Hiobs Klage, Hiobs Hoffnung - Predigt über Hiob 14, 1-17 von Dr. Susanne Ehrhardt-Rein

Hiobs Klage, Hiobs Hoffnung - Predigt über Hiob 14, 1-17 von Dr. Susanne Ehrhardt-Rein
14,1-17

I. Verstecken

Nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Im Dunkeln versteckt, die Decke über den Kopf gezogen, unerreichbar für Schreckensnachrichten und Hiobsbotschaften. Ich kann es nicht mehr hören, ich will es nicht mehr sehen. Es geht über meine Kräfte und ich verstehe es nicht. Die dauernde Wiederholung des Elends, die dauernde Wiederholung des Geredes über das Elend. Nein, das kann ich nicht mehr aushalten. Ich will mich verschließen und verstecken vor dem Elend in der Welt. Meist betrifft es mich ja gar nicht unmittelbar. Um so schlimmer kommt es mir vor: Diese Selbstverständlichkeit, mit der die Bilder von Krieg und Verderben mich erreichen. Die schlechten Nachrichten wiederholen sich, nur die Orte ändern sich. Lasst mich doch in Ruhe, verschont mich damit, nur kurz, nur für einen Moment. Lasst mich kurz im Dunkeln aufatmen.

Verstecken möchte ich mich. Mich umdrehen und das Elend der Welt für einen Moment vergessen. Bitte einmal ein Tag ohne schlechte Nachrichten. Bitte einmal ein Tag heile Welt. Aber die Realität ist stärker. Keine Chance, ihr zu entkommen.

Die Leidenden können sich nicht umdrehen und weggehen. Die Menschen hinter den schlechten Nachrichten können sich nicht verstecken und bekommen keine Atempause. Das Elend geht weiter.

Hiob ist so ein Leidender. Die Bibel erzählt seine Geschichte, wie ein Beispiel für alles, was Menschen erleiden können. Hiobs Geschichte beginnt mit Glück und Reichtum. Aber dann gerät er unverschuldet ins Elend und verliert alles: Besitz, Wohnung, Familie, Gesundheit. Seine Kinder sterben, sein Haus brennt ab, sein Reichtum zerfällt. Sein Leib wird zerfressen von Krankheit. Kein Mensch kann das aushalten. Hiob steht uns vor Augen wie ein Bild für das Elend in der Welt. Er klagt und streitet, mit Gott, mit sich selbst und mit seinen Freunden. Und mit seinem Elend. Erst nimmt er es hin, aber es wird zu viel. Bis an die Grenze wird er gepeinigt von Verlust und Schmerz. Und so bricht es aus ihm heraus.

 

II. Hiobs Klage (VV. 1-6)

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,

geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.

Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.

Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!

Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:

so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

Alles Lebendige muss sterben. Dieser Schatten liegt über unserem Leben, an den schlechten Tagen, aber auch an den guten. Und mit diesem Schatten der Vergänglichkeit steht alles in Frage: Wozu das alles? Wozu die Freude über die Geburt eines Kindes, wenn das Leben doch so begrenzt ist? Einfach am Leben zu sein, scheint nicht zu genügen.

Einfach geboren werden, einfach Mensch sein – das reicht doch nicht.

Und dann wird das alles auch noch einer kritischen Sichtung unterzogen.

Rein – oder unrein. Genügend - oder ungenügend.

Genügt es nicht, verletzbar zu sein? Genügt es nicht, sterblich zu sein?

Sind wir denn als Lebende schon tot, beziehungslos, ohne Sinn und Zusammenhang einfach nur Teil eines ewigen Kreislaufes der Materie?

Mit dem Tod ist uns eine Grenze gesetzt, unüberwindbar. Und wir wissen: Unsterblichkeit wäre auch keine Erlösung.

Schon gar nicht, wenn die eigene Schuld quält, die verpassten Gelegenheiten, die Fehler und die bösen Taten. Immer ist die Zeit zu kurz, und dann quält uns auch noch das, was in dieser Zeit geschehen ist, was wir getan und unterlassen haben. Was uns angetan wurde, was wir andern angetan haben. 

Hiob wirft seine Klage Gott vor die Füße. Hier, mein Leben, da hast du es. Mach damit, was du willst. Aber schau mich nicht mehr an, nicht mit diesem prüfenden Blick. Reicht es dir nicht, dass ich leide? Lass mich in Ruhe. Ich will von dir in meinem Elend nicht auch noch begutachtet und verurteilt werden.

 

III. Hoffen (VV. 7-9)

Denn ein Baum hat Hoffnung, auch wenn er abgehauen ist; er kann wieder ausschlagen, und seine Schösslinge bleiben nicht aus.

Ob seine Wurzel in der Erde alt wird und sein Stumpf im Staub erstirbt,

so grünt er doch wieder vom Geruch des Wassers und treibt Zweige wie eine junge Pflanze. 

Die „Hoffnung der Bäume“ schlägt Jahr für Jahr aus. Grün und lebendig. Selbst aus dem Stumpf kann ein neues Reis wachsen. Die Wurzeln reichen viel tiefer, als wir sehen.

Jedes Jahr beschneide ich meine Passionsblume, kein Baum, aber eine zarte, zähe Pflanze. Ein Ableger einer alten Pflanze meiner Großmutter. Die Großmutter lebt schon lange nicht mehr. Die Mutterpflanze auch nicht. Aber ihre Abkömmlinge leben, weit verteilt, und jedes Jahr wieder einige neue. Ins Wasser gestellt, wurzeln die abgeschnittenen Ranken. Werden, in Erde eingepflanzt, zu eigenständigen Pflanzen. Sie überleben auch Trockenzeiten, selbst wenn sie aussehen wie abgestorben. Eine Pflanze als Bild für das Leben, verletzbar und sterblich, lebendig und hoffnungsvoll.

Das Grünen der Bäume hat seine Zeit. Jetzt ist die Zeit des Absterbens. Kahle Äste ragen in den Himmel. Ist es nur eine Ruhezeit, oder sind manche Äste doch schon abgestorben? Es lässt sich nicht immer erkennen. Und die kahlen Bäume erinnern mich daran, dass mein Leben vergeht.

 

IV. Realität (VV. 10-12)

Stirbt aber ein Mann, so ist er dahin; kommt ein Mensch um – wo ist er?

Wie Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versiegt und vertrocknet,

so ist ein Mensch, wenn er sich niederlegt, er wird nicht wieder aufstehen; er wird nicht aufwachen, solange der Himmel bleibt, noch von seinem Schlaf erweckt werden.

So ist es. Tot ist tot. Es ist uns eine Grenze gesetzt, die wir nicht überwinden können. Da gibt es nichts abzumildern. Keine falsche Hoffnung auf unsterbliche Seelen oder Erinnerungen, in denen jemand weiterlebt.

