November mit Gott - Predigt zu Hiob 14,1-6 von Karoline Läger-Reinbold

November mit Gott - Predigt zu Hiob 14,1-6 von Karoline Läger-Reinbold
14,1-6

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war, und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

da ist sie wieder, die Novemberdepression. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt – ein Text wie ein Seufzen. Auch längst vergangene Trauer wird unvermittelt wieder wach, legt sich leise wie ein Schleier auf die Haut, macht wieder rau, was doch schon geglättet war. Mit schneller Geste fahren wir darüber, wischen weg, polieren, setzen Glanzlichter auf. Ungeduldig möchte ich vertreiben, was tief im Innern schon entschieden ist: das Eingeständnis der Vergänglichkeit und der unsichtbaren Grenzen, unter denen wir leiden. Glücklich die Momente, in denen das alles von uns abfällt, in denen wir unbelastet gehen können. Glücklich die Zeiten, in denen es uns gut geht und wir das Leben genießen können. Selten sind sie von Dauer. Da gibt es Phasen melancholischer Verstimmung, die gehören zum Leben einfach dazu. Und leider gibt es manchmal auch die Zeiten tiefer Depression und echter Krise, in denen wir Hilfe brauchen und Unterstützung.

Die Bibel erzählt die Geschichte von Hiob, einem frommen Mann. Er war rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. Gott hatte ihn gesegnet mit sieben Söhnen und drei Töchtern, mit einem großen Bestand an Vieh und also sehr großem Reichtum. Hiob war ein gemachter Mann, dem es gut ging. Er war dankbar und glaubte an Gott.

Doch dann wird dieser Glaube auf eine harte Probe gestellt. Hiob verliert sein Haus, seine Kinder und seinen Besitz. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Das Unglück bricht über Hiob herein, und zwar im ganz großen Stil. Menschen, die so etwas erleben, sind traumatisiert. „Der Boden tat sich unter meinen Füßen auf“, sagt der Mann, der gerade vom Arzt seine Diagnose  erfahren hat. Oder: „Ich habe gedacht: jetzt ist alles vorbei.“ So wird auch Hiob sich gefühlt haben, so wird er gedacht haben, als er seine Kleider zerreißt und sich das  Haupthaar rasiert zum Zeichen seiner Trauer. Dann wirft er sich auf den Boden und ergibt sich seinem Los. Geradezu abgeklärt klingt es, wenn Hiob sagt: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! (1,21)

Hiob steht so fest in seinem Glauben, dass er auch in  großer Trauer und Leid noch ein Gotteslob sagen kann. Doch es kommt sogar noch dicker: Hiob wird krank. Sein ganzer Körper wird überzogen mit bösen Geschwüren, vom Kopf bis zu den Füßen ist er übersät mit schmerzhaftem, ekligem Ausschlag. Und selbst Hiobs Frau stellt seine Frömmigkeit nun infrage: Sage Gott ab und stirb, sagt sie ihm. Kein schöner Satz aus dem Mund eines liebenden Partners. Die Nerven liegen also blank. Das ruft die Freunde auf den Plan. Hiob bekommt Besuch von seinen drei besten Freunden, die ihn nicht wieder erkennen, wie er da so liegt. Erschüttert leisten sie ihm Gesellschaft, zerreißen ebenfalls ihre Gewänder, setzen sich zu Hiob auf den nackten Boden und sagen ganze sieben Tage erst einmal nichts. Wortlos bleiben sie da und halten aus mit ihm. Und dann, nachdem eine Woche vergangenen ist, da bricht es aus Hiob heraus, und er verflucht die Last seines Lebens: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! (3,3) Worte wie diese und noch viel mehr sprudeln aus der Tiefe seiner Seele hervor, ungefiltert und bitter, und er lässt es geschehen. Die Freunde versuchen zu trösten, doch es zeigt sich schnell, dass sie mit ihrer Weisheit am Ende sind. Hiob lässt sich nicht trösten, er hält fest an seiner Klage, und er streitet mit Gott. Der Hinweis des Elifas, des ersten Freundes, Hiob können vielleicht sein Leid selbst verschuldet haben durch sein Verhalten, wird energisch zurück gewiesen. Nein, Hiob hat sich nichts vorzuwerfen, er ist nicht Schuld an dem, was ihn getroffen hat. Und diese Feststellung ist wichtig, auch für uns Heutige: der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist obsolet, er funktioniert nicht. Es mag einzelne, wenige Fälle geben, in denen Menschen selbst verschuldet in ihr Unglück laufen. Eine schwere Erkrankung, ein tragisches Schicksal, in der Regel sind sie weder hausgemacht und schon gar nicht als Strafe von Gott geschickt, sondern einfach geschehen. Und es ist keinem geholfen, wenn wir als Freunde oder Angehörige sagen: ach, hättest du doch nur… – besser aufgepasst oder gesünder gelebt oder intensiver gebetet. Oder noch schlimmer, die subtile Tour,  Psychotherapie für Anfänger: guck doch mal genauer bei dir hin, was das bei dir ist, dass du dieses oder jenes Problem hat. Das wird ganz schnell zynisch und oft auch gefährlich. Solches Denken und Reden hilft keinem. Und Hiob hält zu Recht daran fest: dieses Leid, das mir widerfährt, ist zu groß und zu schwer, ich möchte lieber sterben und ich verstehe auch meinen Gott nicht mehr, der mich dies alles aushalten lässt. Der Mensch ist vergänglich, seine Tage sind gezählt, und am liebsten wäre mir, alles wäre vorbei und ich hätte endlich meine Ruhe.

