Predigt zu Micha 6,6-8 von Elisabeth Tobaben
6,6-8

Micha 6, 6-8:
6. Womit soll ich vor den Herrn treten, wie mich beugen vor dem Gott in der Höhe? Soll ich mit Brandopfern vor ihn treten, mit einjährigen Kälbern?
7. Hat der Herr Gefallen an Tausenden von Widdern, an zehntausend Bächen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für meine Vergehen, die Frucht meines Leibes für meine Sünde?
8. Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue (Freundlichkeit) lieben, (aufmerksam) in Ehrfurcht den Weg mitgehen mit deinem Gott.

Liebe Gemeinde!
„Woran merkt man das eigentlich? Ob jemand wirklich ein Prophet ist?“
Wir hatten im Kindergottesdienst eine Prophetengeschichte gehört, und waren jetzt dabei, etwas dazu zu basteln, da fragte mich ein ungefähr Zehn- oder Elfjähriger so.
„Könnte es nicht auch sein, dass sich einer einfach was ausdenkt, und das gar nicht von Gott kommt, was er sagt?“
Wir haben in all dem Gewusel zwischen den malenden und schnippelnden Kindern eine ganze Weile überlegt und diskutiert, und der Kleine meinte schließlich (ganz pfiffig) „Wahrscheinlich muss man es einfach ausprobieren! Sicherlich merkt man es irgendwann, wenn der Prophet Unsinn erzählt oder gelogen hat. Das kommt doch raus!“

Mag sein, dass die Leute, die den Propheten Micha hörten, auch so ähnlich gefragt haben: Ist er wirklich ein richtiger Prophet? Oder haben nicht vielmehr die anderen Recht, die uns beruhigen und sagen: euer Lebensstil ist völlig in Ordnung, ihr seid eben auf der Höhe der Zeit, heute verhält man sich eben einfach so. Man darf sich schließlich nicht unterkriegen lassen, und schließlich gebrauchen ja alle ihre Ellenbogen?
Oder müssen wir das ernst nehmen, was Micha predigt?
Kann es denn sein, dass er Recht hat, wenn er sagt, dass wir uns zugrunde richten mit unserem Verhalten? Und viel schlimmer noch: dass wir es gar nicht hinkriegen, alles richtig zu machen in unserem Leben und es gar nicht schaffen können, hundertprozentig erfolgreich zu gestalten?

