Das Gebot der Liebe - Predigt zu Johannes 15, 9-12.14-15 von Wolfgang v. Wartenberg
15,9
Das Gebot der Liebe - Predigt zu Johannes 15, 9-12.14-15 von Wolfgang v. Wartenberg
Das Gebot der Liebe
9Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
14Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Liebe Gemeinde,
diese Worte sind Teil einer langen Abschiedsrede, mit der Jesus seine Jünger darauf vorbereitet, dass sich ihre Wege trennen werden. Er ahnt, wie es ihnen mit dieser Nachricht ergeht. Jesus versucht, ihrer Angst Herr zu werden, indem er ihnen gleich zu Beginn seiner Rede zuruft: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (14,1).
Die Ängste der Frauen und Männer sind verständlich. Petrus, sein Bruder Andreas, Philippus, Nathanael, Johannes und die anderen Jünger, nicht zu vergessen die Frauen, die ihn begleiten, Maria Magdala, Maria, die Frau des Klopas und andere haben ihre Familien verlassen und ihre Berufe aufgegeben. Sie haben sich von Jesus heraus rufen lassen aus ihrer Welt und sich ihm angeschlossen. Aber jetzt kündigt dieser Mann die Trennung von ihnen, womöglich seinen Tod an. Ein Jünger, Judas, hat sie vor wenigen Minuten verlassen. Es liegt etwas Bedrohliches in der Luft. Und sie dachten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, Jesus sei ein Bote Gottes, der Messias vielleicht, der - selbst unverwundbar - die Macht der politischen Herrscher überwinden würde – und nun selbst mit dem Schlimmsten rechnen muss.
Jesus versucht sie zu beruhigen, nicht wie man Kinder beruhigt, sondern wie Erwachsene, nicht wie Knechte, die nicht wissen, was der Herr will, sondern wie Freunde, die über die Wege ihres Freundes in Kenntnis gesetzt werden. Er wird sie verlassen, ja, aber er wird dennoch bei ihnen bleiben – in einer anderen, neuen Weise. Mit immer neuen Worten versucht er, sie in diesem Glauben zu vergewissern und sie dadurch zu stärken für die Zeit nach der Trennung.
Liebe Gemeinde, um es gleich festzuhalten: Damit will Jesus auch unseren Glauben stärken, die wir in dieser Zeit der Trennung leben. Unser Glaube lebt nicht vom Sehen, sondern vom Hörensagen, davon, dass uns immer wieder von Jesus erzählt wird und wir durch seinen Geist berührt an Gott und an ihn glauben.
(1.) „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“
Jesus vergewissert seine Jünger und all die, die sich ihm anvertrauen, dass er sie wirklich und auch weiterhin liebt. Diese seine Zusage ist so verlässlich wie die Liebe seines himmlischen Vaters zu ihm.
Jesus offenbart seinen Jüngern mit diesem Wort das innerste Motiv seines Lebens, seines Einsatzes, seiner Liebe: weil ihn sein Vater liebt. Seine Liebe entspringt also nicht, wenn wir seine Worte gelten lassen, der Laune eines Menschen, der heute leutselig ist und morgen vielleicht Leute gegeneinander ausspielt. Wenn sich Jesus dem Bartimäus, dem Zachäus, dem Lazarus, der Magdalena und den vielen anderen zuwendet, sie sehend macht, sogar heilt, dann tut er das nicht, wie wir geschwind vermuten könnten, weil diese Menschen ihm besonders sympathisch wären. Vielleicht sind sie ihm sympathisch, mag sein, aber es kann auch anders sein. Jesus geht auf solche Wertung und Unterscheidung von Menschen, die wir mögen und nicht mögen, überhaupt nicht ein. Er hilft ihnen auf, weil er sich von Gott geliebt weiß. Sein Motiv ist die bedingungslose Liebe des Vaters und sein Bemühen, es ihm gleich zu tun. „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“
(2). Jesus spricht weiter: „Bleibt in meiner Liebe.“Diese Worte klingen wie ein Wunsch, eine Bitte, eine Einladung. Bleibt! Bleibt doch in meiner Liebe!
