Sieben Tage, sieben Nächte - Predigt zu Hiob 2,1-13 von Manfred Wussow
1 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den Herrn trat. 2 Da sprach der Herr zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. 3 Der Herr sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben. 4 Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. 5 Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen! 6 Der Herr sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben! 7 Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des Herrn und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. 8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche. 9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! 10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.11 Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. 12 Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.
Schweigen
Sie kennen die drei bestimmt nicht! Ihre Namen tauchen auch sonst nie auf: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Elifas ist in der Reihe wohl der Älteste, Bildad in den mittleren Lebensjahren und Zofar der Jüngste. Junger Vogel, heißt er. Wenn man seinen Namen wörtlich übersetzt. Hiobs Freunde kommen auch von weit her, sie bringen die große Welt mit – oder: die große Welt macht sich auf, das Leid eines Menschen mitzutragen. Hiob ist nur noch ein Häufchen Elend. Nichts ist ihm geblieben. Die Asche, auf die er hockt, riecht nach verbranntem Leben.
Sieben Tage, sieben Nächte werden die Freunde auf dem Erdboden verbringen, sieben Tage, sieben Nächte – schweigen. Das Leid ist so groß, dass alle Worte schwinden. Von der Vergangenheit reden, macht in der Situation traurig und verzagt, was ist, lässt sich nur beklagen, was kommt, kennt noch keine Worte.
Stellen wir uns die Szene doch einmal vor! Auch wenn die „sieben Tage“ und „sieben Nächte“ nicht wörtlich zu nehmen sind, es ist eine gemeinsame Zeit. Dabei können auch „sieben Tage“ und „sieben Nächte“ eine Ewigkeit sein. Wie eine Zeit, die kein Ende nimmt – oder, auch: eine gefüllte Zeit mit eigenem Glück. Einmal wird man darüber reden können, jetzt aber sind Deutungen und Vertröstungen nur bitter. Doch ein riesiges Vertrauen schält sich aus dem Schweigen heraus. Wir sind bei dir. Wir stehen zu dir. Du bist nicht alleine.
Im Himmel aber werden Zweifel gesät. Eine dubiose Figur taucht auf, die keinen Namen hat. Satan? Das ist doch der, der alles verwirrt. Hiob glaube und vertraue ja doch nur, weil es Gott gut mit ihm gemeint habe. Mit Reichtum, großer Familie, strotzender Gesundheit. Erfolg, Glück in Hülle und Fülle. Wenn ihm das alles genommen wird – du wirst sehen, Gott: Du bist dann weg! Mach dir keine falschen Hoffnungen! Hiob ist so wie die anderen! Und ganz unverhohlen dazu: Du, Gott, hast dir den Glauben von Hiob auch nur erkauft. Du bist – käuflich!
Hiob weiß nichts davon. Die Freunde auch nicht.
Hiobsbotschaft
Entschuldigung, ich habe gar nicht gefragt, ob Sie Hiob kennen. So richtig viel wissen wir von ihm nicht. Er ist als der große Dulder in die Geschichte eingegangen. Was ihm widerfährt, was ihm auch Stück für Stück zugetragen wird, wird „Hiobsbotschaft“ genannt. Nicht, dass es so etwas nicht vor ihm auch schon gegeben hat – aber mit Hiob haben die Hiobsbotschaften einen Namen bekommen.
Bei ihm ging es Schlag auf Schlag. Eine Hiobsbotschaft folgte der nächsten. Erst ging sein Vieh unter – sein Reichtum. Dann kommen die Kinder um – seine Zukunft. Und schließlich wird seine Haut von Geschwüren gefressen – es geht ihm ans Fell. Noch mehr geht nicht. Die letzte Steigerung wäre der Tod. Aber angesichts dieses Übermaßes an Leid wäre der Tod Erlösung. Nur – die wird nicht gewährt.
Hiob muss dadurch.
Hiobsbotschaften kommen aus heiterem Himmel. Dann ist das Leben nicht mehr wie vorher. Es ist, als ob die Erde nachgibt, der Himmel gar über einem Menschen zusammenfällt. Nichts ist mehr in Ordnung. Es ist, als ob die Schöpfung zurückgenommen wird.
Manchmal erzählen mir Menschen von Hiobsbotschaften.
Ein Arztbesuch. Harmlos. Eigentlich. Aber die Diagnose lautet: Krebs. Wie vom Donner gerührt. Die Zeit bleibt stehen.
Eine Hiobsbotschaft.
Die Arbeit macht Freude. Die Familie freut sich. 1.000 Stellen sollen gestrichen werden. Dann kommt die Kündigung. Ein paar Zeilen. Floskeln.
Eine Hiobsbotschaft.
Zwei Menschen, die sich liebten, haben sich auseinandergelebt. Sie konnten nicht darüber reden. Das Schweigen half nicht. Dann kam die Trennung. Gefühlt wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Eine Hiobsbotschaft.
Angst vergreift sich zuallererst an den Herzen der Menschen. Und gelegentlich kommt die Wut dazu. Eine stille Wut. Eine Wut, die sich nach innen kehrt. Manchmal igeln sich Menschen dann ein. Sie möchten keinen Rat und auch keinen Trost. Sie möchten mit sich alleine sein. Manchmal aber möchten Menschen einfach in den Arm genommen werden, ohne etwas sagen, etwas hören zu müssen. Zusammen still zu sein, ist eine Kunst. Dann wärmt die Nähe.
Eine andere Hiobsbotschaft jährt sich gerade. Vor einem Jahr wurde die Ukraine quasi über Nacht überfallen. Nach einem öffentlichen Ringen. Alte Sicherheiten – und alte Täuschungen – sind auseinander gefallen. Blöcke türmen sich jetzt auf. Feindbilder werden geputzt. Unendlich viele Menschen sterben, viele sind geflohen, viele verlieren alles. Wenn es doch nur eine Hiobsbotschaft gäbe! Aber – die eine gebiert immer neue.
Eine Hiobsbotschaft ist noch ganz frisch. Eine? Im Stundentakt vermehrte sie sich. Die Erde bebte in der Türkei und in Syrien. Häuser fielen in sich zusammen und begruben Menschen im Schutt. Fassungslos sprechen Menschen auch von Schuld. Und von Schuldigen. In den Opferzahlen verschwinden Gesichter und Geschichten. Was sagen schon Zahlen? Dreißigtausend, Vierzigtausend, Fünfzigtausend? Was heißt, kein Zuhause mehr zu haben? Was heißt, vergessen zu werden?
In der öffentlichen Wahrnehmung müssen Hiobsbotschaften sich mit dem Sekundentakt begnügen.