Was war los, damals?
Es herrscht Krisenstimmung im Lande.
Allgemeine Orientierungslosigkeit, Werteverlust!
Das Volk Gottes steckt in einer tiefen Krise. Kulturell, geistlich und wirtschaftlich geht es bergab.
Und  da stellt sich Micha hin und nennt in aller Deutlichkeit beim Namen, was er sieht und hört und greift massiv die Bürger und den Rat der Stadt an – und das klingt schon ziemlich kriminell, was zutage kommt:
Offenbar haben die Kaufleute mit gefälschten Waagen gearbeitet, mit gekürzten Massen.
Sowas wie ein Eichamt gab es ja noch nicht, und so konnten sich korrupte Händler leicht einen ziemlichen Reichtum ergaunern,  indem sie immer ein bisschen zu wenig Zucker abgewogen hatten, das Brot immer ein bisschen zu klein und der Meter Stoff ein bisschen zu kurz war...Das summiert sich ganz schön!
Betrug also, Vetternwirtschaft, Bestechlichkeit, Ausbeutung standen auf der Tagesordnung.
Einige schwelgen im Luxus, die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer- und Misstrauen und Zerwürfnisse in den Familien, das ist es, was Micha anprangert.
Wenn die Sprache und das Format etwas anders wäre, könnte man denken, man habe eine Tageszeitung von letzter Woche in der Hand!
Aber das Ganze spielt im 8. Jahrhundert vor Christus!
Die Texte sind also mehr als 2 ½ tausend Jahre alt!
Man vermutet, dass Micha damals Sprecher des Ältestenrates in seinem Dorf gewesen sein könnte.
Moreschet war ein kleiner Ort  südwestlich von Jerusalem –heute so ungefähr auf halber Strecke zwischen West Bank und Gazastreifen, immer schon ein Krisenherd!
Aber Micha muss wohl auch nach Jerusalem gezogen sein und auch da kein Blatt vor den Mund genommen haben!
Denn die Machthaber in der Hauptstadt, denen will er zuallererst ins Gewissen reden mit seiner Verkündigung.
"Ihr hasset das Gute und liebt das Arge", wirft er ihnen vor.
Und er greift die selbsternannten Propheten an, die längst auch selbst korrumpiert sind und den Leuten nach dem Mund reden und sagen: "Wieso? Gott ist doch in unserer Mitte, es kann uns ja nichts passieren. Wir sind auf der richtigen Seite, wir machen alles richtig! Wir haben uns nichts vorzuwerfen!"
Das Spannende ist:  obwohl Micha vielen ein Dorn im Auge ist, und wenn er auftaucht alle sagen: Oh nee, nicht der schon wieder;
Aber trotzdem wagt niemand, ihm etwas anzutun. 
Die Leute müssen irgendwie alle beeindruckt gewesen sein.
Vielleicht war es auch nur so eine Ahnung, dass dieser Mann da vielleicht doch im Auftrag Gottes spricht.
Oder sie hatten Angst vor dem, was er ankündigt als Folge ihres Verhaltens.
„Die Erde wird zur Wüste wegen der Sünden ihrer Bewohner“ hatte er angedroht; „sie werden ernten die Frucht ihrer Taten.“
Was Micha sagt, ist klipp und klar, mit der Sprache kann er umgehen, da gibt’s nichts- beeindruckend ist das schon!
Und hat nachhaltige Wirkung gezeigt, sogar noch bei den nachfolgenden Generationen.
100 Jahre nach Michas Tod zum Beispiel rettet er indirekt dem Propheten Jeremia das Leben!
Aus Furcht nämlich vor dem, was Micha vorausgesagt hatte, wagten es die Ältesten Jerusalems nicht, Jeremia zum Tod zu verurteilen  (Jeremia 26):
Denkt dran, was der Micha schon angekündigt hatte, sagen sie. Das hörte sich so furchtbar an, wenn nur die Hälfte eintreten sollte...  Fasst bloß nicht den Jeremia an!

Aber zurück zu Micha.
Wie macht er das? Er inszeniert einen Rechtsstreit zwischen Gott und seinem Volk.
Er erinnert an das große Eckdatum der Geschichte Israels: „Ich habe dich doch aus Ägypten gerettet“, sagt Gott, „aus der Sklavenwirtschaft, habe Mose, Aaron und Mirjam beauftragt, euch in die Freiheit zu führen! Und was macht ihr?
Tretet das Recht mit Füßen und seid weit entfernt von jeglicher Liebe zur Freundlichkeit!

Was soll ich denn tun? Ist die Gegenfrage.
Erschütternd finde ich, wie sehr die  Fragenden gefangen sind in ihrem wirtschaftlich - aufrechnendem Denken, auch mit Gott wollen sie handeln!
Unendlich viel bieten sie an, steigern sich immer mehr hinein:
Einjährige Kälber - das beste Fleisch.
Viel tausend Widder - wertvollster Besitz.
Unzählige Ströme von Öl - Luxus, der ängstlich verschwendet wird.
So bedrohlich kommt ihnen die Stimme des Propheten vor, dass der Händler vor nichts mehr zurück schreckt:
Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?
Die Antwort Michas, Gottes Wort als Menschen Wort, ist so bestechend wie einfach. Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer, so hat es Amos (der zeitgen. Prophet)  zusammengefasst.
Micha sagt es in einem Dreiklang.
Recht tun – Güte und Freundlichkeit lieben – und besonnen mitgehen mit deinem Gott.
Das klingt fast schon wie bei Martin Luther, diese Woche werden wir seine reformatorische Erkenntnis feiern, uns erinnert an sein Ringen um einen gnädigen Gott.

