Wenn Trümmer zum Trost werden – Predigt zu Jesaja 66,10-14 von Stephanie Höhner
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Staub legt sich auf seine Schuhe, bei jedem Schritt, den er geht. Skelette von Hochhäusern ragen rechts und links in den Himmel. Zersprungene Fensterscheiben, eingestürzte Häuser, Berge von Schutt am Straßenrand. Faris geht jeden Tag diese Straße entlang. Über zehn Jahre war das sein Arbeitsweg. Dann kam der Krieg und hat die Stadt in Schutt und Asche gelegt. Faris ist mit seiner Frau und den drei Kindern auf‘s Land zu Verwandten geflohen. Seit ein paar Monaten ist er wieder zurück. Alleine, noch. Seine Frau und seine Kinder möchte er später nachholen.
Faris geht vorsichtig die Straße entlang. Spitzen Steinen und Glassplittern weicht er aus. Diese Straße ist wieder sein Weg zur Arbeit geworden. Die Straße führt an den Rand der Stadt, nach 40 Minuten Fußweg kommt Faris an der Seifenfabrik an. Seit ein paar Monaten darf er wieder hier arbeiten. Faris drückt die Stempel in die Seifenstücke, „original Aleppo-Seife“. Wie früher, als Aleppo noch eine bunte und laute Stadt war. Jetzt ist sie grau und oft gespenstisch still. Die Häuser fast alle leer, die Gesichter auf den Straßen auch. Trotzdem ist Faris zurück gekommen. Die Sehnsucht nach seiner Stadt war zu groß. Er hat viele Tränen geweint über sein Aleppo. Jeden Tag, den er fern ab auf dem Land gelebt hat. Heute weint er immer noch. Über seinen Bruder, der hier von einer Granate getötet wurde. Über seine Cousine und deren kleine Tochter, die in ihrem Haus verschüttet wurden. Über die alte Schule am Ende seiner Straße, die jetzt ein einziger Schutthaufen ist. Faris ist zurück gekommen in sein Aleppo, voller Sehnsucht nach seiner Straße mit den Café und Geschäften, dem frisch gebackenen Brot vom Bäcker neben an, dem Duft nach Oliven und Lorbeer, aber auch mit trauerndem Herzen.
Noch bleibt der Ofen von Faris Bäcker an vielen Tagen kalt. Noch wartet er in seiner Wohnung auf fließendes Wasser. Noch kann er seine Familie nicht ernähren von dem Geld, das er in der Seifenfabrik verdient. Noch geht Faris oft mit knurrendem Magen schlafen. Seine Nachbarn auch. Doch sie sind hier, weil die Sehnsucht sie getrieben hat. Die Sehnsucht nach ihrem Aleppo, den grünen Parks und dem Duft nach Oliven und Lorbeer.
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Nach und nach kommen sie zurück. Manche von weit her, manche nur hundert Kilometer entfernt von Jerusalem. Sie kommen zurück, voller Sehnsucht, aber auch mit trauerndem Herzen. Fast alles ist anders als früher. Dort, wo der große, prächtige Tempel stand, ist jetzt nur noch ein kleiner Steinbau. Hier sollen sie jetzt beten und ihre Feste feiern. Die Stadtmauer ist ein Wall aus Trümmern, ihre alten Häuser stehen nicht mehr. Die neuen sehen anders aus und in den neuen Häusern leben fremde Menschen.
Viele Jahre haben sie geweint über ihr Jerusalem, als sie in der Ferne gewohnt haben, verschleppt in fremde Länder. Jetzt kommen sie zurück, voller Sehnsucht. Doch sie werden enttäuscht. Das prächtige Jerusalem ist weg, vor ihnen liegt eine verkommene Stadt, grau und fahl.
Sie sind zurück gekommen, stehen in den Trümmern ihrer Sehnsucht und hören vom Propheten Jesaja:
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.
Noch müssen die Häuser erst gebaut werden, in denen sie schlafen werden. Noch müssen die Felder beackert werden, die Körner ausgesät und das Getreide wachsen, bevor sie sich satt essen. Noch müssen die Brunnen gebaut werden, aus denen Wasser sprudeln wird. Noch stehen sie in den Trümmern ihres alten Lebens. Die Sehnsucht hat sie getrieben zurück zu kommen. Die Sehnsucht und die Hoffnung darauf, dass es wieder gut werden wird. Die Worte des Propheten machen ihnen Mut:
Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet‘s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des Herrn an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Ich erinnere mich:
Meine Mutter drückt meinen Kopf an ihre Brust und schaukelt mich sanft hin und her. Über meine Wangen kullern Tränen. Das wollte ich nicht, schluchze ich. Ich weiß, flüstert meine Mutter. Neben uns auf dem Küchenboden liegt mein Teller mit der bunten Eisenbahn drauf. Das war mein Lieblingsteller, eigentlich wollte ich nur davon essen. Und nun liegt er am Boden, zersprungen in viele Teile. Er ist mir aus der Hand gerutscht, als ich ihn zum Tisch tragen wollte. Das Stück Nusskuchen liegt zerbröselt zwischen den Scherben. Ich schluchze weiter und bin untröstlich. Und meine Mutter hält mich einfach im Arm, schaukelt mich hin und her und wartet, bis ich mich etwas beruhigt habe. Dann verspricht sie mir, dass wir einen neuen Teller mit der bunten Eisenbahn kaufen werden. Und ein paar Minuten später sitze ich auf ihrem Schoß und beiße in ein Stück Nusskuchen – es war noch genug für mich da.
Am besten hat mich immer meine Mutter getröstet. Sie hat mich in den Arm genommen, ich habe ihr Zitronen-Parfum gerochen und ihre Stimme gehört – das hat mich beruhigt. Bei ihr hatte ich das Gefühl: Jetzt wird es schon wieder gut werden.
Als ich älter wurde, wusste ich, dass nicht immer alles wieder gut wird. Und trotzdem hat meine Mutter mich getröstet. Sie hat ihre Hand auf meinen Arm gelegt oder mich gleich ganz an sich gedrückt. Manchmal waren es nur ihre Worte durch das Telefon oder wie sie mich angeschaut hat, wenn sie mir am Tisch gegenüber saß. Das Parfum ist über all die Jahre das gleiche geblieben. Der vertraute Geruch, die vertraute Stimme, die Erinnerungen an damals, als ich als kleines Mädchen so oft auf ihren Knien gesessen habe, sie mich hin und her geschaukelt hat, bis meine Tränen getrocknet waren – in all dem steckte das Gefühl: Es wir wieder gut werden. Das hat mich ihr Leben lang getröstet.
Jetzt stehe ich an ihrem Grab und bin untröstlich. Die Worte von Jesaja sind weit weg. Aber ich stehe nicht allein am Grab. Es sind viele Menschen gekommen, meine Freunde sind dabei. Sie nehmen mich in den Arm, halten meine Hand und reichen mir ein neues Taschentuch, um meine Tränen zu trocknen. Es ist nicht das gleiche Gefühl wie damals als kleines Mädchen auf dem Schoß meiner Mutter. Und noch kann ich mir nicht vorstellen, dass ich jemals getröstet werden kann. In meinem Leben ist etwas zerbrochen. Das Vertrauen, dass es schon wieder gut werden wird. Das Gefühl, dass Gott mich im Arm hält und mich schaukelt – das fehlt. Doch mit der Zeit wurde es leichter. Nach und nach wuchsen grüne Triebe in meinem Leben. Aus den Trieben sind inzwischen Sträucher und kleine Bäume geworden, ich konnte schon ein paar mal ernten und es gibt andere Menschen, die mich trösten und die ich tröste. Doch den Trost, den meine Mutter mir geben konnte, der fehlt. Manchmal fällt mir das Jubeln und Freuen darum schwer. Aber ich habe wieder ein Ohr für den Jubel und die Freude vom Propheten Jesaja, der ruft:
Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
Mein Trost ist heute die Hand meines Freundes, der duftende Kaffee, den ich mit einer Freundin trinke und sie mir zuhört. Mein Trost sind auch Geschichten wie die von Faris:
Faris kniet auf dem Boden und drückt vorsichtig den Stempel auf die Seifenstücke. In der Halle riecht es nach Oliven und Lorbeer – die Original Aleppio-Seife, die jetzt wieder in die ganze Welt verschickt wird. In seiner Wohnung fehlt noch der Wasseranschluss, trotzdem freut er sich, dass er heute ein paar Seifenstücke mitnehmen darf. Auf dem Heimweg geht er bei seinem Bäcker vorbei. Heute ist der Ofen wieder kalt geblieben, weil der Strom nicht gereicht hat und das Geld nicht für den Generator. Heute bekommt der Bäcker etwas von Faris: ein Stück Aleppo-Seife. Der Duft von Oliven und Lorbeer legt sich auf seine Haut.
