Wenn Trümmer zum Trost werden – Predigt zu Jesaja 66,10-14 von Stephanie Höhner
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Staub legt sich auf seine Schuhe, bei jedem Schritt, den er geht. Skelette von Hochhäusern ragen rechts und links in den Himmel. Zersprungene Fensterscheiben, eingestürzte Häuser, Berge von Schutt am Straßenrand. Faris geht jeden Tag diese Straße entlang. Über zehn Jahre war das sein Arbeitsweg. Dann kam der Krieg und hat die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Faris ist mit seiner Frau und den drei Kindern auf‘s Land zu Verwandten geflohen. Seit ein paar Monaten ist er wieder zurück. Alleine, noch. Seine Frau und seine Kinder möchte er später nachholen.
Faris geht vorsichtig die Straße entlang. Spitzen Steinen und Glassplittern weicht er aus. Diese Straße ist wieder sein Weg zur Arbeit geworden. Die Straße führt an den Rand der Stadt, nach 40 Minuten Fußweg kommt Faris an der Seifenfabrik an. Seit ein paar Monaten darf er wieder hier arbeiten. Faris drückt die Stempel in die Seifenstücke, „original Aleppo-Seife“. Wie früher, als Aleppo noch eine bunte und laute Stadt war. Jetzt ist sie grau und oft gespenstisch still. Die Häuser fast alle leer, die Gesichter auf den Straßen auch. Trotzdem ist Faris zurück gekommen. Die Sehnsucht nach seiner Stadt war zu groß. Er hat viele Tränen geweint über sein Aleppo. Jeden Tag, den er fern ab auf dem Land gelebt hat. Heute weint er immer noch. Über seinen Bruder, der hier von einer Granate getötet wurde. Über seine Cousine und deren kleine Tochter, die in ihrem Haus verschüttet wurden. Über die alte Schule am Ende seiner Straße, die jetzt ein einziger Schutthaufen ist. Faris ist zurück gekommen in sein Aleppo, voller Sehnsucht nach seiner Straße mit den Café und Geschäften, dem frisch gebackenen Brot vom Bäcker neben an, dem Duft nach Oliven und Lorbeer, aber auch mit trauerndem Herzen.
Noch bleibt der Ofen von Faris Bäcker an vielen Tagen kalt. Noch wartet er in seiner Wohnung auf fließendes Wasser. Noch kann er seine Familie nicht ernähren von dem Geld, das er in der Seifenfabrik verdient. Noch geht Faris oft mit knurrendem Magen schlafen. Seine Nachbarn auch. Doch sie sind hier, weil die Sehnsucht sie getrieben hat. Die Sehnsucht nach ihrem Aleppo, den grünen Parks und dem Duft nach Oliven und Lorbeer.
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Nach und nach kommen sie zurück. Manche von weit her, manche nur hundert Kilometer entfernt von Jerusalem. Sie kommen zurück, voller Sehnsucht, aber auch mit trauerndem Herzen. Fast alles ist anders als früher. Dort, wo der große, prächtige Tempel stand, ist jetzt nur noch ein kleiner Steinbau. Hier sollen sie jetzt beten und ihre Feste feiern. Die Stadtmauer ist ein Wall aus Trümmern, ihre alten Häuser stehen nicht mehr. Die neuen sehen anders aus und in den neuen Häusern leben fremde Menschen.
Viele Jahre haben sie geweint über ihr Jerusalem, als sie in der Ferne gewohnt haben, verschleppt in fremde Länder. Jetzt kommen sie zurück, voller Sehnsucht. Doch sie werden enttäuscht. Das prächtige Jerusalem ist weg, vor ihnen liegt eine verkommene Stadt, grau und fahl.
Sie sind zurück gekommen, stehen in den Trümmern ihrer Sehnsucht und hören vom Propheten Jesaja:
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.