Am Grab wird mir das abgebrochene Leben teuer. So viele ungesagte Worte. So viele verpasste Begegnungen. Es gibt ein „zu spät“ für unsere Beziehungen. Und so wird es uns allen ergehen.

Kann man das überhaupt fassen: Einmal werde ich nicht mehr da sein.

Nicht mehr unter den Lebenden: Wo ist das?

Und was, wenn im Tod alles aus ist? Dunkelheit und Leere, sonst nichts mehr.

Hiob kennt diese Angst. Er schaut ihr ins Auge, er hält sie aus.

 

V. Verzweiflung und Hoffnung (VV. 13-15)

Ach dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest!

Meinst du, einer stirbt und kann wieder leben? Alle Tage meines Dienstes wollte ich harren, bis meine Ablösung kommt. Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.

Da ist das Gegenüber wieder da: Du. Gott, den ich nicht kenne. Den ich nicht verstehe. Aber: Du.

Ich hoffe nicht auf Antwort, aber darauf, dass du nach mir rufst.

Mit dem Tod ist alles aus? Wirst du mich dann nicht mehr finden können?

Aber du bist doch auch dann noch da, um mich zu rufen?

Und ich würde antworten, unbedingt. Ich würde hoffen, dass meine Schritte nicht umsonst waren. Neben allen verpassten Gelegenheiten ist doch auch das da: Beziehung. Gelebtes Leben. Liebe sogar. Stärker als der Tod.

Und du würdest mich annehmen, wie ich bin. Zugedeckt die bösen Worte, die schmerzenden Wunden geheilt. Du würdest es wieder gut machen, das könnte ich selbst gar nicht, nicht im Leben und nicht im Tod.

Gib mir nur eine kleine Weile Pause vom Leben, von allen ungelebten Möglichkeiten und allem vergeblichen Mühen. Pause von dem, was ich verschuldet und verdorben habe. Und dann rufe nach mir, Gott.

Hiob sieht seiner Angst ins Auge. Er hält den Tod aus und er beklagt ihn. Er nimmt seine Schmerzen an, die Unsicherheit, den Zweifel. Hiob hält das alles aus und findet Worte dafür.

Wer Worte findet, lebt. Wer klagt und anklagt, sucht nach einem Gegenüber.

Ein Gegenüber im Wort, in der Klage, in der Hoffnung.

Hiobs Hoffnung ist nüchtern, realistisch, zornig. Hiobs Gott ist ein Gegenüber im lebendigen Wort. Ein Gott, der an die Toten denkt, der sie hält und ruft. Der Verlangen hat nach dem Werk seiner Hände und seine Augen nicht abwendet von uns, im Leben und im Tod.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Susanne Ehrhardt-Rein

1.         Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Die Predigt werde ich im Gottesdienst eines Kurswochenendes des Kirchlichen Fernunterrichts halten. Diese Gemeinde ist eine kleine Gruppe hochengagierter Studierender mit sehr verschiedenen Prägungen und theologischen Fragen, Gottesbildern und Lebenssituationen. Insofern bildet diese Gruppe vielleicht Glaubenshaltungen und -fragen ab, die sich auch in anderen Gottesdienstgemeinden an diesem Sonntag finden: Hoffnung, Zweifel, eingeschränkte oder offene Perspektiven auf das eigene Leben und die Welt, wie sie gerade ist. Angst vor Tod und Verderben und Hoffnung auf Trost und Leben spüre ich momentan oft gleichzeitig und höre das auch von Anderen.

2.         Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?

Hiobs Geschichte und Gestalt, als Beispiel für einen Menschen, der nicht weiß, wie ihm geschieht und mit Gott ins Gericht geht – das ist ein unerschöpfliches Thema.

3.         Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten? 

Gott anklagen und die eigene Leidenssituation nicht schönreden – beides ist Ausdruck von Leben und Glauben. „Wer Worte findet, lebt.“ Lebendige Hoffnung blendet die Realität nicht aus. Das Leben kann den Tod nicht ausblenden. Was ist am Ende stärker?

4.         Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung? 

Der Predigtcoach hat mich bestärkt in meinem Anliegen, die theologische Spannung des Textes stark zu machen, auszuhalten und zu gestalten. Die sprachliche Gestaltung konnte ich in diesem zugewandten Rahmen kritisch überarbeiten (positive Formulierungen anstelle von negativen – also: was tut Gott, und nicht: was tut er nicht; Füllwörter weglassen; mehr „ich“ als „wir“). 

Perikope
16.11.2025
14,1-17

Hiobs dritte Antwort an Elifas - Predigt zu Hiob 23 von Manfred Wussow

Hiobs dritte Antwort an Elifas - Predigt zu Hiob 23 von Manfred Wussow
23

Hiobs dritte Antwort an Elifas

1 Hiob antwortete und sprach:

2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. 

3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! 

4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen 

5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. 

6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich. 

7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!

 8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. 

9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. 

10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. 

11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab 

12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir. 

13 Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. 

14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. 

15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. 

16 Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; 

17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.[1]

 

Predigt

 

Hiob liegt im Krankenhaus

 

Hiob liegt im Krankenhaus. 

Hiob liegt im Krankenhaus? Was hat er denn? 

Sein Herz will nicht mehr. 

Ach Gott.

 

Ein Gedicht von Robert Gernhardt trägt diese Überschrift:  Hiob im Diakonissenkrankenhaus.

Und Hiob heißt – Robert Gernhardt.

Er ist schwer krank.

Seine Diagnose verheißt nichts Gutes.

Sein Leben hängt an einem seidenen Faden.

Jetzt arbeitet sich Robert Gernhardt an Gott ab.

Als Dichter fehlen ihm auch nicht die Worte.

Vielleicht ist ein Diakonissenkrankenhaus – es hört sich sehr fromm an – dafür der richtige Ort.

 

Vorleser:

 

Ihr habt mir tags von Gott erzählt,

nachts hat mich euer Gott gequält.

 

Ihr habt laut eures Gotts gedacht,

mich hat er stumm zur Sau gemacht.

 

Ihr habt gesagt, daß Gott mich braucht –

braucht Gott wen, den er nächtens schlaucht?

 

Ihr habt erklärt, daß Gott mich liebt –

liebt Gott den, dem er Saures gibt?[2]

 

Vorwürfe sind es. Wie Hammerschläge. Eins bis vier: 

Ihr habt mir erzählt, tags …

ihr habt gedacht, laut …

ihr habt gesagt, 

ihr habt erklärt. 

Ihr! Die Diakonissen? Die Glaubenden? Wir?

 

Euer Gott hat mich gequält,  nachts …

er hat mich stumm zur Sau gemacht – 

braucht Gott wen, den er nächtens schlaucht? 

Liebt Gott den, dem er Saures gibt? 

Euer Gott! 

 

Robert Gernhardt hat viele Gedichte geschrieben. Viele von ihnen karikierten auch Kirchenlieder, sie irritierten, sie provozierten.  Aber sie boten dem Dichter sprachlich auch eine neue Heimat. 

