Predigt zu Jakobus 5,7-8 von Hanna Hartmann
Liebe Gemeinde!
Heute ist 2. Advent. Und es ist gleichzeitig auch Nikolaustag. Ab einem bestimmten Alter beginnt man das leider manchmal zu vergessen – was schade ist. Denn wie wunderbar aufregend ist es, am Abend den Stiefel hinauszustellen und sich darauf zu freuen, dass er am Morgen gefüllt auf einen warten würde. Diese Rituale sind zwar klein, aber sie sind sinnvoll und v.a. sinnlich, d.h. mit allen Sinnen erfahrbar. In so einem Stiefel lässt sich die Vorfreude so richtig sehen und mit Händen greifen, ja sogar zu riechen gibt es: allerlei verheißungsvolle Düfte (oder auch andere Gerüche) …. Und wie schön ist es zu erleben, dass sich manches Warten und Hoffen auf ganz einfache Weise erfüllt!
Wie arm wird das Leben, wenn wir nichts und niemanden mehr zu erwarten oder zu erhoffen haben! Sicher – die Ziele und Inhalte der Hoffnung ändern sich. Mit sechs ist es ein rosaroter Schulranzen, der das Herz höher schlagen lässt; mit 16 die ersehnte SMS-Antwort eines Schwarms auf dem Handy; mit 26 die Informatiker-Stelle, auf die ich mich beworben habe…. – bis dann der/die Partner/in fürs Leben gefunden, das Häuschen gebaut oder die Familie gegründet ist. Aber was, wenn dann dieser gewisse Sättigungsgrad eingetreten ist? Wo man nichts mehr groß braucht? Wo alles so seinen Platz oder sein Maß gefunden hat? Das hat ja auch was! Gerade heutzutage, wo viele junge Leute nur noch Zeitverträge bei der Arbeit angeboten bekommen, ist das sogar ein großer Wert.
Aber was erwarte ich? Was erwarten, erhoffen, ersehnen Sie? Für sich persönlich oder auch für andere…
Die Adventszeit ist ja die Zeit des Wartens und der Hoffnung. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass das adventlich-weihnachtliche Warten bei vielen leer geworden ist; so dass sie mehr darauf warten, dass das Ganze bald wieder vorbei sei, als darauf, dass da etwas zu ihnen komme und mit ihnen mache. Wie es Ihnen da wohl ergeht?
Ja, wer alles hat, der ersehnt nichts mehr. Der hat aber auch nichts, auf das er sich noch freuen könnte. Das ist das Schicksal der Reichen und manchmal auch der Alten. Sie erwarten nichts mehr. Und das ist traurig, um nicht zu sagen: ein Jammer.
Wie anders da der greise Simeon, von dem wir vorhin in der Lesung gehört haben. Bis ins hohe Alter hinein war er ein Wartender geblieben. Und ein sensibel Tätiger in seinem Warten. Denn auf Anregen des Geistes, so heißt es, war er in den Tempel gekommen. Wie oft war er da schon vorher gewesen? 100mal oder gar 1000mal? Doch heute sollte es geschehen. Heute sollte es für ihn anfassbar, sichtbar und wahr werden: in diesem Kindchen Jesus durfte er das Heil in Händen halten, ja sogar liebvoll in seine Arme nehmen.
Liebe Gemeinde, der Predigttext des heutigen Sonntags lädt uns ein, Wartende zu bleiben, ein Leben lang – oder es wieder zu werden. So lesen wir im Brief des Jakobus, im 5. Kapitel:
So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Jak 5,7-8
Nun, dieser Abschnitt zeigt mal wieder, dass wir in dieser neuen Predigtreihe, die mit dem 1. Advent angefangen hat, unsere Nase in anderer Leute Briefe stecken. Denn wenn Jakobus an die Tübinger geschrieben hätte, hätte er wahrscheinlich ein anderes Beispiel als das eines Bauern genommen. Vielleicht hätte er von Chorleiterinnen geschrieben oder von Lehrern; von Krankenschwestern oder Chirurgen. Aber es soll ja auch noch Tübinger geben, die einen Garten oder irgendwo ein Gütle haben und durchaus wissen, was es heißt, nach dem Pflanzen „auf die kostbare Frucht der Erde“ zu warten. Denn was die Bauern mit denen verbindet, die – sei es lehrend oder pflegend – an und mit Menschen arbeiten, ist dass sie Geduld brauchen. Geduldig müssen sie darauf warten, dass da etwas wächst, anwächst, zusammenwächst, heilt. Und so gut jede/r von uns weiß, dass man das Wachsen und Gedeihen nicht machen kann, ebenso gut weiß auch jede/r, dass es mit Warten allein nicht getan ist. Das Pflegen und Üben gehört genauso dazu. Und Musiker wissen das ganz besonders. Vom Warten allein kommt nichts. Ebenso muss der Chirurg seine Platten und Schrauben, Schnitte und Nähte gut gesetzt und sauber gearbeitet haben, damit das Zusammenwachsen und Heilen gelingen kann. Auch alle Erziehung, ob zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule: Da steckt viel Arbeit und Mühe drin, von durchwachten Nächten bis zum Aushalten pubertärer Machkämpfe. Oder was muss man nicht alles tun, bis so ein Rosenbeet prachtvoll in Blühte steht?