Und er fügt gleich hinzu, wie wir nach seiner Vorstellung in dieser seiner Liebe bleiben können. „Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.“
Die Gebote Jesu sind zusammen zu fassen in dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Was die Nächstenliebe angeht, ähneln sie der Goldenen Regel, die Jesus in der Bergpredigt, allerdings in positiver Form selbst zitiert: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ Aber wir können es noch genauer sagen: Die Gebote Jesu ergeben sich für uns dann, wenn wir Jesus nachfolgen, wenn wir uns auf seine Spur bewegen und uns in den vielfältigsten Situationen unseres Lebens immer wieder fragen: Was würde Jesus jetzt hier und heute - in der Familie, in der Schulklasse, im Beruf, in der Freizeit - denken, fragen, anstoßen und tun. Jesus selbst ist das entscheidende Gebot Jesu – das ist mehr als jedes geschriebene Gebot.
Es gibt junge Menschen, die ihre Berufswahl nicht von der Höhe des möglichen Verdienstes, sondern von diesem Kriterium abhängig machen, ob und wie sie dann anderen Menschen helfen können. Es gibt natürlich noch andere ernst zu nehmende Kriterien für eine Berufswahl. Aber dieses Motiv, anderen Menschen weiter zu geben, was wir für gut und hilfreich erachten oder selbst an Liebe und Wohltaten erfahren haben, das ist auf jeden Fall ein Kriterium, das wir an Jesus festmachen können.
Ich denke an den Pfleger M. in dem Krankenhaus, in dem ich als Seelsorger tätig war. Einmal wurde ich Zeuge, wie er sich um eine etwa 90 jährige Frau kümmerte, wie er sie ansprach, obwohl sie vermutlich kaum etwas verstand, wie er sie behutsam vom Rücken auf die Seite legte, um eine Wunde neu zu versorgen, und sie dabei liebevoll anfasste. Ich war davon sehr berührt. Das nenne ich Pflege im Sinne Jesu, das ist christliche Pflege, auch wenn sie in einem städtischen, in einem säkularen Krankenhaus geschieht.
Liebe Gemeinde, das nur nebenbei: Solche Erlebnisse nehmen einem die Angst davor, vielleicht einmal selbst zum Pflegefall zu werden.
Sie, liebe Gemeinde, können sicher eigene Erlebnisse und Erfahrungen beitragen, die dem Liebesgebot Jesu entsprechen. Meist sind es gar nicht die großen Aktionen, die da schnell ins Auge springen, sondern die kleinen alltäglichen Ereignisse, häufig nur der freundliche Blick, die zarte Berührung am Arm des Menschen, zu dem wir Vertrauen gefasst haben, ein kurzer Dank.
Manchmal werden wir durch die Zeitungen und das Fernsehen auf zunächst unscheinbare Ereignisse aufmerksam gemacht – und das ist gut so. Ich denke dabei an die 16 jährigen Pakistanerin Malala. Radikalislamisten überfielen einen Schulbus, in dem sie zur Schule fuhr. Sie wurde von einer Kugel am Kopf getroffen. Sie konnte nach einer Notoperation gerettet werden. Nun will sie sich, trotz erneuter Morddrohungen, dafür einsetzen, dass Mädchen und Frauen in Pakistan zur Schule gehen dürfen. Unermüdlich wie sie ist, erinnert sie mich an jene Frau, die, wie Jesus einmal erzählt, wiederholt vor dem Richter erscheint, um ihr Recht einzufordern. Jesus sagte Ja zu dieser Frau und er würde, davon bin ich überzeugt, auch Ja sagen zu diesem Mädchen.
Liebe Gemeinde, sich auf die Spur Jesu zu bewegen, seinen Weg zu gehen, sich fragen, wie wir dem Liebesgebot entsprechen können, ist, wie dieses Beispiel zeigt, kein Spiel. Da geht es um die Menschen, für die wir uns einsetzen oder auch nicht. Das ist in vielen Fällen anstrengend. Das verlangt unseren Einsatz, auch unsere Überwindung. Da geht es darum, ob ein Mensch in seinem Unglück allein bleibt oder einer bereit ist, an ihn heran zu treten und zu schauen, ob er ihn irgendwie unterstützen kann. Es geht dabei um Solidarität im Kleinen und im Großen.
