"Inspiration" - Predigt im Kunst&Kirche-Gottesdienst von Uwe Vetter
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"Inspiration" - Predigt im Kunst&Kirche-Gottesdienst von Uwe Vetter

Pfingsten 2013 Johanneskirche Düsseldorf
  Kunst&Kirche Skulptur „Sturm“ / Kirsten Krüger
  Predigt Uwe Vetter ( )
  Text Johannes 1.Mose 1:1-3 und 2:4-7 / Evg 3:1-8
Inspiration
Was macht der Geist, wenn er nicht weht ?
AT Lesungstext  1.Mose 1 : 1-3
Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war tohuwabohu, wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geisthauch Gottes schwebte über dem Wasser. Und Gott sprach: >Es werde Licht<. Und es ward Licht.–
1.Mose 2 : 4-7
Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und all die Sträucher auf dem Feld waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Feld war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. Da formte Gott der HERR den Menschen aus der Erde des Ackers und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch eine lebendige Seele.
Neutestamentliche Lesung (Predigttext) JohEvg 3
(1) Es war einer von den Pharisäern, Nikodemus mit Namen, ein Archon/ Leiter der Judäer. (2)Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm : „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott gekommen bist  als Lehrer; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“. (3)Jesus antwortete und sagte zu ihm : „Amén, Amén, ich sage dir: Nur einer, der von neuem geboren wird, kann das Gottesreich sehen (wie du)“! (4) Sagt Nikodemus zu ihm : „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er (schon)alt ist? Kann einer etwa noch einmal zurück in den Mutterleib und erneutgeboren werden?“ (5)Jesus antwortete : „Amén, Amén, ich sage dir: Wenn einer nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen. (6) Was vom Menschen geboren wird, ist Mensch; was  vom Geist geboren wird, ist Geist. (7)Lass dich nicht verwundern, dass ich dir gesagt habe, Ihr müsst von oben geboren werden - (8)Der Wind bläst, wo er will, und seine Stimme, sein Brausenhörst du; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist“.  
I
Pfingsten, halten Sie sich fest! Wir müssen von einer etwas windigen Sache reden. Heute ist das Fest des Heiligen Geistes. Der Geist des Herrn erfüllt das All, der Gottesgeist bewegt die Welt, heißt es heut. Wir werden damit in schillernde Nachbarschaften geraten. Geisterbahn und Himbeergeist, Halloween und Geisterstadt, Korpsgeist und Zeitgeist und was sonst noch durch den Sprachgebrauch geistert… es gibt kein christliches copyright auf den „Geist“. Das macht das Predigen heikel, aber Pfingsten war ja nie ein Fest der geschlossenen Gesellschaft. Von Anfang an hat Pfingsten Leute zusammen gebracht, die auf den ersten Blick kaum harmonisierten (Apg2). Bevor wir uns zum Paar des Tages, zum Pharisäer Nikodemus und Jesus setzen, begrüßen wir erst einmal unseren Gast in der Johanneskirche.
Zur Feier des Tages haben wir die Kunst eingeladen. Wir haben sie aus dem Museum Kunstpalast herüber gebeten. Vor einigen Wochen machte die Sturm-Baum-Skulptur  das Titelbild zur Ausstellung NRW[1]. Wir suchen freie Kunst, wir suchen Kunst, die ihren eigenen Kopf hat und eigene Themen, und doch manchmal, wie es uns scheint, an derselben Sache dran ist wie wir: auf der Spur des Geistes in den Dingen, Wesen und Vorgängen. Schaun Sie sich dieses Bäumchen an : da steht es mitten in der Kirche und gibt keinen Laut von sich. Erst wenn man es eine Weile betrachtet, kommt ein Geräusch dazu. Was wir sehen, ist ein Baum ohne Blätter, wie zur Seite gedrückt, wie vom Wind zerzaust, wie vom Sturm fast umgeweht. Am Stamm hat sich eine blaue Mülltüte verhakt, die wie vom Wind erfasst horizontal wegflattert. Genau betrachtet verhakt sie sich nicht, sie ist festgehalten. Aus der Tüte ragt ein gelber Schnabel, der Schnabel einer Sturmmöwe, die wie eine Wäscheklammer in den Baumstamm beißt und sich eisern festhält. Das ist das Bild vor Augen. Wem Gott eine Prise Phantasie geschenkt hat, der wird den Wind hören, der die Tüte flattern lässt und das Bäumchen reißt und schüttelt und biegt. - Wind ist unsichtbar. Und doch kann man ihn sehen an dem, was er bewegt. Luft ist stimmlos, und doch kann man sie hören, wie sie an den Ecken und Kanten vorbei streicht und singt und pfeift und faucht. Wer dieses Bäumchen sieht, kann es hören.
