Predigt zu 1. Petrus 2,21b-25 von Hanna Hartmann
2,21-25

Predigt zu 1. Petrus 2,21b-25 von Hanna Hartmann

Liebe Gemeinde!
Von Ostern kommen wir her, von der Auferweckung Jesu und seinem Sieg über den Tod; dann – vor einer Woche – der Sonntag mit dem schönen Namen Quasimodogeniti – wie Neugeborene, der auch als sogenannter „Weißer Sonntag“ eine feierliche Note hat (v.a. in unserer katholischen Schwesterkirche). Und mit dem heutigen Sonntag „Misericordias Domini“ gehen wir nun wieder hinüber in den Alltag. Bei den meisten sind die Ferien und die Urlaubstage vorbei, und die Herausforderungen der Arbeit, der Schule und allem, was damit zusammen hängt, stürmen wieder auf uns ein.

Der Bibeltext für die heutige Predigt begleitet uns dabei. Er führt uns hinein in den Alltag, hinein ins „ganz normale“ Leben, und gibt eine Art „Anleitung“ dazu, was es konkret heißt, von Ostern herkommend, diesem Christus zu folgen, seinen Weg zu gehen und auf diesem Weg zu bleiben. Hören wir den Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 2:
Christus hat euch ein Vorbild hinterlassen: Bleibt auf dem Weg, den er voranging. Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm auf seinem Weg.
Er hat kein Unrecht getan und hat kein unwahres Wort geredet. Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung, sondern vertraute darauf, dass Gott ihm zu seinem Recht verhelfen würde.

Alle unsere Schuld hat er ans Kreuz hinaufgetragen, damit wir, der Sünde abgestorben, nun für das Gute leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Ihr wart wie umherirrende Schafe; jetzt aber seid ihr bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

Hirtensonntag –so der andere Namen des heutigen Sonntags: Christus als „guter Hirte“ geht uns voran in den Alltag und geht sogar selbst mit. Mit dem Bild vom Hirten verbinden viele von uns etwas, auch wenn wir sonst in aller Regel nichts mit Schafen zu tun haben. Ganz schön und einfach habe ich es von einem Jugendlichen gelesen, der schreibt: „Ein Hirte – das ist jemand, der einen beschützt und bei dem du dich wohl fühlst. Mütter sind Hirten. Aber auch Freunde können Hirten sein. Hirte sein, hat etwas mit Liebe zu tun.“

Hirte sein, hat etwas mit Liebe zu tun. Ja, das ist so. Und darauf deutet ja auch der andere, lateinische Namen des Hirtensonntags hin: „Miseri-cor-dias Domini“ – Barm-herz-igkeit Gottes. Da steckt „Herz“ drin. Der Hirtensonntag ist also ein „Sonntag mit Herz“.

Machen wir einen kleinen Ausflug in frühere Zeiten, zu den Gemeinden, als sie in den ersten Jahrhunderten noch sehr jung und meist auch sehr klein waren. Wer getauft werden und zur Gemeinde gehören wollte, musste Tauf-Unterricht nehmen. Die Taufe selbst fand dann in der Osternacht statt. Der Täufling bekam dazu ein weißes Gewand. Und dieses weiße Gewand trug er auch noch die ganze kommende Woche bis zum sog. „weißen Sonntag“. Dann legte er das äußere, sichtbare Taufgewand ab; ab  jetzt ging es ganz einfach darum, sich im Alltag – und ohne auffälliges Gewand – als Christ zu bewähren. Und mit auf den Weg gegeben war ihm die Barmherzigkeit Gottes: „Misericordias Domini“ in Gestalt des Christus als gutem Hirten.

Die Menschen damals wussten so gut, wie wir heute: Allein lässt sich das Leben als Christ nicht schaffen. Allein geht man verloren. Da braucht es einen an der Seite: einen, der einen ermutigt und tröstet, der einem nachgeht, wenn man sich verrennt, und der einen in schlimmen Zeiten hält und vielleicht sogar trägt.
Und dieser Sonntag sagte ihnen und sagt es auch heute und:
„Der Jesus, dem ihr euch zugewendet habt, der begleitet Euch. Ihr könnt also getrost Euern Weg gehen. Er geht mit!“
Soviel zum Hirtensonntag.

Doch neben dem Hirten lesen wir auch, dass Christus Bischof unsrer Seelen sei. Ein Bischof ist für uns, als evang. Christen, eher etwas ungewöhnlich und fremd. Bei Bischof denke ich auch eher an den katholischen Bischof Fürst in Rottenburg als an unseren evang. Landesbischof July in Stuttgart.  Aber an Jesus – muss ich gestehen – denke ich zu allerletzt, wenn ich an einen Bischof denke. Was könnte also der Apostel meinen, wenn er Jesus als Bischof  bezeichnet?

Im Griechischen steht hier das Wort epi-scopus, zu Deutsch heißt das: über-Schauer, - also einer, der „den Blick auf etwas wirft“ oder „den Überblick hat“. Im Lateinischen heißt das Supervisor. Und damit kann ich in der Tat dann wieder viel anfangen. Ein Supervisor schaut genau hin und weiß, wo die Tücken liegen; er stellt die richtigen Fragen und kann fachkundig, persönlich und einfühlsam beraten. Jesus als Supervisor, das hat was!
Hirte und Bischof: mit dem barm- und warmherzigen Begleiter auf der einen und dem fachkundige Supervisor auf der der anderen Seite – so sollen und können wir uns also getrost den Christus-Weg in den Alltag hinein gehen.

