Die Farben der Trauer - Predigt zum Ewigkeitssonntag
90,1-16

Liebe Gemeinde,

ist es Ihnen auch zu bunt geworden?

Mit all dem, was zum Totengedenken hier in Mexiko dazu gehört.

Mit den Farben, dem Essen, dem Rum auf dem Hausaltar.

Mit den Festen, den Gerüchen, mit der Musik…

Es ist alles so völlig anders, so laut, so bunt, so grell. Das irritiert, das verstört manche auch, oder bleibt bestenfalls ein folkloristischer Farbtupfer.
Eva Schwab ist es so ergangen, als sie nach Mexiko gekommen ist und mir selbst auch, als ich das vor drei Jahren zum ersten Mal gesehen und gehört habe.

Das Totengedenken in Mexiko ist fremd.

Und kommt ja ursprünglich auch aus anderen Traditionen. Diese Art, der Toten zu gedenken, gab es schon, als die Spanier das Christentum nach Lateinamerika gebracht haben. Es war zwar anders auf die Jahreszeiten verteilt, hat sich dann aber mit dem katholischen Allerheiligen- und Allerseelenfest verbunden. Und wird seit Jahrhunderten so in Mexiko gefeiert. Auch von Menschen, die sonst keinen Bezug zu Kirche und Religion haben.

Ich selbst habe eine ganze Zeit gebraucht, um zu erfassen, was dahinter steckt. Und wahrzunehmen, dass hier kein oberflächliches, einfach nur grell buntes Treiben stattfindet.

Eigentlich gibt ja auch nur eine Farbe den Ton an: Das leuchtende Orange der Cempasúchil. Diese Blume blüht im November. Sie hat 21 - 20 Blätter. - 20: Die Zahl der Unendlichkeit. Diese „Blume der Ewigkeit“ bestimmt auf Plätzen, in Häusern, auf den Altären den Farbton.

Mit ihrer starken und hellen Farbe rückt sie den Tod und die Toten in den Blick. Erinnert an die, die schon gegangen sind.

Man spricht über sie, erinnert sich, lauscht gemeinsam den vertrauten Liedern, tauscht Geschichten aus. Und das nicht allein, sondern oft zusammen, in der Familie, sogar am Arbeitsplatz, in den Schulen, ja auf öffentlichen Plätzen.

So holen die Mexikaner den Tod aus seinem grauen Versteck.

Dem Schweigen, wo er so viel Macht über uns hat.

Wie gut das tut! Offen zu sagen, wie allein wir uns seit dem Tod eines lieben Menschen fühlen. Offen von der Angst vor dem Tod zu reden. Auch ganz offen zu fragen, wie es nach dem Tod weiter geht.

Miteinander über all das zu sprechen wie über andere alltägliche Themen auch.

So verliert der Tod wenigstens in diesem kleinen Moment seine große Macht und seine bleierne Schwere.

Über den Tod wird in Mexiko aber nicht nur gesprochen, er ist hier auch überall zu sehen. Zum Beispiel in Gestalt von Catrina. Einer eleganten, manchmal aufgetakelten Dame, modisch gekleidet und geschminkt. Aber eben tot. Eine hintergründige Kritik an der feinen Gesellschaft: Auch sie wird es treffen.

Oder die Symbole für den Tod auf dem speziellen Totenbrot: Manchmal wird der Teig wie kleine Knochen geformt. Auf den ersten Blick wirkt das makaber. Aber indem die Mexikaner dieses Brot essen, - nehmen sie dem Tod die Macht.

So offen, kritisch und unbeschwert mit dem Tod umzugehen, gelingt uns in Deutschland meist nicht. Wir sprechen höchstens im kleinen Kreis Gleichgesinnter darüber. Denen es genauso geht. Die uns verstehen und bei denen wir keine Sorge haben müssen, dass wir sie mit unseren Gedanken langweilen oder stören.

Wir verhalten uns eher so wie die Jünger in der biblischen Geschichte. Sie sind allein unterwegs, tieftraurig, in sich gekehrt und noch voller Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, aber auch an das Sterben, den Tod ihres Freundes

Erst als der Dritte dazu kommt, ändert sich das: Sie fassen Vertrauen,

erzählen offen, wie weh es ihnen tut,

wie enttäuscht sie sind und wie ratlos.

Sie fragen sich, was jetzt aus ihrem Leben werden soll.

Er hört zu und antwortet.

Hilft ihnen, seinen Tod zu begreifen.

Das tut ihnen gut und sie bitten ihn, zu bleiben, obwohl sie noch immer nicht erkannt haben, wer da mit ihnen spricht.

Und er bleibt.

Er setzt sich mit ihnen an den Tisch.

Zum gemeinsamen Essen.

Er bricht das Brot.

So wie damals.

An jenem letzten Abend vor seinem Tod.

Das öffnet ihnen die Augen, macht es klar und sie erkennen ihn. Auferstanden, lebendig. Er. Bei ihnen. Jesus. Ganz da.

Er bleibt. Und lässt sie spüren: Gott bleibt.

Gott ist da, wo wir durch ihn die Angst vor dem Tod verlieren.

Wo wir durch ein Wort getröstet werden.

Wo uns die Nähe von Menschen stärkt.

Wo wir im Gebet die Schulter spüren, an die wir uns anlehnen können.

Wo wir in Jesu Namen Brot brechen und Wein teilen.

Dann erleben wir: Gott ist da. In all unserer Trauer, im Sterben, im Tod. Hier bei uns

und bei Ihnen.

Ich mag es inzwischen sehr, dieses strahlende Orange im November. Diese besondere Farbe der Trauer.

Sie zeigt mir, dass ich nicht zu schwarz sehen muss. Denn die Menschen, die mir so wichtig sind, und die ich so sehr vermisse, sie sind nicht endgültig verloren. Die Beziehung zu Ihnen bleibt, auch über den Tod hinweg.

Das weit verbreitete Orange im November hier in Mexiko macht mir deutlich, dass auch ich meine Trauer, auch ich meine Angst nicht verschweigen muss, runter schlucken, mit mir selbst ausmachen. Vielmehr darüber reden sollte, den Tod zur Sprache bringen, ihm so die Macht nehmen.

So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass unsere Kirche außen orange gestrichen ist.

Ihre Fassade erinnert uns auch über den November hinaus, wenn die Totenblume Cempasuchíl längst verblüht ist, an die Liebe und das Leben. Bei jedem Gang zur Kirche. Uns und all die anderen Menschen, die auf der breiten Straße vorbei kommen und die Bedeutung dieser Farbe kennen.

Auch hier in der Kirche setzt sich diese Farbe in unserem Osterfenster fort: Der auferstandene Jesus am See Genezareth trägt ein orangenes Tuch über der Schulter. Es zeigt uns bei jedem Gottesdienst: Gott, der Himmel und Erde zusammen hält, der Tod und Leben umgreift, ist für uns da. Für unsere Lieben, die uns vorausgegangen sind. Und uns selbst, die wir um sie trauern.

Und dieses starke, typisch mexikanische Orange ist nicht nur beim Auferstandenen zu sehen, es setzt sich fort auf der Schulter von zwei Jüngern.

Es leuchtet. Ihnen damals und uns, hier in unserer Kirche.

- Möge sie auch Ihnen leuchten, diese ganz andere Farbe, wenn Sie heute ans Grab gehen, an einen lieben Menschen denken. Und gibt ihnen Kraft und Mut und Hoffnung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Perikope
20.11.2016
90,1-16