Was Gott dir zutraut - Predigt zu Gen 13,1-18 von Christiane Quincke
13,1-18

Was Gott dir zutraut - Predigt zu Gen 13,1-18 von Christiane Quincke

Sich erinnern

So zog Abram herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot mit ihm ins Südland. Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold. Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai, eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte. Dort rief er den Namen des Herrn an.

Hattest du deine Verheißung vergessen, Abram?
Die Verheißung, die du bekommen hast, als du von deiner Heimat losgezogen bist. Und dann warst du endlich angekommen, so schien es. In Bethel und Ai im Land Kanaan. Hast dort einen Altar errichtet.
Brich auf, hatte dir Gott vorher gesagt. Brich auf und lass alles hinter dir.
Aber so ganz hast du dich ja nicht daran gehalten. Dein soziales Netzwerk solltest du verlassen, aber du hast dann nicht nur deine Frau mitgenommen, sondern auch Lot, deinen Neffen – und damit euer Vieh und euer Personal. Hast du den Verheißungen Gottes nicht ganz vertraut? Oder warst du einfach pragmatisch?
Aber dann kam die Hungersnot im verheißenen Land. Und ihr seid nach Ägypten gezogen. Wieder alle zusammen. Und dann doch nicht. Denn Sarai, deine Frau, hast du als Schwester ausgegeben und damit dem Pharao überlassen. Der Trick flog auf und es hätte nicht viel gefehlt, und der Pharao hätte euch zum Teufel gejagt. Aber auch hier hast du der Verheißung Gottes nicht wirklich vertraut, oder?
In dir sollen gesegnet sein alle Völker – das rief dir Gott zu.
Aber du? Segensreich warst du für den Pharao jedenfalls nicht. Gott schickte ihm Plagen auf den Hals, weil du ausgerechnet Sarai aufs Spiel gesetzt hast. 
Hast du dich nun an die Verheißungen erinnert? Reich bist du geworden, Abram. Es geht dir gut in Ägypten. Und doch verlässt du es wieder.
So wie viele auch heute ihr Land verlassen müssen und eine neue Heimat suchen. Und nicht immer verstehen wir, warum das so ist. Die Bibel, die deine Geschichte erzählt, scheint das nicht beurteilen zu wollen. Aber sie weiß, dass es immer wieder passiert: Menschen brechen auf und suchen sich eine neue Heimat – mit und ohne Verheißung. Sie suchen einen Ort, wo sie sicher sein können und genug zu essen haben, wo sie Freunde und Verbündete finden, wo sie eine Zukunft haben.

Streiten

Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder und Zelte. Und das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten; denn ihre Habe war groß und sie konnten nicht beieinander wohnen. Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und Perisiter im Lande.

Manche sagen, du hättest einfach auf Gott hören sollen, Abram. Dann wäre dir das nicht passiert. Hättest du Lot und seine Sippe nicht mitgenommen, gäbe es keinen Streit.
Ich finde das zu einfach. Und ich erkenne in eurer Geschichte die uralte Menschheitsgeschichte: Kain und Abel, Jakob und Esau, Josef und seine Brüder, Babylonier und Perser und Ägypter. Auch heute der immer gleiche Kampf um Ressourcen, die wir zum Überleben brauchen: Wasser, Getreide, Öl, Gas.
Fassungslos sehe ich, was in Israel geschehen ist. Voller Trauer sehe ich die weinenden Gesichter von israelischen und palästinensischen Frauen. Sie sind die ersten Opfer wie einst Sara und Hagar, die du gegeneinander ausgespielt hast.
Ja, der Nahe Osten – Geschwistervölker wie einst Abram und Lot – so erzählt es die Bibel: miteinander verbunden und doch prallen sie jahrtausendelang aufeinander. Blut und Tränen, Hass und Gewalt, Neid und Angst – und das Ganze unter einem Sternenhimmel, der doch mal was ganz anderes versprochen hat: Du sollst ein Segen sein…

Trennung

Da sprach Abram zu Lot: Es soll kein Zank sein zwischen mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.
Da hob Lot seine Augen auf und sah die ganze Gegend am Jordan, dass sie wasserreich war. Denn bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie bis nach Zoar hin wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland.
Da erwählte sich Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern, sodass Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten jener Gegend. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom.
Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider den Herrn.