Sein Gedicht „Hiob im Diakonissenkrankenhaus“ entstand 1996/97 nach einer Herzoperation des Autors. Geboren 1937, starb er nach einer schweren Krebserkrankung 2006. Seine letzten 10 Lebensjahre standen unter keinem guten Stern.

 

Wie heißt es auch noch einmal gleich in dem Gedicht? Ihr habt mir erzählt …

 

 

Hiob klagt - an

 

Die feinen Spitzen in diesem Gedicht von Robert Gernhardt sind nicht jedermanns Sache. Kritiker, fromme Kritiker, meinten, es sei gotteslästerlich, ein solches Gedicht zu schreiben. Ihr! Euer Gott! Lauter Vorwürfe, Anklagen. Gegen Gott. Aber ich kenne Menschen, die ihre Leidensgeschichte in diesem Gedicht gespiegelt sehen, ohne es zu kennen. Gequält, verstummt sind viele Menschen.

Hiob wird ihnen zum Gefährten in schweren Tagen und endlosen Nächten.

 

Hiob – hinter dem sich Robert Gernhardt versteckt - war ein Mensch, den wir aus dem Alten Testament, der hebräischen Bibel kennen. Er konnte erfolgreich auf sein Lebenswerk zurückschauen, bis ihm alles, aber auch wirklich alles genommen wurde: die wirtschaftliche Basis, die Kinder und ihre Familien, am Ende auch die Gesundheit. Hiob ist ein Häufchen Elend! Künstler haben ihn gemalt: er sitzt in der Asche, im Dreck. Tief gesunken, also. Nur etwas ist Hiob nicht genommen: der Glaube. Den lässt er sich auch nicht nehmen! Ob seine Frau schimpft oder nicht, ob seine Freunde zu großen Reden ausholen oder nicht: Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen – der Name des Herrn sei gelobt! 

 

Aber der Widerspruch, die Einrede lässt nicht auf sich warten. 

Hiobs Freund Elifas holt zu einer großen Rede aus – davon hat er noch mehr in petto: 

 

Vorleser:

 

Ist Gott nicht hoch wie der Himmel?

Sieh die Sterne an, wie hoch sie sind!

 

Du sprichst zwar:

 „Was weiß Gott? Sollte er durchs Gewölk hindurch richten können…“ (Hiob 22,12f.)

 

So vertrage dich nun mit Gott und mache Frieden;

daraus wird dir viel Gutes kommen.

Nimm doch Weisung an von seinem Munde und fasse seine Worte in dein Herz.“ (Hiob 22,21f.)

 

Auf gut deutsch: Frag nicht weiter. Gib auf, den Dingen auf den Grund zu gehen. Gib dich zufrieden. Hör auf zu fragen, hör auf, dich zu wehren.

Aber was sind das für Worte, Elifas, die in’s Herz gefasst werden könnten? Die Hiob in sein Herz nehmen könnte? Welche Weisung kommt denn aus dem Munde Gottes?

 

Lose Enden liegen herum.

 

Dass Elifas gut reden kann, merkt man. Dass Elifas aucht gut reden hat, ahnen wir. Dass Elifas sich auch gerne reden hört, entgeht uns auch nicht. Kunstvoll und klug sind seine Gedanken schon. Nur:

Elifas kann Hiob nicht trösten,  er kann ihn nicht einmal verstehen. Er kann ihn nur mit Worten zuschütten. 

 

Jetzt rückt Hiob Gott auf die Pelle.

Einen anderen Weg gibt es nicht, lieber Elifas!

 

Vorleser:

 

Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich.

 

 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold.

 

Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat;  denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt. 

 

Hiob macht sich auf die Suche. Er muss Gott finden. Er muss ihm sein Anliegen vorbringen. Er muss ihn – zur Rechenschaft ziehen! Trifft er ihn, wird er Recht bekommen! Ganz sicher! Ich habe nicht verdient, was mit mir geschehen ist!  Gott wird mir das zugeben! Er ist gerecht!

 

In Hiob drehen sich die Gedanken. Es ist wie ein Selbstgespräch - das wir hören sollen. Wohin soll ich jetzt gehen? Nach Norden? Süden? Osten? Westen? Bis an das Ende der Erde? Bis an die Grenzen des Himmels?

Aber meine Füße tragen mich nicht. Sie tun weh, sie schmerzen, wenn ich sitze. Der Kopf - leer. Meine Seele - eingefroren. Es geht nicht mehr weiter. Mit mir. Jeden Tag – immer dasselbe. Ich sitze hier in meinem Elend.  Ich habe kein Zu-Hause mehr. Wie ein Fremder bin ich geworden. Ein Fremder im eigenen Leben.

 

Doch, doch: Er, Gott,  kennt mich. Er sieht mich.  Wie ein geputztes Goldstück bin ich in seinen Augen. Verbergen muss ich vor ihm nichts. ER, er kommt aus dem Norden. Aus dem Süden. Aus dem Osten. Aus dem Westen. Er wird mich finden.  Hier. Wo ich doch mit meinen Augen alle Himmelsrichtungen abtaste. Am Morgen und am Abend. Mit dem Aufgang der Sonne und dem Leuchten der Sterne.

 

Hiob soll aus Uz sein, einem längst untergegangenen Nest im Orient. Hier gab es viele Himmelskundige, die in den Sternen zu lesen verstanden. Für die die Nacht ein aufgeschlagenes Buch war. Aber Hiob flüchtet sich zu Gott. Die große Kulisse: der weite Himmel, die vier Himmelsrichtungen.  Irgendwo dazwischen:  Uz. Und Hiob. 

 

Vorleser: 

 

Hiob sagt:

Gott ließ mein Herz verzagen,

der Allmächtige hat mich in Schrecken versetzt.

Dennoch verstumme ich nicht vor der Finsternis,

vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt.

 

Trotzig sprudelt es aus Hiob heraus: Ich verstumme nicht! Weder vor der Finsternis, noch vor Gottes Angesicht, das  mit Dunkelheit bedeckt ist. Ich lasse mir das Wort nicht nehmen!  Niemals.

Nicht zu verstummen, ist der Anfang einer neuen, großen Hoffnungsrede! Die Klage wird sich an neue Töne gewöhnen. Am Ende sehe ich im Dunkel Gottes Angesicht. Ich werde von ihm angesehen! Ich bin bei ihm angesehen! 

 

Finsternis ist mehr als die Nacht, die einen geruhsamen Schlaf verspricht. Wenn alles ruhig wird, sogar der Lärm des Tages verebbt. Finsternis ist ein Ungeheuer, das sich durch die Seele frisst, Träume okkupiert und jedem Tag Angst in die Wiege legt. Finsternis hat keine Ohren. Sie merkt nicht, wenn ein Mensch verstummt.

 

Ich verstumme nicht, sagt Hiob.