Noch müssen die Häuser erst gebaut werden, in denen sie schlafen werden. Noch müssen die Felder beackert werden, die Körner ausgesät und das Getreide wachsen, bevor sie sich satt essen. Noch müssen die Brunnen gebaut werden, aus denen Wasser sprudeln wird. Noch stehen sie in den Trümmern ihres alten Lebens. Die Sehnsucht hat sie getrieben zurück zu kommen. Die Sehnsucht und die Hoffnung darauf, dass es wieder gut werden wird. Die Worte des Propheten machen ihnen Mut:
Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet‘s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Ich erinnere mich:
Meine Mutter drückt meinen Kopf an ihre Brust und schaukelt mich sanft hin und her. Über meine Wangen kullern Tränen. Das wollte ich nicht, schluchze ich. Ich weiß, flüstert meine Mutter. Neben uns auf dem Küchenboden liegt mein Teller mit der bunten Eisenbahn drauf. Das war mein Lieblingsteller, eigentlich wollte ich nur davon essen. Und nun liegt er am Boden, zersprungen in viele Teile. Er ist mir aus der Hand gerutscht, als ich ihn zum Tisch tragen wollte. Das Stück Nusskuchen liegt zerbröselt zwischen den Scherben. Ich schluchze weiter und bin untröstlich. Und meine Mutter hält mich einfach im Arm, schaukelt mich hin und her und wartet, bis ich mich etwas beruhigt habe. Dann verspricht sie mir, dass wir einen neuen Teller mit der bunten Eisenbahn kaufen werden. Und ein paar Minuten später sitze ich auf ihrem Schoß und beiße in ein Stück Nusskuchen – es war noch genug für mich da.
Am besten hat mich immer meine Mutter getröstet. Sie hat mich in den Arm genommen, ich habe ihr Zitronen-Parfum gerochen und ihre Stimme gehört – das hat mich beruhigt. Bei ihr hatte ich das Gefühl: Jetzt wird es schon wieder gut werden.
Als ich älter wurde, wusste ich, dass nicht immer alles wieder gut wird. Und trotzdem hat meine Mutter mich getröstet. Sie hat ihre Hand auf meinen Arm gelegt oder mich gleich ganz an sich gedrückt. Manchmal waren es nur ihre Worte durch das Telefon oder wie sie mich angeschaut hat, wenn sie mir am Tisch gegenüber saß. Das Parfum ist über all die Jahre das gleiche geblieben. Der vertraute Geruch, die vertraute Stimme, die Erinnerungen an damals, als ich als kleines Mädchen so oft auf ihren Knien gesessen habe, sie mich hin und her geschaukelt hat, bis meine Tränen getrocknet waren – in all dem steckte das Gefühl: Es wir wieder gut werden. Das hat mich ihr Leben lang getröstet.
Jetzt stehe ich an ihrem Grab und bin untröstlich. Die Worte von Jesaja sind weit weg. Aber ich stehe nicht allein am Grab. Es sind viele Menschen gekommen, meine Freunde sind dabei. Sie nehmen mich in den Arm, halten meine Hand und reichen mir ein neues Taschentuch, um meine Tränen zu trocknen. Es ist nicht das gleiche Gefühl wie damals als kleines Mädchen auf dem Schoß meiner Mutter. Und noch kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals getröstet werden kann. In meinem Leben ist etwas zerbrochen. Das Vertrauen, dass es schon wieder gut werden wird. Das Gefühl, dass Gott mich im Arm hält und mich schaukelt – das fehlt. Doch mit der Zeit wurde es leichter. Nach und nach wuchsen grüne Triebe in meinem Leben. Aus den Trieben sind inzwischen Sträucher und kleine Bäume geworden, ich konnte schon ein paar mal ernten und es gibt andere Menschen, die mich trösten und die ich tröste. Doch den Trost, den meine Mutter mir geben konnte, der fehlt. Manchmal fällt mir das Jubeln und Freuen darum schwer. Aber ich habe wieder ein Ohr für den Jubel und die Freude vom Propheten Jesaja, der ruft:
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Mein Trost ist heute die Hand meines Freundes, der duftende Kaffee, den ich mit einer Freundin trinke und sie mir zuhört. Mein Trost sind auch Geschichten wie die von Faris:
Faris kniet auf dem Boden und drückt vorsichtig den Stempel auf die Seifenstücke. In der Halle riecht es nach Oliven und Lorbeer – die Original Aleppio-Seife, die jetzt wieder in die ganze Welt verschickt wird. In seiner Wohnung fehlt noch der Wasseranschluss, trotzdem freut er sich, dass er heute ein paar Seifenstücke mitnehmen darf. Auf dem Heimweg geht er bei seinem Bäcker vorbei. Heute ist der Ofen wieder kalt geblieben, weil der Strom nicht gereicht hat und das Geld nicht für den Generator. Heute bekommt der Bäcker etwas von Faris: ein Stück Aleppo-Seife. Der Duft von Oliven und Lorbeer legt sich auf seine Haut.