In den Nachrichtensendungen auch. Danach geraten die schlimmsten Szenen und entsetzlichsten Geschichten sogar ins Hintertreffen. Es gibt zu viele. Jeden Tag.
Manchmal höre ich nicht mehr zu.
Aber ist das nicht auch eine – Hiobsbotschaft?
Der siebte Tag
Sich mit einer Situation abzufinden, das Schicksalhafte anzunehmen und das Unerklärliche zu akzeptieren, kann keinem Menschen auferlegt werden. Hiob wird mit seinen Freunden noch große Dispute darüber führen. Das heben wir uns für eine andere Gelegenheit auf.
Dass Schweigen sehr böse werden kann – oder auch böse enden, haben Menschen oft schon leidvoll erlebt. Als sie Nähe suchten, bekamen sie Distanz, als sie auf Verstehen hofften, schlug ihnen Desinteresse entgegen. Wenn Abstände entstehen, über die keine Brücke führt, gibt es keinen Weg. Die, der – da. Ich – hier. In diesem Schweigen gehen Menschen unter. Ich müsste schreien! Aufstehen!
Der Hiob in der Asche ist nicht alleine. Er geht nicht unter. Seine Freunde sind schweigend im Gespräch mit ihm vertieft. Was sie verbindet, braucht keine Worte. Eine große Ruhe stellt sich ein. Gedanken klären sich, Ängste werden abgewogen und neue Perspektiven tun sich auf. Schweigen erweist sich als Offenbarung. Im Schweigen hat sich Gott selbst offenbart. Da verstummte der Sturm. Da verebbte das Feuer. Und Gott ging den Menschen voraus.
Übrigens: Wenn von sieben Tagen und sieben Nächten die Rede ist, ist der siebte Tag Schabbat. Der Tag der Ruhe. Die Anspannung fällt ab. Ein tiefes Durchatmen. Am siebten Tag ruhte Gott und schaute auf sein Werk. Auf seine Schöpfung. Auf die Menschen. Jetzt wächst in dem Schweigen ein neuer Weg. Ein neuer Anfang. Eine neue Schöpfung.
Glaubensbekenntnis
Die Geschichte von Hiob hat den Weg in die Bibel geschafft. Ein umfangreiches Buch ist daraus geworden. Das Buch Hiob. Mit den Fragen, die uns immer noch umtreiben und immer wieder neu: Warum es Leiden gibt? Warum Ungerechtigkeit? Warum einen ungerechten Gott? Warum – Hiobsbotschaften?
Hiobs Frau spricht aus, was der Zweifelsäer längst erwartet und mit bestechender Logik vorgebracht hat: Jetzt hast du nichts mehr, lieber Hiob – lass es gut sein, schwör ab, fluche Gott, stirb! Es gibt nichts, was dich hält. Es gibt nichts, was uns hält. Wir sind am Ende!
Und Hiobs antwortet:
„Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Es ist ein Satz. Kein Wort ist zu viel. Man hört den Atem.
Hiob klagt nicht darüber, was ihm genommen wurde, was verloren ging, was ihn geschlagen hat. Hiob fragt auch nicht: Warum?
Hiob schaut auf Gott. Wir ihm empfangen wir Gutes. Von Anfang an. Er ist die Quelle des Lebens. Schöpfer der Welt. Fels in der Brandung. Burg im Gebirge. Licht der Welt.
Hiob überrascht uns mit seinem Glaubensbekenntnis. In der Situation. Er hockt in der Asche. Von Kopf bis Fuß ist er gezeichnet. Aber seinen Glauben hat er nicht verloren, er hat ihn sich auch nicht nehmen lassen, er wird von ihm getragen. Wir könnten sogar Dankbarkeit heraushören, aber das ist vielleicht doch zu gewagt.
Dass Gott Hiobs Bekenntnis hört, wird nicht erzählt – dass es der geheimnisvolle Gegenspieler wenigstens zur Kenntnis nimmt, auch nicht. Wir aber hören es! Es ist für unsere Ohren! Wir haben Gutes empfangen! Das Leben – und Gottes Treue!
Paulus wird viele Jahrhunderte später in seinem Brief an die Gemeinde in Rom auf Hiob Bezug nehmen: Wer hat Gott etwas gegeben, das er es ihm vergelten müsste? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! (Röm. 11,35f.)
Hiobs Botschaft
In einer langen Geschichte, die hier nicht nacherzählt werden kann, ist mit den Hiobsbotschaften die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gestellt. Das große Wort heißt: Theodizee. Nach dem Erdbeben von Lissabon, 1755, wurde die Warum-Frage öffentlich diskutiert. Zum ersten Mal gab es durch die damals aufbrechenden Medien eine große, fast weltweite Anteilnahme. Warum geht eine so große und bedeutende Stadt unter? Was haben die Menschen denn getan? Warum gibt es überhaupt so viel Ungerechtigkeit in der Welt? Warum keine Barmherzigkeit?
Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama mögen zwar schweigen, aber sie – sie sehen. Ausdrücklich, eindrücklich weiß die Geschichte davon zu erzählen. Die Freunde sehen das große Leid. Sie sehen aber auch den Glauben. Die Freunde teilen sieben Tage und Nächte mit Hiob. Sie teilen mit ihm auch sein Vertrauen. Mit ihren Augen heben sie Hiob aus dem Staub, tragen ihn aus der Asche. Hiob wird gesehen. Hiob wird wahrgenommen. Was der Zweifelsäer mit Gott besprochen hat, wissen die Freunde nicht. Sie können es nicht einmal ahnen. Nur: Das letzte Wort bekommt das Leiden nicht.
Den Hiobsbotschaften gesellt sich Hiobs Botschaft zu: Ich halte mich an Gott fest, ich lasse mich von ihm halten, mit ihm gehe ich in ein neues Leben.
Dieser Glaube kann in einem Schweigen wachsen und schließt dann neue Worte auf.