Sie wissen, dass es noch dauern wird, bis sie sich in ihrer Stadt wieder satt trinken können. Noch hängt die Brust schlaff herunter. Aber erste grüne Triebe sind schon zu sehen in der Stadt. Und es strömt der Duft von Oliven und Lorbeer umher.
Freuet euch mit Jerusalem und Aleppo und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Lätare als das „kleine Ostern“ eröffnet mitten in der Passionszeit, in der das Leiden Jesu und der Welt bedacht wird, einen Blick auf neues Leben, das hinter dem Leiden und dem Sterben liegt. Die Passiosnzeit konfrontiert uns mit dem Leid – von Jesus, unserem ei-genen und der Welt. Als „Wegzehrung“ gibt uns Lätare schon einmal einen Vorge-schmack auf die Osterbotschaft: neues Leben erwacht – trotz Leid und Sterben. Gerade in der aktuellen Situation, in der Menschen durch Katastrophenalarm und Schutzmaß-nahmen das gewohnte Leben aus der Bahn gerät, erinnert die Predigt an den Trost, den wir bei Gott finden.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Satz von Martin Nicol: Eine Predigt soll nicht über Trost reden, sondern trösten. Also erzähle ich Trostgeschichten – Geschichten, die mich trösten und Situationen, in denen ich getröstet wurde.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie Menschen in den Trümmern ihres Lebens, ihrer Stadt wieder anfangen, sich zu freuen – Freude gerade da, wo alles freudlos, Trost gerade da, wo alles trostlos zu sein scheint.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Bilder des Bibeltextes sind so stark, dass ich sie nicht analog als Sprachbilder an-wenden muss, sonder auf den Bibeltext an sich vertrauen kann.
Und generell: Weniger ist mehr...
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Aus dem Vertrauen auf Gott erwächst uns neue Kraft - Predigt zu Jesaja 40, 26-31 von Elke Markmann
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, der da war, die da ist und immer da sein wird. Amen.
Liebe Gemeinde!
Ostern ist gerade eine Woche her – ein völlig anderes Osterfest als wir es bisher gekannt haben. Seit 6 Wochen mindestens ist die Welt auch bei uns in Deutschland anders geworden. Corona – eine Pandemie verunsichert und wirbelt alt Gewohntes durcheinander. Kein Osterfeuer und kein Ostergottesdienst. Kein gemeinsam gefeierter Ostermorgen, keine Osternacht. Ob wir zumindest Pfingsten wieder wie gewohnt feiern können? Wir sind verunsichert: Wie leben wir unseren Glauben in dieser Zeit? Wie kann unser Glaube jetzt Kraft schöpfen?
Ein Blick in die Geschichte des Volkes Israel kann uns helfen, Orientierung zu finden. Israel hat immer wieder Verfolgung und Not kennen gelernt. So ein friedliches und ruhiges Glaubensleben, wie wir Christen und Christinnen in Deutschland es in diesen Jahrzehnten kennen, ist ihnen kaum je möglich gewesen. Immer wieder wurden sie verfolgt. Immer wieder wurden sie wegen ihres Glaubens angegriffen. Ich möchte hier in keiner Weise die Situation Israels in jahrhundertelanger Verfolgung mit unserer jetzigen Situation gleich setzen. Wir leben deutlich sicherer als Israel es damals tat und als jüdische Menschen es heute erleben. Aber die Suche nach Orientierung ist das, was mich anrührt. Wie das Volk Israel immer wieder nach Gott fragte und suchte, suchen auch wir.
Immer wieder fragten die jüdischen Menschen nach Gott. Immer wieder riefen sie nach Gott. Und immer wieder fanden sie Trost bei Gott. Davon zeugt auch der Predigttext für den heutigen Sonntag. Er steht im Buch des Propheten Jesaja im 40. Kapitel:
Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat dies alles erschaffen? Eine Macht, die ihr Heer entsprechend ihrer Zahl herausführt. Sie ruft alle beim Namen. Voll Macht und Stärke geht ihr keines verloren. Warum sagst du so, Jakob, und sprichst du so, Israel: »Verborgen ist vor Gott mein Weg, mein Recht entgeht meiner Gottheit?« Erkennst du es nicht? Oder hast du es nicht gehört? Die ewige Gottheit, Gott, hat die Enden der Erde geschaffen, sie wird nicht müde noch matt. Ihre Einsicht ist unerforschlich. Sie gibt den Müden Kraft und den Ohnmächtigen vermehrt sie die Stärke. Junge Leute werden müde und matt, Jugendliche straucheln. Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler. Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Textauszug aus: Bibel in gerechter Sprache © 2006, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH. Dieser Text kann für den kirchlichen und privaten Gebrauch unentgeltlich kopiert oder ausgedruckt werden. Für kommerzielle Zwecke und Vervielfältigungen aller Art wenden Sie sich bitte mit einer Abdruckanfrage an den Verlag!
Im Jahre 597 vor Christus waren viele Menschen aus der Stadt Jerusalem ins babylonische Exil verschleppt worden. Die babylonischen Eroberer wollten das Volk dadurch schwächen. In der sogenannten „Babylonischen Gefangenschaft“ machten sich die jüdischen Menschen Gedanken, warum es so weit kommen musste. Es gab viele, die im Exil eine Strafe Gottes für das Verhalten des Volkes sahen. Viele hatten sich von Gottes Geboten abgewandt und lebten nach ihren eigenen Moralvorstellungen oder beteten andere Götter an. Hatte Gott das Volk deshalb den Feinden in die Hand gegeben? Sie fühlten sich von Gott im Stich gelassen.
Als 539 ein großer Teil der Entführten aus Babylon wieder nach Jerusalem zurück kehrte, blickten sie zurück und versuchten zu verstehen, was geschehen war. War der Herrscher Kyros, der der babylonischen Gefangenschaft ein Ende bereitete, vielleicht ein Werkzeug Gottes? Sollte Gott dem Volk nun verziehen haben, weil sie erkannt haben, was sie falsch gemacht hatten?
In dieser Zeit jedenfalls machten sich die Menschen Gedanken über Gott. Wie mächtig war Gott? Konnte er auch fremde Herrscher zum eigenen Werkzeug machen? Konnte Gott in das politische Geschehen eingreifen?
Der Predigttext für den heutigen Sonntag stammt aus dieser Zeit. Der Prophet, der „der zweite Jesaja“ genannt wird, schreibt von der Größe und Unvergleichbarkeit Gottes.
Hebt eure Augen in die Höhe und seht: Wer hat dies alles erschaffen? Eine Macht, die ihr Heer entsprechend ihrer Zahl herausführt. Sie ruft alle beim Namen. Voll Macht und Stärke geht ihr keines verloren.
