Unerwartet – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Barbara Bockentin
Vollkommen unerwartet kommt die Nachricht, nach der sie sich so sehr gesehnt haben. Endlich ist sie schwanger. Sie kann es kaum erwarten, es ihm zu erzählen. Als sie die Haustür öffnet, kommt er ihr entgegen: „Und?“ Sie strahlt ihn an. Später schmieden die beiden Pläne: für das Kinderzimmer, wann sie es den anderen sagen, wie das Kind heißen soll…
In den Wochen und Monaten darauf beginnt sich ihr Leben zu verändern. Zuerst merken sie es kaum. Mit der Zeit fällt es ihnen immer mehr auf. „Wenn unser Kind erst da ist, ...“ so reden oder denken sie oft. Manches erscheint in einem ganz anderen Licht. Anderes wiederum nehmen sie besonders bewusst war. Die vielen schwangeren Frauen zum Beispiel. Oder die Kinderwagen, die von Vätern geschoben werden. Auch sie selbst beginnen, sich zu ändern. Wenn es ihnen auffällt, dann lachen sie darüber: „Das sind nur die Hormone.“ Insgeheim freut sie sich darüber, dass er aufmerksamer geworden ist. Und er genießt es, dass sie ruhiger ist.
Die Zeit bis zur Geburt können sie kaum abwarten. Wenn sie daran denken, überzieht ein Lächeln ihre Gesichter mit einem besonderen Glanz.
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Früher – ja früher, da haben sie oft darüber gesprochen, ob es verantwortungsvoll ist, ein Kind in diese Welt zu setzen. Was sie sich da nicht alles ausgemalt haben! So vieles ist nicht in Ordnung auf der Welt. So vieles muss besser gemacht werden. So vieles gehört gestoppt. Der Klimawandel, die Kriege, die nicht in Gang gekommene Energiewende, und, und, und … Da sind sie sich einig gewesen, in so eine Welt soll kein neuer Erdenbürger geboren werden. So haben sie gedacht und geredet. Bis dann doch die Sehnsucht nach einem Kind in ihnen gekeimt ist.
Jetzt ist vieles anders. Sie sind voller Ideen, wie sie etwas verändern können. Es ist, als ob das Kind neue Energie in ihnen freisetzt. Sie werden sich auf den Weg machen. Sie wollen Vorbild sein für ihr Kind. Dass die Welt verändert werden kann, davon sind sie fest überzeugt. Dass treibt sie an. Davon reden sie jetzt und suchen andere zu überzeugen.
Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Dann ist es soweit: das Kind, ein Junge, erblickt das Licht der Welt. Es ist ein verregneter Tag. Im Radio ist zu hören, dass die Hungersnot im Jemen sich immer mehr ausweitet. Dass alles nehmen sie nur am Rand wahr. In dem Moment als sie ihrem Sohn in die Augen blicken, bleibt die Welt draußen. Für diesen Augenblick bleibt sie stehen. Später am Tag kommen die ersten Besucher. Alle bewundern das Baby. Wetteifern darin, eine Ähnlichkeit zu Mutter, Vater, Großeltern festzustellen. Versuchen das Kind zum Lachen zu bringen. Vor allem aber lachen sie sich gegenseitig an. Die Freude und das Glück über dieses kleine Wunder will geäußert werden.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.
Später, als wieder Ruhe im Zimmer eingekehrt ist, fragt sie ihn, wie denn ihr Sohn heißen soll. „Lass uns einen Namen wählen, der aus unseren Familien kommt.“ schlägt er vor. „Ich erinnere mich gerne an meinen Opa. Von ihm habe ich viel gelernt. Wie wäre es mit seinem Namen?“ Sie möchte einen zweiten Namen hinzufügen. Sie stellt sich einen Namen vor, der jetzt und auch noch in dreißig Jahren zu ihrem Sohn passt. Einen Namen, der in sich eine Botschaft trägt, der eine Bedeutung hat.
Er heißt Wunder-Rat, Gott- Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Monate später schauen die beiden die Bilder aus den ersten Tagen ihres Sohnes an. Gotthilf heißt er nach dem Großvater und Benjamin mit Rufnamen. Die Nachrichten sind im Hintergrund zu hören. Der Krieg in Syrien ist auf einem neuen Höhepunkt. In immer mehr Schulen wird am Freitag gestreikt. Jugendliche protestieren so gegen die Politik, die dem Klimawandel zusieht. Von solchen Aktionen werden sie ihrem Sohn erzählen. Und davon, wie sehr seine Geburt, ihre Einstellung verändert hat. Sie vertrauen darauf, dass sie etwas in Gang bringen können. Wer, wenn nicht sie. Wenn Benjamin erwachsen ist, werden sie mit Stolz auf das blicken, was sich dann verändert hat.
Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.
Vollkommen unerwartet kommt die Nachricht, nach der sie sich so sehr gesehnt haben. Ein Kind ist geboren worden, dass alle Welt in Bewegung setzt. Viele werden sich von ihm begeistern lassen. Viele werden sich von seinem Glauben anstecken lassen, dass schon heute Gott da ist. Viele werden dafür brennen, dass seine Worte wahr geworden sind.
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Christvesper - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Bernd Vogel
I. Er saß über dem leeren Blatt Papier. Seit Tagen ging die Arbeit nicht voran. Nach dem Anfang, der da stand, ging es nicht weiter. Es ging einfach nicht weiter.
„Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, auf dass du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist“ (Lukas 1, 1 ff.).
Das stand da schon schwarz auf weiß. Und weiter – nichts. Das Vorhaben war ihm völlig klar: Es musste einfach jemand wagen, die Jesus-Geschichte noch ein Mal ganz neu zu erzählen. Keine Ergänzungen nur, keine Anmerkungen, sondern zurück auf Anfang. Ein neues Buch. Eine neue Erzählung.
Das, was bisher im Umlauf war, reichte einfach nicht aus. Insbesondere ging es Lukas darum, die Sache mit Jesus, den Glauben der Christusleute in der Geschichte zu verankern und im konkreten politischen Geschehen seiner Zeit.
Bei aller Wertschätzung für den Römer Markus und sein epochales ‚Evangelium‘ von vor 20 Jahren: Das war in diesem in vieler Hinsicht einerseits herrlich knappen, andererseits geheimnisvollen Markus-Text nicht deutlich geworden: Was hat die Jesus-Geschichte „für uns heute“ (Dietrich Bonhoeffer 1944) zu bedeuten – und zwar im Zusammenhang von Geschichte, Politik und sozialer Wirklichkeit?
Wie soll man diesen geheimnisvollen ‚Christus‘ des Evangelisten Markus verstehen, von dem ausgerechnet der römische Hauptmann unter dem Kreuz sagt, ausgerechnet dieser Geschundene und qualvoll Gestorbene sei ‚Gottes Sohn‘ ‚gewesen‘? Wie das denn? Was heißt denn das? Das kapiert doch kein normaler Mensch! Und christlicher Glaube – das war dem Historiker Lukas glasklar – hatte nicht nur etwas mit einem frommen Erlebnis zu tun, sondern vor allem mit durchaus vernünftiger ‚Erkenntnis‘
Die Aufgabe war ihm klar, Allein, es ging nicht voran. „Da es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Wortes gewesen sind, habe auch ich's für gut gehalten …“
Ja, was denn nun, du Großmaul? Den Mund zu voll genommen? „Habe auch ich es für gut gehalten …“ Ja, was denn? Von „Anfang an aller erkundet“ … Ja, was heißt denn das?
Wo ist denn der Anfang dieser Geschichte? So ging das tagelang. Kein Vorankommen. Nur Grübelei.
II. Dass es das Lukas-Evangelium und in ihm die Weihnachtsgeschichte überhaupt gibt, verdanken wir im Rahmen dieser Erzählung über den Evangelisten Lukas wohl zweierlei:
Lukas war willens, alles von Anfang an und d. h. ganz NEU zu denken. Er hatte den Mut dazu und ließ den Mut dazu nie ganz sinken.
„ … habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles auf’s NEUE … erkundet habe …“ So lässt sich das „von Anfang an“ eben auch und vielleicht besser als bei Luther übersetzen.
Es ist Neues möglich. Viel stärker gewagt gesagt: Das Neue ist die eigentliche Wirklichkeit. Es können die Verhältnisse unter den Menschen sich zum Guten erneuern. Es kann Versöhnung geben, wo Feindschaft war. Es kann Friede werden, wo Streit, Krieg und Gewalt waren.
Es kann ein Mensch neu anfangen mitten im Leben. Ein Kind, ein Mann, eine Frau, ein alter Mensch, Inländer und Ausländer, Bekannte und Fremde, So- und Anders-Denkende, Religiöse und Nichtreligiöse, Kirchgänger und Nicht-Kirchgänger, Naive und Zyniker, Muntere und müde gekämpfte Leute … es ist möglich; und es ist auch so, dass in ihnen und zwischen ihnen NEUES geschieht.