Sie kennen die drei jetzt! Ihre Namen können nicht vergessen werden: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Hiobs Freunde kommen von weit her, sie bringen die große Welt mit – oder: die große Welt macht sich auf, das Leid eines Menschen mitzutragen. Hiob ist kein Häufchen Elend. Der Glaube trägt ihn. Die Asche, auf die er hockt, riecht nach neuem Leben.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich sehe Menschen vor mir, die mit ihrem Schicksal, mit ihrem Leben hadern. Und ich sehe Menschen vor mir, die mit der Warum-Frage kämpfen, aber Frieden finden. Hiob ist ein besonderer Gesprächspartner, auch in der Stille. Wenn seine Freunde dazu kommen, wird der Gottesdienst komplett.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Hiob! Beflügelt hat mich u.a., dass die Predigt Station auf einem Weg ist – vom Psalm über das Kyrie bis hin zu den Fürbitten und dem gemeinsamen Abendmahl. Insofern wird Hiob Gast in einem großen Programm und Gesprächspartner Jesu auch. Dass nur die Predigt veröffentlicht wird, ist ein Manko.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mehr Hiob! Das Buch ist eine Fundgrube, seelsorgerlich, literarisch, philosophisch und theologisch. Selbst säkulare Zeitgenossen können sich mit Hiob gut auseinandersetzen und vielleicht Gott entdecken. Wenn nicht, tauchen sie in eine große Geschichte ein, die ihre Spuren auch in der Weltliteratur hinterlassen hat.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mein Coach (oder Coachin) hat kluge Fragen gestellt. Das „stille“ Gespräch mit ihr hat der Predigt gut getan. Jede Leserin, jeder Leser, begibt sich ohnehin auf eine eigene Reise.
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Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! - Predigt zu Hiob 19,19-27 von Andreas Pawlas
Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
Liebe Gemeinde!
Das kennen wir doch, dass wir Klagen hören - gerade in der jetzigen von der Pandemie geprägten Zeit. Und wer unter uns könnte nicht einstimmen, etwa in die Klage darüber, dass wir uns mit unseren Lieben nur im kleinen Kreis treffen und uns nicht umarmen dürfen, oder dass wir nicht in die Museen können, oder auch dass die Cafés geschlossen sind. Oder bestimmt auch, dass der Betrieb mit üblen Gewinn-Einbußen kämpft. Sicherlich weiß jeder von uns genug, was hier noch an aussprechbaren und unaussprechlichen Klagen hinzuzufügen wäre. Aber, in welch einer Not muss sich ein Mensch befinden, um so zu klagen und zu schreien, wie wir es hier von Hiob hören!
Wo wir heute und unter uns solche oder vergleichbare Nöte antreffen? Nein, meist stoßen wir nicht direkt darauf. Denn meist sind doch diese Nöte vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Nein, wir kommen nicht ohne weiteres hinein, etwa auf die Intensivstationen oder in die Sterbezimmer zu Haus. Oder wer lässt uns anteilnehmen an seinem Überlebenskampf während durchwachter und durchweinter Nächte im eigenen Schlafzimmer?
Aber vor allem, wer kann dann, wenn sich das Fieber-Karussell nur zu schnell dreht, wenn alles im Leben drunter und drüber geht und wenn kein Vertrauter mehr Zugang zu mir hat, noch so bildhafte Worte finden, wie Hiob? Bleibt da meist nicht nur ein Aufschreien, ein Stöhnen, ein Wimmern? Wie oft habe ich solche Klänge mitgenommen von meinen Besuchen bei Schwerverletzten oder Sterbenden in Krankenzimmern oder auf Intensivstationen. Aber sicherlich kommt es auch gar nicht auf die Macht der Formulierungen an, wenn es derart um das nackte Leben, und um das Sterben und Vergehen geht, wie bei Hiob.
Aber warum nur hat denn das Gottesvolk damals alle diese herzzerreissenden Klagen festgehalten und für uns Heutige weiter überliefert? Sicherlich, es kann hilfreich sein, sich in einer Gemeinschaft der Klagenden zu wissen, manchen kann es wirklich stärken, sich gemeinsam all diesem Leid und der Verzweiflung ausgesetzt zu sehen. Macht das nicht auch viel von dem Hilfreichen in einer Selbsthilfegruppe aus?
Sollte das Gottesvolk wirklich deshalb alle diese Klagen festgehalten haben, um uns Heutige in eine Selbsthilfegruppe der Klagenden mit einzubeziehen? Jedoch haben Selbsthilfegruppen meist zu Intensivstationen oder Sterbezimmern keinen Zugang. Darum ist die Botschaft der heutigen Zeit: Die tiefe Verzweiflung und die schwarze Ausweglosigkeit trifft uns meist allein - mutterseelen allein.
Wer mich da noch hört? Wem ich da noch etwas bedeute?
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gottesvolk alle diese Klagen Hiobs für uns Heutige festgehalten hat, weil in diesen Verzweiflungsschreien Hiobs ein Bekenntnis steckt. Es ist das Bekenntnis: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Und daran glaube ich fest, dass wir dieses Bekenntnis über Zeiten und Räume hinweg für uns gelten lassen dürfen:
So manches Mal hatte ich schwere Beerdigungen auf unserem Friedhof zu halten. Und dann ging es die altbekannte Strecke aus der Kapelle heraus bis zur Grabstelle. Aus dem Trauerzug hinter mir konnte ich dann meist noch so manches Schluchzen hören. Und allen stand noch bevor, wie sich der Sarg dann in die dunkle Erde senken würde, wobei Sekunden zu Ewigkeiten würden, und wo dann die Erdwürfe auf den Sarg diesen deprimierend dumpfen Klang ergeben würden, bevor dann alles vorbei wäre.
Aber vorher, ja vorher hatten wir auf diesem Weg von der Kapelle zur Grabstelle am Grab meines Vorvorgängers vorbei zu kommen Und dort, genau dort, da stand diese Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Und für mich bedeutete das: Ich atme durch! Und still danke ich diesem alten Pastor in meiner Seele, dass er die Gestaltung seines Grabsteins in dieser Weise verfügt hatte! Ja, so oft habe ich diese Inschrift als verständnisvollen hilfreichen Gruß von ihm verstanden, der mich ermutigte und mir Kraft gab, um Gottes willen auch dem schlimmsten Elend beizustehen. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Denn so tief sich auch die Verzweiflung ausbreiten will, so beklemmend und lähmend sich auch die Ausweglosigkeit auf unseren ganzen Leib legen und uns den Atem nehmen will, um Gottes willen darf ich noch anderes denken. Ich darf noch anderes fühlen, nämlich: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Es ist diese Gewissheit, ja diese Ostergewissheit „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, die uns schon heute, an diesen Sonntag in der Passionzeit, mit auf unseren eigenen Lebensweg mitgegeben werden darf.