Gott ist alles möglich! Warum nur können wir zweifeln, dass unser Leben nicht in Gottes Hand liegt? Diese Frage stelle ich mir vielleicht. Aber ich bin mir sicher: Es ist nicht wichtig zu fragen, warum ich so Schweres erlebt habe! Denn eines ist klar: Was mir passiert, ist bei Gott geborgen. Ob die Gefangenschaft als Strafe Gottes verstanden werden muss? Kann sein, ist aber nicht wichtig!
Wichtig ist die grundlegende Erkenntnis: Gott ist groß und mächtig. Auch das, was ich nicht verstehe, kann ich in Gottes Hand legen. Wer das glaubt, kann hoffen:
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.(249) Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Wir wissen nicht, wann wir die Corona-Pandemie werden überwunden haben. Wir wissen auch nicht, ob wir selbst verschont bleiben. Trotz aller Vorsicht kann und wird sich das Virus weiter ausbreiten. Mit dem Propheten vertrauen wir darauf, dass wir bei Gott neue Kraft gewinnen. Das kann im Gebet geschehen.
Aus dem Vertrauen auf Gott erwächst uns neue Kraft: Viele Aktionen der vergangenen Wochen stärken uns in unserem Vertrauen auf Gott. Wir bauen auf die Gemeinschaft, die für einander einsteht. Gott ist mitten unter uns.
Ein Beispiel: Eine Wohngruppe von Menschen, die beatmet werden müssen, sucht dringend für ihre Betreuerinnen und Betreuer einfache Mund-Nasen-Schutzmasken. Sie brauchen solche Masken, um die Bewohnerinnen und Bewohner vor jeglichen Keimen von außen zu schützen. Selbst eine Erkältung kann für beatmete Patienten lebensgefährlich werden.
Innerhalb von nur wenigen Stunden nach dem Aufruf im Internet nähten in der Umgebung viele Frauen und Mädchen und konnten dadurch der Wohngemeinschaft eine bunte Vielfalt von Mundschutzmasken zuschicken.
Blickt nach vorn und vertraut auf Gottes Hilfe:
Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neue Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.(249) Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Unsere Kirchen sind geschlossen. Wir diskutieren, wie wir Gläubige auf anderen Wegen erreichen können. Meine Predigt habe ich daher auch vor dem Hintergrund geschrieben, dass sie evtl. als Brief oder als Empfehlung an Gemeindeglieder eine andere Gemeinde erreicht als die „normale“ Sonntagspredigt in der Kirche
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich der Gedanke, dass es so viele wunderbare und Mut machende Beispiele gibt, wie wir neu zu Kraft kommen können. „Die auf Gott vertrauen, bekommen neue Kraft!“ Das erlebe ich gerade an vielen Stellen ganz praktisch umsetzbar. Die Geschichte des Maskennähens ist nur eine von vielen Mut machenden Beispielen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wir können in dem, was wir heute erleben, Vorbilder des Glaubens in der Bibel und in bibli-scher Geschichte finden. Die Hoffnungsbilder sind da. Ich will sie immer wieder neu hören und zum Klingen und Strahlen bringen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Predigtcaoching an sich ist sehr wertvoll. Eine wertschätzende und weiter führende Rückmeldung auf das zu bekommen, was ich geschrieben habe, ist ein seltenes und hohes Gut im Predigtalltag.
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Umsonst und ohne Geld – Predigt zu Jesaja 55, 1-5 von Martin Weeber
„There is no such thing as a free lunch“ – auf deutsch: Niemand spendiert Dir einfach so ein Mittagessen. In dieser sprichwortartigen Sentenz verdichtet sich die Lebenseinstellung des Misstrauens: Niemand gibt Dir etwas umsonst. Oder: Wer Dir etwas anscheinend umsonst gibt, der will in Wirklichkeit doch etwas dafür.
Diese Erfahrung findet vielfache Bestätigung. So haben wir inzwischen ja doch gemerkt, dass wir für viele der so praktischen Dienstleistungen des Internets zwar nicht mit Geld, aber eben doch mit unseren Daten bezahlen.
Wenn uns jemand etwas „einfach so“ anbietet, „umsonst und ohne Geld“, dann werden wir schnell misstrauisch: Die Sache muss doch einen Haken haben.
Umsonst und ohne Geld bietet uns im heutigen Predigttext einer etwas an, ein Marktschreier, der Aufmerksamkeit erwecken will. Stellen wir uns vor, wir seien auf einem Markt im Alten Orient.
Da kommt einer daher, bepackt mit seinen Waren, und er schreit mit lauter Stimme:
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Wasser, Wein und Milch bietet er an, der Mann auf dem Markt. Ein Getränkehändler offensichtlich. Er geht davon aus, dass wir durstig sind. Und durstig sind wir Menschen ja alle. Vielleicht nicht in jedem einzelnen Moment, aber dem Grunde nach sind wir alle durstig. Ohne Wasser halten wir es nicht lange aus. Das wird besonders deutlich in einem heißen und trockenen Land, aber man kann es auch eindrücklich erfahren an einem heißen Sommertag bei uns, zumal wenn man körperlich arbeitet oder auf einer Wanderung unterwegs ist und die Wasservorräte erschöpft sind. Wie wunderbar, wie erfrischend, wenn man dann einen kühlen Schluck Wasser bekommt.
Dass wir durstig sind, das ist zunächst ein elementarer biologischer Sachverhalt, der uns übrigens mit den Tieren und auch mit den Pflanzen verbindet. Wie schnell gehen in Zeiten der Trockenheit die meisten Pflanzen zugrunde, wie sehr leiden Tiere, wenn sie nicht genügend zu trinken haben. Wie schlimm war für viele Landwirte der trockene Sommer des vorigen Jahres.
Wir brauchen Wasser. Und es ist schrecklich, dass Menschen in vielen Ländern unserer Erde keinen sicheren oder gar bequemen Zugang zu frischem und sauberem Wasser haben.
Aber dass wir Wasser brauchen – das ist auch ein Symbol dafür, dass wir Menschen überhaupt bedürftige Lebewesen sind: Wir haben Durst, wir haben Hunger, wir haben Bedürfnisse von vielerlei Art.
Wasser bietet der Getränkehändler an, aber auch Milch und Wein. Und jetzt müssen wir, wenn wir sein Angebot würdigen und verstehen wollen, ausnahmsweise mal nicht auf Ärzte oder Ernährungsberater hören, sondern uns klarmachen, worin nach biblischem Verständnis die Bedeutung von Milch und Wein liegen: Milch und Wein sind der Inbegriff von Überfluss und Freude. Wenn man Milch und Wein zu trinken hat, dann sind nicht nur die Grundbedürfnisse gestillt, sondern dann geht es einem richtig gut.
Wir Menschen brauchen mehr als nur das Notwendige: Wir brauchen auch das, was mehr ist als notwendig: Genuss, Geschmack, Fülle und Fest, Schönheit und Glanz. Die weiße Milch und der funkelnde Wein stehen in der Bibel für all das, was hinübergeht über das bloß Notwendige.
All das, was uns die Kultur bietet an Schönem und vordergründig Nutzlosem – all das brauchen wir auch. Und wir brauchen nicht nur die Zweckmäßigkeit der Schöpfung, sondern auch deren oft so überwältigende Schönheit. Furchtbar traurig wäre sonst das Leben. Und wo man Menschen die Schönheit nicht gönnt, da gönnt man ihnen im Grunde das Leben nicht.