(3.) Sich auf die Spur Jesu zu bewegen hat aber noch eine weitere Bedeutung. Nicht nur für die anderen Menschen, sondern auch für uns. Eine ganz persönliche Bedeutung. Es geht dabei um die Frage, ob unser Leben Sinn macht, ob es einen Sinn hat.
Viele Menschen erkennen, dass ihr Leben dann am meisten erfüllt war, als sie für andere Menschen besonders verantwortlich waren. Der Beruf als solcher, die Leiter des Erfolgs, Siege in einem Wettkampf, Freizeit ohne Verpflichtungen können manche befriedigen. Zugestanden. Aber sich verantwortlich fühlen für andere, wissen, dass ich und kein anderer jetzt in dieser Situation, bei diesem Menschen, diesem Partner, diesem Kind gefordert bin, liebe Gemeinde, das ist noch einmal ein anderes Gefühl von Leben und von Sinn. Dadurch erleben wir, dass wir unverwechselbar sind.
Ich nehme an, dass viele in unserem Kreis wissen, wovon ich rede.
Die Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen, die Pflege der alten Eltern, zu der viele Frauen, manchmal auch Männer bereit sind, die Treue gegenüber dem Ehepartner auch im Alter verleiht unserem Leben einen hohen Wert, der nicht mit Geld aufzuwägen ist.
Die Zeit, die viele aufbringen, um sich für andere Menschen - junge und alte, kranke und behinderte, für sozial benachteiligte - beruflich oder ehrenamtlich einsetzen, hält sie ab von vielen anderen Möglichkeiten des Lebens, aber sie verleihen ihrem Leben einen unverwechselbaren Sinn.
Die Treue, die manche in ihren Berufen aufbringen, die Kraft, trotz aller Widrigkeiten und Gefahren durchzuhalten, weil die Aufgaben einfach bewältigt werden müssen, können zu einem Zeugnis dafür werden, dass wir dem Liebesgebot Jesu entsprechen wollen.
Viele nehmen am Leben anderer Menschen dadurch teil, dass sie im Gebet an sie denken und für sie eintreten. Auch so gehören wir zu dem Kreis der Liebe, der von Gott eröffnet wurde.
Es klingt hoffentlich nicht zu fantastisch: Durch dieses Tun, mag es noch so „menschlich“ und unvollkommen sein, verknüpfen wir uns mit dem Tun Gottes! Es ist eigentlich ungeheuerlich, was Gott uns ermöglicht. Man kann nicht groß genug davon denken: Jesus lädt uns ein, mit einzutreten in die Lebens-, Liebes- und Aktionsgemeinschaft mit ihm selbst und dem himmlischen Vater.
(4.) „Das (alles) sage ich euch,“ fährt Jesus fort, „damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ Liebe Gemeinde,es ist schon erstaunlich, was Jesus den Frauen und Männern verheißt, die ihm gefolgt sind, und auch uns, die wir uns auf seine Spur wagen: Vollkommene Freude.
Wenn es uns gegeben ist, mitzumachen bei der Liebe Gottes, wie und wo auch immer, es mag klein oder groß sein, da ist der Ort, zumindest die Ahnung einer vollkommenen Freude. In vielen Fällen ist es uns gar nicht vergönnt, uns groß zu freuen, weil wir zu sehr „drin“ sind, in der Aktion, in der Anstrengung, in einer Auseinandersetzung, vielleicht auch weil wir es gerade wirklich schwer haben – aber verheißen ist uns die Freude, so wie uns die Gemeinschaft mit dem erhöhten Christus verheißen ist.
Ja, liebe Gemeinde, es ist in der Tat so: Jesus spricht mit seinen Jüngern wie mit Freunden. Sie wissen nun, wie es weitergeht, ohne ihn und doch in einer neuen Weisemit ihm. Alles, was er sagte und lebte, gilt über seinen Tod hinaus.
Er ist der Herr, wie die Jünger am Ostermorgen am See Tiberias erkennen, auch heute.