Liebe Gemeinde, so geht es im Hiob-Buch immer wieder hin und her. Da sind die klugen und wohlmeinenden Reden der Freunde, die sich um Hiob sorgen und  ihm helfen wollen, seine Lage zu verstehen oder doch zumindest zu ertragen. Und da sind die Klagen Hiobs, der seine Leidenserfahrung beschreibt. Ruhe wünscht er sich, keine schwatzhaften Ergüsse, die regen ihn nur auf. Ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte, so beschimpft er die Freunde (13,4). Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben, sagt er (13,5). Und dann spricht Hiob sehr eindrücklich von der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und von der Kürze des Erdenglücks. Und ich muss sagen, diese authentischen, offenen Worte in der Bibel sind mir unendlich lieb. Die Echtheit und Unverstelltheit, mit der Hiob zu Gott spricht und mit ihm sogar streitet, ich empfinde sie als heilsam. Für mich sind sie eine starke Ermutigung zum Gespräch mit Gott, zum Gebet. An Gott kann ich mich wenden auch dann, wenn gar nichts mehr geht, wenn ich in Sack und Asche auf dem nackten Boden sitze, er ist für mich da, und ich muss mich nicht schämen, weder für meinen kläglichen Zustand noch für die unfrisierten Gedanken. Das Hiobbuch endet mit einer langen Rede, in der Gott den Hiob anredet. Eine Antwort will ich diese Rede nicht nennen. Sie ist vielmehr ein eindrucksvolles Zeugnis für Gottes Souveränität und Macht, ein Hinweis auf sein schöpferisches Handeln in Raum und Zeit. Sie ist ein Erweis göttlicher Nähe und Ausdruck seiner Stärke, und Hiob begreift und wird still. Hiob sagt: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen hast, ist dir zu schwer (42,2). Und Hiob erkennt: nachdem er lange selbst geklagt hat, um Gott besser zu verstehen, muss er auch lernen, auf ihn zu hören. Ich will dich fragen, lehre mich, sagt Hiob zu Gott (42,4). Ein bemerkenswerter Satz. Denn für unsere Klage, für unser Beten heißt das ja: bei allem Raum, den die Klage bekommt, bei allem Fragen und Nachdenken über das eigene Los, das Gebet hat immer diese beiden Aspekte, die eigene Rede und die Öffnung für Gottes Wort. Und so, wie Hiob am Ende dieser Auseinandersetzung mit Gott den Weg aus Leid und Verzweiflung heraus findet, so scheint es mir ein guter Versuch zu sein, auch die Novemberdepression einmal hinein zu nehmen in unsere Gespräche mit Gott. Die kleine melancholische Verstimmung wie auch das tiefe Leid, das uns trifft. Bei ihm können wir es zeigen, wie schwer wir daran tragen, an der Vergänglichkeit des Lebens und an unserer Verletzung. Denn in Gott sind wir aufgehoben und zuhause, und das gilt ganz unabhängig davon, wie sich das Leben gerade wieder zeigt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Perikope
11.11.2018
14,1-6

Hiobs Botschaft - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Kathrin Oxen

Hiobs Botschaft - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Kathrin Oxen
14,1-6

Ihr habt mir tags von Gott erzählt, nachts hat mich euer Gott gequält. Ihr habt laut eures Gotts gedacht, mich hat er stumm zur Sau gemacht. Ihr habt gesagt, dass Gott mich braucht – Braucht Gott wen, den er nächstens schlaucht? Ihr habt erklärt, dass Gott mich liebt – Liebt Gott den, dem er Saures gibt?

Dunkle Tage, schwarzer Humor. Da spricht einer, der etwas weiß von den Novembertagen des Lebens. Der Vater in den letzten Kriegstagen gefallen, die Mutter mit den drei Kindern auf der Flucht aus der Heimat im Baltikum, der Tod der ersten Ehefrau, eine schwere Herzoperation, eine langwierige Krebserkrankung. Dichter versuchen, für alles Worte zu finden, sagt Robert Gernhardt, von dem dieses Gedicht stammt. Er hat Worte gefunden, in denen er auch angesichts seines Leidens erkennbar bleibt. Einer, der seinen Humor nicht verloren hat und noch seiner tödlichen Krankheit komische Seiten abgewinnen konnte.

Dunkle Tage, schwarzer Humor und die Erinnerung an den Mann auf dem Aschenhaufen, an Hiob. Einer, der Saures bekommen hat, um es zurückhaltend zu formulieren. Die Schicksalsschläge, die ihn treffen, die sprichwörtlich gewordenen Hiobsbotschaften, die ihm mitgeteilt werden – gar nicht schlecht, das alles mit Humor zu betrachten, gerade in diesen Novembertagen mit ihrem dunklen Stakkato aus Gedenken und Erinnern, empfundener und verordneter Trauer, feuchtem Herbstlaub und früher Dunkelheit.

Ich allein bin entronnen, dass ich’s dir ansage (Hiob 1.15), der Refrain der Boten, die Hiob grotesk anmutende Schicksalsschläge mitteilen, erst den wirtschaftlichen Totalverlust an Rindern, Knechten, Schafen und Kamelen und dann den Tod seiner zehn Kinder.

Als der noch redete, kam ein anderer und sprach (Hiob 1,16) … Und am Ende sitzt Hiob auf dem Aschenhaufen, der von seinem Leben übrig geblieben ist und kratzt seine juckende Haut mit den Scherben seines Glücks. Und es kommt noch schlimmer, denn jetzt kommen die Freunde. Hiob fehlt es nicht an Menschen, die ihm nahe sein wollen, die Anteil nehmen an seinem Schicksal, die ihm zur Seite stehen, leider weniger mit Tat, sondern vor allem mit Rat.

Ihr habt mir tags von Gott erzählt, ihr habt laut eures Gotts gedacht, ihr habt gesagt, dass Gott mich braucht, ihr habt erklärt, das Gott mich liebt. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben! (Hiob 12,2) Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben. (Hiob 13,5)

Der sarkastische Kommentar Hiobs zu all den Ratschlägen seiner Freunde spricht dafür, dass er auch dort auf dem Aschenhaufen seinen Humor noch nicht verloren hat. Noch findet er Worte. Nachts hat mich euer Gott gequält, mich hat er stumm zu Sau gemacht. Braucht Gott wen, den er nächstens schlaucht? Liebt Gott den, dem er Saures gibt? Das Bett ein Aschenhaufen. Da sitzt er, der Mensch, oder liegt, nackt oder im Schlafanzug und muss sich kratzen und kommt nicht hin und es hört nicht auf, sondern wird noch schlimmer. Dunkle Tage, schwarzer Humor und eine Frage: Wie gehört das zusammen, Leid und Gott?