Der Christus-Weg – das ist der Weg, den Christus gegangen ist, ein Weg nah bei den Menschen.  Und der Apostel ermutigt uns: Bleibt auf dem Weg, den er voranging! Tretet in seine Fußstapfen und folgt ihm! Haltet euch an seine Leitlinien!
Und wie diese Leitlinien lauten, liebe Mitchristen, davon haben wir vorhin in der Evangelien-Lesung (Mt 5,38-48) gehört. Sie haben alle mit Liebe zu tun, mit Sanftmut und mit Verzicht auf Gewalt. Auch im Abschnitt hier sind einige aufgezählt:
Er tat kein Unrecht und redete kein unwahres Wort.
Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück.
Und wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung.
Recht und gerecht handeln; die Wahrheit reden; etwas auf sich sitzen lassen; Leidvolles aushalten ohne böse Gedanken und Rachegelüste.
Der Alltag klopft hier also schon ganz mächtig an die Tür:
Die Lehrerin sieht vor dem inneren Auge ihre Klasse vor sich und die Herausforderung, zu allen gerecht zu sein und jedem gerecht zu werden.
Der Schüler denkt vielleicht an den Klassenkameraden, der ihn gerne provoziert und nicht selten auch beleidigt.
Die Journalistin geht im Geiste noch einmal jenen Artikel durch, mit dem sie – wenn sie ehrlich ist – eher Stimmung macht als sachlich informiert.
Und bei dem Anwohner, dessen Parkplatz manchmal unerlaubterweise besetzt ist, steigt beim bloßen Gedanken daran schon der Adrenalinspiegel an.
Er tat kein Unrecht und redete kein unwahres Wort.
Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück.
Und wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung.

Diese Wegmarken, die Christus hinterlassen hat, sind heute nicht weniger aktuell als damals. Und sie sind im Persönlichen und Privaten nicht geringer zu schätzen als in der Weltpolitik. Denn was im Kleinen gepflegt und eingespielt wird, das wirkt sich früher oder später im Großen und in der Öffentlichkeit aus. Kriege sind keine Naturkatastrophen; sie brechen nicht aus wie Vulkane. Vielmehr werden sie von Menschen vorbereitet und durchgeführt; also können sie auch von Menschen verhindert werden. Aber bedarf es der Bereitschaft und auch der Disziplin. Ja, Disziplin – was nicht anderes heißt als: der Lehre folgen, Schüler sein – und hier konkret: Schüler von Jesus sein in Sachen Gerechtigkeit, Wahrheit, Verzicht auf Gewalt und Bereitschaft etwas auszuhalten.

Jeder Vater, jede Mutter, und alle, die mit der Erziehung zu tun haben, wissen, wie schwer und anstrengend das mit Kindern manchmal ist; und wie es oft man sich da selbst überwinden muss. „Alles fließe von selbst, Gewalt sei ferne den Dingen.“ Dieses Erziehungsmotto des böhmischen Bischofs und Pädagogen Amos Comenius,  der vor 400 Jahren lebte, klingt so leicht, erfordert oft aber sehr viel Disziplin und Phantasie.

Oder Martin Luther King. Auch er gehörte zu Jesu Schülern. Konsequent setzte er sich für Gerechtigkeit ein und verzichtet dabei auch ganz klar auf Gewalt. Er berief sich dabei auf Jesus, auf sein Leiden und seine Auferweckung:  „Das Opfer sei zuletzt immer stärker als die Mächtigen, denen es unterworfen ist, sagte er. Das lehre die Bibel, das lehre das ewige Vorbild des Heilands, der mit seinem Leiden und seinem Tod am Kreuz den Weg der Erlösung gezeigt und damit die Welt und die Menschheit tiefer verändert habe als jeder der Regenten dieser Erde.“ (K. Harprecht, Schräges Licht, Frankfurt 2015, 3. Aufl.)

Er blieb dabei, trotz der Tatsache, dass Tausende seiner Getreuen gerade gefoltert und ermordet wurden. Er sagte es, wohl wissend, dass er selbst gefangen genommen würde. Aber er blieb dabei: Gerechtigkeit ohne Gewalt!  Zusammen mit vielen anderen, glaubte er fest daran: „We shall overcome some day! - Eines Tages werden wir gewinnen!“ Er selbst hat es zwar nicht mehr erlebt – die Gewalt einer Kugel setzte seinem Leben vorzeitig ein Ende – aber was siegte, war zuletzt die Gerechtigkeit. Am 11. April 1968 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen.

Und wir wissen: Dieser Weg ist nicht zu Ende. Er geht weiter. 
Recht und gerecht handeln; die Wahrheit reden; etwas auf sich sitzen lassen; Leid aushalten ohne böse Gedanken und Worte – das sind bleibende Herausforderungen: für Amerika (wie auch immer die Präsidentschaftswahlen ausgehen werden) und auch für uns in Europa und für die ganze Welt. Wir sind alle auf dem Weg, nicht am Ziel.
Es sind und bleiben aber die Fußstapfen Christi, die uns den Weg weisen. Wie gut, dass er selbst uns begleitet und „supervidiert“; und was für ein Glück, dass er uns Spurensucher an die Seite stellt, die mit uns auf diesem Weg sind.
Amen.