Amen
9Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
14Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
Liebe Gemeinde,
diese Worte sind Teil einer langen Abschiedsrede, mit der Jesus seine Jünger darauf vorbereitet, dass sich ihre Wege trennen werden. Er ahnt, wie es ihnen mit dieser Nachricht ergeht. Jesus versucht, ihrer Angst Herr zu werden, indem er ihnen gleich zu Beginn seiner Rede zuruft: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (14,1).
Die Ängste der Frauen und Männer sind verständlich. Petrus, sein Bruder Andreas, Philippus, Nathanael, Johannes und die anderen Jünger, nicht zu vergessen die Frauen, die ihn begleiten, Maria Magdala, Maria, die Frau des Klopas und andere haben ihre Familien verlassen und ihre Berufe aufgegeben. Sie haben sich von Jesus heraus rufen lassen aus ihrer Welt und sich ihm angeschlossen. Aber jetzt kündigt dieser Mann die Trennung von ihnen, womöglich seinen Tod an. Ein Jünger, Judas, hat sie vor wenigen Minuten verlassen. Es liegt etwas Bedrohliches in der Luft. Und sie dachten bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, Jesus sei ein Bote Gottes, der Messias vielleicht, der - selbst unverwundbar - die Macht der politischen Herrscher überwinden würde – und nun selbst mit dem Schlimmsten rechnen muss.
Jesus versucht sie zu beruhigen, nicht wie man Kinder beruhigt, sondern wie Erwachsene, nicht wie Knechte, die nicht wissen, was der Herr will, sondern wie Freunde, die über die Wege ihres Freundes in Kenntnis gesetzt werden. Er wird sie verlassen, ja, aber er wird dennoch bei ihnen bleiben – in einer anderen, neuen Weise. Mit immer neuen Worten versucht er, sie in diesem Glauben zu vergewissern und sie dadurch zu stärken für die Zeit nach der Trennung.
Liebe Gemeinde, um es gleich festzuhalten: Damit will Jesus auch unseren Glauben stärken, die wir in dieser Zeit der Trennung leben. Unser Glaube lebt nicht vom Sehen, sondern vom Hörensagen, davon, dass uns immer wieder von Jesus erzählt wird und wir durch seinen Geist berührt an Gott und an ihn glauben.
(1.) „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“
Jesus vergewissert seine Jünger und all die, die sich ihm anvertrauen, dass er sie wirklich und auch weiterhin liebt. Diese seine Zusage ist so verlässlich wie die Liebe seines himmlischen Vaters zu ihm.
Jesus offenbart seinen Jüngern mit diesem Wort das innerste Motiv seines Lebens, seines Einsatzes, seiner Liebe: weil ihn sein Vater liebt. Seine Liebe entspringt also nicht, wenn wir seine Worte gelten lassen, der Laune eines Menschen, der heute leutselig ist und morgen vielleicht Leute gegeneinander ausspielt. Wenn sich Jesus dem Bartimäus, dem Zachäus, dem Lazarus, der Magdalena und den vielen anderen zuwendet, sie sehend macht, sogar heilt, dann tut er das nicht, wie wir geschwind vermuten könnten, weil diese Menschen ihm besonders sympathisch wären. Vielleicht sind sie ihm sympathisch, mag sein, aber es kann auch anders sein. Jesus geht auf solche Wertung und Unterscheidung von Menschen, die wir mögen und nicht mögen, überhaupt nicht ein. Er hilft ihnen auf, weil er sich von Gott geliebt weiß. Sein Motiv ist die bedingungslose Liebe des Vaters und sein Bemühen, es ihm gleich zu tun. „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“
(2). Jesus spricht weiter: „Bleibt in meiner Liebe.“Diese Worte klingen wie ein Wunsch, eine Bitte, eine Einladung. Bleibt! Bleibt doch in meiner Liebe!