Eine Frage, die ins Leben kommt, so sicher wie die Tatsache, dass im Herbst die Blätter fallen. Eine Frage, die am Ende des Lebens kommt, wenn es Herbst und Winter wird. Eine Frage, die sich noch viel drängender stellt, wenn die Jahreszeiten des Lebens durcheinandergeraten sind und es plötzlich Frost gibt im Frühling und Schnee im Juli. Keine Novemberfrage, sondern eine Lebensfrage.

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf,  dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt,  auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. (Hiob 14, 1-6)

Dunkle Tage, schwarzer Humor. Hiob, der Mensch, der Gott bittet, ihn wenigstens jetzt in Ruhe zu lassen. Vergänglichkeit, Sterblichkeit, Leid und die Tatsache, dass er als Mensch all dem ausgesetzt ist - darüber will er gar nicht mehr verhandeln, das akzeptiert er. Aber dass all das auch noch etwas mit Gott zu tun haben soll – da liegt das wirkliche Problem, das ist die Lebensfrage.

Bitte, sieh mich nicht so an, wie ich hier sitze auf meinem Aschenhaufen, wie ich hier liege in meinem Bett. Die andern quälen sich nur mit ihrer Krankheit, aber ich quäle mich auch noch mit dir. Die anderen sagen, wenn ich tot bin, dann war’s das eben, dann ist Feierabend, und leben und sterben damit. Und ich quäle mich mit all den Fragen, was du vorhast mit mir, was noch auf mich zukommt, wenn alles von dir kommt. Bitte sieh mich nicht so an. Ich freu mich, wenn es endlich vorbei ist.

Dunkle Tage, schwarzer Humor und Hiobs Botschaft. Es trifft nicht zu, was viele denken: Wer glaubt, hätte es leichter und immer eine Antwort parat. Wer glaubt, sähe in allem immer einen Sinn. Das ist ja der gängige Vorwurf insbesondere der so kämpferischen neuen Atheisten: Wer glaubt, mache es sich irgendwie und unangemessen viel leichter und wähle einen weniger anspruchsvollen Weg der Bewältigung der großen Lebensfrage.

Leichter machen sie es sich, die „neuen Atheisten“ die auf Busse schreiben, es gäbe keinen Gott und man brauche sich keine Sorgen zu machen und könne das Leben genießen. „Amateurgegner“ hat Karl Barth sie genannt, all die Religionsspötter und Atheisten, „arglose, gemütliche Gesellen“ seien sie im Vergleich zu Hiob, der es mit Gott auf sehr ungemütliche Weise zu tun bekommen hat.

Hilft ihnen ihr Glaube? Ich bin das selbst schon gefragt worden, an den Novembertagen in meinem Leben, auf meinem eigenen Aschenhaufen sitzend. Mein Lächeln bei der Antwort war etwas schief. Ja, der Glaube hilft - und er macht alles noch viel schwerer. Das, was mir geschieht, mit Gott in Beziehung zu setzen, das ist eine überaus anspruchsvolle Lebenshaltung, im eigenen Leben und auch angesichts des Leids in der Welt. Wie mühen wir uns oft, Leid und Katastrophen mit Gott in Beziehung zu bringen, werden angefragt, sogar verantwortlich gemacht und reiben uns doch selbst bis zur Schmerzgrenze an diesen Erfahrungen.

Was Hiob erfährt, ist viel mehr als eine Auseinandersetzung mit Gott. Denn Auseinandersetzung, die unendlich ventilierte Frage, ob es Gott überhaupt gibt, das wäre ja schon die Distanz, nach der sich Hiob sehnt. Aber es ist die Nähe Gottes, die Hiob zusetzt. Noch nackt und krank und auf den traurigen Überresten seines Lebensentwurfes lässt Gott Hiob nicht in Ruhe. Die Bitte, Gott möge ihn doch einmal aus den Augen lassen, wird ihm nicht erfüllt. Ein Blick, auf der Haut zu spüren. Ein Gegenüber, das nicht aus dem Zimmer geht im Zorn, sondern gegenwärtig bleibt bis an die Grenze des Erträglichen.

Es gibt keine Distanz, sondern schmerzhafte Nähe. Hiob reibt sich an Gott. Sein Leid besteht nicht in all dem, was ihm widerfahren ist. Hiobs Leid im Leiden besteht darin, dass er all das mit Gott in Zusammenhang bringen muss. Blicke weg von mir, damit ich Ruhe habe, wie all die anderen, damit endlich Feierabend ist.

Dunkle Tage, schwarzer Humor. Und einer, der Worte findet und Gott entgegenschleudert. Bist du es, der mich nachts quält, machst du mich zur Sau, schlauchst mich, gibst mir Saures? Der Mensch, der sich an Gott reibt. Der Mensch, dem Gott so nah ist, dass es weh tut. Der Mensch, an dem zu sehen ist, dass Gottesnähe und Gottverlassenheit dasselbe sein können. Hiobs Botschaft.

Amen.

Perikope
11.11.2018
14,1-6

Hiobsbotschaften überleben - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Claudia Bruweleit

Hiobsbotschaften überleben - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Claudia Bruweleit
14,1-6

Liebe Gemeinde!