Lukas war zweitens ein genauer Mensch. Mit ‚Akribie‘ – so lautet unser deutsches Lehnwort für den von Lukas verwendeten griechischen Begriff – ging er an die Sache heran. Ein akribisch arbeitender Historiker und Erzähler liest zunächst einmal genau, was vor ihm schon andere geschrieben haben. Da gab es nicht nur Markus und diverse mündliche und schriftliche Quellen über den Mann aus Nazareth. Vor allem gab es das Erste Testament, die jüdische Bibel, und darin den großen Geschichts-Propheten Jesaja. Der hatte sich in seiner Zeit, fast 800 Jahre vor Lukas, mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigt, die wir versuchsweise einmal so formulieren:
Wie kann es unter den Menschen zu den so ersehnten wie notwendigen Neuanfängen kommen? Stimmt das, dass Gott in der Geschichte handelt? Oder ist das nur ein frommer Traum, genau genommen eine Illusion?
Lukas – das meine ich hinter den ersten Kapiteln im uns bekannten Lukas-Evangelium ausreichend klar zu erkennen – hat Jesaja aufmerksam studiert. Und er schreibt die Geschichte Jesu weiter in dem Augenblick, als ihm Jesajas Botschaft deutlich wurde. Eines Tages begriff er. Da ‚erkannte‘ er den Sinn der alten Worte. Dann schrieb er auf:
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging …“ Auf Befehl des die Welt beherrschenden Potentaten seiner Zeit setzt sich ein Geschehen in Gang, das eines Tages sich als weltumstürzend und welterneuernd erweisen wird. Ironischer, humorvoller und geschickter lässt sich Gottes Geschichte in der Menschengeschichte kaum darstellen. Lukas überblendet seine eigene Zeitgeschichte, genauer: Die Zeit ungefähr 50 Jahre vor seiner eigenen Geburt, mit der Geschichte der Geburt des Gottessohnes in einem Futtertrog.
Lukas schrieb von diesem ‚Anfang‘ an alles der Reihe nach auf. Er komponierte sein Werk frisch und neu, setzte Texte darein, die bisher niemand kannte, entwarf ein Bild von Jesus Christus als der Mitte von Zeit und Geschichte. Er erzählte gleich noch die Geschichte der frühen Kirche hintendran, von Petrus und Paulus, von namhaften Frauen, die halfen, das Evangelium vom Juden Jesus Christus in die heidnische Völkerwelt zu tragen.
III. Einen der entscheidenden Jesaja-Texte, bei denen dem Lukas tausend Lichter aufgegangen sein mussten und wohl auch aufgegangen sind, sollt ihr hören. Ihr könnt ihn euch zu Herzen nehmen und mit dem Kopf verstehen wollen:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth“ (Jesaja 9,1-6).
Ein Text zu groß für ein paar dürre Worte. Für ein paar kleine Versuche, ihn auf unser Leben praktisch ‚anzuwenden‘. Anders herum mag ein Schuh draus werden. Steigen wir ein in die Welt dieses großen Textes und schauen wir, was uns geschieht …
Eine kleine Vorbemerkung dazu, zum Verhältnis von großen Texten und uns Menschen, die wie sie lesen – oder auch nicht: Neulich habe ich mit meinen Religions-Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 8 und 9 Integrierte Gesamtschule Lüneburg den Weihnachtsgottesdienst gefeiert. Es ist bei Kindern und Jugendlichen kaum anders als bei Erwachsenen. Einige sind ganz bei der Sache. Sie haben den Bibeltext studiert oder ihren eigenen Text gut formuliert und ihn laut zu lesen geübt. Sie haben sich auf meine Hilfestellungen eingelassen und ihren Teil mit Konzentration und Hingabe abgeliefert. Andere rappeln ihre zwei Sätze schnell herunter. Sie schämen sich ihres Auftritts. Viele sind dazwischen: Dass Gott in diesem Gottesdienst zu vernehmen sein könnte, wie der Pastor vorab sie eingestimmt hat – das können sie nicht wirklich glauben; aber trotzdem macht man irgendwie gute Miene zum Spiel und liefert was Ordentliches ab.