Nein, die Passion ist nicht alles. Gewiss, die Leidenszeit gehört mit zu unserer Weltenzeit. Aber sie wird bedacht und tief ernst genommen, weil am Ende das Kreuz steht, das Kreuz der Beendigung des Leidens, das Kreuz als Weg zu Auferstehung und Leben: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Wenn auch ich in meinem Leben und Leiden nicht mehr in der Lage sein sollte, klar denken zu können, und wenn mir es auch Schläuche und Masken wären, die meinen einzigen Lebenshorizont bildeten und es mir unmöglich machen sollten, noch Worte zu meinen Lieben zu sagen, mit jedem Atemzug könnte ich dennoch hauchen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Und wenn mir meine Haut auch noch so zerschlagen ist, wenn ich keine Kraft mehr haben sollte, mich irgendwie zu regen, so will ich doch fest daran glauben, dass ich auch ohne mein Fleisch und seine Kraft Gott sehen werde. Ich selbst und kein Fremder. Ich will fest daran glauben, weil Jesus Christus an mich glaubt, weil Christus in seiner Passion für Dich und mich den Weg des Leidens zur Auferstehung gegangen ist, damit Du und ich genauso auferstehen wie er. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ Gott sei Dank!
Amen
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das eigene Erleben mit dem Hiob-Wort „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ auf dem Friedhof.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bitte und die Hoffnung, mich auch im eigenen Vergehen derart über dieses Hiob-Wort auf Christus verlassen zu können.
4.Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
ch habe gern Anregung des Predigtcoaches zu Vermeidung von Doppelungen und zur thematischen Konzentration aufgenommen.
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17.11.2019 - Vorletzter So. des Kirchenjahres
01.09.2019 - 11. So. nach Trinitatis
November mit Gott - Predigt zu Hiob 14,1-6 von Karoline Läger-Reinbold
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war, und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
da ist sie wieder, die Novemberdepression. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt – ein Text wie ein Seufzen. Auch längst vergangene Trauer wird unvermittelt wieder wach, legt sich leise wie ein Schleier auf die Haut, macht wieder rau, was doch schon geglättet war. Mit schneller Geste fahren wir darüber, wischen weg, polieren, setzen Glanzlichter auf. Ungeduldig möchte ich vertreiben, was tief im Innern schon entschieden ist: das Eingeständnis der Vergänglichkeit und der unsichtbaren Grenzen, unter denen wir leiden. Glücklich die Momente, in denen das alles von uns abfällt, in denen wir unbelastet gehen können. Glücklich die Zeiten, in denen es uns gut geht und wir das Leben genießen können. Selten sind sie von Dauer. Da gibt es Phasen melancholischer Verstimmung, die gehören zum Leben einfach dazu. Und leider gibt es manchmal auch die Zeiten tiefer Depression und echter Krise, in denen wir Hilfe brauchen und Unterstützung.
Die Bibel erzählt die Geschichte von Hiob, einem frommen Mann. Er war rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. Gott hatte ihn gesegnet mit sieben Söhnen und drei Töchtern, mit einem großen Bestand an Vieh und also sehr großem Reichtum. Hiob war ein gemachter Mann, dem es gut ging. Er war dankbar und glaubte an Gott.
Doch dann wird dieser Glaube auf eine harte Probe gestellt. Hiob verliert sein Haus, seine Kinder und seinen Besitz. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Das Unglück bricht über Hiob herein, und zwar im ganz großen Stil. Menschen, die so etwas erleben, sind traumatisiert. „Der Boden tat sich unter meinen Füßen auf“, sagt der Mann, der gerade vom Arzt seine Diagnose erfahren hat. Oder: „Ich habe gedacht: jetzt ist alles vorbei.“ So wird auch Hiob sich gefühlt haben, so wird er gedacht haben, als er seine Kleider zerreißt und sich das Haupthaar rasiert zum Zeichen seiner Trauer. Dann wirft er sich auf den Boden und ergibt sich seinem Los. Geradezu abgeklärt klingt es, wenn Hiob sagt: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! (1,21)
Hiob steht so fest in seinem Glauben, dass er auch in großer Trauer und Leid noch ein Gotteslob sagen kann. Doch es kommt sogar noch dicker: Hiob wird krank. Sein ganzer Körper wird überzogen mit bösen Geschwüren, vom Kopf bis zu den Füßen ist er übersät mit schmerzhaftem, ekligem Ausschlag. Und selbst Hiobs Frau stellt seine Frömmigkeit nun infrage: Sage Gott ab und stirb, sagt sie ihm. Kein schöner Satz aus dem Mund eines liebenden Partners. Die Nerven liegen also blank. Das ruft die Freunde auf den Plan. Hiob bekommt Besuch von seinen drei besten Freunden, die ihn nicht wieder erkennen, wie er da so liegt. Erschüttert leisten sie ihm Gesellschaft, zerreißen ebenfalls ihre Gewänder, setzen sich zu Hiob auf den nackten Boden und sagen ganze sieben Tage erst einmal nichts. Wortlos bleiben sie da und halten aus mit ihm. Und dann, nachdem eine Woche vergangenen ist, da bricht es aus Hiob heraus, und er verflucht die Last seines Lebens: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! (3,3) Worte wie diese und noch viel mehr sprudeln aus der Tiefe seiner Seele hervor, ungefiltert und bitter, und er lässt es geschehen. Die Freunde versuchen zu trösten, doch es zeigt sich schnell, dass sie mit ihrer Weisheit am Ende sind. Hiob lässt sich nicht trösten, er hält fest an seiner Klage, und er streitet mit Gott. Der Hinweis des Elifas, des ersten Freundes, Hiob können vielleicht sein Leid selbst verschuldet haben durch sein Verhalten, wird energisch zurück gewiesen. Nein, Hiob hat sich nichts vorzuwerfen, er ist nicht Schuld an dem, was ihn getroffen hat. Und diese Feststellung ist wichtig, auch für uns Heutige: der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist obsolet, er funktioniert nicht. Es mag einzelne, wenige Fälle geben, in denen Menschen selbst verschuldet in ihr Unglück laufen. Eine schwere Erkrankung, ein tragisches Schicksal, in der Regel sind sie weder hausgemacht und schon gar nicht als Strafe von Gott geschickt, sondern einfach geschehen. Und es ist keinem geholfen, wenn wir als Freunde oder Angehörige sagen: ach, hättest du doch nur… – besser aufgepasst oder gesünder gelebt oder intensiver gebetet. Oder noch schlimmer, die subtile Tour, Psychotherapie für Anfänger: guck doch mal genauer bei dir hin, was das bei dir ist, dass du dieses oder jenes Problem hat. Das wird ganz schnell zynisch und oft auch gefährlich. Solches Denken und Reden hilft keinem. Und Hiob hält zu Recht daran fest: dieses Leid, das mir widerfährt, ist zu groß und zu schwer, ich möchte lieber sterben und ich verstehe auch meinen Gott nicht mehr, der mich dies alles aushalten lässt. Der Mensch ist vergänglich, seine Tage sind gezählt, und am liebsten wäre mir, alles wäre vorbei und ich hätte endlich meine Ruhe.