Das innere Ringen um einen gnädigen Gott mag im Alltag unserer Gesellschaft ziemlich verschüttet sein.
Vielleicht klingt sie aber auch nur anders heute: und ist die Frage nach dem guten Leben;
die Frage, wie das Leben gelingen kann.
Gefühlsmäßig nahe kommen wir den Zeitgenossen Michas, wo wir erschrecken: z.B. darüber, wie sehr auch wir die Gesetze der „merkantilen Glitzerwelt“ deren Gesetze schon verinnerlicht haben!
Wir erschrecken über den Klimawandel, den Ausverkauf der Schöpfung in unserer Zeit.
Wir erschrecken über den Unfrieden, die Spirale der Gewalt, den internationalen Terrorismus, aber auch über seine Wurzeln und suchen nach einem Weltethos, mit dem sich leben lässt.
Wir erschrecken über die himmelschreiende Ungerechtigkeit und hören die mahnenden Worte unseres Bundespräsidenten über den Hunger in der Welt und den Umgang mit Flüchtlingen.
Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert,
nämlich: (Luther) Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Wie klingt dieser Dreiklang denn jetzt?
1. Gottes Wort halten – Um es halten zu können, muss man es ja erstmal kennen, die Texten der Bibel also schlicht lesen, die Geschichten hören, meditieren und auf sich wirken lassen, sie kreativ gestalten, immer wieder auf sich wirken lassen - wie bei einem Film, den man wieder und wieder sehen kann.
Immer wieder eintauchen in den uralten Prozess der Verständigung über Sein Wort.
Es nicht haben oder bereits wissen, gar besser wissen.
Gottes Wort wenden und drehen, hinterfragen und neu entdecken, offen bleiben, dem Geist allezeit vertrauen - und danach leben:

2. Freundlichkeit lieben: („Liebe üben“ übersetzte M. Luther). Augustin fällt mir ein, der gesagt hat: „Lass die Liebe in deinem Herzen wurzeln, und es kann nur Gutes daraus hervorgehen.“
Oder der andere große Dreiklang von „Glaube, Hoffnung, Liebe“ aus 1. Kor. 13, wo Paulus schreibt: Die Liebe ist die größte unter ihnen.

3. Besonnen (in Ehrfurcht) mitgehen mit deinem Gott. („Demütig sein (wandeln) vor deinem Gott“) Da kommt etwas in Fluss, in Gang, was Gott längst schon in Gang gebracht hat.
Da ist Bewegung, Lebendigkeit, jeden Tag und Moment aufs Neue.
Wer demütig wandelt, der geht in großer Gelassenheit.
Der oder die ist mit Gott unterwegs, dem er alles verdanken, von dem er aber auch alles erwarten darf.
So schimmert über die 2 1/2 Jahrtausende etwas von Michas Hoffnung,
von der Gelassenheit, dass es auch gar nicht nötig ist, alles immer 100 %ig richtig zu machen;
von der Erleuchtung, dass man mit dem Anspruch gar nicht leben kann, immer perfekt und vollkommen sein zu wollen; (es gar noch „allen Leuten recht machen“ zu wollen)
Sondern dass die Chance gerade darin besteht, dass ich auch mitten im Scheitern wissen darf: Ich kann wieder neu anfangen und leben aus der Kraft der Vergebung!
Und den Weg mitgehen heißt ja auch: einer weiß schon, wo es langgeht;
Nachfolge – so wie später Jesus mit seinen Jüngern unterwegs ist.
Er ist das „lebendig gewordene Wort Gottes“.
An ihm können wir Gerechtigkeit und Güte Gottes erleben,
und selber lernen, mit ihr zu leben, alle Tage neu.
Amen.


 

Perikope
01.11.2015
6,6-8