Sie wissen, dass es noch dauern wird, bis sie sich in ihrer Stadt wieder satt trinken können. Noch hängt die Brust schlaff herunter. Aber erste grüne Triebe sind schon zu sehen in der Stadt. Und es strömt der Duft von Oliven und Lorbeer umher.
Freuet euch mit Jerusalem und Aleppo und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Lätare als das „kleine Ostern“ eröffnet mitten in der Passionszeit, in der das Leiden Jesu und der Welt bedacht wird, einen Blick auf neues Leben, das hinter dem Leiden und dem Sterben liegt. Die Passiosnzeit konfrontiert uns mit dem Leid – von Jesus, unserem ei-genen und der Welt. Als „Wegzehrung“ gibt uns Lätare schon einmal einen Vorge-schmack auf die Osterbotschaft: neues Leben erwacht – trotz Leid und Sterben. Gerade in der aktuellen Situation, in der Menschen durch Katastrophenalarm und Schutzmaß-nahmen das gewohnte Leben aus der Bahn gerät, erinnert die Predigt an den Trost, den wir bei Gott finden.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Satz von Martin Nicol: Eine Predigt soll nicht über Trost reden, sondern trösten. Also erzähle ich Trostgeschichten – Geschichten, die mich trösten und Situationen, in denen ich getröstet wurde.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie Menschen in den Trümmern ihres Lebens, ihrer Stadt wieder anfangen, sich zu freuen – Freude gerade da, wo alles freudlos, Trost gerade da, wo alles trostlos zu sein scheint.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Bilder des Bibeltextes sind so stark, dass ich sie nicht analog als Sprachbilder an-wenden muss, sonder auf den Bibeltext an sich vertrauen kann.
Und generell: Weniger ist mehr...
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Aus dem Vertrauen auf Gott erwächst uns neue Kraft - Predigt zu Jesaja 40, 26-31 von Elke Markmann
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, der da war, die da ist und immer da sein wird. Amen.
Liebe Gemeinde!
Ostern ist gerade eine Woche her – ein völlig anderes Osterfest als wir es bisher gekannt haben. Seit 6 Wochen mindestens ist die Welt auch bei uns in Deutschland anders geworden. Corona – eine Pandemie verunsichert und wirbelt alt Gewohntes durcheinander. Kein Osterfeuer und kein Ostergottesdienst. Kein gemeinsam gefeierter Ostermorgen, keine Osternacht. Ob wir zumindest Pfingsten wieder wie gewohnt feiern können? Wir sind verunsichert: Wie leben wir unseren Glauben in dieser Zeit? Wie kann unser Glaube jetzt Kraft schöpfen?
Ein Blick in die Geschichte des Volkes Israel kann uns helfen, Orientierung zu finden. Israel hat immer wieder Verfolgung und Not kennen gelernt. So ein friedliches und ruhiges Glaubensleben, wie wir Christen und Christinnen in Deutschland es in diesen Jahrzehnten kennen, ist ihnen kaum je möglich gewesen. Immer wieder wurden sie verfolgt. Immer wieder wurden sie wegen ihres Glaubens angegriffen. Ich möchte hier in keiner Weise die Situation Israels in jahrhundertelanger Verfolgung mit unserer jetzigen Situation gleich setzen. Wir leben deutlich sicherer als Israel es damals tat und als jüdische Menschen es heute erleben. Aber die Suche nach Orientierung ist das, was mich anrührt. Wie das Volk Israel immer wieder nach Gott fragte und suchte, suchen auch wir.
Immer wieder fragten die jüdischen Menschen nach Gott. Immer wieder riefen sie nach Gott. Und immer wieder fanden sie Trost bei Gott. Davon zeugt auch der Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im Buch des Propheten Jesaja im 40. Kapitel:
Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat dies alles erschaffen? Eine Macht, die ihr Heer entsprechend ihrer Zahl herausführt. Sie ruft alle beim Namen. Voll Macht und Stärke geht ihr keines verloren. Warum sagst du so, Jakob, und sprichst du so, Israel: »Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit?« Erkennst du es nicht? Oder hast du es nicht gehört? Die ewige Gottheit, Gott, hat die Enden der Erde geschaffen, sie wird nicht müde noch matt. Ihre Einsicht ist unerforschlich. Sie gibt den Müden Kraft und den Ohnmächtigen vermehrt sie die Stärke. Junge Leute werden müde und matt, Jugendliche straucheln. Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Textauszug aus: Bibel in gerechter Sprache © 2006, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH. Dieser Text kann für den kirchlichen und privaten Gebrauch unentgeltlich kopiert oder ausgedruckt werden. Für kommerzielle Zwecke und Vervielfältigungen aller Art wenden Sie sich bitte mit einer Abdruckanfrage an den Verlag!