Lukas wusste, wie Menschen sind. Den Jesaja, dachte er sich, musst du deinen Lesern und Leserinnen verdaulich in einer Geschichte erzählen. Je spannender und bildreicher, desto besser. Die Geschichte des Jesus Christus kannst du ihnen nicht in Form einer akademischen Vorlesung vor den Kopf knallen, mit philosophischen Begriffen gespickt und allerlei schweren Gedanken. Die meisten Leser und Leserinnen werden das Buch gar nicht erst lesen, wenn sie nicht auf den ersten Seiten schon in der spannend erzählten Geschichte ‚drin‘ sind.
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell …“
Da ist ein aufmerksamer Leser sofort ‚drin‘. Es ‚scheint‘ „hell“. Die das jetzt lesen, denen leuchtet das Licht schon. Lukas hat sein Evangelium so geschrieben, als hätte er so gedacht. So kamen die Hirten ins Spiel, die natürlich „des Nachts“ ihre Herden hüten auf den Feldern Bethlehems. Des Nachts, denn nur dann ist für uns vorstellbar, was das wohl bedeutet haben könnte für sie, als da plötzlich dieses ‚große Licht‘ (Jesaja 9,1) war:
„Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (Lukas 2,8 f.).
Die Hirten sind nun durch des Lukas Erzählung die Vertreter des ‚Volkes, das im Finstern‘ wandelt.
Kann sich jede und jeder von euch die eigenen Dunkelheiten hineindenken. Ich mag keine Litaneien erzählen von zerbrochenen Ehen, gestorbenen Lieben, von Aleppo und rechten Aufmärschen überall in Europa, von Klimawandel und Despoten … Das finstere Land … das helle Licht … kann sich jeder seinen Reim drauf machen.
Lukas wusste um die Not nicht nur der Hirten auf dem Felde, sondern von viel, viel Not und Schmerz und Geschrei im Land Israel und in Rom. Er wusste das alles, aber er verwirrte sich nicht in dem heillosen Wirbel endloser und heilloser Klagen. Er erzählte stattdessen und trotzig eine unverschämte Gegen-Geschichte gegen die Weltgeschichte seiner Zeit.
Noch ein Beispiel aus seiner mutmaßlichen Vorlage Jesaja:
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich …“ (Jes 9,5 f.)
Das Kind, das Jesaja in einer Vision sehnsuchtsvoller Zuversicht als den zukünftigen Friedenskönig Israels gesehen hatte, ist für Lukas das Krippenkind, der Heiland. „Uns … geboren“ hieß bei Jesaja: Uns im Hause Juda, in Israel. Für den Evangelisten ist der Jude Jesus das Licht für alle Völker aller Länder der ganzen Welt. Er, Jesus Christus, ist das Licht, der Wunder-Rat, der Gott-Held.
Bei ihm ist „Rat“ in allen wesentlichen Fragen des Lebens und des Sterbens. Stärker als Depression, Verzweiflung, Finsternisse im Herzen und im Geist, leuchtet sein Licht. Dieses Licht erneuert die Vernunft. Es klärt das Denken auf. Auch das Denken der Politiker und Politikerinnen. Auch das der Bürger und Bürgerinnen, Verbraucher und Verbraucherinnen, das Denken aller Berufstätigen und aller Rentner und Rentnerinnen. Der „Wunder-Rat“ ist der Gedanken-Erneuerer. Jesus wird es „Metanoia“ nennen. Luther übersetzte ‚Buße‘. Es heißt aber: Etwas neu denken, eine aufgeklärte Vernunft bekommen, weiter und neu denken, möglichst jeden Tag neu.
Lukas erzählt in seinem Evangelium diverse Geschichten, in denen es um das Umdenken, Weiterdenken, Neudenken und daraus dann: Neu-Handeln geht. Der barmherzige Samariter ist nicht nur mit einem großen Herzen gesegnet. Er ist auch lebensklüger. Der ‚verlorene Sohn‘ hört in sich die Stimme seines Vaters, die Stimme des ‚Wunder-Rates‘, der ihn nach Hause ruft. Das ist klug; denn die tatsächliche Alternative wäre gewesen, bei den Schweinen zu krepieren und vor die Hunde zu gehen.
