Widerspruch! – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Wolfgang Vögele
1,18-25

Widerspruch! – Predigt zu 1. Korinther 1,18-25 von Wolfgang Vögele

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“

Liebe Gemeinde,
die Torheit lobt Paulus? Weisheit und Einsicht macht er lächerlich? Im Moment kann das im Angesicht von Flüchtlingselend, rechter Gewalt und Populismus niemand verstehen. Ach, ich würde mir im Moment das Gegenteil wünschen: eine überquellende riesige Schale voll Weisheit und Vernunft, die Gott aus dem Himmel wie ein Frostschutzmittel auf Politiker, Rechthaber und Meinungsverfechter auskippt. Ich wünsche mir, dass all die Schwätzer aus den Talkshows, die Lautsprecher und Spin doctors für ein paar Tage innehalten um nachzudenken, abzuwägen und Begründungen für die eigenen Forderungen zu finden. Erst dann sollen sie mit Einsicht, Verstand und Augenmaß das Gespräch fortsetzen. Nein, das Gespräch erst einmal beginnen, weil sie sich ja bisher überhaupt nicht zugehört haben. Wer redet, um Recht zu behalten, hat nicht verstanden, wozu ein Gespräch dienen soll: dem Zuhören, Antworten und Aufnehmen der anderen Meinung.

Von der Flüchtlingsfrage über die Zukunft der europäischen Einigung, die Zins- und Schuldenpolitik und die Folgen des Klimawandels bis zur Bekämpfung des Terrorismus wäre nichts so notwendig wie Einsicht, Verständnis, Nüchternheit, Gelassenheit und Klugheit. Nur diese zusammen stiften Vernunft und befähigen zur Politik. Kurz: Weisheit wäre nötig.
Wähler sollten kritisch sein gegenüber den neuen Parteien mit ihren alten, einfachen Lösungen, in den USA, in Frankreich und leider auch in der Bundesrepublik. Und auch die Gewählten brauchen Weisheit. Wenn die Kluft zwischen Versprechen vor der Wahl und Regierungshandeln nach der Wahl sich zu stark vergrößert, wenden sich die misstrauischen Wähler in Scharen von der Politik ab.

Im Moment scheinen die Volksverführer, die Wutbürger und die gerissenen Liebediener der öffentlichen Meinung an Zustimmung zu gewinnen. Politik gerät zum Spiel der schnellen Gefühle und der persönlichen Sympathien, wo sie doch vom Kalkül des Machbaren und Erreichbaren bestimmt sein sollte. Der unbezweifelbare Eindruck stellt sich ein, dass die Spielräume des Machbaren, Vernünftigen, des Kompromisses kleiner geworden sind. Schwierige und unübersichtliche Problemlagen wecken den Wunsch nach einfachen Lösungen und zu viele Politiker erliegen der Versuchung, im Wahlkampf solche Lösungen zu versprechen, die sie dann im gewählten Amt nicht einhalten können.

Paulus, so kann man einwenden, beabsichtigt nicht, der politischen Klugheit das Wasser abzugraben. Er interessiert sich viel stärker für die Weisheit auf dem Feld des Glaubens, wo sich Fragen von Erlösung und Verwerfung, Gottvertrauen und Unglaube entscheiden. Auf diesem Feld nimmt die Weisheit plötzlich eine ganz hässliche Gestalt an. Die hässliche Weisheit – das muss erklärt werden. Auch auf dem Feld des Glaubens helfen die einfachen Lösungen der Populisten nicht weiter.

Die Weisheit des Menschen ist eine Lebenskunst, die jeder erlernen muss. Wer sie erlangen will, übt sich ein in Klugheit und Gebrauch der Vernunft, um aus den Verhältnissen, in denen er sich wiederfindet, das Beste und Angemessene zu machen. Weisheit ist die Kunst des Erreichbaren, gebunden an menschliches Maß und Fürsorge. Sie beruht auf Überlegung und Mitgefühl, auf Übereinstimmung mit der wohl geordneten Schöpfung. Gleichermaßen lebt sie aus dem Mut, Wagnisse einzugehen und aus der Fähigkeit, sich für das Schöne, Wahre, Gute zu begeistern. Sie ist bestimmt vom Respekt für die Würde der anderen und vom Bewusstsein der eigenen Würde.

Solche Weisheit ist eine erwachsene Tugend. Sie lebt von der Stärke der eigenen Persönlichkeit, von der Kraft des Denkens und der Lebendigkeit der Gefühle. Ich bin überzeugt, dem würde Paulus nicht widersprechen. Und dennoch erreicht solche Weisheit irgendwann ihre Grenzen, besonders dann, wenn sie spürt, dass die Ordnung der Welt ins Wanken geraten ist, wenn sie soziale Ungleichheit spürt, wenn sie unbarmherzig auf Schwäche, Krankheit, Leiden und Tod trifft. Weder dem Schmerz noch dem Tod kann die Weisheit irgendeinen Sinn abgewinnen. Die weise Vernunft scheitert dann an den grausamen Verhältnissen der Welt, die plötzlich gar nicht mehr als gute Schöpfung Gottes erscheint.