Liebe Gemeinde, so geht es im Hiob-Buch immer wieder hin und her. Da sind die klugen und wohlmeinenden Reden der Freunde, die sich um Hiob sorgen und ihm helfen wollen, seine Lage zu verstehen oder doch zumindest zu ertragen. Und da sind die Klagen Hiobs, der seine Leidenserfahrung beschreibt. Ruhe wünscht er sich, keine schwatzhaften Ergüsse, die regen ihn nur auf. Ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte, so beschimpft er die Freunde (13,4). Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben, sagt er (13,5). Und dann spricht Hiob sehr eindrücklich von der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und von der Kürze des Erdenglücks. Und ich muss sagen, diese authentischen, offenen Worte in der Bibel sind mir unendlich lieb. Die Echtheit und Unverstelltheit, mit der Hiob zu Gott spricht und mit ihm sogar streitet, ich empfinde sie als heilsam. Für mich sind sie eine starke Ermutigung zum Gespräch mit Gott, zum Gebet. An Gott kann ich mich wenden auch dann, wenn gar nichts mehr geht, wenn ich in Sack und Asche auf dem nackten Boden sitze, er ist für mich da, und ich muss mich nicht schämen, weder für meinen kläglichen Zustand noch für die unfrisierten Gedanken. Das Hiobbuch endet mit einer langen Rede, in der Gott den Hiob anredet. Eine Antwort will ich diese Rede nicht nennen. Sie ist vielmehr ein eindrucksvolles Zeugnis für Gottes Souveränität und Macht, ein Hinweis auf sein schöpferisches Handeln in Raum und Zeit. Sie ist ein Erweis göttlicher Nähe und Ausdruck seiner Stärke, und Hiob begreift und wird still. Hiob sagt: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen hast, ist dir zu schwer (42,2). Und Hiob erkennt: nachdem er lange selbst geklagt hat, um Gott besser zu verstehen, muss er auch lernen, auf ihn zu hören. Ich will dich fragen, lehre mich, sagt Hiob zu Gott (42,4). Ein bemerkenswerter Satz. Denn für unsere Klage, für unser Beten heißt das ja: bei allem Raum, den die Klage bekommt, bei allem Fragen und Nachdenken über das eigene Los, das Gebet hat immer diese beiden Aspekte, die eigene Rede und die Öffnung für Gottes Wort. Und so, wie Hiob am Ende dieser Auseinandersetzung mit Gott den Weg aus Leid und Verzweiflung heraus findet, so scheint es mir ein guter Versuch zu sein, auch die Novemberdepression einmal hinein zu nehmen in unsere Gespräche mit Gott. Die kleine melancholische Verstimmung wie auch das tiefe Leid, das uns trifft. Bei ihm können wir es zeigen, wie schwer wir daran tragen, an der Vergänglichkeit des Lebens und an unserer Verletzung. Denn in Gott sind wir aufgehoben und zuhause, und das gilt ganz unabhängig davon, wie sich das Leben gerade wieder zeigt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
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Hiobs Botschaft - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Kathrin Oxen
Ihr habt mir tags von Gott erzählt, nachts hat mich euer Gott gequält. Ihr habt laut eures Gotts gedacht, mich hat er stumm zur Sau gemacht. Ihr habt gesagt, dass Gott mich braucht – Braucht Gott wen, den er nächstens schlaucht? Ihr habt erklärt, dass Gott mich liebt – Liebt Gott den, dem er Saures gibt?
Dunkle Tage, schwarzer Humor. Da spricht einer, der etwas weiß von den Novembertagen des Lebens. Der Vater in den letzten Kriegstagen gefallen, die Mutter mit den drei Kindern auf der Flucht aus der Heimat im Baltikum, der Tod der ersten Ehefrau, eine schwere Herzoperation, eine langwierige Krebserkrankung. Dichter versuchen, für alles Worte zu finden, sagt Robert Gernhardt, von dem dieses Gedicht stammt. Er hat Worte gefunden, in denen er auch angesichts seines Leidens erkennbar bleibt. Einer, der seinen Humor nicht verloren hat und noch seiner tödlichen Krankheit komische Seiten abgewinnen konnte.
Dunkle Tage, schwarzer Humor und die Erinnerung an den Mann auf dem Aschenhaufen, an Hiob. Einer, der Saures bekommen hat, um es zurückhaltend zu formulieren. Die Schicksalsschläge, die ihn treffen, die sprichwörtlich gewordenen Hiobsbotschaften, die ihm mitgeteilt werden – gar nicht schlecht, das alles mit Humor zu betrachten, gerade in diesen Novembertagen mit ihrem dunklen Stakkato aus Gedenken und Erinnern, empfundener und verordneter Trauer, feuchtem Herbstlaub und früher Dunkelheit.
Ich allein bin entronnen, dass ich’s dir ansage (Hiob 1.15), der Refrain der Boten, die Hiob grotesk anmutende Schicksalsschläge mitteilen, erst den wirtschaftlichen Totalverlust an Rindern, Knechten, Schafen und Kamelen und dann den Tod seiner zehn Kinder.
Als der noch redete, kam ein anderer und sprach (Hiob 1,16) … Und am Ende sitzt Hiob auf dem Aschenhaufen, der von seinem Leben übrig geblieben ist und kratzt seine juckende Haut mit den Scherben seines Glücks. Und es kommt noch schlimmer, denn jetzt kommen die Freunde. Hiob fehlt es nicht an Menschen, die ihm nahe sein wollen, die Anteil nehmen an seinem Schicksal, die ihm zur Seite stehen, leider weniger mit Tat, sondern vor allem mit Rat.
Ihr habt mir tags von Gott erzählt, ihr habt laut eures Gotts gedacht, ihr habt gesagt, dass Gott mich braucht, ihr habt erklärt, das Gott mich liebt. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Ja, ihr seid die Leute, mit euch wird die Weisheit sterben! (Hiob 12,2) Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben. (Hiob 13,5)
Der sarkastische Kommentar Hiobs zu all den Ratschlägen seiner Freunde spricht dafür, dass er auch dort auf dem Aschenhaufen seinen Humor noch nicht verloren hat. Noch findet er Worte. Nachts hat mich euer Gott gequält, mich hat er stumm zu Sau gemacht. Braucht Gott wen, den er nächstens schlaucht? Liebt Gott den, dem er Saures gibt? Das Bett ein Aschenhaufen. Da sitzt er, der Mensch, oder liegt, nackt oder im Schlafanzug und muss sich kratzen und kommt nicht hin und es hört nicht auf, sondern wird noch schlimmer. Dunkle Tage, schwarzer Humor und eine Frage: Wie gehört das zusammen, Leid und Gott?
