor Ort praktiziert. Damit wird die Erinnerung wachgehalten an das, was Jesus da getan hat.
Für mich – ganz persönlich gesprochen! - ist das nicht wiederholbar. Die Fußwaschung am ersten Gründonnerstag lebt davon, dass sie komplett aus dem Rahmen fällt, dass sie die Leute vor den Kopf stößt und überrascht. Das lässt sich nicht wiederholen. Es gibt Gesten, die leben von ihrer Einmaligkeit. Auch wenn der Vergleich hinkt: Ich möchte es vergleichen mit dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Brandt ist damals ähnlich aus der Rolle gefallen. Er ist als Staatsmann spontan auf die Knie gegangen und hat damit ein Zeichen gesetzt, das viel Aufmerksamkeit gefunden hat. Menschen, die in der Menge standen, die ihn nicht sehen konnten, haben es trotzdem mitbekommen. Die Leute haben es einander zugeflüstert: „Er kniet.“ Die Bilder vom Kniefall sind durch die Welt gegangen und haben etwas verändert. Die Geste lebte von ihrer Einmaligkeit; jährliche Wiederholung hätte sie entwertet. So verstehe ich auch die Fußwaschung als einmaliges Zeichen der Liebe Gottes. Eine Wiederholung brauche ich nicht. Um mich an Jesu Liebe sichtbar zu erinnern und mich zu vergewissern, reicht mir das Abendmahl.

„Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Da geht es auch nicht um wörtliche Wiederholung. Jesus gibt ein Beispiel, wie Liebe gelebt werden kann, wie sie Gesten und Zeichen findet und dabei Grenzen überschreitet. Jesus wird zum Vorbild dieser Liebe, damit wir ihm darin nachfolgen. Unsere Liebe wird dann ihre eigenen Gesten, ihre eigene Sprache finden. Wo das geschieht, wo das sein soll, das hängt dann davon ab, wem wir in unserem Leben begegnen: Tochter oder Sohn, Partnerin oder Partner, Mutter oder Vater, Freund oder Fremder. Die besten und stärksten Worte und Taten werden sich spontan ergeben: Liebe ist kreativ. Worte und Gesten der Lieben brauchen auch keine Öffentlichkeit. Denn Liebe fragt nicht danach – nur und allein nach dem anderen. Für eine solche Liebe gibt Jesus uns ein Beispiel. Dadurch wird er uns zum Vorbild.
 
Heute Abend sind wir hier, um uns daran erinnern zu, um uns dazu anstiften zu lassen. Das nehmen wir dann mit – in unser Leben hinein. Und manchmal müssen wir dazu auch auf die Knie gehen. Amen.
 

Perikope
02.04.2015
13,1-15