 

Und damit, liebe Gemeinde, schauen Sie mitten rein ins Geheimnis Gottes. Gott ist unsichtbar, unhörbar. Aber Menschen bemerkten Ihn an dem, was Er an Echos auslöst in der Welt. Sie sehen Ihn an dem, was Er mit Seinem Atem beseelt und was sich drauf unversehens regt. Geist Gottes heißt in der Bibel Rúach Elohím. Ru-ach, eine Lautmalerei, das Geräusch des Windes, der an Kanten vorbei fährt und Saiten klingen lässt. Ruach (haKódesch), Windhauch, Sturmbraus – das ist das alte biblische Wort für den (Heiligen) Geist. Ru-ach - es streift uns der Atem Gottes, ein Hauch, den wir spüren. Die Ruach entfacht das Lebensfeuer, wenn die Seele auf Sparflamme glimmt. Sie erfüllt Menschen mit Kraft und Mut, Freude und Ideen. Gottesgeist fährt in die Segel, wenn wir unsere Flauten, Tiefs und Downs haben, den Kopf hängen lassen und vor uns hindümpeln. Niemand hat Gott gesehen. An dem, was Er bewirkt, bewegt, entfacht, schüttelt, biegt und erleuchtet, an dem spüren wir, dass Er ist.
II
Ich weiß nicht, ob die Künstlerin sich in alledem wiederfindet. Vielleicht geht’s ihr wie der Möwe dort in der blauen Tüte, die sich festklammert und sagt: Von diesem religiösen Wind möchte ich mich jetzt nicht mitreißen lassen. Geist, ja, wir kennen uns, aber anders. Nicht personenhaft, sondern rein kreativ, als Schaffenskraft und Phantasie, als Intuition, als Inspiration. Das ist unser Wort, sein Name in der Kunst. - In-Spiration, Geisteinhauchung, ein wunderbares Wort. Gehen wir ein paar Schritte zusammen, bevor wir bei Nikodemus und Jesus eintreten.
Was inspiriert ? Große Maler, Dichter, Bildhauer und Komponisten zogen Inspiration aus ihren ´Musen` (anmutige, geistreiche Geschöpfe, die in Stimmung versetzen und zu ungewöhnlichen Taten verführen). Wer keine ´Muse` hatte, behalf sich. Der Dichter Marcel Proust schwor auf den Duft von Madeleine-Kuchen; Biskuit-Muffins (Spanisch: Magdalenen) in Tee getaucht, haben seine Geisteskraft beflügelt. Friedrich Schiller törnte sich an mit dem Geruch eines fauligen Apfels, den er in der Schublade seines Schreibtisches aufbewahrte. Vincent van Gogh schwor auf abgetrennte Ohren. Und William Faulkner gestand, seine Inspiration bestünde zu 99% aus Whiskey.
Ich bestreite nicht die gute Wirkung von Hausmitteln, nur - eine Erfahrung teilen wir doch, in Kunst und Kirche. Inspiration bleibt ein Etwas-das-von-außen-kommt, Geist-Eingebung. Sicher herstellen kann man sie selber nicht. Der Geist weht wo er will, bemerkte Jesus in der Pfingstnacht. Es gibt  Zeiten, wo der Wind sich legt und Windstille eintritt. Ein irritierender Moment für kreative Menschen: Windstille im Kopf. Schreibblockade. Ladehemmung im Feuerwerk der Ideen. Beunruhigend, wenn man liefern muss. Beängstigend, wenn man einen Ruf zu verteidigen hat. Inspiration wird ein ernstes Thema, wenn sie ausbleibt. Dann fragt es: Woher kommt sie? Was ist das, das sie einhaucht?