Eine Frage, die ins Leben kommt, so sicher wie die Tatsache, dass im Herbst die Blätter fallen. Eine Frage, die am Ende des Lebens kommt, wenn es Herbst und Winter wird. Eine Frage, die sich noch viel drängender stellt, wenn die Jahreszeiten des Lebens durcheinandergeraten sind und es plötzlich Frost gibt im Frühling und Schnee im Juli. Keine Novemberfrage, sondern eine Lebensfrage.
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. (Hiob 14, 1-6)
Dunkle Tage, schwarzer Humor. Hiob, der Mensch, der Gott bittet, ihn wenigstens jetzt in Ruhe zu lassen. Vergänglichkeit, Sterblichkeit, Leid und die Tatsache, dass er als Mensch all dem ausgesetzt ist - darüber will er gar nicht mehr verhandeln, das akzeptiert er. Aber dass all das auch noch etwas mit Gott zu tun haben soll – da liegt das wirkliche Problem, das ist die Lebensfrage.
Bitte, sieh mich nicht so an, wie ich hier sitze auf meinem Aschenhaufen, wie ich hier liege in meinem Bett. Die andern quälen sich nur mit ihrer Krankheit, aber ich quäle mich auch noch mit dir. Die anderen sagen, wenn ich tot bin, dann war’s das eben, dann ist Feierabend, und leben und sterben damit. Und ich quäle mich mit all den Fragen, was du vorhast mit mir, was noch auf mich zukommt, wenn alles von dir kommt. Bitte sieh mich nicht so an. Ich freu mich, wenn es endlich vorbei ist.
Dunkle Tage, schwarzer Humor und Hiobs Botschaft. Es trifft nicht zu, was viele denken: Wer glaubt, hätte es leichter und immer eine Antwort parat. Wer glaubt, sähe in allem immer einen Sinn. Das ist ja der gängige Vorwurf insbesondere der so kämpferischen neuen Atheisten: Wer glaubt, mache es sich irgendwie und unangemessen viel leichter und wähle einen weniger anspruchsvollen Weg der Bewältigung der großen Lebensfrage.
Leichter machen sie es sich, die „neuen Atheisten“ die auf Busse schreiben, es gäbe keinen Gott und man brauche sich keine Sorgen zu machen und könne das Leben genießen. „Amateurgegner“ hat Karl Barth sie genannt, all die Religionsspötter und Atheisten, „arglose, gemütliche Gesellen“ seien sie im Vergleich zu Hiob, der es mit Gott auf sehr ungemütliche Weise zu tun bekommen hat.
Hilft ihnen ihr Glaube? Ich bin das selbst schon gefragt worden, an den Novembertagen in meinem Leben, auf meinem eigenen Aschenhaufen sitzend. Mein Lächeln bei der Antwort war etwas schief. Ja, der Glaube hilft - und er macht alles noch viel schwerer. Das, was mir geschieht, mit Gott in Beziehung zu setzen, das ist eine überaus anspruchsvolle Lebenshaltung, im eigenen Leben und auch angesichts des Leids in der Welt. Wie mühen wir uns oft, Leid und Katastrophen mit Gott in Beziehung zu bringen, werden angefragt, sogar verantwortlich gemacht und reiben uns doch selbst bis zur Schmerzgrenze an diesen Erfahrungen.
Was Hiob erfährt, ist viel mehr als eine Auseinandersetzung mit Gott. Denn Auseinandersetzung, die unendlich ventilierte Frage, ob es Gott überhaupt gibt, das wäre ja schon die Distanz, nach der sich Hiob sehnt. Aber es ist die Nähe Gottes, die Hiob zusetzt. Noch nackt und krank und auf den traurigen Überresten seines Lebensentwurfes lässt Gott Hiob nicht in Ruhe. Die Bitte, Gott möge ihn doch einmal aus den Augen lassen, wird ihm nicht erfüllt. Ein Blick, auf der Haut zu spüren. Ein Gegenüber, das nicht aus dem Zimmer geht im Zorn, sondern gegenwärtig bleibt bis an die Grenze des Erträglichen.
Es gibt keine Distanz, sondern schmerzhafte Nähe. Hiob reibt sich an Gott. Sein Leid besteht nicht in all dem, was ihm widerfahren ist. Hiobs Leid im Leiden besteht darin, dass er all das mit Gott in Zusammenhang bringen muss. Blicke weg von mir, damit ich Ruhe habe, wie all die anderen, damit endlich Feierabend ist.
Dunkle Tage, schwarzer Humor. Und einer, der Worte findet und Gott entgegenschleudert. Bist du es, der mich nachts quält, machst du mich zur Sau, schlauchst mich, gibst mir Saures? Der Mensch, der sich an Gott reibt. Der Mensch, dem Gott so nah ist, dass es weh tut. Der Mensch, an dem zu sehen ist, dass Gottesnähe und Gottverlassenheit dasselbe sein können. Hiobs Botschaft.
Amen.
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Hiobsbotschaften überleben - Predigt zu Hiob 14, 1-6 von Claudia Bruweleit
Liebe Gemeinde!
In einem Eisenbahnwaggon in einem Waldstück nahe der französischen Stadt Compiègne unterzeichneten heute auf den Tag genau vor einhundert Jahren, am 11. November 1918, Hohe Militärangehörige und Regierungsmitglieder von Frankreich (Marschall Foch) und Großbritannien und eine Delegation aus Deutschland unter Staatssekretär Matthias Erzberger ein Waffenstillstandsabkommen und leiteten damit das Ende des Ersten Weltkriegs ein.
Sie beendeten einen Ausnahmezustand, der vier Jahre und drei Monate lang gedauert hatte. 17 Millionen Tote hatte er gefordert und die Zivilbevölkerung hatte in lange nicht gekanntem Ausmaß leiden müssen, vor allem im Alltag. Denn: Die Situation der Menschen hatte sich seit der Mobilmachung im August 1914 immer mehr verschlechtert. Die meisten Familien hatten das geregelte Einkommen ihrer Ernährer verloren, denn das Geld, das sie nun erhielten, reichte nicht hinten und nicht vorn. Lebensmittel wie Kartoffeln und Getreide waren knapp geworden und nur noch auf Bezugsschein erhältlich und sie hatten sich täglich verteuert. Arbeiter und Angestellte in Berufen, die nicht unmittelbar mit dem Krieg zu tun hatten, waren eingezogen worden, ihre Familien hatten mit den Einkünften oft auch ihre Wohnung verloren. Frauen und Männer in den Städten waren zu Arbeiten herangezogen worden, die der Kriegsführung dienten. Schülerinnen hatten unzählige Mützen, Handschuhe, Schals und Gesichtsmasken für Soldaten gestrickt, die Schüler sich für Botendienste und Ernteeinsätze verpflichtet, Schülerinnen und Schüler hatten Goldmünzen für die Finanzierung der Kriegsproduktion gesammelt und für Kriegsanleihen geworben, die nach Ende des Krieges und wegen der Inflation 1923 keinen Pfifferling mehr wert waren.