In einem Eisenbahnwaggon in einem Waldstück nahe der französischen Stadt Compiègne unterzeichneten heute auf den Tag genau vor einhundert Jahren, am 11. November 1918, Hohe Militärangehörige und Regierungsmitglieder von Frankreich (Marschall Foch) und Großbritannien und eine Delegation aus Deutschland unter Staatssekretär Matthias Erzberger ein Waffenstillstandsabkommen und leiteten damit das Ende des  Ersten Weltkriegs ein.
Sie beendeten einen Ausnahmezustand, der vier Jahre und drei Monate lang gedauert hatte. 17 Millionen Tote hatte er gefordert und die Zivilbevölkerung  hatte in lange nicht gekanntem Ausmaß leiden müssen, vor allem im Alltag. Denn: Die Situation der Menschen hatte sich seit der Mobilmachung im August 1914 immer mehr verschlechtert. Die meisten Familien hatten das geregelte Einkommen ihrer Ernährer verloren, denn das Geld,  das sie nun erhielten, reichte nicht hinten und nicht vorn. Lebensmittel wie Kartoffeln und Getreide waren knapp geworden und nur noch auf Bezugsschein erhältlich und sie hatten sich täglich verteuert. Arbeiter und Angestellte in Berufen, die nicht unmittelbar mit dem Krieg zu tun hatten, waren eingezogen worden,  ihre Familien hatten mit den Einkünften oft  auch ihre Wohnung verloren. Frauen und Männer in den Städten waren zu Arbeiten herangezogen worden, die der Kriegsführung dienten. Schülerinnen hatten unzählige Mützen, Handschuhe, Schals und Gesichtsmasken für Soldaten gestrickt, die Schüler sich für Botendienste und Ernteeinsätze verpflichtet, Schülerinnen und Schüler hatten Goldmünzen für die Finanzierung der Kriegsproduktion gesammelt und für Kriegsanleihen geworben, die nach Ende des Krieges und wegen der Inflation 1923 keinen Pfifferling mehr wert waren.
Aufgrund der Seeblockade der Alliierten Kräfte waren in Deutschland allein 760.000 Männer, Frauen und Kinder verhungert oder entkräftet an Krankheiten gestorben. Deutschland hatte 1916/17 einen sehr schlimmen Hungerwinter erlebt. Als auch die Stadt Kiel keine Notvorräte mehr hatte, war es in Kiel in den Arbeiterbereichen im Herbst 1916 zu Unruhen gekommen, so dass die Stadt mehrfach die Marineverwaltung gedrängt hatte, ein Kontingent an Kartoffeln aus den reichlich bemessenen Beständen der Soldaten für die Bevölkerung frei zu geben.
Mehr als 1800.000 Soldaten waren in den Kriegshandlungen gefallen, mehr als vier Millionen verwundet worden.

Trauer und Entsetzen packen mich, wenn ich dieses alles lese oder Berichte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges höre. Ich frage mich: wie haben die Menschen all das Schwere erlebt? Wie konnten sie nur dieses ungeheure Leid ertragen?
Neben diesen Zahlen und Berichte über den Ersten Weltkrieg lese ich in der Bibel den Predigttext für diesen Sonntag, den 11. November 2018.  Es ist ein Abschnitt aus dem Buch Hiob, einer weisheitlichen Lehrerzählung aus dem alten Israel, entstanden ungefähr dreihundert bis fünfhundert Jahre vor Christus. Es geht darin um einen Menschen, der gut und recht vor Gott lebt, sehr reich an Viehherden ist und viele erwachsene Söhne und Töchter hat. Er ist ein Vorzeige-Mensch seiner Zeit, der Gerechte schlechthin. Reich und mächtig und dabei glücklich, und voller Gottvertrauen. Das gefällt dem Teufel nicht und er fordert Gott heraus, bis er die Einwilligung erhält, Hiobs Gottvertrauen auf die Probe stellen zu dürfen.  So kommt der Tag des Unglücks über Hiob, an dem seine Knechte kommen und ihm eine verheerende Unglücksnachricht  nach der anderen überbringen, Hiobsnachrichten: Leute aus dem benachbarten Saba haben alle seine Rinder und Eselinnen beim Pflügen geraubt und die Knechte erschlagen.
Ein Blitz tötete Schafherden und Hirten auf dem Feld, nur einer kam lebend davon und berichtete es Hiob.  Andere Nachbarvölker kamen und stahlen alle seine Kamele und brachten die Knechte um. Und schließlich verwüstete ein Tornado das Haus, in dem seine erwachsenen Kinder  miteinander aßen.  Hiob selbst wird von einer Krankheit befallen, die seinen Körper über und über mit Geschwüren bedeckt.
Innerhalb von Stunden ist aus dem glücklichen, mächtigen Hiob ein gebrochener Mann geworden, der in der Asche sitzt und seine Wunden schabt. Hiob trauert gottergeben.  Es kommt kein böses Wort gegen Gott über seine Lippen. Freunde kommen und begleiten ihn in seinem Schmerz. Sie reden auf ihn ein, er habe etwas falsch gemacht, dass Gott ihn straft.  Er aber ist sich keiner Schuld bewusst außer der einen: dass er ein Mensch ist. Erschöpft von Weinen und Klagen wünscht er sich, dass er nie geboren worden wäre und, dass Gott doch bald seinem Leiden ein Ende macht.

Hiob sagt zu Gott: (Hiob 14, 1-6)

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

 

Hiob ist völlig am Ende, erschöpft.

Sein Leben ist wie eine harte, ungerechte Prüfung für ihn, denn er hatte immer alles richtig gemacht. Er hatte nach der alten Weisheit gehandelt: „Handle recht, so geht es Dir gut.“ Aber diese Weisheit hatte sich nun als falsch erwiesen. Denn obwohl er gerecht gelebt hatte, geht es ihm nun so schlecht, dass er am liebsten sterben würde. Aber warum dieses Leiden? Der einzige Grund, der ihm einfällt, ist der, dass er ein Mensch ist. Darum ist er unrein, denn er stammt von Menschen ab, die Fehler gemacht haben. Somit kann er nie ganz rein sein, er kann Gott nie ganz genügen. Es ist eine geerbte Schuld, die Sünde aller Menschen, die vor ihm waren. „Erbsünde“ wird ein Kirchenmann sie später nennen, die Schuld, die uns Menschen und Gott trennt. Hiob sieht nur, dass es ungerecht ist, dass Gott ihn vor Gericht zieht, jetzt schon, mitten im Leben, nicht erst am Ende. Nie könnte er vor Gott bestehen als Mensch. Gott ist ganz anders. Was hat er mit einem Menschen wie ihm zu tun? Diese Dauerprüfung überfordert ihn. Und sie stellt sein Vertrauen zu Gott auf eine harte Probe.