Sie mögen es zu Pfingsten und in einer Kirche für abwegig halten, aber haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt, wenn Sie vor dem Fernsehgerät mit Ihrer Fußballmannschaft gefieberten und mit ansehen mussten, wie sie sang und klanglos unterging: Wie ist das möglich? Was passiert da eigentlich, wenn einer Mannschaft während eines Spiels der Geist abhanden kommt und sie völlig kollabiert!? Da liegt das Team komfortabel Vier zu Null vorn und beherrscht den Gegner nach Belieben, und plötzlich fällt ein Gegentor, und man denkt noch: Was solls. Beim zweiten Gegentreffer setzt Nervosität ein. Die Spielzüge werden zaghaft und fahrig, die Ideen bleiben aus, irgendwie haben sie das Spielen verlernt. Während der Geist die eigene Elf verlässt, scheint er ins andre Team zu wechseln; die fangen nun an zu wirbeln und zu kombinieren, spielen sich in einen Rausch und spielen weit über ihren Möglichkeiten. Was ist bloß los? – Der Geist weht wo er will, heißt es in Kirchen, mit einer Andeutung von Augenzwinkern.
Der Wind bläst, wo er will, und seine Stimme hörst du; solange es weht, fragst du nicht, woher er kommt, sagte der Christus.– Liebe Gemeinde, ich würde zu gern wissen, wie die Kunst über Pfingsten denkt. Was sie meint, wo Inspiration herstammt. Diese Kirche hier erzählt jahraus jahrein eine verwegene Geschichte dazu. Inspiration, sagt sie, Inspiration ist Odem Gottes. Es ist Sein Geist, der uns streift. Es ist Sein Atem, der die Seelen lebendig macht. Inspiration ist Odem des HERRN, nicht (von Musen, Äpfeln oder Whiskey) geschaffen, sondern erzeugt[2] von oben (anothen). Der Geist des HERRN gilt in diesem Haus als Wunder und Geschenk. Er lässt uns intensiv genießen, feinfühlig miterleben, mitfühlend mit(er)leiden. Er lässt hören und sehen, was Gott  bewegt, entfacht und hinbiegt, so, dass einem hören und sehen vergeht. Wer aus Wasser und Geist geboren ist, sagte Jesus in einer hintergründigen Rede, wer aus Wasser und Geist geboren ist, der vermag einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, der kann ins Gottesreich eingehen. Der fühlt, wenn der Hauch des Odems Gottes ihn streift. Der ahnt, woher er kommt, der Geist.