Jesus Christus ist für Lukas der ‚Gott-Held‘ des Jesaja. Während Jesaja wohl an einen echten König dachte, der nach gewonnenem Krieg die Nachfahren seiner von ihm getöteten Feinde zur Versöhnung einlädt, denkt Lukas an Jesu Kreuz und Auferstehung. Der „Gott-Held“ ist der Sieger über jeden Tod, über den Tod überhaupt. Wer diesem von Gott gesandten Helden, welcher selber Gott ist (Wunder über Wunder …) sich anvertraut, wird hineingenommen in die Geschichte dieses Gottes mitten in der Geschichte. Der Tod hat trotz aller Schrecken nicht das entscheidende Wort. Im Sterben vergibt der lukanische Jesus seinen Feinden. Nach der Auferstehung schickt er seine Zeuginnen und Zeugen in die Welt, den Sieg des Lebens über den Tod in all seinen Formen anzusagen.
Das ist Weihnachten. Heilige Nacht. Das Licht der ganzen biblischen Botschaft Ersten und Neuen Testaments leuchtet in dieser Nacht besonders deutlich. Die Erzählung davon ist offen für uns alle. Wir kommen mit den Hirten zur Krippe mit unseren Geschichten. Das Neue geschieht.
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Ein Wort für die Nacht – Predigt zu Jesaja 51,1-8 von Kathrin Nothacker
Wir wünschen uns ein Wort für die Nacht. Für den Jahreswechsel, der kommt. Für das unbekannte Land, das vor uns liegt. Gottfried Benn hat gedichtet:
Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen, erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen, und alles ballt sich zu ihm hin.
Wir wünschen uns ein Wort für die Nacht. Für den Jahreswechsel, der kommt. Ein Wort, auf das wir uns konzentrieren und besinnen können. Ein Wort, das Trost und Hoffnung gibt für das unbekannte Land, das vor uns liegt. Es ist ein Wort des Propheten Jesaja, ein großes Gedicht, kunstvoll komponiert, das uns für diesen Jahreswechsel 2018/2019 mitgegeben wird. Jesaja 51, 1-8: Hört mir zu, die ihr der Gerechtigkeit nachjagt, die ihr den Herrn sucht: Schaut den Fels an, aus dem ihr gehauen seid, und des Brunnens Schacht, aus dem ihr gegraben seid. Schaut Abraham an, euren Vater, und Sara, von der ihr geboren seid. Denn als einen Einzelnen berief ich ihn, um ihn zu segnen und zu mehren. Ja, der Herr tröstet Zion, er tröstet alle ihre Trümmer und macht ihre Wüste wie Eden und ihr dürres Land wie den Garten des Herrn, dass man Wonne und Freude darin findet, Dank und Lobgesang. Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm. Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen. Hört mir zu, die ihr die Gerechtigkeit kennt, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist! Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen, und entsetzt euch nicht, wenn sie euch verhöhnen! Denn die Motten werden sie fressen wie ein Kleid, und Würmer werden sie fressen wie ein wollenes Tuch. Aber meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich und mein Heil für und für.
„Hört mir zu, schaut her, merkt auf, hebt eure Augen auf“ – die Imperative scheinen gar kein Ende zu nehmen. Schaut weg von euch! Lasst eure schweren Gedanken in dieser einen Stunde heute Abend einmal ruhen. Denkt nicht an euch! Lasst eure eigenen Sorgen nicht wachsen. Sondern schaut einmal auf. Und von euch weg. Da klingt nochmal das Wort aus dem Advent nach: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
Ein Blick auf die Realität
Der Blick von mir weg, ist aber keine Realitätsverweigerung. Die Realität mit ihrer ganzen Vergänglichkeit ist schmerzlich präsent. Da ist von der Wüste und vom dürren Land die Rede. Wenn wir auf dieses Jahr und den extrem heißen Sommer in unseren Breitengraden zurückblicken, dann macht uns das schon Sorge. Die Flüsse haben sich noch immer nicht von der Trockenheit erholt und die Wälder auch nicht, und die Experten weisen darauf hin, dass der Klimawandel auch uns erreicht und dies ganz konkrete Folgen für unser Leben hat. Für das, was auf unseren Feldern in Zukunft wachsen wird und was nicht. Für die Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen und welche nicht. Für unseren Konsum, was wir essen, was wir trinken, womit wir uns kleiden und was uns wärmen wird – und was nicht.
Und wenn in diesem alten Text von den Inseln geredet wird, die auf Gott harren und auf seinen Arm warten, dann stehen mir die Regierungschefs der pazifischen Inselstaaten vor Augen, die auf der Weltklimakonferenz in Kattowitz vor allem die großen Industrienationen so verzweifelt darum gebeten haben, alles dafür zu tun, die Klimaerwärmung aufzuhalten. Denn ihre Inseln werden untergehen, ihr Lebensraum wird einfach im Meer versinken, weil Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel nicht bereit sind, ihren Wohlstand ein wenig einzuschränken und die nötigen Strukturveränderungen schnell in die Wege zu leiten. „Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm“.