Aufgrund der Seeblockade der Alliierten Kräfte waren in Deutschland allein 760.000 Männer, Frauen und Kinder verhungert oder entkräftet an Krankheiten gestorben. Deutschland hatte 1916/17 einen sehr schlimmen Hungerwinter erlebt. Als auch die Stadt Kiel keine Notvorräte mehr hatte, war es in Kiel in den Arbeiterbereichen im Herbst 1916 zu Unruhen gekommen, so dass die Stadt mehrfach die Marineverwaltung gedrängt hatte, ein Kontingent an Kartoffeln aus den reichlich bemessenen Beständen der Soldaten für die Bevölkerung frei zu geben.
Mehr als 1800.000 Soldaten waren in den Kriegshandlungen gefallen, mehr als vier Millionen verwundet worden.
Trauer und Entsetzen packen mich, wenn ich dieses alles lese oder Berichte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges höre. Ich frage mich: wie haben die Menschen all das Schwere erlebt? Wie konnten sie nur dieses ungeheure Leid ertragen?
Neben diesen Zahlen und Berichte über den Ersten Weltkrieg lese ich in der Bibel den Predigttext für diesen Sonntag, den 11. November 2018. Es ist ein Abschnitt aus dem Buch Hiob, einer weisheitlichen Lehrerzählung aus dem alten Israel, entstanden ungefähr dreihundert bis fünfhundert Jahre vor Christus. Es geht darin um einen Menschen, der gut und recht vor Gott lebt, sehr reich an Viehherden ist und viele erwachsene Söhne und Töchter hat. Er ist ein Vorzeige-Mensch seiner Zeit, der Gerechte schlechthin. Reich und mächtig und dabei glücklich, und voller Gottvertrauen. Das gefällt dem Teufel nicht und er fordert Gott heraus, bis er die Einwilligung erhält, Hiobs Gottvertrauen auf die Probe stellen zu dürfen. So kommt der Tag des Unglücks über Hiob, an dem seine Knechte kommen und ihm eine verheerende Unglücksnachricht nach der anderen überbringen, Hiobsnachrichten: Leute aus dem benachbarten Saba haben alle seine Rinder und Eselinnen beim Pflügen geraubt und die Knechte erschlagen.
Ein Blitz tötete Schafherden und Hirten auf dem Feld, nur einer kam lebend davon und berichtete es Hiob. Andere Nachbarvölker kamen und stahlen alle seine Kamele und brachten die Knechte um. Und schließlich verwüstete ein Tornado das Haus, in dem seine erwachsenen Kinder miteinander aßen. Hiob selbst wird von einer Krankheit befallen, die seinen Körper über und über mit Geschwüren bedeckt.
Innerhalb von Stunden ist aus dem glücklichen, mächtigen Hiob ein gebrochener Mann geworden, der in der Asche sitzt und seine Wunden schabt. Hiob trauert gottergeben. Es kommt kein böses Wort gegen Gott über seine Lippen. Freunde kommen und begleiten ihn in seinem Schmerz. Sie reden auf ihn ein, er habe etwas falsch gemacht, dass Gott ihn straft. Er aber ist sich keiner Schuld bewusst außer der einen: dass er ein Mensch ist. Erschöpft von Weinen und Klagen wünscht er sich, dass er nie geboren worden wäre und, dass Gott doch bald seinem Leiden ein Ende macht.
Hiob sagt zu Gott: (Hiob 14, 1-6)
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Hiob ist völlig am Ende, erschöpft.
Sein Leben ist wie eine harte, ungerechte Prüfung für ihn, denn er hatte immer alles richtig gemacht. Er hatte nach der alten Weisheit gehandelt: „Handle recht, so geht es Dir gut.“ Aber diese Weisheit hatte sich nun als falsch erwiesen. Denn obwohl er gerecht gelebt hatte, geht es ihm nun so schlecht, dass er am liebsten sterben würde. Aber warum dieses Leiden? Der einzige Grund, der ihm einfällt, ist der, dass er ein Mensch ist. Darum ist er unrein, denn er stammt von Menschen ab, die Fehler gemacht haben. Somit kann er nie ganz rein sein, er kann Gott nie ganz genügen. Es ist eine geerbte Schuld, die Sünde aller Menschen, die vor ihm waren. „Erbsünde“ wird ein Kirchenmann sie später nennen, die Schuld, die uns Menschen und Gott trennt. Hiob sieht nur, dass es ungerecht ist, dass Gott ihn vor Gericht zieht, jetzt schon, mitten im Leben, nicht erst am Ende. Nie könnte er vor Gott bestehen als Mensch. Gott ist ganz anders. Was hat er mit einem Menschen wie ihm zu tun? Diese Dauerprüfung überfordert ihn. Und sie stellt sein Vertrauen zu Gott auf eine harte Probe.
Hiob findet seinen altvertrauten Gott nicht mehr. Den, zu dem er in guten Zeiten betete. Der Gott, den er jetzt sehen kann, ist grausam, hart. Er lässt das Unsägliche über Hiob kommen. Dennoch redet Hiob weiter mit ihm. Er hat seine Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass es den vertrauten, den liebenden Gott noch gibt. Er bittet diesen harten Gott, dass der wegguckt, damit er, Hiob, Ruhe hat. Erst, wenn er stirbt, will er sich vor Gott verantworten müssen. Und es klingt die leise Hoffnung an, dass Gott ihn dann doch zu sich holt und ihn tröstet, so, wie Hiob es immer gehofft hat.