Manchmal gibt es sie: die guten Lösungen. Manchmal ist die Trennung das Beste für alle Beteiligten. Du bist besonders großzügig, Abram, und lässt Lot die freie Wahl. Ein Angebot auf Augenhöhe, obwohl du der Ältere bist. Und vielleicht ist das sogar das Entscheidende: du nutzt deine Macht nicht aus. Du lässt ihm die Wahl und akzeptierst seine Entscheidung, egal welche er trifft. Damit Frieden wird.
Ja, eure Trennung ist wirklich freundschaftlich. Euer Tischtuch ist nicht zerschnitten. Ihr habt klar benannt, wo die Probleme liegen und eine Lösung für alle gefunden. Jede Mediatorin wäre stolz auf euch. Eine Trennung auf Augenhöhe. Eine Trennung im Respekt. Leider gelingt das eher selten.
Dein Neffe nimmt das reich bewässerte grüne Jordantal. Damit trifft er die falsche Entscheidung, wie sich später herausstellt. Sodom wird seiner Familie zum Verhängnis. Die Wahl nach dem Augenschein ist offenbar nicht immer die beste.
Aber entscheidend ist: Ihr bleibt verbunden – auch nach der Trennung.
Du, Abram, setzt dich für Lot ein: befreist ihn aus der Gefangenschaft und verhandelst sogar mit Gott, damit er gerettet wird. Du lässt nicht locker, bis Gott klein beigibt. Du bist sehr geschickt beim Verhandeln. Das hast du schon öfter gezeigt. Und diesmal liegt darauf der Segen.

Verheißen

Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der Herr zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du bist, nach Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen. Denn all das Land, das du siehst, will ich dir geben und deinen Nachkommen ewiglich. Und ich will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen. Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und Breite, denn dir will ich’s geben.
Und Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem Herrn einen Altar.

Ja, du hattest deine Verheißung kurz vergessen, Abram.
Hattest vergessen, was Gott dir zutraut. Dass du ein Segen bist für alle.
So wie ich zu oft vergesse, dass ich Gottes Kind bin. Salz für die Erde, Licht für die Welt. Ich verliere Gottes Versprechen, weil ich mich zu klein und zu unbedeutend fühle oder weil die Ohnmacht zu stark ist oder meine Ratlosigkeit.

Aber darum bin ich froh, dass die Bibel von dir erzählt.
Du, der Erzvater von uns jüdischen, muslimischen und christlichen Geschwistern, du bist alles andere als perfekt. Aber dann erinnerst du dich. Und auch Gott lässt nicht locker und wiederholt seine Verheißungen - an dich und deine Familie. An Hagar und Sara auch. Und ja, auch an mich.
Und gemeinsam ziehen wir weiter mit Gott und den Erinnerungen an die Geschichten, die er mit uns schreibt. Wir ziehen weiter durch das Leben, über diese Erde, kommen zusammen, essen und trinken, wachsen mit unseren Kindern und pflegen die, die nicht mehr können. Wir streiten und versöhnen uns, trennen uns und ziehen weiter.
Und manchmal schaffen wir es sogar, dass Frieden werden kann. Dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und gute Lösungen finden.
Viel zu selten geschieht es. Rabin und Arafat waren mal kurz davor. Und wir haben es hier erlebt: dass wir Christinnen und Muslime, Jesiden und Jüdinnen zusammen in der Synagoge waren – das sind kleine Lichtpunkte, goldene Momente, die durch die Risse zwischen uns leuchten. Ja, da lag Segen drauf.

Manchmal vergessen wir die Verheißung vom großen Schalom. Manchmal vergessen wir, dass Gott uns zutraut, ein Segen zu sein.

Doch momentan sieht es überhaupt nicht nach Frieden aus. Und darum bleibt mir nichts anderes übrig, als mich von dir an diese Verheißung erinnern zu lassen, Abram. Und ich klammere mich an ihr fest mit allem, was ich habe und was ich nicht bin.
Dass der große Schalom bleibt und da ist und vom Sternenhimmel leuchtet – das hoffe ich. Mit dir, Abram. Und mit allen, die darum beten.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Christiane Quincke: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Der brutale Überfall der Hamas auf Zivilist*innen liegt zum Zeitpunkt des Entwurfs gerade 2 Wochen zurück. Das Thema „Krieg“ und „Streit“ liegt aus meiner Sicht obenauf. Und ausgerechnet in diese Situation spricht nun ein Text, der von Streit und einer einvernehmlichen Lösung spricht, die nicht ohne weiteres übertragbar ist, aber doch sofort Assoziationen weckt.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?

„Beflügelt“ ist in diesem Fall ein zu starkes Wort, denn gerade wegen der starken Parallelität zu derzeitigen Ereignissen habe ich mich eher schwer getan. Irgendwann tauchte dann die Idee auf, dass ich ja mit Abram sprechen könnte und damit in einen Dialog trete, der mich vor allzu allgemeinen „Wahrheiten“ bewahrt.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?

Ich entdeckte, dass die Verheißung an Abram als Rahmenhandlung für diese Trennungsgeschichte entscheidend ist – auch in der Art und Weise, wie er mit dieser Verheißung umgeht. Darum komme ich auch immer wieder auf sie zurück.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?

Leider fehlte mir das direkte Coaching. So waren es im Wesentlichen meine eigenen Fragen: Halte ich aus, dass es keine perfekte Lösung gibt? Bin ich achtsam genug? Und welche Botschaft gebe ich mit? Dass der Schalom auch dann gilt, wenn er durch die Realität radikal in Frage gestellt wird, und wenn man ihn gerade nur erbitten kann – das ist mir wichtig geworden.

Perikope
Datum 29.10.2023
Bibelbuch: 1. Mose
Kapitel / Verse: 13,1-18