Sie ist der Ort des Verkehrsunfalls, bei dem das kleine Mädchen seinen schweren inneren Verletzungen erliegt. Sie ist der Ort des plötzlich entdeckten Tumors im Körper eines älteren Menschen. Er wächst immer weiter und bildet Metastasen. Sie ist der Ort der Ungerechtigkeit, an dem Menschen übervorteilt und in die Flucht getrieben werden. Grauen und Schmerz hat die Weisheit irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen. Wenn sie es mit den einfachen pauschalen Lösungen versucht, die in der Politik so beliebt sind, dann lachen alle diese Weisheit aus, wegen ihrer Banalität und Naivität.

Deswegen versucht Paulus gar nicht erst, auf diesem Weg die Weisheit aufzuwerten. Er entwickelt eine Alternative zu der menschlichen Weisheit, die an ihre Grenzen stößt. Für die Welt, die zwischen Ordnung und Chaos zerrissen ist, entwickelt er eine ganz kurze Formel: das Wort vom Kreuz. In dieser Formel liegt der Schlüssel zur Theologie des Paulus. Paulus zögert nicht, dieses Wort vom Kreuz eine Torheit zu nennen. Zur Weisheit der Welt und zur Weisheit der Menschen setzt sie sich in Widerspruch.

Mit dem Kreuz meint Paulus die von allen Evangelien einmütig berichtete Erzählung von der Hinrichtung Jesu. Der, den viele für den Messias Israels hielten, wurde gefangengenommen, verhört, gefoltert, gequält, verurteilt. Er musste den Tod am Kreuz erleiden, den grausamsten Widerspruch gegen alle Weisheit, Klugheit und Vernunft der Welt. Das Kreuz widerspricht der ganzen Welt. Aber es ist noch mehr. Es verrückt das Verhältnis von Gott und Welt, von Gott und den Menschen. Mit dem Kreuz drängen die Menschen den allmächtigen und barmherzigen Gott, aus dieser Welt heraus. Das Kreuz widerspricht der Weisheit der Menschen. Das Kreuz widerspricht dem Angebot Gottes, sich barmherzig für sie einzusetzen. Das Kreuz tötet nicht nur den Menschen aus Nazareth, es tötet auch den Glauben an Gott. Das Kreuz blamiert alle Weisheit der Welt, die fromme, die politische, die philosophische, die wissenschaftliche, die alltägliche Weisheit, bis auf die Knochen. Insofern entlarvt das Kreuz sämtliche Illusionen, die sich die Menschen über Glauben, Gottvertrauen und Erlösung gemacht haben.

Das Wort vom Kreuz verweist zurück auf die Geschichte, die sich auf dem Hügel Golgatha zugetragen hat. Es setzt voraus, dass die Christen in dieser Geschichte von Golgatha eine bestimmte Bedeutung finden, welche die Weisheit der Welt entlarvt. Und Paulus versteht drittens dieses Wort vom Kreuz als eine Kraft. Was ist damit gemeint?

Auf der Seite der Menschen ist das Kreuz ein Endpunkt. Sie haben dem Leben Jesu ein Ende gesetzt. Mehr Auslöschung als der Tod kann nicht sein. Auf der Seite Gottes bedeutet das Kreuz: Weiter lässt sich Gott nicht aus der Welt herausdrängen. Der Tod ist für die Menschen das Ende, für Gott markiert dieser Tod einen Neuanfang. Er findet sich mit dem Tod des Jesus von Nazareth nicht ab. Wobei in unserem Predigttext Paulus die Auferstehung von Ostern mit keinem einzigen Wort erwähnt. Das Kreuz ist der Widerspruch Gottes gegen den Tod. So paradox es klingen mag: Im Kreuz errichtet Gott ein Zeichen gegen den Tod. Das Instrument der Hinrichtung wird gleichzeitig zum Zeichen von Gottes Widerstand.

Am Kreuz wird sichtbar: Gott lässt sich nicht aus der Welt herausdrängen. Am Kreuz wird aber auch sichtbar: In dieser Welt ist Gott bei denen, die leiden, die Schmerzen haben, die stöhnen wegen der Ungerechtigkeit der Welt. Gott ist bei den Schwachen und Ohnmächtigen.
Das haben schon die mittelalterlichen Klostergründer gewusst, die sich besonders der Betreuung von Kranken verpflichtet hatten. Sie bestellten für die Säle, in denen die Kranken lagen, Altarbilder, welche neben anderem die Kreuzigungsszene auf Golgatha zeigten. Eines der berühmtesten Beispiele ist der Isenheimer Altar, den Matthias Grünewald für das Hospital des Antoniterklosters in Colmar im Elsass gemalt hat. Im Bild des Gekreuzigten sahen die Kranken den Gott, der mit den Schwachen und Leidenden litt. Sie sahen den mitleidenden und barmherzigen Jesus, nicht den übermächtigen Weltenrichter am Ende der Zeiten.