Wir streben danach, uns das Leben schön zu machen. Aber ob wir dabei immer nach den richtigen Gütern streben – diese Frage stellt uns der orientalische Getränkeverkäufer auch: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“
Wir wenden Geld und Mühe auf für Dinge, die uns doch nicht wirklich satt machen. Dass man zeigen kann, was man sich leisten kann: Das ist für viele Menschen offensichtlich ungeheuer wichtig. Demonstrativer Konsum. Ich will das gar nicht verächtlich machen; ich freue mich ja auch, wenn ich etwas Schönes besitze. Aber der merkwürdige Getränkeverkäufer, der gar kein Geld will für Wasser, Milch und Honig, der weist schon auf ein wichtiges Problem hin: Manches Mal sind die Mühen wirklich gar zu groß, die Menschen sich auferlegen, um an Dinge zu gelangen, die begehrt und teuer sind. Anderes wird dann oft vernachlässigt. Etwa, wenn jemand unglaublich viel Zeit und Kraft in seine Karriere steckt, aber dann gar keine Zeit mehr findet für Familie und Freunde oder für sich selber. Gute Frage deshalb: „Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht?“
Irgendwann offenbart der merkwürdige Getränkehändler sein Geheimnis: Er verschenkt gar nicht nur Getränke, er verschenkt Worte, Worte des Lebens: „Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
Auch das brauchen wir zum Leben und im Leben: Gute Worte, die zu uns gesagt werden. Für den Getränkehändler sind diese guten Worte die Zusagen, die Gott einst dem David und durch ihn dem Volk Israel und schließlich allen Völkern gemacht hat. Er spricht nun gewissermaßen mit Gottes eigener Stimme, wenn er sagt: „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.“
Wir Menschen sind bedürftige Lebewesen. Wir brauchen das Notwendige und das Mehr-als-Notwendige. Und wir brauchen gute Worte: Wasser, Milch, Wein, Schönheit, Fülle, Überfluss – und Worte, die für uns sind, als redete Gott selber direkt zu uns.
Solche Worte finden wir mit großer Zuverlässigkeit in der Bibel – und darum lohnt sich deren Lektüre immer wieder. Wir finden da auch manches, was uns fremd bleibt und manches, was uns verstört. Aber eben doch immer wieder können wir es erleben, dass biblische Geschichten und Worte und sprachliche Bilder so zu uns zu sprechen beginnen, dass wir merken: Hier spricht mich Gott ganz passend und persönlich an, so als sei diese oder jene Passage geradewegs für mich geschrieben. Wenn wir das erleben, dann können wir den Sinn der alten Formeln nachvollziehen, die in prägnanter Kürze sagen, die Bibel sei nichts anderes als Gottes Wort. Solche Formeln verlieren für uns dann den Charakter bloßer Behauptungen. Sie werden dann zum verdichteten Ausdruck von Erfahrungen, die wir selber auch machen können: Ja, hier spricht Gott mich an.
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Das Notwendige und auch das Schöne – wir bekommen es umsonst und ohne Geld.
Ganz so allgemein und ohne Einschränkungen kann man das freilich doch nicht sagen: Wie unglaublich müssen sich viel zu viele Menschen in viel zu vielen Ländern immer noch abmühen und anstrengen, um ihr nacktes Überleben zu sichern. Wie mühsam müssen sie ihr weniges Geld verdienen. Das dürfen wir nicht ausblenden. Nicht überall geht es den Menschen so gut wie uns in unseren Breiten und Zeiten. Wie nachvollziehbar ist es deshalb, dass Menschen sich auf den Weg zu uns machen.
Aber auch wenn wir die blanke Not, die anderswo herrscht, nicht ausblenden, so tut es doch gut, wenn wir daran erinnert werden, wie gut es uns tatsächlich geht. Denn die Dankbarkeit für unser Wohlergehen bringt uns doch dazu, Menschen zu unterstützen, denen es nicht so gut geht, wie uns. Und es ist ja wirklich immer wieder beeindruckend, wie sehr Menschen bereit sind, sich für andere Menschen einzusetzen, die der Unterstützung bedürfen. Da wird ganz viel getan und gegeben.
Das Notwendige und auch das Schöne – wir bekommen es umsonst und ohne Geld.
Ein amerikanischer Philosoph, Michael J. Sandel, hat ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel: „Was man für Geld nicht kaufen kann.“ Er geht aus von der Beobachtung, dass in unseren modernen Gesellschaften sehr vieles käuflich geworden ist. So kaufen sich zum Beispiel Konzerne die Namensrechte an großen Stadien: Aus dem Frankfurter Waldstadion wurde so die „Commerzbank-Arena“ und aus dem Stuttgarter Neckarstadion die „Mercedes-Benz-Arena“. Auf diese Art und Weise geht aber leicht das Gefühl dafür verloren, dass es Dinge oder Einrichtungen gibt, die uns allen gehören. Sandel beschreibt, wie zerstörerisch es für unser Zusammenleben ist, wenn der Eindruck erweckt wird, alles sei käuflich. Das Problem freilich ist kein modernes. Seit ältesten Zeiten gibt es etwa die sogenannte „käufliche Liebe“ – und es war schon immer klar, dass diese gekaufte Liebe keine wahre Liebe ist, sondern höchstens ein vorgespieltes Begehren. Was mit einem Preis versehen wird, verliert sehr schnell seinen Wert. Es muss Dinge geben, die wir für Geld nicht kaufen können.
Ein Leben, in dem wir für alles bezahlen müssten, wäre ein furchtbares Leben. Es muss im Leben immer auch noch vieles geben, was wir „umsonst und ohne Geld“ bekommen. Und es ist wichtig, dass wir den Sinn dafür nicht verlieren, was uns alles geschenkt wird: Das Licht der Sonne, die Liebe der Menschen, der Klang der Musik, die Schönheit der Sprache, der Glanz in den Augen eines Kindes, das sich freut. Es ist so unendlich viel, was Gott uns da gibt und gönnt.
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Noch einmal zurück zu dem Angebot des Getränkeverkäufers und zu seiner Werbeparole: „Das Wesentliche umsonst.“ Hat es nicht doch einen Haken?
Wir haben vorhin, als wir gedanklich dem Text entlanggegangen sind, gemerkt, dass es Gott ist, der sich in die Gestalt des Getränkeverkäufers verkleidet.
Gott selber sagt das zu uns: Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
Hat Gottes Angebot einen Haken? Ist es im Blick auf Gott doch auch so, dass man sagen muss: „There is no such thing as a free lunch“ – auf deutsch: „Niemand spendiert Dir einfach so ein Mittagessen.“
Ich muss gestehen: Ich tue mich hier schwer mit einer Antwort.
Eigentlich bin ich es gewohnt, so zu denken, dass Gott uns zwar viel gibt, dass er aber auch etwas dafür von uns will: Vertrauen, Gehorsam, Anbetung, Lob.
„Gebt unserm Gott die Ehre!“ Mit dieser Aufforderung endet jede Strophe eines alten Gesangbuchliedes („Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“, EG 326).
Also doch ein Angebot mit Haken? Berechtigtes Misstrauen?
Versuch einer Antwort: Wenn wir merken, wie viel Gutes Gott an uns tut, dann schenken wir ihm Vertrauen, Gehorsam, Anbetung, Lob und Ehre.
Aber wir schenken ihm das alles aus freien Stücken – nicht, weil wir es müssten. Nicht, weil wir im Kleingedruckten etwas übersehen hätten. Gottes Güte öffnet uns Herz und Hände. Umsonst und ohne Geld geben wir, was wir geben können – Gott und den Menschen. Gottes gutes, sein gütiges Wort lässt uns herzlich sein und großzügig und gütig. Und genau darin erweist es sich uns als göttliches Wort. Amen
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Sind wir noch durstig? – Predigt zu Jesaja 55,1-5 von Heiko Naß
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
Liebe Gemeinde,
aus ferner prophetischer Vergangenheit bringen wenige Worte der Bibel etwas Unfassbares in unsere Gegenwart hinein: Es ist genug für alle da. Genug an frischem Wasser, genug an nahrhaftem Brot.
„Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser,“ steht in dieser prophetischen Rede. Keiner ist ausgeschlossen – alle sind angesprochen, alle sind gemeint.
