Einleitung zu Beginn der Predigt: "Besonders hohe Renditen erzielte in den vergangenen zwölf Monaten etwa der Aberdeen Global Indian Equity Fund. Vor allem ein Regierungswechsel katapultierte die Börse auf dem Subkontinent in neue Höhen und der Fonds legte um 51 Prozent zu. Auf Drei-Jahres-Sicht zählt der Franklin Biotechnology Fund mit durchschnittlich 46 Prozent Jahresplus zu den Besten. Besonders attraktiv für Sicherheitsorientierte war der Emerging-Markets-Bond-Fund von Aberdeen. Er erzielte auf Fünf-Jahres-Sicht elf Prozent Plus per annum. Alle drei wurden im Fondstacho der Ratingagentur Assekurata mit ‚sehr gut‘ bewertet." http://www.handelsblatt.com/finanzen/vorsorge/altersvorsorge-sparen/fondspolicen-im-vergleich-teil-vii-mehr-rente-mit-spezial-investments/11023456.html
Lesung Mt 25,14-30
In dieser Beispielgeschichte hören wir bei den "Talenten" im Hinterkopf vor allem „Fähigkeiten“. Du hast ein Talent. Wir verstehen es sofort im übertragenen Sinne. Doch die Leute, denen Jesus diese Geschichte ursprünglich erzählt hat, wussten, was ein Talent wirklich ist: ein riesiger Barren Silber, so viel, wie ein Mensch gerade noch tragen kann, 30 bis 40 Kilogramm. Ein Talent, das sind 17 Jahreseinkommen einer armen Familie (à 350 Denare). Und die 8 Talente eines Investors, die investiert werden, entsprechen 140 bis 160 Jahreseinkommen. Wenn eine Familie an der Armutsgrenze heute 20.000 Euro zur Verfügung hat, entspräche das 2,8 Millionen Euro.
Der Sklavenbesitzer verfügt über weit mehr. Denn er braucht diese 8 Talente nicht für den laufenden Betrieb, sondern hat sie zusätzlich zur freien Verfügung und kann sie investieren, ohne seine sonstigen Geschäfte zu beeinträchtigen. Solche Vermögen lassen sich nicht mit eigener Hände Arbeit aufbauen. Das ist auch heute so. Geld gebiert Geld. Der größte Gewinn wird heute nicht durch Produktion erwirtschaftet, sondern durch Kapital selbst. Geld wird angelegt und verzinst und wird als Aktien an den Börsen durch die Welt geschoben.
Die acht Talente in der Geschichte von Jesus bringen tatsächlich Traumrenditen von 100 Prozent, jedenfalls sieben der acht Talente. Das sind keine Peanuts – „du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage ich mit Größerem“ –, sondern riesige Kapitalmengen. Und sie verdoppeln sich. Aus fünf werden zehn, aus zwei vier. Kann das mit rechten Dingen zugehen? Können aus fünf Millionen unversehens zehn werden? Wo kommen solche gigantischen Gewinnspannen her? Spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen auch Wirtschaftsunkundige, dass sich eine solche Performance nicht mit ehrlichen Methoden erwirtschaften lässt, sondern nur in hoch spekulativen Bereichen, im Menschen- und Drogenhandel, durch Betrug und gnadenlose Ausbeutung. Solche Gewinne lassen sich nur durch Immobilienspekulationen erzielen, durch Heuschreckenmethoden, „land grabbing“. Hungerlöhne werden gezahlt, Umweltschutzauflagen umgangen, Arme enteignet. Es wird betrogen und erpresst. Hinterzimmer, Abzocker, Briefkastenfirmen lassen grüßen.
Die Beispielgeschichte führt uns in die Welt der Superreichen und ihrer Praktiken. Wer solchen Gewinn erwartet, weiß wahrscheinlich – oder hoffentlich –, dass das nicht mit legalen Mitteln möglich ist. Wer seine Mitarbeitenden dennoch beauftragt, dass sie das Geld so anlegen, fordert sie auf, sich skrupelloser Methoden zu bedienen.
Doch anders als die Broker an der Wallstreet sind die Fachleute in der Beispielgeschichte von Jesus keine freien Menschen. Sie sind Sklaven. Obwohl sie offensichtlich für ihre Aufgaben spezialisiert sind und weitreichende Handlungsvollmachten haben, sind sie Abhängige. Qualifizierte Sklaven in Führungspositionen oder auch Sklaven, die Abgaben eintreiben müssen, sind in der Antike durchaus üblich. Und sie können ohne weiteres ausgepeitscht oder eingesperrt werden, wenn sie ihrem Besitzer nicht willfährig sind oder wenn sie Fehler machen. Ihr Herr bindet sie also ein in seine schmutzige Geschäftspraxis. Er macht sie, die Abhängigen, zu Mittätern. Die Sklaven tragen dazu bei, dass andere Familien ihr Hab und Gut verlieren, in Sklaverei verkauft werden.
Aber einer macht nicht mehr mit. Er beteiligt sich nicht mehr daran, ein System am Laufen zu halten, das die einen bereichert auf Kosten der anderen. Er sagt seinem Besitzer die Wahrheit ins Gesicht: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du Deines.“ (Mt 25, 24 f.)