„Die Erde wird wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben.“ Alle zehn Minuten stirbt ein Kind im Jemen an Unterernährung. Nach Schätzung von Hilfswerken sind im Jemen zwischen April 2015 und Oktober 2018 85.000 Kleinkinder an Hunger und Krankheit gestorben. Und die Situation spitzt sich weiter zu, wenn es nicht sehr bald eine politische Lösung für den Jemen gibt und die unsäglichen militärischen Stellvertreterkriege ein Ende nehmen.
Sehnsucht nach Gerechtigkeit
Der Blick auf die Realität löst eine große Sehnsucht nach Gerechtigkeit aus. Gerechtigkeit ist der cantus firmus dieses Liedes. Der Kehrvers des Gedichtes. Viermal kommt es vor. Viermal wiederholt. Viermal von Gott gesprochen: „Ihr, die ihr die Gerechtigkeit kennt“. „Aber meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.“ „Meine Gerechtigkeit ist nahe.“ „Meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich“.
Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist groß in dieser Welt. Und auch drängend. Es geht schon in unserer kleinen und nahen Welt so ungerecht zu. Auch in unserem reichen Land, im reichen Europa gibt es immer mehr Superreiche und immer mehr Menschen, vor allem Kinder, die unter der Armutsgrenze leben. Etwas ist aus dem Lot geraten. Die sozialen Unruhen in unserem Nachbarland Frankreich zeugen davon. Gerechtigkeit ist ein Sehnsuchtswort, eins, zu dem sich – um mit Gottfried Benn zu sprechen – „alles in uns hinballt“. Und es ist ein Sehnsuchtswort geblieben, obwohl es in fast allen Parteiprogrammen auftaucht. Vielleicht gerade deshalb. Gerechtigkeit hat in der Bibel immer etwas damit zu tun, dass Recht geschaffen wird, sich das Recht durchsetzt und dass Barmherzigkeit geübt wird. Gerechtigkeit ist nicht zu denken ohne diese Korrespondenz von Recht und Barmherzigkeit. Gerechtigkeit ist auch nicht zu denken, ohne dass Gott und Mensch miteinander wirken. Kleine menschliche Schritte zu mehr Gerechtigkeit und die Hoffnung darauf, dass Gott seine Gerechtigkeit, sein Reich aufrichten wird. „Blinde werden sehen und Lahme gehen und den Armen wird das Evangelium verkündigt.“
„Meine Gerechtigkeit bleibt ewiglich und mein Heil für und für“, sagt Gott. Große Worte. Können wir sie in diese unsere Welt übersetzen? Der Abstand ist so groß zwischen dem, was wir sehen und dem, was wir uns wünschen. Der Abstand ist so groß zwischen dem, was wir erleben und dem, was wir erhoffen. Und Sie und ich, wir tun ja gern unseren Teil im Hinblick auf Recht und Barmherzigkeit. Aber vermögen wir letzten Endes gerecht zu leben? Und denen, die unter großer Ungerechtigkeit leiden, wirklich Gerechtigkeit zu verschaffen. Den Hungernden, den Versklavten, den Leidtragenden, den Kranken, den Verlassenen?
Gott sagt: „Mein Heil bleibt ewiglich und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.“ Das Wort in diese Nacht des Jahreswechsels hinein ist ein großes Wort, ein Gotteswort. Es klingt hinein – wie ein Glockenschlag. Ist Zeichen einer größeren Wirklichkeit, einer noch anderen Dimension. Und vielleicht ist es so, dass wir heute nicht unbedingt zum Handeln aufgefordert werden, nicht zum Nachdenken, wie wir alles besser und gerechter machen können. Sondern vielmehr staunen dürfen, dass es etwas gibt, was größer ist als das, was wir können, vermögen, sehen, leisten. „Meine Gerechtigkeit ist nahe und mein Heil tritt hervor“. Später heißt es: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.“
Wie ein Glockenschlag klingt es in die Nacht. Unser Gott ist größer als das, was wir denken und verstehen und tun und sehen können.
Hilfe ist da
Noch einmal Gottfried Benn, der Dichter und Pfarrersohn:
Ein Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich – und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich.