 

Strippenzieher

 

Hiob weiß aber nicht alles! Womöglich ist das auch ganz gut. Wenn wir alles wüssten – o Gott! Hiob weiß nicht, dass im Himmel über ihn geredet wird. Mehr oder weniger beiläufig, Zufällig? Vielleicht auch zufällig. In der Geschichte, die von Hiob erzählt wird, spielt eine geheimnisvolle Figur eine merkwürdige Rolle. Es ist der Satan, der Diabolos, auf Deutsch: Der Verwirrer, der alles durcheinander bringt. Scheinbar hat er freien Zugang bei Gott, spielt auch im Himmel gekonnt seine Rolle. Die Überraschung ist groß. DER hier?

 

Hören wir doch einmal in die Unterredung hinein:

 

„Ach Gott, du weißt doch, warum Hiob ein so frommer Mann ist? Nein? Du hast es immer gut mit ihm gemeint, ihm alles gelingen lassen, ihn reichlich gesegnet. Kein Wunder, dass der glaubt und es gut mit dir meint, Gott! Verlass dich nur nicht darauf! Ich kenne die Menschen. Ich kenne sie besser als du! Wenn Hiob alles verliert, was ihm lieb und wert ist – du wirst sehen: Er wird sich von dir abwenden. Seine Zuneigung wirst du verlieren. So sicher wie das Amen in der Kirche.“

 

Gott widerspricht ihm zwar, ein wenig halbherzig, wie ich finde, lässt es dann aber laufen. Dann mach mal! Eine große Probe wird jetzt über die Bühne gehen. Die Probe, ob – Glaube zerbrechlich ist. Ob Glaube gebrochen werden kann. Hauptdarsteller: Hiob. Auf ein Plakat verzichtet der Böse. Er ist sich sicher, dass diese Geschichte genug Zuschauer haben wird.

 

Es passiert, was alle – im Himmel und auf Erden – längst ahnen: Der Verwirrer aller Herzen, Entschuldigung, auch des Herzens Gottes, bekommt freie Hand: 

die reiche Ernte Hiobs wird vernichtet – alles auf natürlichem Weg. Überfälle. Gleich mehrere. – 

Die Kinder Hiobs kommen bei einer Naturkatastriphe um – alles auf natürlichem Weg.  Ein Unwetter richtet es. – 

Hiob wird krank – alles auf natürlichem Weg. Wer weiß, wo er sich angesteckt hat. ..

 

Also, alles erklärlich – und alles erzählbar. In der Zeitung reicht es allerdings nur für ein paar Zeilen. Mehr nicht. Am Ende geht die Nachricht unter. Es gibt zu viele Horrorgeschichten, zu viele! … Dass im Himmel die Strippen gezogen werden, wer kann sich das denken? Dass Hiobs Glaube auf die Probe gestellt wird – mit höchster Billigung – mag keiner glauben. Hiob auch nicht.  Eine Lebensprobe mit so viel Unheil! Mit so viel Leid! 

 

Diese kleine Szene, die im Himmel spielt (und die der orientalische Geschichtenerzähler kunstvoll auszuschmücken vermag), ist unheimlich. Was, wenn  hinter jeder Leidensgeschichte Strippen gezogen werden? Willkürlich, maßlos und eiskalt. Mir kommt das Wort „Schicksal“ in den Sinn. Etwas nicht mehr in der Hand zu haben – etwas Schlimmeres ist kaum vorstellbar. Solche Proben mögen zu dem Bösen passen, aber doch nicht zu Gott.  Ihn rufe ich doch an! Ihn bitte ich! Ihm möchte ich vertrauen – und alles Gute von ihm erwarten.

 

Gott, was ist bei dir los? 

 

Unerwartet

 

Wer jetzt glaubt, dass es keine weitere Steigerung geben könnte, wird enttäuscht. Die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung. 

 

Hiob aus dem sagenhaften Uz, von dem nicht ein Stein mehr zu finden ist, weiß nichts von der Heimtücke, die sich im Himmel abspielt – und er darf es nicht wissen. Sonst könnte die Geschichte nicht aufgehen.  Hiob widerlegt, was ihm unterstellt wurde: Nur aus Berechnung zu glauben.  Sein Glaube ist ungetrübt, unangefochten und rein. Wir spüren geradezu, was Glaube ist: Glaube ist ein trotziges Festhalten an Gott, ein mutiges Dennoch.

 

Dennoch verstumme ich nicht vor der Finsternis,

vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt.

 

Hiob lässt sich nicht kleinmachen, nicht beirren. Nicht der leiseste Zweifel wird laut. Ein großes Staunen breitet sich aus. Wohl auch im Himmel. Einer hat verloren: Der „Verwirrer“ aller Herzen. Wir können ihn auch ruhig Satan nennen. An ihn glauben müssen wir nicht, doch die Kunst, Zweifel zu säen, beherrschen viele Gestalten.

 

Wer setzt ihn, sie ins Unrecht? Wer widerspricht ihnen? Interessanterweise nicht Gott – es ist Hiob, ein Mensch!

 

Eigentlich will Hiob Gott aufsuchen und ihn zur Rede stellen. Er will sein – Recht! Hiob breitet gar die  vier Himmelsrichtungen vor sich aus – und Gott war immer schon bei ihm. Hiob lässt Gott Gott sein. Für sich. Trotz Tod und Teufel. Gegen Tod und Teufel. 

 

Damit hat der Satan, der die Menschen angeblich so gut kennt (und das für sich zu nutzen weiß), nicht gerechnet. Seine Prognose, Hiob würde auch noch den letzten Rest seines Glaubens verlieren, verhallt im Himmel – und auf Erden. Dabei hat er alles aufgefahren, was er auffahren konnte – die volle Ladung Böses.

 

Die merkwürdige Geschichte, die sich im Himmel vor dem Thron Gottes abspielt, löst im Leben Hiobs keine Gotteskrise aus. Hiob weiß Gott sogar in seiner Nähe. Er, der den Himmel ausmisst, glaubt an -  Hiob. Es fällt mir wie Schuppen von den Augen: ER glaubt an mich. Die vier Himmelsrichtungen werden das bezeugen! Davon wird man erzählen, darüber staunen. Im Norden und Süden, Osten und Westen.

 

Der Satan, der in dieser Geschichte seine Rolle spielen will, verliert gerade alles: Seine Macht, Zweifel zu säen. Seine Menschenkenntnis, auf die er so stolz ist. Seine Sicht auf die Dinge, die er über Menschen ausschüttet. Schließlich: Gott kann er nicht weiter in Beschlag nehmen. Er entpuppt sich als das, was er ist - und immer schon war: ein Lügner. Das beste Beispiel, heute: Hiob. Er hält an seinem Vertrauen zu Gott einfach fest. Dabei ist Hiobs Leid nicht einmal vorbei, seine Fragen nicht geklärt, seine Freunde nicht zufrieden. Seine Frau auch nicht.