Im Jahre 597 vor Christus waren viele Menschen aus der Stadt Jerusalem ins babylonische Exil verschleppt worden. Die babylonischen Eroberer wollten das Volk dadurch schwächen. In der sogenannten „Babylonischen Gefangenschaft“ machten sich die jüdischen Menschen Gedanken, warum es so weit kommen musste. Es gab viele, die im Exil eine Strafe Gottes für das Verhalten des Volkes sahen. Viele hatten sich von Gottes Geboten abgewandt und lebten nach ihren eigenen Moralvorstellungen oder beteten andere Götter an. Hatte Gott das Volk deshalb den Feinden in die Hand gegeben? Sie fühlten sich von Gott im Stich gelassen.
Als 539 ein großer Teil der Entführten aus Babylon wieder nach Jerusalem zurück kehrte, blickten sie zurück und versuchten zu verstehen, was geschehen war. War der Herrscher Kyros, der der babylonischen Gefangenschaft ein Ende bereitete, vielleicht ein Werkzeug Gottes? Sollte Gott dem Volk nun verziehen haben, weil sie erkannt haben, was sie falsch gemacht hatten?
In dieser Zeit jedenfalls machten sich die Menschen Gedanken über Gott. Wie mächtig war Gott? Konnte er auch fremde Herrscher zum eigenen Werkzeug machen? Konnte Gott in das politische Geschehen eingreifen?
Der Predigttext für den heutigen Sonntag stammt aus dieser Zeit. Der Prophet, der „der zweite Jesaja“ genannt wird, schreibt von der Größe und Unvergleichbarkeit Gottes.
Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat dies alles erschaffen? Eine Macht, die ihr Heer entsprechend ihrer Zahl herausführt. Sie ruft alle beim Namen. Voll Macht und Stärke geht ihr keines verloren.
Gott ist alles möglich! Warum nur können wir zweifeln, dass unser Leben nicht in Gottes Hand liegt? Diese Frage stelle ich mir vielleicht. Aber ich bin mir sicher: Es ist nicht wichtig zu fragen, warum ich so Schweres erlebt habe! Denn eines ist klar: Was mir passiert, ist bei Gott geborgen. Ob die Gefangenschaft als Strafe Gottes verstanden werden muss? Kann sein, ist aber nicht wichtig!
Wichtig ist die grundlegende Erkenntnis: Gott ist groß und mächtig. Auch das, was ich nicht verstehe, kann ich in Gottes Hand legen. Wer das glaubt, kann hoffen:
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.(249) Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Wir wissen nicht, wann wir die Corona-Pandemie werden überwunden haben. Wir wissen auch nicht, ob wir selbst verschont bleiben. Trotz aller Vorsicht kann und wird sich das Virus weiter ausbreiten. Mit dem Propheten vertrauen wir darauf, dass wir bei Gott neue Kraft gewinnen. Das kann im Gebet geschehen.
Aus dem Vertrauen auf Gott erwächst uns neue Kraft: Viele Aktionen der vergangenen Wochen stärken uns in unserem Vertrauen auf Gott. Wir bauen auf die Gemeinschaft, die für einander einsteht. Gott ist mitten unter uns.
Ein Beispiel: Eine Wohngruppe von Menschen, die beatmet werden müssen, sucht dringend für ihre Betreuerinnen und Betreuer einfache Mund-Nasen-Schutzmasken. Sie brauchen solche Masken, um die Bewohnerinnen und Bewohner vor jeglichen Keimen von außen zu schützen. Selbst eine Erkältung kann für beatmete Patienten lebensgefährlich werden.
Innerhalb von nur wenigen Stunden nach dem Aufruf im Internet nähten in der Umgebung viele Frauen und Mädchen und konnten dadurch der Wohngemeinschaft eine bunte Vielfalt von Mundschutzmasken zuschicken.