Für Paulus bedeutete das Kreuz einen Wendepunkt in der Geschichte Gottes mit den Menschen.Er hat versucht, diese theologische Erkenntnis in der Passage aus dem 1.Korintherbrief so deutlich und klar wie möglich zu formulieren. Für ihn war das Kreuz eine Umwertung aller Werte, ein Symbol, das die Welt, die Weisheit, die Vernunft, alles bisherige Wissen über Gott auf den Kopf stellte. Gott ist kein Triumphator mehr, kein allmächtiger, rauschebärtiger Vater im Himmel, kein Schicksalsbestimmer, kein selbstherrlicher Marionettenspieler, der die Menschen am Gängelband führen würde. Gott geht überhaupt nicht in einem der in schönen Farben gemalten Wunschbilder auf, die sich Menschen von ihm gemacht haben.

Gott ist stattdessen bei dem sterbenden, hingerichteten, ohnmächtigen Menschen Jesus von Nazareth. Und indem er ihm barmherzig beisteht, steht er auch allen anderen leidenden, ohnmächtigen Menschen bei. Das ist die große, die entscheidende theologische Erkenntnis des Paulus, der fundamentale erste kleine Schritt, mit dem er die Weisheit der Menschen vom Kopf auf die Füße stellt. Er richtet das Gedankengebäude der christlichen Theologie völlig neu aus und gibt Glauben und Vertrauen eine völlig neue Richtung.

Paulus sieht im Kreuz einen Wendepunkt für den Glauben. Danach stellt sich Gott ganz anders dar als vorher. Am Kreuz stirbt der allmächtige, alles beherrschende Gott. Das ist für alle, die an diesen Gott glauben, ein Stück klarer, nüchterner Aufklärung. Am Kreuz zerschellen unsere naiven Gottesbilder. Stattdessen, , zeigt sich am Kreuz der solidarische, tröstende, der schwache Gott. Das ist die Wende. Das ist ein Stück größtmöglicher Barmherzigkeit.

Und deswegen gilt es für Paulus, über das Kreuz zu reden, das heißt zu predigen. Denen, die das schräg finden, kommt das wie eine Torheit vor. Sie schieben, was die Theologie angeht, andere Ansprüche in den Vordergrund. Sie wollen Zeichen sehen und Beweise hören. Paulus aber genügt der gekreuzigte Christus. Ihm glaubt er. Denen, die ihm in diesem Glauben nachfolgen, ist das eine Kraft.

Was ist diese Kraft? Wie wirkt sie sich aus und in welche Richtung zielt sie? Paulus spricht von einer lebendigen dynamischen Kraft, nicht von einer statischen, unveränderlichen Einstellung.
Eine Einstellung fixiert die Haltung eines Menschen; sie kann helfen, aber in ihrer Starrheit auch behindern. Kräfte setzen einen Menschen in Bewegung. Er braucht physische Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit für seine Joggingrunde. Er braucht geistige Kraft in seinem Beruf oder bei der Lösung seiner Probleme. Er braucht geistliche Kräfte, um sein Leben zu bestehen. Diese geistliche Kraft nennen Christen auch Glauben. Sie entsteht nicht mit Hilfe von Ausdauer und Training, sie ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Sie entsteht aus der Zuversicht, dass dieser Gott Jesus am Kreuz nicht alleine lässt –  und mit ihm keinen Menschen in seinem Elend, seiner Furcht und seiner Todesangst.

Glauben und Vertrauen richten den Blick des Menschen auf das eigene Leben, auf die Erinnerung an alles erlebte Schöne, aber auch auf die Fehler der Vergangenheit, auf die Zukunft in Altwerden, in nicht vorhersehbarer Krankheit und auf das Sterben, dem kein Mensch entkommen kann. Das alles kann Angst machen. Aber wer glaubt, der lässt sich von diesen Ängsten nicht irremachen. Er traut nicht nur dem Allmächtigen, sondern auch dem schwachen Gott, der dem Christus am Kreuz beigestanden hat.

Pragmatische Lebensdeutung und Vernunft können das nicht nachvollziehen. Sie spüren die Kraft des Glaubens nicht und halten seine Einstellung für eine Torheit. Aber davon soll sich niemand, der diesem Gott glaubt, irre machen lassen. Paulus hat uns gezeigt: Gerade am Kreuz, dem schrecklichsten Zeichen des Zwangs und der Unbarmherzigkeit, zeigt sich der barmherzige, der überwindende Gott. Gerade am Kreuz zeigen sich Gottes Verheißungen. Und Paulus würde noch schärfer formulieren: Das Kreuz ist die Verheißung Gottes. Gott ist bei den Schwachen und Leidenden. Paulus zeigt einen Gott, der nicht triumphiert oder seine Allmacht ausspielt. Er zeigt einen schwachen, menschlichen Gott, dessen Torheit so klug ist, dass sie den Tod überwindet. Diesem Gott, nur diesem Gott vertrauen wir.

Und der Friede Gottes, welcher höher und weiter ist als alle Unvernunft, die Menschen sich ausgedacht haben, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Dr. Wolfgang Vögele, Erzbergerstr.98, 76133 Karlsruhe, wolfgangvoegele1@googlemail.com , www.wolfgangvoegele.wordpress.com