 

So ganz nebenbei merken wir, dass Gott – Hiob braucht. Und unseren Glauben braucht er auch. Um das zu sein, was er ist: unser Gott, treu in allem, was er sagt und tut. 

 

Vorleser:

 

Gott ließ mein Herz verzagen,

der Allmächtige hat mich in Schrecken versetzt.

Dennoch verstumme ich nicht vor der Finsternis,

vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt.

 

Wer hätte das gedacht: Nicht Gott wird sich vor Hiob rechtfertigen – Hiob rechtfertigt Gott! Indem er an ihm hängt. 

Ob es Liebe ist? Es ist Liebe!

Das Schweigen hat ein Ende. 

 

Hiob und sein Freund Gernhardt

 

Robert Gernhardt, der Worte liebte, prägte und immer neu zusammensetze, fand im Krankenhaus einen Freund: Hiob. Die Geschichte eines Menschen, der auf die Probe gestellt, seine Stärke findet. Viele Menschen haben an dieser Geschichte mitgeschrieben und ihre Leiden, ihre Erfahrungen, ihre Zweifel eintragen können. Satz für Satz ein Abenteuer. 

 

Hiob hat die Fragen, die Robert Gernhardt stellte, gekannt:

Nachts hat er mich gequält,

mich hat er stumm zur Sau gemacht …

 

Robert Gernhardt bin ich dankbar, dass er, stellvertretend für so viele andere Menschen, ein Gespräch mit Hiob geführt hat -  und uns daran Anteil nehmen lässt. 

 

Wohl in so mancher Nacht, wenn der Tag nicht kommen will, kommt Hiob an das Bett.

Wie ein Freund, der die Lebensgeschichte versteht, der zwischen den Zeilen liest, der auch das Schweigen aushält.

Hiob hat viele Freunde gefunden. 

 

In Krankenhäusern und Altenheimen,

in Lebenskrisen und an Lebenswendepunkten,

in Bildern und Liedern.

 

„Gott braucht den, den er nächtens schlaucht,

Gott liebt den, dem er Saures gibt!“

 

In so mancher Enge, die den Himmel klein machte, haben Menschen ihren Glauben entdeckt,

nicht verloren.

„Er aber kennt meinen Weg gut…“ (V. 10)

Sagte Hiob.

 

Vorleser:

 

„Aus der Finsternis wird Tag.

Tau fällt, um das Land zu schmücken.

Sonne steigt und Lerchenschlag

meinen Morgen zu beglücken.

Lobgesang durchströmt die Welt.

Du hast mich ins Licht gestellt“[3]

 

Und der Friede Gottes,

der höher ist als unsere Vernunft,

bewahre unsere Herzen und Sinne

in Christus Jesus,

unserem Herrn.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Manfred Wussow

1.          Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Zur „gottesdienstlichen Gemeinde“ gehören viele ältere und kranke Menschen, und wenn es nicht die „gottesdienstliche“ ist, dann sind es Menschen in der Kurklinik, im Krankenhaus und im Altenheim. Aber auch in vielen Häusern, in denen Menschen ihr Leid klagen. An die Angehörigen, die „Warum“  fragen oder zu diesen Fragen nichts zu sagen wissen, denke ich auch.  Hiob gilt als Dulder … er ist alles andere als das! Mit ihm den eigenen Glauben wieder zu entdecken, gibt dem Predigttext noch einen zusätzlichen Reiz. 

2.          Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?

Der Text – und das Buch Hiob insgesamt – ist spannungsreich, sprachlich kunstvoll und theologisch ein „weisheitliches“ Wunderwerk. Ich wollte mich einfügen. Die Predigt gibt Auskunft darüber, welchen Weg ich versucht habe. Beflügelt? Das Wort ist mir zu groß. Aber ich kenne viele Menschen, die Ähnlichkeiten mit Hiob haben (oder gewinnen könnten). Dass hier auch die größten theol. Fragen aus allen Ecken lugen, fesselt mich weiter.

3.          Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten? 

Dass der Glaube den Teufel Lügen straft, ist eine Herausforderung, den Glauben biografisch zu verorten (hier: Hiob) und gleichzeitig ein Vertrauen zu denken (und auszuhalten),

das die dunklen Seiten Gottes annimmt. Hiob will von Gott eine Rechtfertigung, rechtfertigt ihn dann aber, bevor er seine Fragen überhaupt anbringen kann. Diese „Argumentationsstruktur“ möchte ich auch an anderen Stellen und Lebenswendepunkten sehen und sichtbar machen. Eine schöne Schnittstelle zwischen syst. und prakt. Theologie

4.          Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung? 

Da möchte ich nur „Danke“ sagen! So manche Anmerkung hat mir geholfen, meine Gedanken besser zu verstehen und auszurichten. Meine Erst-Leserin hat die Rückfragen der Gemeinde vorweggenommen und – nebenbei – meine Predigtpraxis beobachtet (was ich mit Schmunzeln registrierte). Schade, dass es solche Gespräche (und wenn nur in Umrissen) zu selten oder eigentlich gar nicht gibt.  Einen lieben Gruß an dieser Stelle an Frau A. Bräunlich-Comtesse! 

Perikope
31.08.2025
23

Sieben Tage, sieben Nächte - Predigt zu Hiob 2,1-13 von Manfred Wussow

Sieben Tage, sieben Nächte - Predigt zu Hiob 2,1-13 von Manfred Wussow
2,1-13

1 Es begab sich aber eines Tages, da die Gottessöhne kamen und vor den Herrn traten, dass auch der Satan mit ihnen kam und vor den Herrn trat. 2 Da sprach der Herr zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen. 3 Der Herr sprach zu dem Satan: Hast du acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen auf Erden nicht, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, ihn ohne Grund zu verderben. 4 Der Satan antwortete dem Herrn und sprach: Haut für Haut! Und alles, was ein Mann hat, lässt er für sein Leben. 5 Aber strecke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: Was gilt’s, er wird dir ins Angesicht fluchen! 6 Der Herr sprach zu dem Satan: Siehe da, er sei in deiner Hand, doch schone sein Leben! 7 Da ging der Satan hinaus vom Angesicht des Herrn und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel. 8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche. 9 Und seine Frau sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Fluche Gott und stirb! 10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.11 Als aber die drei Freunde Hiobs all das Unglück hörten, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeder aus seinem Ort: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten. 12 Und als sie ihre Augen aufhoben von ferne, erkannten sie ihn nicht und erhoben ihre Stimme und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid, und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt 13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.