Alle, die durstig sind? Wenn es rein um das Wasser geht, dann haben wir an Wasser immer noch genug in den Leitungen zu Hause, in den Mineralwasserkisten im Supermarkt. Schon lange aber wissen wir, dass Wasser nicht umsonst zu haben ist. Es muss aufbereitet werden, immer aufwendiger gereinigt werden, zumal weil durch Überdüngung Nitrate das Grundwasser weit über die Richtwerte versalzen.
Vergangenen Sommer merkten wir umso mehr, dass Wasser knapp werden könnte, die Grundwasserspeicher langsam sich zu leeren begannen. Da erlebten wir eine neue Sensibilität für das Wasser, Wasser als ein knappes Gut, dem wir mehr Sorge zukommen lassen müssen. Noch haben wir in unseren, klimagünstigen Regionen dieser Erde an Wasser genug.
Dennoch ist das Versprechen, dass ein Zugang zu sauberem trinkbarem Wasser für alle möglich ist, für alle Menschen dieser Erde, noch lange nicht eingelöst. Von den auf dieser Erde lebenden 7 Mrd. Menschen haben 850 Millionen weltweit immer noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, vom Abwasser ganz zu schweigen: jeder Dritte lebt ohne sanitäre Einrichtungen.
Bis 2030 sollen nach den UN Nachhaltigkeitszielen alle Menschen dieser Erde Zugang zu sauberem Wasser und zu sanitärer Versorgung erhalten. Bis dahin gibt es noch viel zu tun.
Die Folgen von Wassermangel ist eine der größten Fluchtursachen, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Wenn der Regen infolge des Klimawandels immer häufiger ausbleibt und zu viel Wasser in wasserintensiver Landwirtschaft für den Export verbraucht wird, wenn Konflikte die Wasserversorgung verhindern, bekommen viele Menschen für ihre Ackerböden und ihr Vieh nicht mehr ausreichend Wasser. Tiere sterben, Ernten fallen dürftig aus und Hunger ist die Folge, dann machen sich die Menschen auf die Suche, nach anderen Orten, wo sie ihr Überleben sichern können.
In diesem Jahr habe ich auf einer Projektreise mit Brot für die Welt nach Indien dort ein eindrucksvolles Engagement von Menschen erlebt, die sich gegen Wassermangel, gegen Austrocknung und Verkarstung ihrer Böden gestemmt haben und der Verheißung von Wasser und Brot für alle wieder ein Stück nähergekommen sind.
Dort haben die Menschen erkannt, dass sie, um ihrer Armut entrinnen zu können, sich besonders um das Land zu kümmern haben, von dem sie leben. Das gelingt, in dem sie sorgsamer mit Land und Boden umzugehen gelernt haben. Bis vor 20 Jahren hatte der Boden infolge von Monokulturen in vielen Regionen des Berglandes seine Aufnahmekapazität für Wasser verloren. Wenn nun der Monsun einsetzte, wurde mit den reißenden Wassermassen die fruchtbare Humusschicht weggeschwemmt. Auch technisch veränderte Saat schafft es nicht mehr, auf die zunehmende Vertrocknung der Böden zu reagieren. Mit den Böden verarmten auch die Menschen. Viele verließen Haus und Grund, machten auf den Weg Stadt, wo die Lichter der Metropole die Verheißung eines besseren Lebens ausstrahlten. Doch die wenigsten fanden, was sie sich versprachen. Viele endeten in den Slums vor oder inmitten der Stadt, manche nahmen sich aus lauter Verzweiflung das Leben. Die von Brot für die Welt unterstützten Projekte haben neues Wissen in die Dörfer gebracht, wie langsam furchtbare Erde zurückgewonnen werden kann. Selbsthilfegruppen wurden gegründet, die Dorfgemeinschaft gewonnen, die Hänge zu terrassieren, in viele Stufen zu gestalten und jeweils an der Außenkante einen kleinen Wall anzubringen. So sammelt sich dort der Regen und der bis dort angeschwemmte Schlamm bis das Becken voll ist und das Wasser langsam in die nächste Terrassenstufe hinablaufen kann. Nach zwanzig Jahren ist aus dem unfruchtbaren Land wieder ein grünes Land geworden, mit frischem Wasser. Und die Menschen kehren zurück.
„Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser!“ Dieses prophetische Wort der Bibel aus ferner Vorzeit spricht bis heute in unsere Gegenwart, dass die Verheißung, an den Grundlagen des Lebens teil zu haben, für alle Menschen gilt.
Wenn Jesus 500 Jahre danach in seiner Bergpredigt sich auf diese Worte bezieht, alle Menschen anspricht, die hungern und dürsten und die Worte ergänzt mit dem Zusatz „nach Gerechtigkeit“, dann vertieft er damit den Anspruch, dass sich aus dem Wissen, wovon das Leben erschüttert und bedroht wird, eine Verantwortung erwächst, an der Belastungen und der Not der anderen mitzutragen und sie davor zu schützen und zu bewahren. Jesus will, dass Menschen auf der Schattenseite des Lebens zur Anerkennung und ihr Mangel zur Wahrnehmung in die Öffentlichkeit gebracht werden.
Alle Menschen brauchen Wasser und Brot und alle haben ein Anrecht, daran teil zu haben. Doch da ist noch mehr:
„Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? … Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
Liebe Gemeinde, wir erleben heutzutage, dass die Sprachlandschaft des Glaubens von immer weniger Menschen erkundet wird. Vielleicht liegt es daran, dass nicht nur die nur die Worte des Glaubens, sondern auch Erfahrungsräume, in denen sich solche Worte mit eigenem Erleben verbinden lassen, immer weiter zurückgedrängt werden. Unser spiritueller Weg durch den Tag gleicht doch oft einer verkarsteten Fläche. Da gibt es zu viel, was die Tage ausfüllt und beschäftigt: ein vollgefüllter Kalender, überquellende Nachrichten im Email Eingangsordner oder auf WhatsApp. Und daran schließt sich den Drang an, gleich darauf zu antworten. Aber macht das wirklich Sinn? Ruht in diesem Tun eine Erfüllung, die unsere Sehnsucht stillt? Liebe Gemeinde, sind wir durstig?
Vor kurzem habe ich einen Nachmittag in einer therapeutischen ambulanten Wohngruppe der Jugendhilfe verbracht. Die Kinder und Jugendlichen erzählten von ihrem Wochenende. Ein Junge erzählt, dass er am Sonnabend und am Sonntag, den Vormittag und den Nachmittag am Busbahnhof verbracht hat. Warum, frage ich ihn. Um Filme zu gucken, weil es dort freies WLAN gibt. Flucht vor einem unerträglichen Zuhause, Vereinzelung und eine Traurigkeit waren in diesen Worten zu spüren. Und gleichzeitig hielt mir diese Schilderung des Kindes ein Spiegel vor, wie auch wir uns immer wieder verlieren in unserem Alltag, an denen wir unsere Tage füllen und beschäftigen, und trotzdem merken, dass etwas unerfüllt bleibt.
Wer eine besondere Stimme hört, wendet sich ihr zu, folgt dem Ohr mit dem Blick, mit dem Körper und beginnt ihr nachzugehen. Nichts Anderes will dieses Wort bewirken: „Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
In manchen Momenten weht uns Gottes Wort an, dringt zu unserem Herzen, durch all das Nicht-Satt-Machende hindurch. In manchen Momenten gelingt uns, dass wir uns dem hingeben, was geschieht. In manchen Momenten öffnet sich unser Herz für den Gedanken, dass Gott mit uns fühlt. Es ist der Beginn des Hörens.
