Predigt zum Michaelistag über Matthäus 18, 1-7 von Claudia Trauthig
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Predigt zum Michaelistag über Matthäus 18, 1-7 von Claudia Trauthig

Liebe Gemeinde,
  haben Sie auch Ihren kleinen Engel zuhause?
  Ich meine jetzt nicht: einen liebevollen Partner, eine blondgelockte Tochter oder die zuverlässige Haushaltshilfe.
  Ich meine damit Engel wie diesen hier.
  (-> Dekoengel auf die Kanzelbrüstung stellen.)
  Dieser schreibende Engel mit der goldenen Feder ist nicht die erste oder einzige Engelsfigur in meinem Zuhause.
  Nicht nur zur Weihnachtszeit erfreue ich mich an solchen Figuren, auch wenn sie –geben wir´s zu- manchmal doch kitschig sind.
  Engel sind in Mode gekommen.
  Man spricht wieder selbstverständlich von „Schutzengeln“, hofft auf ihren Dienst.
  Tauf- und Konfirmationssprüche, in denen die Fürsorge der Engel beschrieben wird, sind besonders beliebt.
  Die tiefe Sehnsucht nach Gottes Nähe im Alltag drückt sich darin aus.
  Auch hier in Eltingen erinnert man sich wieder, dass dies nicht nur die Eltinger, sondern eine Michaelskirche ist – und man ist  (natürlich in Maßen!) stolz darauf.
  Michael ist diese uralte Kirche geweiht, einem der vier Erzengel des Christentums, der in der himmlischen Hierarchie, so sagt man, ganz weit oben steht.
  (Vielleicht machen Sie sich heute im Laufe des Tages einmal die schöne Mühe - und suchen nach allen Abbildungen dieses Erzengels in unserer Kirche.)
  Michael - das lehren Bibel und christliche Tradition sowie die zahllosen Darstellungen in der Kunst, spielt als Engelsfürst eine besondere Rolle.  Er ist beauftragt, Gottes Anspruch unter uns Menschen geltend zu machen, jeder gottlosen Arroganz entgegenzutreten – als Botschafter des Himmels.
  Auch im Predigttext für den Sonntag Michaelis, geht es um den Himmel.
  Jene Vorstellungen, die wir vom „Himmel“ haben – und seien sie sogar gut unterlegt durch die Bibel- sind und bleiben nichts als Ahnungen. Niemand von uns ist dort gewesen – auch wenn Journalisten Angela Merkel nach ihrem Sieg vom vergangenen Sonntag schon „im Himmel“ wähnten… All´ unsere Phantasie führt uns nicht dahin – obwohl es reizvoll ist und wesentlich für den Glauben, wenn wir uns hin und wieder den Himmel träumen – nicht zuletzt, wenn die Angst vor dem Tod nach uns greift.
  
  Doch hören wir miteinander auf den Text, in dem sich die besten Freunde Jesu ihre Gedanken über den Himmel machen und auch ins Träumen geraten:
  Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?
  Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach:
  Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt
  und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
  
  Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.
  Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
  Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.
  Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch:
  Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
  
  Liebe Gemeinde,
  merken Sie etwas? Der Erzengel Michael ist gar nicht vorgekommen; und nur im letzten Vers geht es überhaupt um Engel.
  Wieder einmal sind die Jünger ganz normale Menschen und uns ziemlich ähnlich. Denn diese Leute möchten schließlich etwas aus sich machen. Zwar waren sie noch gestern durchschnittliche Fischer, Menschen mit begrenzten Erwartungen und bescheidenem Glück. Doch nun - sind sie in Jesu Nähe gerufen. Gott kommt ihnen zum Greifen nah. Das ist fantastisch: mehr als wir zu hoffen wagten.
  Aber  - es wird doch noch nicht alles sein… Was liegt noch vor uns? Was für Aussichten haben wir? Und immer ist da dieser Wunsch, das Allerbeste aus sich herauszuholen…: Wer wird der Größte im Himmel sein?
  Wer sich über die Jünger lustig macht, verkennt, dass dieser innere wie äußere Druck zur Selbstoptimierung heutzutage uns alle prägt. Gut scheint nie, was wir sind – gut ist, was noch werden könnte!Wer wird der Größte?
  Jesus antwortet zunächst nicht mir Erklärungen, sondern durch eine stille Geste. Sie ist verblüffend, unvergleichlich. In der gesamten Religionsgeschichte findet sich nichts Ähnliches: Aus dem Dörfchen Kapernaum, aus einem Haufen in der Nähe spielender, lärmender Kinder, ruft Jesus eines zu sich. Dieses Kind nimmt er an die Hand, stellt es in die Mitte der Fragesteller.
  Alles Fragen und Drängen und Sehnen nach Einfluss, Anerkennung, Macht, Prozentpunkten beantwortet Jesus mit diesem schlichten Zeichen:
  Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
  
  Liebe Gemeinde,
  in einer Zeit, in der es weder die UN-Konvention für Kinderrechte gibt, noch die Wunschkindbehandlung in jeder größeren Stadt,
  in einer Kultur, die die Kinder –wie bei den Römern- einfach durchnummerierte, statt sie mit Namen zu segnen,
  in einer Epoche also, die den Wert der Kindheit und die Würde des Kindes längst nicht entdeckt,
  ist das, was Jesus tut, eigentlich unfassbar.
   