Schweigen
Sie kennen die drei bestimmt nicht! Ihre Namen tauchen auch sonst nie auf: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Elifas ist in der Reihe wohl der Älteste, Bildad in den mittleren Lebensjahren und Zofar der Jüngste. Junger Vogel, heißt er. Wenn man seinen Namen wörtlich übersetzt. Hiobs Freunde kommen auch von weit her, sie bringen die große Welt mit – oder: die große Welt macht sich auf, das Leid eines Menschen mitzutragen. Hiob ist nur noch ein Häufchen Elend. Nichts ist ihm geblieben. Die Asche, auf die er hockt, riecht nach verbranntem Leben.
Sieben Tage, sieben Nächte werden die Freunde auf dem Erdboden verbringen, sieben Tage, sieben Nächte – schweigen. Das Leid ist so groß, dass alle Worte schwinden. Von der Vergangenheit reden, macht in der Situation traurig und verzagt, was ist, lässt sich nur beklagen, was kommt, kennt noch keine Worte.
Stellen wir uns die Szene doch einmal vor! Auch wenn die „sieben Tage“ und „sieben Nächte“  nicht wörtlich zu nehmen sind, es ist eine gemeinsame Zeit. Dabei können auch „sieben Tage“ und „sieben Nächte“ eine Ewigkeit sein. Wie eine Zeit, die kein Ende nimmt – oder, auch: eine gefüllte Zeit mit eigenem Glück. Einmal wird man darüber reden können, jetzt aber sind Deutungen und Vertröstungen nur bitter. Doch ein riesiges Vertrauen schält sich aus dem Schweigen heraus. Wir sind bei dir. Wir stehen zu dir. Du bist nicht alleine.
Im Himmel aber werden Zweifel gesät. Eine dubiose Figur taucht auf, die keinen Namen hat. Satan? Das ist doch der, der alles verwirrt. Hiob glaube und vertraue ja doch nur, weil es Gott gut mit ihm gemeint habe. Mit Reichtum, großer Familie, strotzender Gesundheit. Erfolg, Glück in Hülle und Fülle. Wenn ihm das alles genommen wird – du wirst sehen, Gott: Du bist dann weg! Mach dir keine falschen Hoffnungen! Hiob ist so wie die anderen! Und ganz unverhohlen dazu: Du, Gott, hast dir den Glauben von Hiob auch nur erkauft. Du bist – käuflich!
Hiob weiß nichts davon. Die Freunde auch nicht.

Hiobsbotschaft
Entschuldigung, ich habe gar nicht gefragt, ob Sie Hiob kennen. So richtig viel wissen wir von ihm nicht. Er ist als der große Dulder in die Geschichte eingegangen. Was ihm widerfährt, was ihm auch Stück für Stück zugetragen wird, wird „Hiobsbotschaft“ genannt. Nicht, dass es so etwas nicht vor ihm auch schon gegeben hat – aber mit Hiob haben die Hiobsbotschaften einen Namen bekommen.
Bei ihm ging es Schlag auf Schlag. Eine Hiobsbotschaft folgte der nächsten. Erst ging sein Vieh unter – sein Reichtum. Dann kommen die Kinder um – seine Zukunft. Und schließlich wird seine Haut von Geschwüren gefressen – es geht ihm ans Fell. Noch mehr geht nicht. Die letzte Steigerung wäre der Tod. Aber angesichts dieses Übermaßes an Leid wäre der Tod Erlösung. Nur – die wird nicht gewährt.
Hiob muss dadurch.
Hiobsbotschaften kommen aus heiterem Himmel. Dann ist das Leben nicht mehr wie vorher. Es ist, als ob die Erde nachgibt, der Himmel gar über einem Menschen zusammenfällt. Nichts ist mehr in Ordnung. Es ist, als ob die Schöpfung zurückgenommen wird.
Manchmal erzählen mir Menschen von Hiobsbotschaften.
Ein Arztbesuch. Harmlos. Eigentlich. Aber die Diagnose lautet: Krebs. Wie vom Donner gerührt. Die Zeit  bleibt stehen.
Eine Hiobsbotschaft.
Die Arbeit macht Freude. Die Familie freut sich. 1.000 Stellen sollen gestrichen werden. Dann kommt die Kündigung. Ein paar Zeilen. Floskeln.
Eine Hiobsbotschaft.
Zwei Menschen, die sich liebten, haben sich auseinandergelebt. Sie konnten nicht darüber reden. Das Schweigen half nicht. Dann kam die Trennung. Gefühlt wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Eine Hiobsbotschaft.
Angst vergreift sich zuallererst an den Herzen der Menschen. Und gelegentlich kommt die Wut dazu. Eine stille Wut. Eine Wut, die sich nach innen kehrt. Manchmal igeln sich Menschen dann ein. Sie möchten keinen Rat und auch keinen Trost. Sie möchten mit sich alleine sein. Manchmal aber möchten Menschen einfach in den Arm genommen werden, ohne etwas sagen, etwas hören zu müssen. Zusammen still zu sein, ist eine Kunst. Dann wärmt die Nähe.
Eine andere Hiobsbotschaft jährt sich gerade. Vor einem Jahr wurde die Ukraine quasi über Nacht überfallen. Nach einem öffentlichen Ringen. Alte Sicherheiten – und alte Täuschungen – sind auseinander gefallen. Blöcke türmen sich jetzt auf. Feindbilder werden geputzt. Unendlich viele Menschen sterben, viele sind geflohen, viele verlieren alles. Wenn es doch nur eine Hiobsbotschaft gäbe! Aber – die eine gebiert immer neue.
Eine Hiobsbotschaft ist noch ganz frisch. Eine? Im Stundentakt vermehrte sie sich. Die Erde bebte in der Türkei und in Syrien. Häuser fielen in sich zusammen und begruben Menschen im Schutt. Fassungslos sprechen Menschen auch von Schuld. Und von Schuldigen. In den Opferzahlen verschwinden Gesichter und Geschichten. Was sagen schon Zahlen? Dreißigtausend, Vierzigtausend, Fünfzigtausend? Was heißt, kein Zuhause mehr zu haben? Was heißt, vergessen zu werden?
In der öffentlichen Wahrnehmung müssen Hiobsbotschaften sich mit dem Sekundentakt begnügen.
In den Nachrichtensendungen auch. Danach geraten die schlimmsten Szenen und entsetzlichsten Geschichten sogar ins Hintertreffen. Es gibt zu viele. Jeden Tag.
Manchmal höre ich nicht mehr zu.
Aber ist das nicht auch eine – Hiobsbotschaft?