Hiob findet seinen altvertrauten Gott nicht mehr. Den, zu dem er in guten Zeiten betete. Der Gott, den er jetzt sehen kann, ist grausam, hart. Er lässt das Unsägliche über Hiob kommen. Dennoch redet Hiob weiter mit ihm. Er hat seine Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass es den vertrauten, den liebenden Gott noch gibt. Er bittet diesen harten Gott, dass der wegguckt, damit er, Hiob, Ruhe hat. Erst, wenn er stirbt, will er sich vor Gott verantworten müssen. Und es klingt die leise Hoffnung an, dass Gott ihn dann doch zu sich holt und ihn tröstet, so, wie Hiob es immer gehofft hat.

Denke ich an Hiob und an die Menschen im Ersten Weltkrieg mit all ihrem Leid, dann fällt mir das Gesicht der Bildhauerin Käthe Kollwitz ein, wie sie selbst sich 1916 gesehen hat. Zwei Jahre nach dem Kriegstod ihres jüngsten Sohnes Peter zeichnet sie ihr Gesicht mit schwarzer Kreide auf grauem Papier. Es zeigt ihre geschwollenen Lider, die resignierten, kraftlos wirkenden Mundwinkel, ihr Blick ist nach innen gekehrt. So sieht eine Frau aus, die nächtelang geweint hat und nun leer ist, zu schwach, um zu weinen. In Ihr Tagebuch schreibt sie: „Schmerz und Sehnsucht fressen die Kraft, ich brauche Kraft“ (a.a.O., S.71)1Käthe Kollwitz trauert um ihren achtzehnjährigen Sohn Peter, der sich, wiewohl noch nicht wehrpflichtig, selbst voller patriotischer Begeisterung für den Kriegsdienst gemeldet hatte, und in den Anfangswochen des Ersten Weltkrieges in Belgien als erster seines Regiments im Gefecht fiel. Er starb einen sinnlosen Tod. Er war einer von unzähligen jungen Männern, die ihren Eltern in den Ohren lagen, in den Krieg ziehen zu dürfen, voller Freude, ihrem Vaterland einen Dienst zu erweisen, voll Ungeduld, für Deutschland zu kämpfen und zu siegen. Die Frau auf der Zeichnung sieht nicht stolz aus und auch nicht so, als denke sie an den möglichen Sieg für Deutschland. Sie ist weich und verletzlich. Sie trauert um den sinnlosen Tod ihres Kindes und vieler seiner Freunde. Wenn ich sie so sehe, frage ich mich:

Wo ist Gott in dem vielen Leid, das der Erste Weltkrieg und all die Kriege, die seitdem sich ereignet haben, in nie gekanntem Ausmaß über Menschen gebracht haben? Es ist die uralte, doch nie zu lösende Frage: “Wo ist Gott, wenn er allmächtig und doch barmherzig ist?“

In den Worten aus dem Hiobbuch finde ich die einzige Hoffnung darin, dass Hiob diesen Gott nicht aufgibt. Er redet mit ihm, selbst wenn er den freundlichen Gott von früher nicht mehr erkennt. Es bleibt die Hoffnung, dass Gott, der sich so grausam zeigt, ihm nach dem Tod, dann wenn sein Tag gekommen ist, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut, wie er sagt, dass Gott es ihm dann irgendwie erträglich machen wird.
Später in der Bibel antwortet Gott selbst Hiob und zeigt sich als der allmächtige Schöpfergott, der tun kann, was er will und einem Menschen keine Erklärung schuldig ist. Er fragt Hiob: „wo warst du, als ich die Erde gründete?“ 2 Gott zeigt auch: Menschen irren, wenn sie meinen, er, Gott, hätte das alles getan, um Hiob zu strafen. Er tadelt Hiobs Freunde, die ihm aufschwatzen wollten, er habe sein Unglück verdient. Sie müssen ein Opfer darbringen und Hiob soll für sie beten. So kommt Hiob schließlich wieder mit sich und Gott ins Reine. Er hat die Prüfung bestanden und alles wird gut.

So gut wie in der Legende von Hiob geht die Weltgeschichte nicht aus, leider. Viele, viele Menschen haben das Leid, das ihnen von anderen Menschen sinnlos zugefügt wird, nicht überlebt. Viele leiden auch jetzt unbeschreiblich. Wir sind mitten drin im Leiden der Welt, im Leiden der Menschen an einander. Und es ist eine Aufgabe, darüber an Gott festzuhalten, auch wenn wir ihn nicht verstehen, wir müssen ihn suchen. Kann sein, dass es dauert und dass es unsere ganze Kraft fordert. Tränen und Schreien und die Frage, warum, sie finden ihren Weg zu Gott. Er leidet mit. Ich glaube daran, dass er jeder und jedem Menschen antwortet.

Martin Luther hat gesagt: Wir sehen nicht immer das freundliche Gesicht Gottes. Oft wendet Gott sein Gesicht ab und verbirgt sich vor uns. Dann denken wir, er ist grausam, er straft oder ist zornig mit uns. Das ist aber nicht alles. Gott hat uns in Jesus Christus gezeigt, dass er uns Menschen über alles liebt. Er leidet mit uns.