Doch alle Mühe und Arbeit ist umsonst, wenn die nötige Geduld und das Gespür für den richtigen Zeitpunkt fehlt. Ganz fatal ist es, wenn da jemand dem Wachstum auf unangemessene Weise nachhelfen will. Sehr anschaulich geschildert ist dies in einer chinesischen Parabel, wo ein Bauer seiner ausgebrachten Saat beim Wachsen helfen will. Jedem Halm wendet er sich hingebungsvoll, fast liebevoll zu. So zieht er einen nach dem andern ein Stückchen aus der Erde. Doch was geschieht, ahnen (nein: wissen) wir: „Das Korn fiel um, der Mann war dumm, in jedem Haus / lacht man ihn aus.“ Darum: Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.
Liebe Mitchristen! Auch wenn dieses Wort ursprünglich nicht an uns heute, sondern an die Christen im 2. Jahrhundert gerichtet war, so ist es doch aktueller denn je. Denn woran es uns in dieser schnelllebigen Zeit heute mangelt, wo alles zackzack und just in time gehen muss, ist vielfach die Geduld. Mit uns selbst, mit den Menschen, die uns anvertraut sind, und auch mit Gott. Und der lässt sich am allerwenigsten beschleunigen oder erzwingen. Sein Kommen ist versprochen, - ich weiß nicht wie viel Mal in der Bibel. Aber wann er kommen wird, wann er Himmel und Erde für alle sichtbar und spürbar neu schaffen wird – das ist und bleibt uns verborgen. Und doch sollen wir die Hoffnung darauf nie aufgeben, denn damit würden wir ein Herzstück unserer Identität als Christen aufgeben. Christen sind Leute, die Ausschau nach Christus halten.
Geduldig und beharrlich. Denn er kommt. Und er kommt immer von vorn. Er kommt uns entgegen. Aber wir müssen Geduld mit ihm haben….
Darum: stärkt eure Herzen! Stärkt sie durch die biblischen Verheißungen; stärkt sie durch Lieder und Melodien, die diese Hoffnung in euerm Herzen weitersingen; stärkt sie durch die Gemeinschaft mit anderen, die in dieser Hoffnung leben!
Wie toll ist es, Menschen zu begegnen, die hoffnungsvoll in die Zukunft sehen und mit Weitblick leben, weil sie wissen, dass sie Christus entgegen gehen!
Schwierig wird es nur dann, wenn man vor lauter Weitblick das unmittelbar Nahe übersieht. Allen Autofahrern ist diese Gefahr wohlbekannt. Vorausschauen ist gut, aber nicht alles. Sonst kann es schnell mal rumpeln. Und das gilt, wenn auch in anderer Weise, für Glaubende: Wer vor lauter Christuserwartung nicht sieht, dass der Mensch neben ihm ein gutes Wort, einen freundlichen Blick oder eine helfende Hand braucht – der hat etwas gründlich missverstanden. Der muss erst wieder auf den Boden kommen. Gottesliebe ohne Menschenliebe ist wie eine vorbeiziehende Wolke, die einem die Sonne stiehlt und doch keinen Regen bringt. Christuserwartung oder ein offenes Herz für die Not des Nächsten ist Schwärmerei.
Ich komme zurück zum Anfang, zu Nikolaus, dem „Schutzpatron der Wartenden“. Er hielt Ausschau nach dem kommenden Christus. Doch dies schärfte seinen Blick für den Christus, der vor der Tür schon auf ihn wartete: der Christus in den Armen und Bedürftigen. Für die Kinder, die er vor dem Verkauf als Sklaven rettete. Für die mittellosen jungen Frauen, denen er die Aussteuer besorgte, damit sie heiraten konnten. Die Armen waren für ihn der wahre „Schatz der Kirche“; denn die Armen sind es, die unser Herz weit und weich und zur Barmherzigkeit bereit machen. Ob das jetzt in der Weihnachtszeit ist. Oder im neuen Jahr in unserer Vesperkirche. Oder in vielen kleinen, vielleicht ungesehenen Taten. Auf das Wie kommt es weniger an; auf das Dass aber durchaus!
Vielleicht lassen wir uns auch anregen, denen, die sowieso schon viel oder gar zu viel haben, nur eine Kleinigkeit zu schenken, um mit einer großen Weihnachtsgabe die Not irgendwo in der Welt zu lindern. Die Sehnsucht kann uns ja erfinderisch machen…
Oder wie Hinrich Westphal sinniert:
„Eigentlich könnte es uns egal sein, dass einst der Bischof
einer hungernden Hafenstadt Kinder mit Essen versorgte.
Aber es ist die Erinnerung an Ängste und Träume,
Beten und Wunder, Schiffe und Sehnsucht,
die uns diese Geschichte, gerade im Advent,
nächtens und liebevoll vor die Tür und in die Schuhe schiebt.“
Amen
Lied 8 (1-6) Es kommt ein Schiff