Es erinnert uns: Gott ruft – ruft wie einer, der weiß, wie es schwer ist, sich gegen die gehaltlosen Lebensfüllstoffe zu behaupten: gegen das Nicht – Brot und alles, was mehr Kraft fordert als es bringt. Doch er ruft, seine Einladung bleibt, sie ist da und um uns herum. Und sie scheint in Gesten, in Wahrnehmung, in Gerüchen durch unseren Alltag immer wieder durch.
Denn auch das geschah bei meinem Besuch in der therapeutischen Wohngruppe für Jugendliche: Bei Mittag saßen wir zusammen um den Tisch. Aufmerksamkeit füreinander und für das Essen war spürbar. Berührt hat mich folgende Situation: Der Erzieher, der von seiner Erscheinung her über jeden Geist des Paternalismus erhaben ist, schnitt zum Nachtisch einen Apfel in Stücke, entkernte sie und teilte sie aus an alle. Und es nahmen alle davon. Eine vielleicht nur kleine Geste, die Gemeinschaft und Achtsamkeit stiftete. Aber mehr muss manchmal gar nicht geschehen, um Sinn und Geschmack für das Unendlich zu spüren.
Das prophetische Wort unseres Textes erinnert zuletzt an den Bund, den Gott mit dem Hause Davids geschlossen hat. Gott geht mit uns einen Bund ein.
Die Geschichte der Bibel redet immer wieder davon, dass Gott seinen Bund erneuert und uns daran erinnert und alle Menschen zu seinen Bundesgenossen ruft. Denn die Grundlagen dieses Bundes kommen allen zugut. Es ist der Zyklus von
Saat und Ernte
Frost und Hitze
Sommer und Winter
Tag und Nacht,
der nicht aufhören soll, solange die Erde besteht.
Gott will, dass dieser Bund bewahrt bleibt und dass Menschen diesen Bund bewahren. Dafür ist es nötig, dass wir als Menschheit gemeinsam diese uns anvertrauten Güter sorgsam behandeln, die Folgen unserer Lebensweise bedenken und uns Zeit und die Orte nehmen, von Gottes Sorge und von seinem Ruf ansprechen zu lassen.
Amen
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Wohlan - Predigt zu Jesaja, 55,1-5 von Frank Muchlinsky
Wohlan, liebe Gemeinde, gut dass Ihr da seid, denn ich habe Euch Gutes zu sagen.
Haben Sie, habt Ihr eigentlich ein göttliches Berufungserlebnis, an das Ihr Euch erinnern könnt? Könntet Ihr von diesem Erlebnis berichten? Keine Angst, es muss jetzt niemand nach vorn kommen, das Mikro in die Hand nehmen und davon erzählen, wie er oder sie ihren göttlichen Ruf bekam. In unseren verfassten Kirchenkreisen wäre das recht ungewöhnlich. Es würde sicherlich zu gehobenen Augenbrauen und gerunzelten Stirnen führen. In kirchlichen Kreisen, die sich als "erweckt" verstehen, ist das anders. Da erzählt man wie selbstverständlich von dem Moment, in dem einem klar wurde: Gott will etwas von mir. Eine wunderschöne Überspitzung eines solchen Erlebnisses läuft derzeit auf Netflix. Dort hat man die "Blues Brothers" ausgegraben, das etwas andere Musical. In einer entscheidenden Szene steht John Belushi als "Jake Blues" in einer Kirche, in der gerade James Brown eine ausgesprochen mitreißende Predigt hält. Mitreißend vor allem, weil während der Predigt ein Gospelchor singt und tanzt. Dann geschieht das Wunderbare: Ein Lichtstrahl fällt durch ein Fenster in die Kirche und trifft Jake, der sofort bekehrt wird, anfängt zu tanzen und weiß, was von diesem Moment an seine Aufgabe ist.
Wie gesagt, eher eine Zuspitzung. Es gibt aber durchaus eine Reihe von Menschen, die mit ähnlichen Erlebnissen aufwarten können. Sie können Tag und Stunde nennen, an denen ihnen klar wurde, dass sie von nun an "im Namen des Herrn unterwegs" sein wollen. Als Pfarrer bekommt man diese Frage nach dem Berufungsmoment durchaus mal gestellt. Die klingt dann so: "Wie kommt es, dass du Pfarrer geworden bist?" Manchmal wünsche ich mir, ich könnte dann mit einer spektakulären Geschichte aufwarten, à la Jake Blues. Denn so wundersam sie auch klingt, wenn man so etwas erlebt hat, glauben die Leute einem wenigstens, dass man es ernst meint mit dem Glauben. Aber bei mir war es wie mit den meisten Menschen, die in einem irgendwie christlichen mitteleuropäischen Umfeld aufgewachsen sind. Wir sind irgendwie hineingewachsen in das Christentum. Mein Entschluss, Theologie zu studieren, Pfarrer zu werden, kam auch nicht plötzlich, er reifte in mir.
Im Kontakt mit Brüdern und Schwestern, denen die bewusste Entscheidung für Jesus Christus sehr wichtig ist, habe ich es manchmal bedauert, "nur" als Vierzehnjähriger bei der Konfirmation mal "Ja, mit Gottes Hilfe" gesagt zu haben. Andere haben ihre Leben Gott übergeben. Haben sich ganz bewusst für Jesus Christus entschieden. Andere waren irgendwie "echt berufen".
Lasst uns noch an anderer Stelle schauen, was so eine Berufung ausmacht. Diesmal nicht im Film, diesmal in der Bibel. Da beruft Jesus den Simon, der später Petrus heißen darf, weil er so felsenfest ist. Die Geschichte wird mehrfach in den Evangelien erzählt, und immer in kleinen Varianten. Besonders gut gefällt mir die Variante bei Markus, wo Jesus an Simons Boot vorbeikommt, ihm und seinem Bruder Andreas sagt: "Kommt, folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!" Und dann heißt es: "Und sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach." Beeindruckend! Die beiden lasen buchstäblich alles stehen und liegen und folgen Jesus nach. Ihre Arbeit, ihre Familie, ihr Hab und Gut. Alles lassen sie hinter sich. Kein Wunder, dass das Maßstäbe gesetzt hat für die Art und Weise der Nachfolge. Wir können festhalten: Wer berufen ist, handelt augenblicklich und radikal. Wen das Licht sieht, fängt an zu tanzen und lässt sein altes Leben hinter sich, ohne zu zögern.
Wohlan, was bleibt da noch für uns "Hineingewachsene"? Was ist möglich für die, die Gott lieben und immer noch mit ihren Familien leben? Uns bleibt eine wunderbare Verheißung, und die beginnt mit "Wohlan!"
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben. Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter. Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat. (Jes 55,1-5)
Das sind Worte, die der Prophet Jesaja im Namen Gottes sagt. Sie beginnen mit diesem wunderschönen hebräischen Wort "Hoj", das Luther mit dem ebenso schönen "wohlan" übersetzt hat. Hoj, durstige! Kommt und trinkt Wasser! Hoj, Arme, kommt und kauft ein ohne Geld! Hoj, hört auf mich, wenn ihr wirklich satt werden wollt! Hoj, hört und lebt! Ich will mit Euch einen Bund schließen, ich will einen ewigen Vertrag unterzeichnen. Ich, Gott selbst, sage Dir: Es wird auf der Erde ein Heil entstehen, wie es noch niemals da war. Kein Volk bleibt außen vor. Komm! Hoj!
Wohlan, liebe Gemeinde, was uns bleibt, ist dieser Ruf. Es ist die Aufforderung an die Zögerlichen, an diejenigen, die lieber zweimal nachdenken, bevor sie handeln. Gott ruft uns, und er hat einen ausgesprochen langen Atem. Was Jesaja da in Gottes Namen sagt, ist nicht weniger anspruchsvoll, als das "Komm mit!" von Jesus. Denn auch hier heißt es: "Halt dich an mich! Vertraue mir doch! Hör auf, dich vollzustopfen mit dem, was dich niemals wirklich satt macht!" Aber bei Jesaja hört man die Zeit mit, die Gott uns lässt. Dies ist nicht die erste Aufforderung Gott zu vertrauen. Und darum tut diese Verheißung so gut. Sie ist keine "Jetzt oder nie"-Situation. Gott ruft: "Vertraut mir" Und Vertrauen darf wachsen. Es muss nicht sofort und vollständig da sein. Es darf auch immer wieder erschüttert oder sogar verschüttet werden. Du darfst zweifeln, du darfst wieder vertrauen, und dann wirst du schon sehen!