Denke ich an Hiob und an die Menschen im Ersten Weltkrieg mit all ihrem Leid, dann fällt mir das Gesicht der Bildhauerin Käthe Kollwitz ein, wie sie selbst sich 1916 gesehen hat. Zwei Jahre nach dem Kriegstod ihres jüngsten Sohnes Peter zeichnet sie ihr Gesicht mit schwarzer Kreide auf grauem Papier. Es zeigt ihre geschwollenen Lider, die resignierten, kraftlos wirkenden Mundwinkel, ihr Blick ist nach innen gekehrt. So sieht eine Frau aus, die nächtelang geweint hat und nun leer ist, zu schwach, um zu weinen. In Ihr Tagebuch schreibt sie: „Schmerz und Sehnsucht fressen die Kraft, ich brauche Kraft“ (a.a.O., S.71)1Käthe Kollwitz trauert um ihren achtzehnjährigen Sohn Peter, der sich, wiewohl noch nicht wehrpflichtig, selbst voller patriotischer Begeisterung für den Kriegsdienst gemeldet hatte, und in den Anfangswochen des Ersten Weltkrieges in Belgien als erster seines Regiments im Gefecht fiel. Er starb einen sinnlosen Tod. Er war einer von unzähligen jungen Männern, die ihren Eltern in den Ohren lagen, in den Krieg ziehen zu dürfen, voller Freude, ihrem Vaterland einen Dienst zu erweisen, voll Ungeduld, für Deutschland zu kämpfen und zu siegen. Die Frau auf der Zeichnung sieht nicht stolz aus und auch nicht so, als denke sie an den möglichen Sieg für Deutschland. Sie ist weich und verletzlich. Sie trauert um den sinnlosen Tod ihres Kindes und vieler seiner Freunde. Wenn ich sie so sehe, frage ich mich:
Wo ist Gott in dem vielen Leid, das der Erste Weltkrieg und all die Kriege, die seitdem sich ereignet haben, in nie gekanntem Ausmaß über Menschen gebracht haben? Es ist die uralte, doch nie zu lösende Frage: “Wo ist Gott, wenn er allmächtig und doch barmherzig ist?“
In den Worten aus dem Hiobbuch finde ich die einzige Hoffnung darin, dass Hiob diesen Gott nicht aufgibt. Er redet mit ihm, selbst wenn er den freundlichen Gott von früher nicht mehr erkennt. Es bleibt die Hoffnung, dass Gott, der sich so grausam zeigt, ihm nach dem Tod, dann wenn sein Tag gekommen ist, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut, wie er sagt, dass Gott es ihm dann irgendwie erträglich machen wird.
Später in der Bibel antwortet Gott selbst Hiob und zeigt sich als der allmächtige Schöpfergott, der tun kann, was er will und einem Menschen keine Erklärung schuldig ist. Er fragt Hiob: „wo warst du, als ich die Erde gründete?“ 2 Gott zeigt auch: Menschen irren, wenn sie meinen, er, Gott, hätte das alles getan, um Hiob zu strafen. Er tadelt Hiobs Freunde, die ihm aufschwatzen wollten, er habe sein Unglück verdient. Sie müssen ein Opfer darbringen und Hiob soll für sie beten. So kommt Hiob schließlich wieder mit sich und Gott ins Reine. Er hat die Prüfung bestanden und alles wird gut.
So gut wie in der Legende von Hiob geht die Weltgeschichte nicht aus, leider. Viele, viele Menschen haben das Leid, das ihnen von anderen Menschen sinnlos zugefügt wird, nicht überlebt. Viele leiden auch jetzt unbeschreiblich. Wir sind mitten drin im Leiden der Welt, im Leiden der Menschen an einander. Und es ist eine Aufgabe, darüber an Gott festzuhalten, auch wenn wir ihn nicht verstehen, wir müssen ihn suchen. Kann sein, dass es dauert und dass es unsere ganze Kraft fordert. Tränen und Schreien und die Frage, warum, sie finden ihren Weg zu Gott. Er leidet mit. Ich glaube daran, dass er jeder und jedem Menschen antwortet.
Martin Luther hat gesagt: Wir sehen nicht immer das freundliche Gesicht Gottes. Oft wendet Gott sein Gesicht ab und verbirgt sich vor uns. Dann denken wir, er ist grausam, er straft oder ist zornig mit uns. Das ist aber nicht alles. Gott hat uns in Jesus Christus gezeigt, dass er uns Menschen über alles liebt. Er leidet mit uns.
Käthe Kollwitz fand neuen Lebensmut in dem Gedanken, dass ihre künstlerische Arbeit ihre ganz persönliche Aufgabe sei, die sie in dieser Welt zu erfüllen habe. Und sie arbeitete an einem Grabmal für ihren gefallenen Sohn Peter. Viele Jahre lang verwarf sie und entwarf sie es immer neu, bis es genau richtig war: sie schuf zwei steinerne Figuren, die trauern. Einen Vater, der seine Arme ringt im Schmerz um den gefallenen Sohn. Eine Mutter die in sich gekehrt nach innen schaut, gehüllt in ein weites Tuch. Der Mann trägt die Züge ihres Ehemanns Karl, die Frau ihre eigenen, die der trauernden Käthe Kollwitz. Aufgestellt wurden sie zu Füßen des Grabs ihres Sohnes Peter in Flandern. Als die deutsche Biografin der Bildhauerin viele Jahre später eine Bewohner dieses Ortes in gebrochenem Französisch nach dem Grabmal fragt, und Sorge hat, dass sie als Deutsche möglicherweise noch zu den ehemaligen Kriegsfeinden gezählt werde, weiß diese genau, was sie meint. Die Biografin erzählt: „Die Frau krümmt den Rücken, schlägt die Arme ineinander, beugt den Kopf in Trauer.“3 Sofort steht das Grabmal den Umstehenden vor Augen. Ach ja, die Mutter, der Vater. Krieg sei nicht gut, sagt ihr ein Mann in gebrochenem Deutsch, dann müssten die Eltern weinen – wie diese dort. Er zeigt auf die Figuren. Das Bildnis der tiefsten Trauer der Künstlerin war zum Symbol für das Leid aller Hinterbliebenen und für ihren stillen Protest geworden. Im Leiden sind wir universal – wollte Gott, wir würden es auch im Frieden.
Käthe Kollwitz, Selbstbildnis nach Peters Kriegstod, 1916 (privat)
© Lippische Landesbibliothek Detmold
1 I Ilse Kleberger, Käthe Kollwitz. Eine Biographie. Leipzig1998 , S. 71
Bild im Internet zu finden unter dem Titel: Käthe Kollwitz, Selbstbildnis 2016, Postkarte. Signatur: SW 652a http://www.llb-detmold.de/wir-ueber-uns/aus -unserer-arbeit/ausstellungen/2018-1.html Das Bild darf lt. Auskunft der Landesbibliothek in der dortigen Auflösung frei verwendet werden.
2 I Hiob 38,4
3 I A.a.O., 7f