Käthe Kollwitz fand neuen Lebensmut  in dem Gedanken, dass ihre künstlerische Arbeit ihre ganz persönliche Aufgabe sei, die sie in dieser Welt zu erfüllen habe. Und sie arbeitete an einem Grabmal für ihren gefallenen Sohn Peter. Viele Jahre lang verwarf sie und entwarf sie es immer neu, bis es genau richtig war: sie schuf zwei steinerne  Figuren,  die trauern. Einen Vater, der seine Arme ringt im Schmerz um den gefallenen Sohn. Eine Mutter die in sich gekehrt nach innen schaut, gehüllt in ein weites Tuch. Der Mann trägt die Züge ihres Ehemanns Karl, die Frau ihre eigenen, die der trauernden Käthe Kollwitz. Aufgestellt wurden sie zu Füßen des Grabs ihres Sohnes Peter in Flandern. Als die deutsche Biografin der Bildhauerin viele Jahre später eine Bewohner dieses Ortes in gebrochenem Französisch nach dem Grabmal fragt, und Sorge hat, dass sie als Deutsche möglicherweise  noch zu den ehemaligen Kriegsfeinden gezählt werde, weiß diese genau, was sie meint. Die Biografin erzählt: „Die Frau krümmt den Rücken, schlägt die Arme ineinander, beugt den Kopf in Trauer.“3 Sofort steht das Grabmal den Umstehenden vor Augen. Ach ja, die Mutter, der Vater.  Krieg sei nicht gut, sagt ihr ein Mann in gebrochenem Deutsch, dann müssten die Eltern weinen – wie diese dort. Er zeigt auf die Figuren. Das Bildnis der tiefsten Trauer der Künstlerin war zum Symbol für das Leid aller Hinterbliebenen und für ihren stillen Protest geworden. Im Leiden sind wir universal – wollte Gott, wir würden es auch im Frieden.

Käthe Kollwitz, Selbstbildnis nach Peters Kriegstod, 1916 (privat)

© Lippische Landesbibliothek Detmold

 

 

1 I Ilse Kleberger, Käthe Kollwitz. Eine Biographie. Leipzig1998 , S. 71

Bild im Internet zu finden unter dem Titel: Käthe Kollwitz, Selbstbildnis 2016, Postkarte. Signatur: SW 652a http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus -unserer-arbeit/ausstellungen/2018-1.html  Das Bild darf lt. Auskunft der Landesbibliothek in der dortigen Auflösung frei verwendet werden.

2 I Hiob 38,4

3 I A.a.O., 7f

Perikope
11.11.2018
14,1-6

​Die Frage nach dem Leid - Predigt zu Hiob 19,21-27 von Christoph Dinkel

​Die Frage nach dem Leid - Predigt zu Hiob 19,21-27 von Christoph Dinkel
19,21-27

Die Frage nach dem Leid

Die Frage nach dem Leid ist eine der Grundfragen der Menschheit. Sie begegnet in vielerlei Form: Warum muss ich leiden? Ist es gerecht, dass Menschen leiden? Hat das Leiden einen tieferen Sinn? Schickt Gott das Leiden? Wie geht man um mit einem Menschen, der leidet? – Die Frage nach dem Leid kann einen ganz allgemein bewegen, wenn man erlebt wie andere Menschen krank sind oder einen schweren Verlust erleiden. Die Frage bekommt aber eine andere Wucht, wenn man selbst es ist, der mit Krankheit, Verlust oder Niederlagen fertigwerden muss. Aber auch wenn es einem selbst gut geht, kann einem das medial sichtbar werdende Leid anderer Menschen nahegehen. Große Unglücksfälle wie der Germanwings-Absturz, der Amok-Lauf von Winnenden oder die Attentate in Paris und im Nahen Osten nagen an unserem Vertrauen in die Stabilität der Welt und ihrer Ordnung. Sie untergraben bei so mancher und manchem das Sinnvertrauen und den Mut zu leben.

In der Bibel wird das Leid der Menschen an vielen Stellen zum Thema. An erster Stelle wäre das Leiden Christi zu nennen. Aber schon im Alten Testament spielt die Frage nach dem Leid eine prominente Rolle, am prominentesten im Buch Hiob. Aus diesem Buch ist unser heutiger Predigttext entnommen. Er soll ab 2017 neu in die Reihe der Predigttexte aufgenommen werden. Ich werde ihn erst später vorlesen, denn um den Text zu verstehen, muss man einiges zu Hiob wissen.

Zu finden ist das Hiobbuch im Alten Testament. Die namensgebende Figur Hiob kommt unter dem Namen Ayyub auch im Koran vor. Eine historische Person sollte man hinter Hiob nicht vermuten. Schon in der Antike nahm man an, dass es sich um eine literarische Figur handelt. Jedem, der das Hiobbuch liest, fällt auf, dass es höchst verschiedenartige Texte enthält. Es ist erkennbar nicht aus einem Guss. Das Buch beginnt und endet mit der sogenannten Hiobslegende, einer weisheitlichen Lehrerzählung, die in Prosa verfasst ist und eine Verwandtschaft zu Märchen und Mythen erkennen lässt. In diesen Prosa-Rahmen sind ausführliche poetische Texte eingefügt, allesamt Reden von Hiob und seinen Freunden, teils den Psalmen sehr ähnlich.

Hiob ist ein frommer Mann und meidet das Böse. Er hat sieben Söhne und sieben Töchter. Er hat tausende Schafe und Kamele, Rinder und Esel, zahllose Diener, Knechte und auch sonst großen Reichtum. Hiob liebt Gott. Es geht ihm rundum gut – und Gott ist stolz auf den frommen Hiob.