Was traust du Gott zu? Dass du satt wirst? Dass dir schmeckt, was du isst und trinkst? Traust du Gott zu, dass du leben wirst? Versuch es! Wohlan, trau Gott so viel zu, wie du kannst. Das ist kein Wettbewerb und keine Leiter, die du emporklimmen müsstest. Nur die Verheißung kennt kein Limit. Und wenn die Enttäuschungen kommen, wenn die Zweifel groß werden, dann schau, was noch da ist. Wenn da noch Durst ist, dann komm zum Wasser. Wenn du nichts mehr hast, mit dem du etwas kaufen kannst, lass dich beschenken.
Und da diese Verheißung keine Grenzen kennt, lasst uns zusammen vertrauen, dass wir nicht allein sind. Lasst uns gegenseitig Hoffnung geben, dass Gott es unendlich gut meint mit uns. Darum kommen wir doch zusammen, damit wir einander gut sind! Hoj! Denn es geht nicht nur um jede und jeden von uns allein. Jesaja spricht im Namen Gottes in der Mehrzahl: Hoj, ihr! Wenn Ihr miteinander vertraut, wenn ihr miteinander Gott zuhört, dann soll es gut werden – letztendlich mit der ganzen Welt. Fangt schon mal an zu tanzen!
Amen
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Durst auf Leben - Predigt zu Jesaja 55,1-3a von Hansjörg Biener
„Durst auf Leben“. Mit dieser Werbelinie warb vor einigen Jahren eine Sprudelfirma (Überkinger) für ihren Sprudel und wirbt in den letzten Monaten eine Brauerei für ihr Weizen (Weihenstephaner). Wahrscheinlich wussten die Werbeleute, dass sie mehr versprechen, als Sprudel halten kann, geschweige denn Bier. Doch gleichzeitig haben sie für ihre Werbestrategie etwas Richtiges erkannt: Durst ist etwas, was jeder kennt. Und wahrscheinlich hat auch jeder einen ganz besonderen Durst nach Leben, der ihn aufmerken lässt, wenn etwas seine Stillung verspricht.
Schon natürlicher Durst ist unangenehm: Zunge und Gaumen sind trocken, die Lippen spröde. Die Kehle ist dörr, weil die Spucke wegbleibt, es ist, als ob auf den Stimmbändern Staub liegen würde. Dann möchte man wirklich eine ganze Flasche Sprudel trinken, um zu spüren, wie das Wasser die Lebensgeister wieder weckt. Die Überkinger-Werbung versprach, dass ihr Sprudel sogar „Durst auf Leben“ löschen kann. Wie jüngst auch das Weihenstephaner Weizen. Doch die Getränkehändler haben Konkurrenz. Nicht nur andere Firmen, sondern Gott selber. Im heutigen Predigttext geht auch Gott unter die Menschen und preist wie ein Verkäufer den Glauben an:
»Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die, ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!«
Und es muss nicht nur Wasser sein. Wein und Milch sind auch möglich, um den „Durst auf Leben“ zu stillen.
Die Alltagserfahrung mit dem Durst ist immer wieder auch auf religiöse Dinge übertragen worden. Man sagte: Gewiss löscht Wasser den Durst. Doch auch das ist gewiss: Der Durst nach Wasser kommt wieder. Und dann sagte man: So, wie der Mensch immer wieder Durst nach Wasser hat, so hat er auch einen weiteren Durst, der nicht durch Wasser oder irgendein anderes Getränk gestillt werden kann. Es ist der „Durst nach Leben“. Nichts kann diesen Durst stillen außer die Quelle des Lebens, Gott. Nur Gott kann den „Durst nach Leben“ befriedigen, nicht der Überkinger, Gerolsteiner, Kondrauer und auch nicht der Höllensprudel (Naila). [durch Marken ersetzen, die in der eigenen Region verkauft werden] Was im übrigen auch heißt: Wer das nicht erkennt, muss weiter leben wie ein Mensch in der Wüste. Der Durst herrscht vor, und man muss sich mit dem begnügen, was man hat.
Es mag sein, dass wir wissen, dass ein Sprudel oder ein Bier den Durst nach Leben nicht löschen kann. Doch offensichtlich muss auch Gott Werbung machen. Es geht ihm so, wie dem Hersteller von „Spezi“. Lassen Sie mich diese Geschichte kurz erzählen. Vor Jahrzehnten wollte ein Gastwirt seinen Gästen etwas Neues bieten: Er mischte Cola und gelbes Limo (Orangenlimonade) und nannte es „Spezial“. Daraus wurde später „Spezi“, als eine Brauerei die Mischung übernahm und einen bereits geschützten Markennamen auf die Flasche klebte. Doch wir wissen: Nicht immer, wenn man ein Spezi bestellt, ist auch Spezi drin. Das Mischgetränk gibt es heute von verschiedenen Herstellern, obwohl es nicht immer geschmeckt hat. [Bayern: Wie sonst wäre es wohl zu dem Namen „Gwasch“ gekommen? (siehe unten Anmerkung 1)] Darum kommt Spezi seit einiger Zeit mit folgendem Werbespruch daher: „Trink das Original.“
Auch Gott muss für das Original werben, weil die Menschen so viele Dinge für wichtiger halten, wenn sie glauben, damit mehr vom Leben zu haben. Kostenlos und umsonst will er uns mit Wasser des Lebens, Wein der Freude und Milch der seelischen Gesundheit versorgen. Man könnte auch sagen: mit Zuwendung, Liebe und Zufriedenheit. Mit diesen Gaben will er einen jeden von uns auf seinem Lebensweg begleiten und stärken. Nicht jedem genügt dieses Angebot; manche haben es vielleicht auch noch nie so gehört. Deshalb müssen manche Menschen erst mühsam lernen, dass alles andere nicht befriedigt. Es ist wie mit dem natürlichen Sprudel, bei dem man wieder Durst bekommt, oder beim Cola-Limo-Mischgetränk, das manchmal so labrig schmeckt, dass man es lieber stehen lässt.
Vielleicht beobachten auch Sie so manchen Lebensweg, und fragen sich, warum Menschen solche Umwege gehen, warum Frauen Liebe suchen und nur Liebhaber finden, wenn Männer alles haben, doch keine Ruhe. Vor einiger Zeit fand ich im Kummerkasten einer Zeitschrift folgende Zeilen eines 32-jährigen, die mir typisch schienen und die ich deshalb zum heutigen Predigttext notiert habe.