Der siebte Tag
Sich mit einer Situation abzufinden, das Schicksalhafte anzunehmen und das Unerklärliche zu akzeptieren, kann keinem Menschen auferlegt werden. Hiob wird mit seinen Freunden noch große Dispute darüber führen. Das heben wir uns für eine andere Gelegenheit auf.
Dass Schweigen sehr böse werden kann – oder auch böse enden, haben Menschen oft schon leidvoll erlebt. Als sie Nähe suchten, bekamen sie Distanz, als sie auf Verstehen hofften, schlug ihnen Desinteresse entgegen. Wenn Abstände entstehen, über die keine Brücke führt, gibt es keinen Weg. Die, der – da. Ich – hier. In diesem Schweigen gehen Menschen unter. Ich müsste schreien! Aufstehen!
Der Hiob in der Asche ist nicht alleine. Er geht nicht unter. Seine Freunde sind schweigend im Gespräch mit ihm vertieft. Was sie verbindet, braucht keine Worte. Eine große Ruhe stellt sich ein. Gedanken klären sich, Ängste werden abgewogen und neue Perspektiven tun sich auf. Schweigen erweist sich als Offenbarung. Im Schweigen hat sich Gott selbst offenbart. Da verstummte der Sturm. Da verebbte das Feuer. Und Gott ging den Menschen voraus.
Übrigens: Wenn von sieben Tagen und sieben Nächten die Rede ist, ist der siebte Tag Schabbat. Der Tag der Ruhe. Die Anspannung fällt ab. Ein tiefes Durchatmen. Am siebten Tag ruhte Gott und schaute auf sein Werk. Auf seine Schöpfung. Auf die Menschen. Jetzt wächst in dem Schweigen ein neuer Weg. Ein neuer Anfang.  Eine neue Schöpfung.

Glaubensbekenntnis
Die Geschichte von Hiob hat den Weg in die Bibel geschafft. Ein umfangreiches  Buch ist daraus geworden. Das Buch Hiob. Mit den Fragen, die uns immer noch umtreiben und immer wieder neu: Warum es Leiden gibt? Warum Ungerechtigkeit? Warum einen ungerechten Gott? Warum – Hiobsbotschaften?
Hiobs Frau spricht aus, was der Zweifelsäer längst erwartet und mit bestechender Logik vorgebracht hat: Jetzt hast du nichts mehr, lieber Hiob – lass es gut sein, schwör ab, fluche Gott, stirb! Es gibt nichts, was dich hält. Es gibt nichts, was uns hält. Wir sind am Ende!
Und Hiobs antwortet:
„Du redest, wie die törichten Frauen reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Es ist ein Satz. Kein Wort ist zu viel. Man hört den Atem.
Hiob klagt nicht darüber, was ihm genommen wurde, was verloren ging, was ihn geschlagen hat. Hiob fragt auch nicht: Warum?
Hiob schaut auf Gott. Wir ihm empfangen wir Gutes. Von Anfang an.  Er ist die Quelle des Lebens. Schöpfer der Welt. Fels in der Brandung. Burg im Gebirge. Licht der Welt.
Hiob überrascht uns mit seinem Glaubensbekenntnis. In der Situation. Er hockt in der Asche. Von Kopf  bis Fuß ist er gezeichnet. Aber seinen Glauben hat er nicht verloren, er hat ihn sich auch nicht nehmen lassen, er wird von ihm getragen. Wir könnten sogar Dankbarkeit heraushören, aber das ist vielleicht doch zu gewagt.
Dass Gott Hiobs Bekenntnis hört, wird nicht erzählt – dass es der geheimnisvolle Gegenspieler wenigstens zur Kenntnis nimmt, auch nicht. Wir aber hören es! Es ist für unsere Ohren! Wir haben Gutes empfangen! Das Leben – und Gottes Treue!
Paulus wird viele Jahrhunderte später in seinem Brief an die Gemeinde in Rom auf Hiob Bezug nehmen: Wer hat Gott etwas gegeben, das er es ihm vergelten müsste? Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! (Röm. 11,35f.)

Hiobs Botschaft
In einer langen Geschichte, die hier nicht nacherzählt werden kann, ist mit den Hiobsbotschaften die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes gestellt. Das große Wort heißt: Theodizee. Nach dem Erdbeben von Lissabon, 1755, wurde die Warum-Frage öffentlich diskutiert. Zum ersten Mal gab es durch die damals aufbrechenden Medien eine große, fast weltweite Anteilnahme. Warum geht eine so große und bedeutende Stadt unter? Was haben die Menschen denn getan? Warum gibt es überhaupt so viel Ungerechtigkeit in der Welt? Warum keine Barmherzigkeit?
Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama mögen zwar schweigen, aber sie – sie sehen.  Ausdrücklich, eindrücklich weiß die Geschichte davon zu erzählen. Die Freunde sehen das große Leid.  Sie sehen  aber auch den Glauben. Die Freunde teilen sieben Tage und Nächte mit Hiob. Sie teilen mit ihm auch sein Vertrauen. Mit ihren Augen heben sie Hiob aus dem Staub, tragen ihn aus der Asche. Hiob wird gesehen. Hiob wird wahrgenommen. Was der Zweifelsäer mit Gott besprochen hat, wissen die Freunde nicht. Sie können es nicht einmal ahnen. Nur: Das letzte Wort bekommt das Leiden nicht. 
Den Hiobsbotschaften gesellt sich Hiobs Botschaft zu: Ich halte mich an Gott fest, ich lasse mich von ihm halten, mit ihm gehe ich in ein neues Leben.
Dieser Glaube kann in einem Schweigen wachsen und schließt dann neue Worte auf.

Sie kennen die drei jetzt! Ihre Namen können nicht vergessen werden: Elifas von Teman, Bildad von Schuach und Zofar von Naama. Hiobs Freunde kommen von weit her, sie bringen die große Welt mit – oder: die große Welt macht sich auf, das Leid eines Menschen mitzutragen. Hiob ist kein Häufchen Elend. Der Glaube trägt ihn. Die Asche, auf die er hockt, riecht nach neuem Leben.

Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Manfred Wussow

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich sehe Menschen vor mir, die mit ihrem Schicksal, mit ihrem Leben hadern. Und ich sehe Menschen vor mir, die mit der Warum-Frage kämpfen, aber Frieden finden. Hiob ist ein besonderer Gesprächspartner, auch in der Stille. Wenn seine Freunde dazu kommen, wird der Gottesdienst komplett.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Hiob! Beflügelt hat mich u.a., dass die Predigt Station auf einem Weg ist – vom Psalm über das Kyrie bis hin zu den Fürbitten und dem gemeinsamen Abendmahl. Insofern wird Hiob Gast in einem großen Programm und Gesprächspartner Jesu auch. Dass nur die Predigt veröffentlicht wird, ist ein Manko.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mehr Hiob! Das Buch ist eine Fundgrube, seelsorgerlich, literarisch, philosophisch und theologisch. Selbst säkulare Zeitgenossen können sich mit Hiob gut auseinandersetzen und vielleicht Gott entdecken. Wenn nicht, tauchen sie in eine große Geschichte ein, die ihre Spuren auch in der Weltliteratur hinterlassen hat.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mein Coach (oder Coachin) hat kluge Fragen gestellt. Das „stille“ Gespräch mit ihr hat der Predigt gut getan. Jede Leserin, jeder Leser, begibt sich ohnehin auf eine eigene Reise.