Doch dann kommt der Satan im Spiel. Er gehört zu den Gottessöhnen im Himmel und sagt zu Gott: Hiob ist nur so fromm, weil es ihm so gut geht. Ginge es ihm schlecht, würde er vom Glauben abfallen. Satan verführt Gott also zu einer Wette – und Gott lässt sich darauf ein. Der Satan darf Hiob alles nehmen, nur ihn selbst soll er schonen. Der Satan nutzt die Chance und mit einem Mal ereilen Hiob all die Botschaften, die als Hiobsbotschaften bekannt geworden sind: Ein Bote meldet Hiob, dass Feinde kamen und alle seine Rinder und Esel geraubt und die Knechte erschlagen haben. Der nächste Bote meldet, dass Feuer vom Himmel fiel und Schafe und Knechte verbrannt hat. Der dritte Bote meldet einen feindlichen Überfall auf die Kamele und den Tod der Kamelknechte. Schließlich kommt noch ein vierter Bote: Ein Sturm brachte das Haus zum Einsturz, in dem die Söhne und Töchter Hiobs feierten. Alle vierzehn sind tot.

Hiobsbotschaften. Haben Sie einmal eine solche Hiobsbotschaft hören müssen? Die Welt verdunkelt sich. Der Boden unter den Füßen wird weggezogen. Kann es wirklich wahr sein, fragt man sich. Und mit zunehmendem Entsetzen stellt man fest, dass das Unheil wirklich ist. Hiob geht es nicht anders. Es heißt: „Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief.“ Das sind Gesten des Entsetzens und Riten der Trauer. Doch dann spricht Hiob und sagt: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!“ (1,20-22) Hiob hält Gott die Treue, er verliert seinen Glauben nicht. Der Satan verliert die Wette. Aber was für Sätze sind das: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt! – Sind das wirklich menschliche Sätze? Ist das die Lösung? Eine solche Gottergebenheit?

Die Geschichte geht weiter. Der Satan versucht es mit verschärften Maßnahmen. Nun geht es Hiob selbst an den Kragen. Er bekommt am ganzen Körper Geschwüre und Ausschläge. Alles tut weh und er sieht grässlich aus. Seine Frau spottet über ihn: Na, glaubst du immer noch an Gott? – Doch auch dieses Mal bewährt sich Hiobs Frömmigkeit. Seine Frau fährt er an: „Du redest wie die törichten Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (2,10) – Wieder sagt Hiob Sätze von einer schier übermenschlichen Größe und Gottergebenheit. Sollen wir so mit unserem Leiden umgehen? Wäre das die richtige Frömmigkeit, der rechte Gottesglaube?

An dieser Stelle der Geschichte ist man geneigt, das Buch zuzuschlagen und zu denken: Schön, dass Hiob so ein Held ist. Ich bin es nicht. Mit mir hat Hiobs Frömmigkeit nichts zu tun. Doch wer dann weiterliest, wird überrascht. Denn plötzlich werden ganz andere Töne angeschlagen. Hiob erhält Besuch von drei Freunden. Sie haben von seinem Unglück gehört. Sie erkennen Hiob erst gar nicht, so entstellt ist er von seiner Krankheit. Doch dann klagen sie mit ihm und setzen sich zu ihm. Sieben Tage und sieben Nächte sitzen sie stumm bei Hiob und reden nichts, „denn“, so heißt es, „sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (2,13) – Hiobs Freunde können schweigen, sie können sein Unglück mit ihm aushalten. Sie texten ihn nicht zu. Sie nehmen einfach wahr, teilen den Schmerz und bleiben Hiob nahe. Hiobs Freunde machen erst einmal alles richtig. Ihr Verhalten ist bis heute Vorbild für die Seelsorge: Der Leidende hat Vorrang. Er spricht als erster. Bevor man dummes Zeug sagt, sollte man lieber den Mund halten.

Der erste, der spricht, ist Hiob. Und was er sagt, passt gar nicht zu der Schilderung des Hiobs in der Legende. Hiob redet lange und er beginnt so: „Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! […] Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? […] Was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen.“ (3,3-25) – Der Hiob, der hier spricht, trägt zwar denselben Namen, aber seine Haltung ist eine ganz andere. Und tatsächlich ist der Mittelteil des Hiobbuches unabhängig von der Legende entstanden, die den Rahmen des Buches bildet. Erst später wurden die Teile von einer Redaktion zu einem Buch zusammengefügt. Aber auch dieses Buch wurde noch weiterbearbeitet und ergänzt. Immer neue Autoren erweiterten die Vorlage durch ihre eigene, manchmal ähnliche, manchmal abweichende Sicht der Dinge.

Das Hiobbuch ist erkennbar nicht aus einem Guss. Aber gerade aus der Spannung und Vielzahl seiner Perspektiven zieht das Buch Hiob seine Faszination und Überzeugungskraft. Hier wird nicht nur eine Antwort gegeben, hier kommen ganz verschiedene Meinungen, Einstellungen, Positionen zur Sprache. Und alles steht nebeneinander, damit sich die Leserin und der Leser selbst eine Meinung bilden können. Bei wirklich wichtigen Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Wirklich wichtige Fragen müssen diskutiert und aus verschiedenen Perspektiven und Positionen beleuchtet werden. Das Hiobbuch liefert keine abgeschlossene Meinung, es regt an zur Auseinandersetzung und zur eigenen Stellungnahme. – Und so ist es ja überhaupt mit dem christlichen Glauben. Er liefert keine abschließende Erklärung für das Leiden, der Glaube ist vielmehr die Kultur, mit den großen Fragen des Lebens, speziell auch mit der Frage nach dem Leid umzugehen und sich produktiv damit auseinanderzusetzen.

Auf Hiobs Klage antworten seine Freunde in mehreren langen Reden. Sie vertreten die damals üblichen gesellschaftlich verbreiteten Ansichten über das Leiden: Für irgendetwas muss Hiobs Leiden die Strafe sein, umsonst kann es ihn nicht getroffen haben. Er soll in sich gehen und sich demütig an Gott wenden, dann wird er ihm auch wieder helfen. Vielleicht ist das Leiden eine Erziehungsmaßnahme Gottes, wer weiß, wozu es gut ist? – Hiob wird von mal zu mal zorniger über die Reden seiner Freunde. Anfangs versucht er, ihre Argumente noch zu würdigen, doch irgendwann platzt es aus ihm heraus, geradezu zynisch sagt er zu seinen Freunden: „Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben!“ (12,2) „Ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte. Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben.“ (13,4f) „Wollt ihr Gott verteidigen mit Unrecht und Trug für ihn reden?“ (13,7) „Ihr seid allzumal leidige Tröster“ (16,2).