III
Wollen Sie noch wissen, was der Geist macht, wenn Er nicht weht? Darüber reden die beiden dort, Jesus und Nikodemus. Wenn der Geist mal nicht wie ein Sturm übers Land fegt, muss das kein schlechtes Zeichen sein. Es könnte nämlich sein, dass Er sich gerade sammelt und konzentriert. Dass Er an einem Menschen dran ist.  Nikodemus sitzt dem Jesus gegenüber, es ist (so denk ich mir) windstill im Raum, und doch umspielt die Ru-ach einen Menschen, versenkt sich in seine Person, beatmet und durchatmet ihn und macht den Nikodemus zum Geistträger. Es war einer von den Pharisäern, Nikodemus mit Namen,… Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm : „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott gekommen bist  als Lehrer; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“. Nikodemus ist ein Pharisäer, ein Gott-Kenner. Umsichtig ist er. Er hat den Christus beobachtet und die Leute, mit denen er Umgang hat. Er hat gesehen, wie bewegt, erfüllt und begeistert sie aus dieser Jesus-Begegnung gekommen waren[3]. Da hat Nikodemus dann zwei und zwei zusammengezählt: „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott gekommen bist als Lehrer; denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“. Da antwortet der Christus, so, dass es Nikodemus durch und durch geht: Woher wisst ihr, wer ich bin? Niemand weiß das durch bloßes intelligentes Kombinieren. Das muss dir der Himmel eingehaucht haben. Willkommen im Geistreich. „Amén, Amén, ich sage dir: Nur einer, der von neuem geboren wird, kann das Gottesreich sehen(eingehen)“! – Als der Jesus ihm das so auf den Kopf zusagt, da ist Nikodemus völlig verdattert, dass er sich wie ein Möwenschnabel am Stamm festhält, an dem, was die reine Vernunft sagt, um nicht weggerissen zu werden. Sagt Nikodemus zu ihm : „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er (schon)alt ist? Kann einer etwa noch einmal zurück in den Mutterleib und erneutgeboren werden?“ –  Aber er merkt wohl selbst, dass es hier nicht um Säuglingsgeburten geht. Vom Pfingstgeist gestreift und dann wie neugeboren sein, das kann einen noch im hohen Alter ereilen. „Amén, Amén, ich sage dir: Du bist begeistert, antwortete Jesus diagnosesicher. Wenn einer nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.
*
Was der Nikodemus sich da in der Zugluft Gottes eingefangen hat, hat viele andre infiziert. Aus der Geistbewegung ist das Christentum entstanden. Und die Kirche. Und die Formen der Gottesdienste. Und die christliche Kunst. Und die geistliche Musik. Und die Architektur der Basiliken und der Schiffskirchen (nave). Und die vielen Gemeinschaften. Das Tragende und das Experimentelle. Das Sorgende und das Reformierende. Das Schöne und das Barmherzige und das Heilige. Zu Pfingsten kommen die Christen in ihren Kirchen zusammen wie Journalisten in einem Pressehotel, oder wie Fachbesucher auf der Cebit: Gibt’s was Neues vom Geiste Gottes? Wo weht er, was tut sich? °Hat irgendwo „the wind of change“ für frischen Wind gesorgt? °Hat einer, der ein gutes Leben führt, mal zwei und zwei zusammengezählt und sich gefragt: wer ist es der da gibt? °Hat jemand Heimat gefunden in seiner Kirche? °Hat jemand Ehrfurcht vor dem Heiligen (wieder)entdeckt? °Gibt’s eine Gemeinde, die vom Atem Gottes gestreift ist? Pfingsten ist die Neuigkeiten-Messe der Christenheit. Der Wind bläst, wo er will, und seine Stimme, sein Brausen und Singen, diehörst du; … Es hört jeder, der aus dem Geist geboren ist“.  - 
Was würden Sie sagen, wenn der Himmel das heute zu Ihnen sagte ?
Amén

  
  
    [1]Seit 1906 präsentiert „die große Kunstausstellung“ Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern der Landeshauptstadt und NRW im Museum Kunstpalast
  
  
    [2]Das ist die Christusformel im Nizenischen Glaubensbekenntnis: gezeugt, nicht geschaffen, von Gott, nicht einfach von Natur.
  
  
    [3]Im Nizenischen Glaubensbekenntnis haben die Christen des 4.Jahrhunderts etwas nachgetragen, das ihnen in vielen Christusbegegnungen aufgefallen war. Christus, der Geistgottes-Träger, erschien ihnen nicht nur wie ein Medium oder ein Spiegel Gottes. Es schien ihnen, dass der Geisthauch Gottes nicht nur von Gott ausgegangen sei. Auch der Christus habe ihn verströmt und habe Menschen inspiriert. Wer ihm begegnet, der sei bewegt und inspiriert gewesen. Wie neugeboren. Wie entbunden. Eine ganze Synode hat in Nizea nach Worten gesucht für dieses Phänomen und uns diese Bekenntniszeilen hinterlassen, als Aufforderung: Suche danach, ob du es auch bemerkst!