Perikope
26.02.2023
2,1-13

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! - Predigt zu Hiob 19,19-27 von Andreas Pawlas

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! - Predigt zu Hiob 19,19-27 von Andreas Pawlas
19,19-27

Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen! Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Liebe Gemeinde!

Das kennen wir doch, dass wir Klagen hören - gerade in der jetzigen von der Pandemie geprägten Zeit. Und wer unter uns könnte nicht einstimmen, etwa in die Klage darüber, dass wir uns mit unseren Lieben nur im kleinen Kreis treffen und uns nicht umarmen dürfen, oder dass wir nicht in die Museen können, oder auch dass die Cafés geschlossen sind. Oder bestimmt auch, dass der Betrieb mit üblen Gewinn-Einbußen kämpft. Sicherlich weiß jeder von uns genug, was hier noch an aussprechbaren und unaussprechlichen Klagen hinzuzufügen wäre. Aber, in welch einer Not muss sich ein Mensch befinden, um so zu klagen und zu schreien, wie wir es hier von Hiob hören!

Wo wir heute und unter uns solche oder vergleichbare Nöte antreffen? Nein, meist stoßen wir nicht direkt darauf. Denn meist sind doch diese Nöte vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen. Nein, wir kommen nicht ohne weiteres hinein, etwa auf die Intensivstationen oder in die Sterbezimmer zu Haus. Oder wer lässt uns anteilnehmen an seinem Überlebenskampf während durchwachter und durchweinter Nächte im eigenen Schlafzimmer?

Aber vor allem, wer kann dann, wenn sich das Fieber-Karussell nur zu schnell dreht, wenn alles im Leben drunter und drüber geht und wenn kein Vertrauter mehr Zugang zu mir hat, noch so bildhafte Worte finden, wie Hiob? Bleibt da meist nicht nur ein Aufschreien, ein Stöhnen, ein Wimmern? Wie oft habe ich solche Klänge mitgenommen von meinen Besuchen bei Schwerverletzten oder Sterbenden in Krankenzimmern oder auf Intensivstationen. Aber sicherlich kommt es auch gar nicht auf die Macht der Formulierungen an, wenn es derart um das nackte Leben, und um das Sterben und Vergehen geht, wie bei Hiob.

Aber warum nur hat denn das Gottesvolk damals alle diese herzzerreissenden Klagen festgehalten und für uns Heutige weiter überliefert? Sicherlich, es kann hilfreich sein, sich in einer Gemeinschaft der Klagenden zu wissen, manchen kann es wirklich stärken, sich gemeinsam all diesem Leid und der Verzweiflung ausgesetzt zu sehen. Macht das nicht auch viel von dem Hilfreichen in einer Selbsthilfegruppe aus?

Sollte das Gottesvolk wirklich deshalb alle diese Klagen festgehalten haben, um uns Heutige in eine Selbsthilfegruppe der Klagenden mit einzubeziehen? Jedoch haben Selbsthilfegruppen meist zu Intensivstationen oder Sterbezimmern keinen Zugang. Darum ist die Botschaft der heutigen Zeit: Die tiefe Verzweiflung und die schwarze Ausweglosigkeit trifft uns meist allein - mutterseelen allein.

Wer mich da noch hört? Wem ich da noch etwas bedeute?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gottesvolk alle diese Klagen Hiobs für uns Heutige festgehalten hat, weil in diesen Verzweiflungsschreien Hiobs ein Bekenntnis steckt. Es ist das Bekenntnis: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Und daran glaube ich fest, dass wir dieses Bekenntnis über Zeiten und Räume hinweg für uns gelten lassen dürfen:

So manches Mal hatte ich schwere Beerdigungen auf unserem Friedhof zu halten. Und dann ging es die altbekannte Strecke aus der Kapelle heraus bis zur Grabstelle. Aus dem Trauerzug hinter mir konnte ich dann meist noch so manches Schluchzen hören. Und allen stand noch bevor, wie sich der Sarg dann in die dunkle Erde senken würde, wobei Sekunden zu Ewigkeiten würden, und wo dann die Erdwürfe auf den Sarg diesen deprimierend dumpfen Klang ergeben würden, bevor dann alles vorbei wäre.

Aber vorher, ja vorher hatten wir auf diesem Weg von der Kapelle zur Grabstelle am Grab meines Vorvorgängers vorbei zu kommen Und dort, genau dort, da stand diese Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.

Und für mich bedeutete das: Ich atme durch! Und still danke ich diesem alten Pastor in meiner Seele, dass er die Gestaltung seines Grabsteins in dieser Weise verfügt hatte! Ja, so oft habe ich diese Inschrift als verständnisvollen hilfreichen Gruß von ihm verstanden, der mich ermutigte und mir Kraft gab, um Gottes willen auch dem schlimmsten Elend beizustehen. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.

Denn so tief sich auch die Verzweiflung ausbreiten will, so beklemmend und lähmend sich auch die Ausweglosigkeit auf unseren ganzen Leib legen und uns den Atem nehmen will, um Gottes willen darf ich noch anderes denken. Ich darf noch anderes fühlen, nämlich: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.

Es ist diese Gewissheit, ja diese Ostergewissheit „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“, die uns schon heute, an diesen Sonntag in der Passionzeit, mit auf unseren eigenen Lebensweg mitgegeben werden darf.

Nein, die Passion ist nicht alles. Gewiss, die Leidenszeit gehört mit zu unserer Weltenzeit. Aber sie wird bedacht und tief ernst genommen, weil am Ende das Kreuz steht, das Kreuz der Beendigung des Leidens, das Kreuz als Weg zu Auferstehung und Leben: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.

Wenn auch ich in meinem Leben und Leiden nicht mehr in der Lage sein sollte, klar denken zu können, und wenn mir es auch Schläuche und Masken wären, die meinen einzigen Lebenshorizont bildeten und es mir unmöglich machen sollten, noch Worte zu meinen Lieben zu sagen, mit jedem Atemzug könnte ich dennoch hauchen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.

Und wenn mir meine Haut auch noch so zerschlagen ist, wenn ich keine Kraft mehr haben sollte, mich irgendwie zu regen, so will ich doch fest daran glauben, dass ich auch ohne mein Fleisch und seine Kraft Gott sehen werde. Ich selbst und kein Fremder. Ich will fest daran glauben, weil Jesus Christus an mich glaubt, weil Christus in seiner Passion für Dich und mich den Weg des Leidens zur Auferstehung gegangen ist, damit Du und ich genauso auferstehen wie er. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ Gott sei Dank!

Amen

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor i.R. Dr. Andreas Pawlas

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das eigene Erleben mit dem Hiob-Wort „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ auf dem Friedhof.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bitte und die Hoffnung, mich auch im eigenen Vergehen derart über dieses Hiob-Wort auf Christus verlassen zu können.

4.Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
ch habe gern Anregung des Predigtcoaches zu Vermeidung von Doppelungen und zur thematischen Konzentration aufgenommen.

Perikope
21.03.2021
19,19-27