„Das tat soooo gut“, erzählt die junge Frau und ihr Gesicht leuchtet dabei. „Mit anderen zusammenzukommen und zu spüren, ich bin nicht allein mit meiner Angst und meiner Ohnmacht angesichts dieses fruchtbaren Krieges. Das tut sooo gut – gemeinsam zu singen und für den Frieden zu beten, Hoffnungslichter zu entzünden, das ist mein Halt in dieser Zeit. Und beim Friedensgebet habe ich auch die anderen kennengelernt. Gemeinsam unterstützen wir jetzt geflüchtete Menschen in der Nachbarschaft. Als Lehrerin fühle ich mich gebraucht mit ihnen Deutsch zu lernen. Allein in meiner Wohnung bin ich vorher schier verzweifelt.“
Gemeinsam statt einsam – was für eine wohltuende und befreiende Erfahrung. Angst und Ohnmacht zu teilen und gemeinsam Hoffnung und Tatkraft zu gewinnen. Ich darf meine Zweifel mit anderen teilen. Es hilft mir meinen Glauben neu zu erspüren. In meiner Einsamkeit andere zu entdecken, ist befreiend. Ich spüre, wie Gemeinschaft wächst und trägt. Ich darf mir eingestehen, etwas allein nicht zu schaffen und Unterstützung zu suchen. Wie befreiend und entlastend ist es zu erfahren, dass gemeinsam viel mehr möglich ist als einsam und allein. All dies – Pfingsterfahrungen!
Wie schön, dass wir heute am Pfingstmontag gemeinsam hier Gottesdienst feiern. Uns sehen, spüren, unsere Stimmen im Gesang und Gebet verbinden und erfahren: Ich bin nicht allein mit meinem kleinen oder großen Glauben, da sind noch andere. Wir sind gemeinsam, in einem Geiste unterwegs und das stärkt, tut einfach gut.
Gemeinsam statt einsam. Ich denke an einen Patienten, den ich vor kurzem im Krankenhaus besucht habe. „So kann es nicht weitergehen“, sagte er recht schnell. Vor wenigen Tagen hat er einen Schlaganfall erlitten. „Ich habe gearbeitet und gearbeitet. Durch die Umstrukturierungen und die Einsparungen wurden die Arbeit und die Verantwortung immer mehr. Ich bin doch ein gewissenhafter Mensch. Ja, ich kann sagen, Tag und Nacht ging mir die Arbeit nicht mehr aus dem Kopf – fertig und zufrieden war ich dennoch nie. Auch hatte ich an nichts anderem mehr Spaß. Keine Treffen mit Freundinnen oder Freunden, keine Unternehmungen mit der Familie, kein Sport. Und jetzt bin ich hier – und hatte Gott sei Dank noch einen Schutzengel. Ich muss etwas ändern. Allein schaffe ich diese Arbeit nicht. Und ich will das so auch nicht mehr. Lieber kündige ich, als so weiterzumachen.“
Lieber will ich sterben, als mit diesem murrenden Volk weiter auf dem Weg durch die Wüste zu sein. Mose war von Gott beauftragt das Volk Israel aus der Knechtschaft in die Freiheit zu führen. Eine wunderbare Aufgabe, den Traum der Freiheit wahr werden zu lassen. Und ausgerechnet Mose mit seiner zweifelhaften Vergangenheit, er war für diese Aufgabe von Gott auserwählt. Ihn hatte Gott dafür mit seinem Geist ausgestattet. Und Mose, ja, er nahm die Aufgabe mit Herz und Seele an. Eine wahrhaft schwere, gewichtige Aufgabe mit vielen Herausforderungen und zermürbenden, nicht enden wollenden Wüstenstrecken. Und jetzt murrte das Volk schon wieder. Seine Kräfte waren zu Ende. Mose spürte: Ich kann nicht mehr. Und mehr noch: Ich will nicht mehr! Wenn sich nichts ändert, möchte ich lieber sterben. Lieber kündige ich, als so weiterzumachen. Und Mose sprach zu dem Herrn: Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer.
Es ist mir zu schwer. Eine Erfahrung, die Menschen in familiären Belastungen genauso spüren wie in beruflichen oder auch im Engagement für ein Ehrenamt, an dem viel Herzblut hängt. Eine einsame Erfahrung, die Lebensmut und Lebenskraft raubt.