Nein, nicht „wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und ich.“ Sondern: Heil, Hilfe, Befreiung schafft Gott. Das ist seine ganz konkrete Zusage. Ich will euch helfen, Licht in die Nacht zu bringen, ich will euch aus dem Dunkel befreien, ich will den leeren Raum in und um euch füllen. Immer wieder. Wenn der Tod seine Schatten wirft, weil die Diagnose der Ärzte schlecht ist. Wenn Beziehungen zerbrochen sind oder am Zerbrechen sind und die Zukunft wie dunkle Nacht ist. Wenn die Verletzungen in der Familie, zugefügte und erlittene, großen Raum einnehmen. Wenn die berufliche Zukunft unklar ist und die Sorgen um die Existenz das Denken blockieren. „Meine Hilfe ist nahe“, sagt Gott. „Mein Heil ist nahe.“ Das hebräische Wort dafür heißt: Jeshua.
Mit Gottes Hilfe
Ich erinnere mich an eine sehr fromme alte Tante. Sie hat viele Sätze abgeschlossen: Mit Gottes Hilfe. Mit Gottes Hilfe werden wir uns wiedersehen. Mit Gottes Hilfe werden wir das Haus bauen können. Mit Gottes Hilfe schlafen wir ein und wachen morgen früh wieder auf. Mit Gottes Hilfe wirst Du Deine Prüfung schaffen und einen Beruf finden. Mit Gottes Hilfe kommen wir vom alten Jahr hinüber ins neue.
Ich habe diesen Ausspruch früher immer etwas belächelt. Und er erschien mir als junger Mensch auch irgendwie zu fromm. Heute hat er für mich nichts Formelhaftes mehr. Es ist ja so, dass so viele Dinge, die wir uns vornehmen oder die auf uns zukommen und bewältigt werden müssen, die wir vielleicht noch gar nicht kennen, zu groß und zu schwer für uns sind. Auch die Angst und die Sorge um das Morgen. Es ist gut, dass ich sagen kann: Mit Gottes Hilfe. Da ist eine große und starke Macht, die hilft.
„Meine Hilfe ist nahe“. Jeshua. Jesus.
Jeshua
Von Sophie Scholl wird erzählt: Als sie sich kurz vor ihrer Hinrichtung von ihrer Mutter im Gefängnis verabschiedete, brachte die Mutter kein Wort über die Lippen. Nur das: „Gelt Sophie, Jesus.“ Und Sophie antwortete nur das eine: „Ja, aber du auch, Mutter.“
Gehen wir mit dem Kind in der Krippe, dessen Ankunft uns vor wenigen Tagen froh gemacht hat, getrost vom alten Jahr ins neue. Gehen wir mit Jesus über die Schwelle des Jahres. Getrost, voller Hoffnung, dass es ein Jahr des Herrn werden wird, ein anno domini. Getröstet, dass Gottes Hilfe und Heil ewig bleiben und seine Gerechtigkeit nicht zerbrechen wird. Amen.
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Auf leisen Tönen - Predigt zu Jesaja 9, 1-6 von Claudia Bruweleit
Liebe Gemeinde,
als ich einer Bekannten erzählte, dass ich Heiligabend Gottesdienst feiern und predigen dürfe, fragte sie mich mit leuchtenden Augen: Und, haben Sie schöne Musik dabei? Ja, sagte ich, Trompete und Orgel! O wie schön, Trompete, das klingt immer so festlich, nickte sie zufrieden. Sie selbst werde im Chor singen am Heiligabend, in ihrer Gemeinde. Und wir waren uns einig: Wir wollten gern viele schöne Weihnachtslieder singen und zu Weihnachten gehört festliche Musik. Weihnachten klingt froh und jubelnd, wie die Geburt eines Königs angekündigt wird.
Aber es mischen sich auch dunkle Töne in diesen Glanz des Festtages. Die alte Verheißung des Propheten Jesaja erzählt davon, warum die Israeliten, das Volk Gottes von Anbeginn an, von dem die Bibel in ihrem hebräischen Teil, dem Alten Testament, erzählt, warum dieses Gottesvolk sich freuen darf. Seine Unterdrückung durch den fremden Herrscher hat ein Ende. Und jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Im Gedröhn der Stiefel klingen die Schrecken des Krieges nach. Die Soldaten des Neuassyrischen Herrschers hatten Israel erobert und es durch Tributforderungen wirtschaftlich ausgebeutet, gut siebenhundert Jahre vor der Geburt Christi. Jahrzehntelang lebten die Israeliten in Trauer und Unterdrückung.