  Doch machen wir uns nichts vor.
  Auch in unserer Zeit, in dieser Welt werden Rechte und Würde der Kinder zahllos mit Füßen getreten:
  Kinder müssen unter schädlichen Bedingungen arbeiten, damit wenige sich bereichern und viele billig kaufen können. Kinder werden ausgebeutet, missbraucht, verkauft.
  Kürzlich las ich in der Zeitung, dass ein kleines pakistanisches Mädchen als Sühnopfergeschenk in einer Familienfehde eingesetzt wurde.
  Auch Kinder und Jugendliche in Deutschland sind geopfert worden – nicht zuletzt durch die menschenverachtende Ideologie der Nazis. ((Sie, die Sie heute ihre 80er-Feier haben, hatten gar keine Chance auf eine richtige Kindheit. Die ersten 12 Jahre, genau genommen auch die darauffolgenden, waren geprägt durch Diktatur, den Krieg und die Folgen.
  Dass wir nach diesem Inferno schon fast 70 Jahre im Frieden leben, ist ein besonderer Grund der Dankbarkeit in Ihrem und unser aller Leben.))
  Vieles ist heute anders, besser – aber noch immer stehen die Kinder nicht in unserer Mitte, und uns an ihnen irgendwie ein Beispiel zu nehmen – wem käme das in den Sinn?
  Wirtschaft, Politik…, die Gesellschaft sehen Kinder eher als Summe ihrer Entwicklungspotenziale. Sie streiten darum, wer sie wie, wo und unter welchen Bedingungen betreut, damit die Mechanismen unserer Volkswirtschaft möglichst reibungsfrei laufen.
  Was Kindern gut tut, was Kinder im einzelnen brauchen, sich wünschen und wie wir das ermöglichen – danach fragt bei all´ diesem Tauziehen kaum jemand. Immerhin: Wir Christen sagen bei jeder Kindertaufe: Dich liebt Gott, einfach so und von Anfang an.  Ihm geht es nicht um Humankapital.
  
  Doch das ist noch ein anderes Kapitel…
  Hier geht es vor allem darum:
  Das Kind steht in der Mitte,
  wo immer es um das Reich Gottes geht.
  
  Liebe Gemeinde,
  was soll das heißen: werden wie die Kinder?
  Kinder erleben sich abhängig.
  Kinder erfahren Grenzen und Begrenzungen.
  Sie staunen über die Welt, können an ihr selig werden.
  Kinder vertrauen, oft so sehr, dass wir Gefahren wittern.
  Auch wenn es hier und da mal einen Knuff gibt - Kinder sind wesentlich gewaltlos. (evtl. Hinweis auf Studien).
  Kinder unterliegen den Starken, Großen.
  
  Doch Gott steht auf ihrer Seite.
  Bedeutungslose haben für ihn besondere Bedeutung.
  Gerade wer keine Ansprüche für sich selbst erhebt, dem fließt Gottes Gnade ganz einfach zu.
  Und überall da, wo Kinder wirklich gut leben, da ist das Reich Gottes nicht fern.
  
  Ist das nicht eine befreiende Sicht auf Welt und Leben?
  Hierarchien, die scheinbar unangefochten gelten und funktionieren: Abschreckung und Gewalt, Rücksichtslosigkeit und Verdrängung… werden vom Kopf auf die Füße gestellt, wenn das Kind in der Mitte steht und den Himmel zeigt.
  
  Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
  In allen, die klein sind und gewaltlos, in allen, die übersehen werden und ihre Grenzen spüren, in allen, die staunen und spielen, die Zeit und sich selbst vergessen…, begegnet Jesus Christus.
  Wer diesen und damit Gott schadet, der schadet sich am meisten, weil er das Leben beschädigt.
  
  Und hier, liebe Gemeinde, kommen nun wieder die Engel in den Blick, deren Tag doch heute ist:
  Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.
  Engel sind nicht nur liebliche Wesen mit Pausbäckchen und goldenen Flügeln. Sie sind Boten Gottes: Kämpfer. Als solche treten sie ein für das Gute. Sie bringen uns zurecht, achten haargenau auf das Leben, besonders der Schwachen, der Kinder.
  Die „Angesichtsengel“, von denen Jesus hier spricht, haben diese spezielle Aufgabe.
  Jetzt passen sie doch wieder gut zu meinem kleinen Engel mit der Schreibfeder in der Hand. Als himmlische Schreiber führen sie sorgfältig Protokoll. Sie zeichnen auf, wenn jemand die Kleinen missachtet und schädigt. Niemand soll denken, es bleibe unbeachtet, wo er die  missachtet, die kaum einer groß beachtet.
  
  Liebe Gemeinde,
  ein klares Wort, ein ernstes Wort, aber auch ein hoffnungsfrohes Wort ist uns heute an Michaelis gesagt:
  Klimmzüge müssen wir nicht machen, damit wir das Beste bekommen: den Himmel. Unsere Grenzen erkennen, über das Leben staunen, einander geschwisterlich begegnen.
  Sogar der Himmel auf Erden wäre ein Kinderspiel:
  Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach:
  Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.
  Amen.