Ich kann und will so nicht mehr weitermachen – diese Erkenntnis und sie dann auch auszusprechen bringt die Wende. Der Patient, er hat seine Erkenntnis im Gespräch öffentlich gemacht. Dadurch hat er Kraft und Entschlossenheit hinzu gewonnen, etwas in seinem Leben zu ändern. Er wird etwas ändern. Und Mose, er wendet sich mit seiner Last „es ist mir zu schwer“ an Gott.
Gemeinsam statt einsam – so unterstützt Gott. Gott entbindet Mose nicht von seiner Aufgabe. Aber er weitet seinen Blick. Sammle mir siebzig Männer … und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volkes tragen und du sie nicht allein tragen musst.
Einer trage des anderen Last. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Gemeinsam statt einsam ist viel mehr zu bewirken. Die Aufgabe, die einen einzelnen Menschen erdrücken kann, ist für viele mit verschiedenen Gaben und vereinten Kräften nicht nur möglich, sie kann sogar Spaß machen – BeGEISTern.
Mose handelte, wie Gott es ihm gesagt hatte. Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
Was für einen zu schwer ist, kann viele beGEISTern. Gott wirkt hier gemeinschaftsstiftend. Es wird nicht direkt der Geist Gottes verteilt, sondern der Geist Moses wird verteilt. Der Geist eines Menschen also, der die Stärke hat, etwas aus der Hand zu geben. Der nicht an Macht und Anerkennung festhält, befreit zu Neuem – die siebzig Ältesten gerieten in Verzückung, sind begeistert, denn nun sind sie Teil von etwas Größerem und können gemeinsam etwas bewirken. Gott ist dabei mitten unter ihnen, indem sich diese Menschen in ihrer Verschiedenheit für eine größere Idee, für eine Vision, für den Weg in die Freiheit begeistern. Eine Pfingsterfahrung schon zu Zeiten des Alten Testaments.
Heute feiern wir Pfingsten, gemeinsam und in Verschiedenheit. Die Aufgabe von Mose und den Ältesten war das Volk Israel in das Gelobte Land zu führen. Auch heute sind unsere Aufgaben als Christinnen und Christen gemeinsam mit vielen anderen groß und vielfältig. Für eine und einen zu schwer, gemeinsam statt einsam können sie eine Kraft entfalten und uns begeistern. Beten für den Frieden, dem Nachbarn ein Ohr schenken und nicht aufhören an die große Verheißung vom Reich Gottes zu glauben, davon zu erzählen und begeistert schon mal loszugehen. So ereignet sich täglich Pfingsten – hier und überall auf der Welt.
Ich denke noch einmal an die junge Frau, von der ich zu Beginn erzählte, an ihre Pfingsterfahrung. Einsamkeit und Angst beschwerten sie. In der Gemeinschaft, im gemeinsamen Gebet wächst Vertrauen und die Erfahrung: Da ist mehr. Da ist etwas, das trägt. Da ist ein Geist, der göttliche Geist, der trägt, der verbindet, der bewegt.
Der Geist Gottes ist da. Ein Grund zu feiern. Frohe Pfingsten!
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mein Predigtort ist die Kapelle des Krankenhauses. Meine Gemeinde sind eine kleine Zahl von Patient*innen, die ich in der Regel vorher nicht persönlich kenne. Auch wird der Gottesdienst per Video in die Zimmer übertragen. Ich feiere Gottesdienst mit und für Menschen, die sich im Krankenhaus in einer Ausnahmesituation befinden. Die Erfahrung von Einsamkeit und Angst liegen oft in der Luft und die Frage, wie es angesichts von Krankheit und schweren Diagnosen weitergehen kann.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Immer wieder mache ich die Erfahrung, wie wohltuend es – nicht nur im Krankenhaus – ist, Angst, Sorgen, Traurigkeit zu teilen. Einer trage des anderen Last wird wahr. Und noch befreiender ist die Erfahrung, wenn eine andere, göttliche, Dimension mit hinzukommt. Die Erfahrung im Glauben verbunden zu sein, das Vertrauen von Gott aufgehoben zu sein, kann Berge versetzen – und begeistert mich immer wieder.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Erkenntnis "Ich kann nicht mehr" ist der erste Schritt zur Veränderung. Gott hilft den Blick zu weiten: Ich muss nicht allein alles schaffen, ich stehe in einer Gemeinschaft, da ist ein gemeinsamer Geist – das ist befreiend und stärkend.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Präzisierung der Pfingsterfahrung: Gemeinsam statt einsam – verbunden, gestärkt und bewegt vom Geist Gottes.