Und er fügt gleich hinzu, wie wir nach seiner Vorstellung in dieser seiner Liebe bleiben können. „Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.“
Die Gebote Jesu sind zusammen zu fassen in dem Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe. Was die Nächstenliebe angeht, ähneln sie der Goldenen Regel, die Jesus in der Bergpredigt, allerdings in positiver Form selbst zitiert: „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ Aber wir können es noch genauer sagen: Die Gebote Jesu ergeben sich für uns dann, wenn wir Jesus nachfolgen, wenn wir uns auf seine Spur bewegen und uns in den vielfältigsten Situationen unseres Lebens immer wieder fragen: Was würde Jesus jetzt hier und heute - in der Familie, in der Schulklasse, im Beruf, in der Freizeit - denken, fragen, anstoßen und tun. Jesus selbst ist das entscheidende Gebot Jesu – das ist mehr als jedes geschriebene Gebot.
Es gibt junge Menschen, die ihre Berufswahl nicht von der Höhe des möglichen Verdienstes, sondern von diesem Kriterium abhängig machen, ob und wie sie dann anderen Menschen helfen können. Es gibt natürlich noch andere ernst zu nehmende Kriterien für eine Berufswahl. Aber dieses Motiv, anderen Menschen weiter zu geben, was wir für gut und hilfreich erachten oder selbst an Liebe und Wohltaten erfahren haben, das ist auf jeden Fall ein Kriterium, das wir an Jesus festmachen können.
Ich denke an den Pfleger M. in dem Krankenhaus, in dem ich als Seelsorger tätig war. Einmal wurde ich Zeuge, wie er sich um eine etwa 90 jährige Frau kümmerte, wie er sie ansprach, obwohl sie vermutlich kaum etwas verstand, wie er sie behutsam vom Rücken auf die Seite legte, um eine Wunde neu zu versorgen, und sie dabei liebevoll anfasste. Ich war davon sehr berührt. Das nenne ich Pflege im Sinne Jesu, das ist christliche Pflege, auch wenn sie in einem städtischen, in einem säkularen Krankenhaus geschieht.
Liebe Gemeinde, das nur nebenbei: Solche Erlebnisse nehmen einem die Angst davor, vielleicht einmal selbst zum Pflegefall zu werden.
Sie, liebe Gemeinde, können sicher eigene Erlebnisse und Erfahrungen beitragen, die dem Liebesgebot Jesu entsprechen. Meist sind es gar nicht die großen Aktionen, die da schnell ins Auge springen, sondern die kleinen alltäglichen Ereignisse, häufig nur der freundliche Blick, die zarte Berührung am Arm des Menschen, zu dem wir Vertrauen gefasst haben, ein kurzer Dank.
Manchmal werden wir durch die Zeitungen und das Fernsehen auf zunächst unscheinbare Ereignisse aufmerksam gemacht – und das ist gut so. Ich denke dabei an die 16 jährigen Pakistanerin Malala. Radikalislamisten überfielen einen Schulbus, in dem sie zur Schule fuhr. Sie wurde von einer Kugel am Kopf getroffen. Sie konnte nach einer Notoperation gerettet werden. Nun will sie sich, trotz erneuter Morddrohungen, dafür einsetzen, dass Mädchen und Frauen in Pakistan zur Schule gehen dürfen. Unermüdlich wie sie ist, erinnert sie mich an jene Frau, die, wie Jesus einmal erzählt, wiederholt vor dem Richter erscheint, um ihr Recht einzufordern. Jesus sagte Ja zu dieser Frau und er würde, davon bin ich überzeugt, auch Ja sagen zu diesem Mädchen.
Liebe Gemeinde, sich auf die Spur Jesu zu bewegen, seinen Weg zu gehen, sich fragen, wie wir dem Liebesgebot entsprechen können, ist, wie dieses Beispiel zeigt, kein Spiel. Da geht es um die Menschen, für die wir uns einsetzen oder auch nicht. Das ist in vielen Fällen anstrengend. Das verlangt unseren Einsatz, auch unsere Überwindung. Da geht es darum, ob ein Mensch in seinem Unglück allein bleibt oder einer bereit ist, an ihn heran zu treten und zu schauen, ob er ihn irgendwie unterstützen kann. Es geht dabei um Solidarität im Kleinen und im Großen.