Blickt nach vorn und vertraut auf Gottes Hilfe:
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.(249) Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Unsere Kirchen sind geschlossen. Wir diskutieren, wie wir Gläubige auf anderen Wegen erreichen können. Meine Predigt habe ich daher auch vor dem Hintergrund geschrieben, dass sie evtl. als Brief oder als Empfehlung an Gemeindeglieder eine andere Gemeinde erreicht als die „normale“ Sonntagspredigt in der Kirche
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich der Gedanke, dass es so viele wunderbare und Mut machende Beispiele gibt, wie wir neu zu Kraft kommen können. „Die auf Gott vertrauen, bekommen neue Kraft!“ Das erlebe ich gerade an vielen Stellen ganz praktisch umsetzbar. Die Geschichte des Maskennähens ist nur eine von vielen Mut machenden Beispielen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wir können in dem, was wir heute erleben, Vorbilder des Glaubens in der Bibel und in bibli-scher Geschichte finden. Die Hoffnungsbilder sind da. Ich will sie immer wieder neu hören und zum Klingen und Strahlen bringen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Predigtcaoching an sich ist sehr wertvoll. Eine wertschätzende und weiter führende Rückmeldung auf das zu bekommen, was ich geschrieben habe, ist ein seltenes und hohes Gut im Predigtalltag.
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Umsonst und ohne Geld – Predigt zu Jesaja 55, 1-5 von Martin Weeber
„There is no such thing as a free lunch“ – auf deutsch: Niemand spendiert Dir einfach so ein Mittagessen. In dieser sprichwortartigen Sentenz verdichtet sich die Lebenseinstellung des Misstrauens: Niemand gibt Dir etwas umsonst. Oder: Wer Dir etwas anscheinend umsonst gibt, der will in Wirklichkeit doch etwas dafür.
Diese Erfahrung findet vielfache Bestätigung. So haben wir inzwischen ja doch gemerkt, dass wir für viele der so praktischen Dienstleistungen des Internets zwar nicht mit Geld, aber eben doch mit unseren Daten bezahlen.
Wenn uns jemand etwas „einfach so“ anbietet, „umsonst und ohne Geld“, dann werden wir schnell misstrauisch: Die Sache muss doch einen Haken haben.
Umsonst und ohne Geld bietet uns im heutigen Predigttext einer etwas an, ein Marktschreier, der Aufmerksamkeit erwecken will. Stellen wir uns vor, wir seien auf einem Markt im Alten Orient.
Da kommt einer daher, bepackt mit seinen Waren, und er schreit mit lauter Stimme:
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Wasser, Wein und Milch bietet er an, der Mann auf dem Markt. Ein Getränkehändler offensichtlich. Er geht davon aus, dass wir durstig sind. Und durstig sind wir Menschen ja alle. Vielleicht nicht in jedem einzelnen Moment, aber dem Grunde nach sind wir alle durstig. Ohne Wasser halten wir es nicht lange aus. Das wird besonders deutlich in einem heißen und trockenen Land, aber man kann es auch eindrücklich erfahren an einem heißen Sommertag bei uns, zumal wenn man körperlich arbeitet oder auf einer Wanderung unterwegs ist und die Wasservorräte erschöpft sind. Wie wunderbar, wie erfrischend, wenn man dann einen kühlen Schluck Wasser bekommt.
Dass wir durstig sind, das ist zunächst ein elementarer biologischer Sachverhalt, der uns übrigens mit den Tieren und auch mit den Pflanzen verbindet. Wie schnell gehen in Zeiten der Trockenheit die meisten Pflanzen zugrunde, wie sehr leiden Tiere, wenn sie nicht genügend zu trinken haben. Wie schlimm war für viele Landwirte der trockene Sommer des vorigen Jahres.
Wir brauchen Wasser. Und es ist schrecklich, dass Menschen in vielen Ländern unserer Erde keinen sicheren oder gar bequemen Zugang zu frischem und sauberem Wasser haben.
Aber dass wir Wasser brauchen – das ist auch ein Symbol dafür, dass wir Menschen überhaupt bedürftige Lebewesen sind: Wir haben Durst, wir haben Hunger, wir haben Bedürfnisse von vielerlei Art.
Wasser bietet der Getränkehändler an, aber auch Milch und Wein. Und jetzt müssen wir, wenn wir sein Angebot würdigen und verstehen wollen, ausnahmsweise mal nicht auf Ärzte oder Ernährungsberater hören, sondern uns klarmachen, worin nach biblischem Verständnis die Bedeutung von Milch und Wein liegen: Milch und Wein sind der Inbegriff von Überfluss und Freude. Wenn man Milch und Wein zu trinken hat, dann sind nicht nur die Grundbedürfnisse gestillt, sondern dann geht es einem richtig gut.