Wie viele Nächte wird dieser Sklave wachgelegen haben und sich mit seiner Entscheidung herumgeschlagen haben? Das, wozu er ausgebildet ist – Geld zu investieren – ist ihm immer fragwürdiger erschienen. Er hat seinem Herrn nichts entzogen, keinen einzigen Denar. Im Gegenteil. Er hat das Eigentum seines Herrn treu bewahrt. Er hat sich sogar an den rabbinischen Frömmigkeitsregeln orientiert, als er es in der Erde vergraben hat.
Sein Besitzer wertet sein Verhalten als einen Affront ohnegleichen. Zumal ein Sklave es wagt, dem Herrn den Spiegel vorzuhalten und ihn als Dieb bezeichnet. Der Besitzer streitet das Urteil mit keinem Wort ab. Aber er bestraft ihn und wirft ihn ins Gefängnis.
Der Sklave landet dort, wo auch die anderen Opfer sitzen. Im Gefängnis sitzen Arme, die in Schuldhaft geraten sind, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Im Gefängnis sitzt Johannes der Täufer. Im Gefängnis sitzt Jesus selbst mit seinen Freundinnen und Freunden. „Ich war gefangen und ihr habt mich besucht“, sagt er (Mt 25,36).
Auch heute sind Gefängnisse eher Orte der Armen, Abgehängten und Gescheiterten. Die Reichen können sich Anwälte leisten. Sie genießen Annehmlichkeiten, werden schneller zu Freigängern oder kommen auf Kaution frei. Für Peanuts halten sie die Summen, die sie in ihre Taschen gewirtschaftet haben. Selten, dass ein Josef Ackermann, Sepp Blatter oder Thomas Middelhoff verurteilt wird und seine Strafe auch voll absitzt. Doch andere wandern schon wegen Schwarzfahrens oder Ladendiebstahls hinter Gitter. In vielen Ländern sind die Zellen voller Leute, die ohne Verfahren eingesperrt und misshandelt werden. Gefängnisse dienen als Druckmittel gegen die lokale Bevölkerung. Hier landen kleine Bäuerinnen und Bauern, die sich gegen Enteignung wehren, Journalist*innen, die über Korruption recherchieren, Oppositionelle und Whistleblower wie Bradley Manning und (wenn es nach der Regierung ginge) Edward Snowden.
Der dritte Sklave kooperiert nicht mehr. Er lässt sich nicht mehr einspannen. Er folgt seinem Gewissen. Er sagt die Wahrheit. Er hält sich an die Regeln der Tora und beherzigt die Mahnung von Jesus: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld, dem Mammon (Mt 6,24).
Er zahlt einen hohen Preis. Aber die Bibel ist davon überzeugt: Willkür und Gefängnis haben nicht das letzte Wort. Denn Jesus erzählt die Geschichte weiter. Nach dem Unrechtsurteil – „Werft diesen nutzlosen Sklaven in den finstersten Kerker. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen“ – wird noch einmal Gericht gehalten: „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf seinen himmlischen Richterstuhl setzen. Und alle Völker werden sich versammeln. Er wird die Menschen voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böckchen trennt. Er wird denen zur Rechten sagen: Kommt heran, ihr Gesegneten Gottes, erbt Gottes Reich. Ich war hungrig, ihr gabt mir zu essen; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht. Was ihr für eines dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (aus Mt 25,30-36.40, Bibel in gerechter Sprache).
Der Sklave, der sich weigert, findet sich an der Seite von Jesus wieder. Die Welt bleibt am Ende nicht in den Händen der Gierigen und Gewalttätigen, sondern wird den Armen und Barmherzigen zufallen und denen, die für Gerechtigkeit eintreten.
Sklaverei gehörte im 1. Jahrhundert zum Alltag der Menschen um Jesus herum. Aus dem letzten Kapitel des Römerbriefes schließen wir, dass mindestens die Hälfte der Gemeindemitglieder in Rom Sklavinnen und Sklaven oder Freigelassene waren. In den Gemeinden, für die Matthäus um 80 n.Chr. herum sein Evangelium schrieb, wird es nicht anders gewesen sein. Viele haben also Unfreiheit am eigenen Leib erfahren. Ihnen erzählt Jesus diese Geschichte. Wie wird sie in ihren Ohren geklungen haben?
Wir leben in Mitteleuropa in einer freien Gesellschaft. „Ich kann ja nichts tun“, sagen trotzdem viele, „ich bin nur ein kleines Licht. Mir sind die Hände gebunden.“ Die Bibel glaubt nicht daran, dass Menschen nur willen- und wirkungslose Rädchen im Getriebe sind. Wir brauchen nicht mitzulaufen. Die Verhältnisse sind nicht alternativlos. Wir haben immer die Möglichkeit, uns Spielraum zu erobern, und sei er noch so klein. Selbst ein Sklave lässt sich seine Entscheidungsfreiheit und Autonomie nicht nehmen. Wir können und sollen für eine andere Welt einstehen. Jesus erzählt, wie jemand das selbst in extremsten Abhängigkeitsverhältnissen wagt. Eine Mutmachgeschichte. Auch für uns.
Literatur:
Schätzungen nach Marlene Crüsemann: Wahre Herrschaft: Das Gleichnis
von den Talenten und das Gericht Gottes über die Völker. In: Marlene
Crüsemann, Claudia Janssen, Ulrike Metternich (Hrsg): Gott ist anders.
Gleichnisse neu gelesen. Gütersloh 2014, 56 – 69 Die Predigt folgt der
Auslegung von Marlene Crüsemann sowie der Gleichnistheorie von Luise
Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2007 (2. Auflage),
insbesondere S. 290-294