Haben die Freunde Hiobs mit ihrem anfänglichen Schweigen alles richtiggemacht, so machen sie nun alles falsch. Sie erklären ihm die Welt und das Leiden und für Hiob wird dies immer unerträglicher. Er fühlt sich bedrängt und verhöhnt. Zum Leiden hat er nun auch noch die Schmach, dass er irgendwie selbst an seinem Leiden Schuld sein soll. Dabei weiß er genau, dass keine seiner Taten das Leid rechtfertigen könnte, das er erleben muss. Mit letzter Dringlichkeit sagt er seinen Freunden: So merkt doch endlich, dass Gott mir unrecht getan hat. Ich schreie Gewalt und werde doch nicht gehört, ich rufe, aber kein Recht ist da (19,6f) Meine Freunde haben mich vergessen. Mein Atem ist meiner Frau zuwider, den Söhnen meiner Mutter ekelt es vor mir. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. (19,13-20) Hiob ist fertig mit der Welt und seinen Freunden, er ist total verzweifelt. Und an dieser Stelle setzt unser heutiger Predigttext ein. Ich lese Hiob 19,21-27:

Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel in Blei geschrieben, zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen!

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Hiob ist verzweifelt. Er klagt Gott an und beschimpft seine Freunde. Aber Hiob gibt nicht auf. Mit Gott hält er gegen Gott daran fest, dass Gott sein Leben, seine Gesundheit, sein Glück will. Mein Erlöser lebt. Er wird mir helfen. Ich werde Gott sehen und nicht die anderen, die mir dumme Ratschläge geben. Der Glaube Hiobs ist paradox: Er wendet sich gegen Gott und zugleich wendet er sich an Gott. Der, den er anklagt, der wird ihm helfen. Das ist keine einfache Lösung auf die Frage nach dem Leid. Aber es ist vielleicht die sinnvollste Lösung, die zu finden ist. Das Buch Hiob nimmt Hiobs Leiden bis ins letzte ernst. Es ermäßigt nichts und nimmt nichts weg davon. Das Leiden ist zu nichts gut. Es ist böse, teuflisch. Leiden soll nicht sein. Dass der Gerechte leidet, ist ein Skandal, der zum Himmel schreit. Hiob ist der Gefährte aller Leidenden, aller, die in Verzweiflung gestürzt sind und drohen zu Grunde zu gehen.

Was aber sagt Gott zu alledem? Wieder ist die Antwort des Hiobbuches keine einfache. Gott weist die Anklage Hiobs zurück. Du, Mensch, bist viel zu klein und unbedeutend als dass du den Lauf der Welt nach gerecht und ungerecht beurteilen könntest. Aber Gott weist auch die Verteidigungsversuche der Freunde Hiobs zurück: Ihr habt nicht recht geredet wie mein Knecht Hiob. (42,7) Gott steht auf der Seite Hiobs, auf der Seite des Leidenden. Gott gibt Hiob gegen dessen Freunde darin recht, dass Hiobs Leiden ungerecht ist, dass es nicht von Gott geschickt wurde, dass Gott dieses Leiden nicht will. Und so wendet sich am Ende des Buches Hiobs Geschick wieder ins Freundliche. Es ist wie im Märchen: Hiob bekommt von allem, was er verloren hat, das Doppelte wieder. Er lebt weitere 140 Jahre und wird Vater weiterer Töchter und Söhne. Seine Töchter sind die schönsten Frauen im ganzen Land, er sieht Nachkommen bis zur vierten Generation großwerden. Am Ende stirbt Hiob zufrieden, alt und lebenssatt. (42,15-17)

Hiob ist ein großes Vorbild im Glauben. Vielleicht weniger der Hiob der Legende, der das Leid mit so übermenschlicher Stärke akzeptiert und für den dann am Ende alles wieder gut wird. Den meisten dürfte der Hiob der Reden näherstehen: Der aufbegehrende Hiob, der streitende, kämpfende Hiob. Der sich nicht abfindet mit Krankheit, Niederlage, Leid, Elend, Verlust. Der Hiob, der für sich das Leben und Gerechtigkeit und Glück fordert. Der gegen alles, was ihm widerfährt, daran festhält, dass Gott es gut mit ihm, seinem Geschöpf meinen muss. Hiob findet Worte für sein Unglück, die auch wir sagen können, wenn uns das Leiden trifft und wir zu verstummen drohen. Hiob ist ein Gefährte im Leiden, ein Freund in großem Schmerz.

Und dann ist da mitten in der Klage, mitten im Kampf dieser große Satz Hiobs: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Aus der größten Verzweiflung taucht die Hoffnung auf, dass es in der Tiefe des Abgrunds Halt gibt. Der Sturz geht nicht ins Bodenlose. Am Ende ist da eine Hand, die uns hält. Am Ende ist Gott da, der uns auffängt. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt – das ist ein Satz gegen die Angst, ein Wort, das mitten in der Verzweiflung die Rettung erahnt.

Für den Umgang mit dem Leiden gibt es keine einfachen Lösungen. Das Hiobbuch hält ganz verschiedene Perspektiven auf das Leiden bereit: Ergebung und Widerstand, Erklärung und Aufbegehren. Das Hiobbuch nimmt nichts von der Schwere des Leides weg. Es lotet jede Tiefe des Schmerzes aus. Und doch verweist es uns mitten im Dunkel auf das Licht: Ich weiß, dass mein Erlöser naht. Der Sturz geht nicht ins Bodenlose. Am Ende ist da eine Hand, die uns hält. Gott fängt uns auf. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. – Amen.

Perikope
20.03.2016
19,21-27