Wir Menschen brauchen mehr als nur das Notwendige: Wir brauchen auch das, was mehr ist als notwendig: Genuss, Geschmack, Fülle und Fest, Schönheit und Glanz. Die weiße Milch und der funkelnde Wein stehen in der Bibel für all das, was hinübergeht über das bloß Notwendige.
All das, was uns die Kultur bietet an Schönem und vordergründig Nutzlosem – all das brauchen wir auch. Und wir brauchen nicht nur die Zweckmäßigkeit der Schöpfung, sondern auch deren oft so überwältigende Schönheit. Furchtbar traurig wäre sonst das Leben. Und wo man Menschen die Schönheit nicht gönnt, da gönnt man ihnen im Grunde das Leben nicht.
Wir streben danach, uns das Leben schön zu machen. Aber ob wir dabei immer nach den richtigen Gütern streben – diese Frage stellt uns der orientalische Getränkeverkäufer auch: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“
Wir wenden Geld und Mühe auf für Dinge, die uns doch nicht wirklich satt machen. Dass man zeigen kann, was man sich leisten kann: Das ist für viele Menschen offensichtlich ungeheuer wichtig. Demonstrativer Konsum. Ich will das gar nicht verächtlich machen; ich freue mich ja auch, wenn ich etwas Schönes besitze. Aber der merkwürdige Getränkeverkäufer, der gar kein Geld will für Wasser, Milch und Honig, der weist schon auf ein wichtiges Problem hin: Manches Mal sind die Mühen wirklich gar zu groß, die Menschen sich auferlegen, um an Dinge zu gelangen, die begehrt und teuer sind. Anderes wird dann oft vernachlässigt. Etwa, wenn jemand unglaublich viel Zeit und Kraft in seine Karriere steckt, aber dann gar keine Zeit mehr findet für Familie und Freunde oder für sich selber. Gute Frage deshalb: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“
Irgendwann offenbart der merkwürdige Getränkehändler sein Geheimnis: Er verschenkt gar nicht nur Getränke, er verschenkt Worte, Worte des Lebens: „Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
Auch das brauchen wir zum Leben und im Leben: Gute Worte, die zu uns gesagt werden. Für den Getränkehändler sind diese guten Worte die Zusagen, die Gott einst dem David und durch ihn dem Volk Israel und schließlich allen Völkern gemacht hat. Er spricht nun gewissermaßen mit Gottes eigener Stimme, wenn er sagt: „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.“
Wir Menschen sind bedürftige Lebewesen. Wir brauchen das Notwendige und das Mehr-als-Notwendige. Und wir brauchen gute Worte: Wasser, Milch, Wein, Schönheit, Fülle, Überfluss – und Worte, die für uns sind, als redete Gott selber direkt zu uns.
Solche Worte finden wir mit großer Zuverlässigkeit in der Bibel – und darum lohnt sich deren Lektüre immer wieder. Wir finden da auch manches, was uns fremd bleibt und manches, was uns verstört. Aber eben doch immer wieder können wir es erleben, dass biblische Geschichten und Worte und sprachliche Bilder so zu uns zu sprechen beginnen, dass wir merken: Hier spricht mich Gott ganz passend und persönlich an, so als sei diese oder jene Passage geradewegs für mich geschrieben. Wenn wir das erleben, dann können wir den Sinn der alten Formeln nachvollziehen, die in prägnanter Kürze sagen, die Bibel sei nichts anderes als Gottes Wort. Solche Formeln verlieren für uns dann den Charakter bloßer Behauptungen. Sie werden dann zum verdichteten Ausdruck von Erfahrungen, die wir selber auch machen können: Ja, hier spricht Gott mich an.
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Das Notwendige und auch das Schöne – wir bekommen es umsonst und ohne Geld.
Ganz so allgemein und ohne Einschränkungen kann man das freilich doch nicht sagen: Wie unglaublich müssen sich viel zu viele Menschen in viel zu vielen Ländern immer noch abmühen und anstrengen, um ihr nacktes Überleben zu sichern. Wie mühsam müssen sie ihr weniges Geld verdienen. Das dürfen wir nicht ausblenden. Nicht überall geht es den Menschen so gut wie uns in unseren Breiten und Zeiten. Wie nachvollziehbar ist es deshalb, dass Menschen sich auf den Weg zu uns machen.