(3.) Sich auf die Spur Jesu zu bewegen hat aber noch eine weitere Bedeutung. Nicht nur für die anderen Menschen, sondern auch für uns. Eine ganz persönliche Bedeutung. Es geht dabei um die Frage, ob unser Leben Sinn macht, ob es einen Sinn hat.
Viele Menschen erkennen, dass ihr Leben dann am meisten erfüllt war, als sie für andere Menschen besonders verantwortlich waren. Der Beruf als solcher, die Leiter des Erfolgs, Siege in einem Wettkampf, Freizeit ohne Verpflichtungen können manche befriedigen. Zugestanden. Aber sich verantwortlich fühlen für andere, wissen, dass ich und kein anderer jetzt in dieser Situation, bei diesem Menschen, diesem Partner, diesem Kind gefordert bin, liebe Gemeinde, das ist noch einmal ein anderes Gefühl von Leben und von Sinn. Dadurch erleben wir, dass wir unverwechselbar sind.
Ich nehme an, dass viele in unserem Kreis wissen, wovon ich rede.
Die Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen, die Pflege der alten Eltern, zu der viele Frauen, manchmal auch Männer bereit sind, die Treue gegenüber dem Ehepartner auch im Alter verleiht unserem Leben einen hohen Wert, der nicht mit Geld aufzuwägen ist.
Die Zeit, die viele aufbringen, um sich für andere Menschen - junge und alte, kranke und behinderte, für sozial benachteiligte - beruflich oder ehrenamtlich einsetzen, hält sie ab von vielen anderen Möglichkeiten des Lebens, aber sie verleihen ihrem Leben einen unverwechselbaren Sinn.
Die Treue, die manche in ihren Berufen aufbringen, die Kraft, trotz aller Widrigkeiten und Gefahren durchzuhalten, weil die Aufgaben einfach bewältigt werden müssen, können zu einem Zeugnis dafür werden, dass wir dem Liebesgebot Jesu entsprechen wollen.
Viele nehmen am Leben anderer Menschen dadurch teil, dass sie im Gebet an sie denken und für sie eintreten. Auch so gehören wir zu dem Kreis der Liebe, der von Gott eröffnet wurde.
Es klingt hoffentlich nicht zu fantastisch: Durch dieses Tun, mag es noch so „menschlich“ und unvollkommen sein, verknüpfen wir uns mit dem Tun Gottes! Es ist eigentlich ungeheuerlich, was Gott uns ermöglicht. Man kann nicht groß genug davon denken: Jesus lädt uns ein, mit einzutreten in die Lebens-, Liebes- und Aktionsgemeinschaft mit ihm selbst und dem himmlischen Vater.
(4.) „Das (alles) sage ich euch,“ fährt Jesus fort, „damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ Liebe Gemeinde,es ist schon erstaunlich, was Jesus den Frauen und Männern verheißt, die ihm gefolgt sind, und auch uns, die wir uns auf seine Spur wagen: Vollkommene Freude.
Wenn es uns gegeben ist, mitzumachen bei der Liebe Gottes, wie und wo auch immer, es mag klein oder groß sein, da ist der Ort, zumindest die Ahnung einer vollkommenen Freude. In vielen Fällen ist es uns gar nicht vergönnt, uns groß zu freuen, weil wir zu sehr „drin“ sind, in der Aktion, in der Anstrengung, in einer Auseinandersetzung, vielleicht auch weil wir es gerade wirklich schwer haben – aber verheißen ist uns die Freude, so wie uns die Gemeinschaft mit dem erhöhten Christus verheißen ist.
Ja, liebe Gemeinde, es ist in der Tat so: Jesus spricht mit seinen Jüngern wie mit Freunden. Sie wissen nun, wie es weitergeht, ohne ihn und doch in einer neuen Weisemit ihm. Alles, was er sagte und lebte, gilt über seinen Tod hinaus.
Er ist der Herr, wie die Jünger am Ostermorgen am See Tiberias erkennen, auch heute.
Amen
Perikope
Datum 20.10.2013
Reihe: 2012/2013 Reihe 5
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 15,9
Wochenlied: 273 377
Wochenspruch: Röm 12,21