„Bis vor einem Jahr habe ich mein Leben sehr genossen. Schöne Frauen, schnelle Autos, teure Reisen. Konsum bis zum Letzten. Genuss in vollen Zügen. Ich verdiene sehr gut, besitze ein Superappartement bester Lage in einer süddeutschen Großstadt, dazu zwei Ferienwohnungen, eine am Mittelmeer, eine zweite auf Borkum. Seit einiger Zeit allerdings kommen Momente, in denen sich das alles in mir in Frage stellt. Hohl kommt es mir vor und leer. Abgestanden. (...) Können Sie mir etwas Hilfreiches dazu sagen?“
Ein Mensch, der so viele Dinge hat, nach denen sich andere Menschen vergeblich sehnen. „Schöne Frauen, schnelle Autos, teure Reisen.“ Doch gleichzeitig ist der Lebensdurst dieses Mannes nicht gestillt, und er sucht bei der Redaktion um Lebenshilfe nach. Ich weiß nicht mehr, ob das Sonntagsblatt meiner Kirche etwas Hilfreiches anzubieten hatte, doch ist das für uns hier auch nicht wichtig. Mit unserem Predigttext würde Gott den Lebensweg dieses Mannes so kommentieren:
»Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt zu mir! Höret, so werdet ihr leben!«
Es besteht Hoffnung für diesen Mann. Er spürt, dass „schöne Frauen, schnelle Autos, teure Reisen“ zur Erfüllung seines Lebens nicht genügen. Liebe und Sexualität sind schöne Dinge; Autos, Häuser und anderer Besitz machen das Leben angenehm; und Reisen erweitert den Horizont. Doch für sich alleine genommen können diese Erlebnisse und Güter den Durst auf Leben nicht stillen. Die Schöpfung muss auf den Schöpfer bezogen sein, sonst bleibt ihr Genuss Völlerei und kann das Leben nicht erfüllen. Nicht jeder von uns geht die Wege dieses 30-Jährigen, um das zu lernen. Es mag sein, dass wir andere Wege gehen und auf anderen Wegen in einem religiösen Sinne „durstig“ bleiben. Selig sind jedenfalls die Menschen, die den „Durst nach Leben“ noch spüren, die es immer noch zum Wasser des Lebens zieht.
Gott lädt uns zu sich ein, um uns mit seinem Geist der Zuwendung, Zärtlichkeit und Liebe für die Seele zu tränken. Mit ihm will er einen jeden von uns auf seinem Lebensweg begleiten und stärken. Denn das ist die Arbeit des Heiligen Geistes: Er will unser Leben so aufnehmen und gestalten, dass wir mit ihm zufrieden werden. So wie wir lernen können, dass Wasser nicht gleich Wasser ist und sich Fusel für 3 Euro 99 vom Burgunder unterscheidet, so können wir auch für unser Leben unterscheiden lernen. Dabei geht es zum Beispiel um das Gespür und die Unterscheidung von gut und böse. Aber nicht nur. Es geht vielmehr um die Prägung der ganzen Person, um eine Lebenshaltung, die mit Lebenskraft und Lebensfreude erfüllt. Der Umgang mit Gott lehrt den Unterschied zwischen Fülle und Völlerei, zwischen Quantität und Qualität, zwischen Masse und Maß. Um bei unserem jungen Mann zu bleiben: Es geht nicht mehr um die Liebschaften, die man irgendwann nur noch zählt, sondern um die eine Frau. Es geht nicht mehr um die Schnelligkeit der Autos, die irgendwann keine Spannung mehr vermittelt, sondern um die Harmonie von Mensch, Technikgebrauch und Umwelt. Es geht auch nicht mehr um die teure Reise, wo man sich im exklusiven Resort nur selber begegnet, sondern um die Erweiterung der Persönlichkeit durch die Begegnung mit einem anderen Land, einer anderen Kultur und anderen Menschen. Dazu will der Heilige Geist uns anleiten, und wo das geschieht, erleben wir auch erfülltes Leben. Das ist dann jener Schluck Leben, den die Werbung verheißt, den Sprudel aber nicht geben kann.
Doch die Verbindung mit der Quelle des Lebens kommt nicht von allein; sie muss gesucht und gepflegt werden. Manchmal bedarf es einer bewussten Umkehr, so wie es jener junge Mann spürt, wenn er um Hilfe nachsucht. Ein jeder, der ähnlich empfindet, möge es jenem jungen Mann gleichtun. Vielleicht bist du dann wieder mehr „im Reinen mit Dir“ (Elisabethenquelle), wie ein anderer Sprudelspruch lautet. Aber auch die Menschen, die keine so sichtbare Neuorientierung brauchen, brauchen Gottes Wegweisung. Immer wieder muss unsere Wahrnehmung überprüft und ausgerichtet werden. Ein Ort, das in Gemeinschaft zu tun, ist die Gemeinde hier am Ort oder eine andere Gemeinde, wenn Sie von woanders her kommen. Die Unterscheidung von Leben in Völle und Leben in Fülle ist ein hoher Anspruch, für den wir in der christlichen Gemeinde gestärkt werden. Die Aufgabe der Verkündigung ist die innere Stärkung, das Zeichen für die äußere Stärkung ist das Abendmahl. Sie erinnern uns daran, dass sich unser Leben einmal in Gottes Hand runden wird und bei ihm aller Lebensdurst gestillt sein wird. Um unseren Durst auf Leben zu stillen, wirbt auch Gott mit dem Slogan: „Trink das Original!“
Liturgische Stücke
Eingangsgebet
Gott, du Quelle allen Lebens,
du hast uns neues Leben verheißen und willst uns immer wieder erfrischen auf unserem Lebensweg.
Dafür danken wir dir und bitten dich: Lass uns immer wieder den Weg zu dir finden,
durch Jesus Christus unseren Herrn. Amen.
Fürbitten
Ich möchte Sie bitten, die einzelnen Fürbitten aufzunehmen und für sich zu füllen mit den Worten „Wir bitten dich, erhöre uns“:
Unser Gott, wir bitten dich für die Menschen, die sich auf einer Durststrecke des Lebens befinden. Werde Ihnen zur Quelle des Lebens und gib ihnen in ihrer Not neue Perspektiven. Segne alle, denen die Not ihrer Nachbarn nicht egal ist, und lass auch uns Menschen sein, die in anderen Lebensmut und Gottvertrauen stärken können.
Wir bitten dich: Erhöre uns.
Unser Gott, wir bitten dich für die Frauen in Krisensituationen, privat, in der Familie oder im Beruf. Werde ihrem Durst auf Leben zur Quelle des Lebens und gib ihnen in ihrer Not neue Perspektiven. Segne alle, die Frauen in Lebenskonflikten beistehen, in Frauenhäusern und Beratungsstellen, und lass auch uns Menschen sein, die in anderen Lebensmut und Gottvertrauen stärken können.
Wir bitten dich: Erhöre uns.
Unser Gott, wir bitten dich für die Männer in Lebenskrisen, privat, in der Familie oder im Beruf. Werde ihrem Durst auf Leben zur Quelle des Lebens und gib ihnen in ihrer Not neue Perspektiven. Segne alle, die Männer in der Krise begleiten, und lass auch uns Menschen sein, die in anderen Lebensmut und Gottvertrauen stärken können.
Wir bitten dich: Erhöre uns.
Unser Gott, wir bitten dich für die heranwachsenden Jugendlichen in ihrer Suche nach einem Platz im Leben. Werde Ihrem Durst auf Leben zur Quelle des Lebens und begleite sie wie ein guter Freund. Segne alle, die sich um Jugendliche bemühen, und lass auch uns Menschen sein, die in anderen Lebensmut und Gottvertrauen stärken können.
Wir bitten dich: Erhöre uns.
Unser Gott, wir bitten dich für uns, wenn wir uns auf Durststrecken befinden. Führe auch uns dann zum frischen Wasser, und sende uns dann Menschen, die uns begleiten können und Lebensmut und Gottvertrauen stärken können.
Wir bitten dich: Erhöre uns.
(Anmerkung 1)
'Gwasch' ist in Altbayern die Bezeichnung für ein 'Spezi', ein Cola-Mixgetränk. A 'Gwasch' sagt man hier genauso zu einer dünnen Suppe, einem dünnen Tee, zu Dünnbier, oder auch zu Spülwasser, in dem man eben gewaschen hat. Das ursprüngliche Wort 'Gewäsch' ist also entweder ein trübes Wasser, mit dem gewaschen wurde, oder es ist eine trübe Flüssigkeit, die zwar trinkbar ist, aber die nix gescheites ist, nicht so wie ein gescheites Bier.
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