Aber auch wenn wir die blanke Not, die anderswo herrscht, nicht ausblenden, so tut es doch gut, wenn wir daran erinnert werden, wie gut es uns tatsächlich geht. Denn die Dankbarkeit für unser Wohlergehen bringt uns doch dazu, Menschen zu unterstützen, denen es nicht so gut geht, wie uns. Und es ist ja wirklich immer wieder beeindruckend, wie sehr Menschen bereit sind, sich für andere Menschen einzusetzen, die der Unterstützung bedürfen. Da wird ganz viel getan und gegeben.
Das Notwendige und auch das Schöne – wir bekommen es umsonst und ohne Geld.
Ein amerikanischer Philosoph, Michael J. Sandel, hat ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel: „Was man für Geld nicht kaufen kann.“ Er geht aus von der Beobachtung, dass in unseren modernen Gesellschaften sehr vieles käuflich geworden ist. So kaufen sich zum Beispiel Konzerne die Namensrechte an großen Stadien: Aus dem Frankfurter Waldstadion wurde so die „Commerzbank-Arena“ und aus dem Stuttgarter Neckarstadion die „Mercedes-Benz-Arena“. Auf diese Art und Weise geht aber leicht das Gefühl dafür verloren, dass es Dinge oder Einrichtungen gibt, die uns allen gehören. Sandel beschreibt, wie zerstörerisch es für unser Zusammenleben ist, wenn der Eindruck erweckt wird, alles sei käuflich. Das Problem freilich ist kein modernes. Seit ältesten Zeiten gibt es etwa die sogenannte „käufliche Liebe“ – und es war schon immer klar, dass diese gekaufte Liebe keine wahre Liebe ist, sondern höchstens ein vorgespieltes Begehren. Was mit einem Preis versehen wird, verliert sehr schnell seinen Wert. Es muss Dinge geben, die wir für Geld nicht kaufen können.
Ein Leben, in dem wir für alles bezahlen müssten, wäre ein furchtbares Leben. Es muss im Leben immer auch noch vieles geben, was wir „umsonst und ohne Geld“ bekommen. Und es ist wichtig, dass wir den Sinn dafür nicht verlieren, was uns alles geschenkt wird: Das Licht der Sonne, die Liebe der Menschen, der Klang der Musik, die Schönheit der Sprache, der Glanz in den Augen eines Kindes, das sich freut. Es ist so unendlich viel, was Gott uns da gibt und gönnt.
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Noch einmal zurück zu dem Angebot des Getränkeverkäufers und zu seiner Werbeparole: „Das Wesentliche umsonst.“ Hat es nicht doch einen Haken?
Wir haben vorhin, als wir gedanklich dem Text entlanggegangen sind, gemerkt, dass es Gott ist, der sich in die Gestalt des Getränkeverkäufers verkleidet.
Gott selber sagt das zu uns: Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Hat Gottes Angebot einen Haken? Ist es im Blick auf Gott doch auch so, dass man sagen muss: „There is no such thing as a free lunch“ – auf deutsch: „Niemand spendiert Dir einfach so ein Mittagessen.“
Ich muss gestehen: Ich tue mich hier schwer mit einer Antwort.
Eigentlich bin ich es gewohnt, so zu denken, dass Gott uns zwar viel gibt, dass er aber auch etwas dafür von uns will: Vertrauen, Gehorsam, Anbetung, Lob.
„Gebt unserm Gott die Ehre!“ Mit dieser Aufforderung endet jede Strophe eines alten Gesangbuchliedes („Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“, EG 326).
Also doch ein Angebot mit Haken? Berechtigtes Misstrauen?
Versuch einer Antwort: Wenn wir merken, wie viel Gutes Gott an uns tut, dann schenken wir ihm Vertrauen, Gehorsam, Anbetung, Lob und Ehre.
Aber wir schenken ihm das alles aus freien Stücken – nicht, weil wir es müssten. Nicht, weil wir im Kleingedruckten etwas übersehen hätten. Gottes Güte öffnet uns Herz und Hände. Umsonst und ohne Geld geben wir, was wir geben können – Gott und den Menschen. Gottes gutes, sein gütiges Wort lässt uns herzlich sein und großzügig und gütig. Und genau darin erweist es sich uns als göttliches Wort. Amen