Auch heute kennen wir viele Orte, an denen Gedröhn der Bombeneinschläge Angst und Schrecken verbreitet, so dass Menschen mit ihren Familien davor fliehen, aus Aleppo, aus dem Nordirak, in den Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern im Westjordanland und in Ostjerusalem, das Leid an den vielen Kriegsorten unserer Erde. Die Sehnsucht nach Frieden ist heute so lebendig wie damals, als Jesaja eine friedliche Zukunft herbeisehnte. Aber über die Art und Weise, wie Frieden sein soll, wurde und wird gestritten. Die Machtverhältnisse führen zu immer neuen Spannungen, auch in Deutschland, wenn es darum geht, wer die Deutungshoheit über die Situation in Deutschlands hat. Auch in diesem Jahr 2018 dröhnten Stiefel aufgebrachter rechter Demonstranten und ihre Gesänge durch unsere Städte und verbreiteten Angst und Schrecken.
Wie anders klingt dagegen die Botschaft vom Friedensfürsten des Jesaja, damals wie heute. Fast zu schön, um wahr zu sein: Die Zeichen der Unterdrückung und des Krieges werden verbrannt, sie gehen in hellen Flammen auf, denn es bricht eine neue Zeit an. Der alte Prophet sieht es kommen. Friede wird sein, nicht nur Waffenstillstand, sondern radikales Umdenken. Die Menschen werden Gott erkennen und von Gott her Frieden denken und Frieden umsetzen: Mit einem Herrscher, dessen Zukunft gerade aufscheint: 5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Als Wunder-Rat kommt er auf überraschend andere, versöhnliche Gedanken. Als Gott-Held erinnert er daran, dass Gott die Welt lenkt und auch einen Machthaber zum Guten führen kann. Als Ewig-Vater rückt er in der Beziehung zwischen Gott und den Menschen die Liebe in den Blick. Ja, Gott ist ein fürsorgender Vater. Das alles hatten die Israeliten lange vergessen. Und hier wandelt sich die dunkle Melodie der Jesaja -Verheißung und klingt in jubelnden und dennoch zarten Tönen: Gott wird Israel diesen neuen Herrscher auf dem Thron des berühmten Königs David geben. Ganz anders als erwartet, zart und verletzlich ist er selbst, ganz nahbar ist der starke, mächtige Gott.
Und die Weihnachtsgeschichte, im Neuen Testament verbindet das alte Verheißungswort mit der Geburt Jesu. Der lange verheißene Messias, der Retter, ist jetzt da. Den Hirten im Dunkel der Nacht gehen die Augen auf: Engel singen und musizieren und loben Gott und eine Stimme sagt: Siehe, ich verkünde euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, aus der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Dunkle und helle Töne mischen sich jetzt zu einer Melodie von Weihnachten. Das Staunen schwingt darin und der Schmerz und auch die Freude an der Erfüllung, auch wenn noch lange nicht alles gut und heil ist, aber zwischen Gott und uns Menschen ist alles gut. Gott steht nicht nur auf unserer Seite, Gott wird wie wir, verletzbar, Mensch.
Und da kommen wir ins Spiel, wir Menschen hier am Heiligabend im Jahr 2018. Wir mit allen unseren Sehnsüchten und Freuden, die wir heute mitgebracht haben. Wir hören die Botschaft und spüren, dass diese Musik uns ganz tief innen berührt. Weil sie an etwas Altes rührt, an eine Verbindung zwischen Gott und Mensch, die sonst nicht so deutlich spürbar ist, aber jetzt, in der Weihnachtsmusik. Auch das geschieht seit uralten Zeiten, dass Menschen ihre Freude und ihren Schmerz, ihre Sehnsucht und ihr Glück in Musik fassen. Zum Staunen schön fand ich es, als ich eine Flöte sah, die das älteste bekannte Musikinstrument der Welt ist. Vierzigtausend Jahre ist sie alt und ist aus einem Mammutelfenbein geschnitzt. Mit mehreren Löchern mit Griffmulden für die Finger darin. Die Menschen, die auf ihr musiziert haben, lebten in Höhlen. Wir wissen, dass sie Jäger und Sammler waren und ihr Überleben auf mühsame Weise sicherten. Was wir nicht wussten und mit diesem Instrument erahnen, ist, dass auch sie schon Musik kannten. Man hat die Flöte nachgebaut und festgestellt, dass man viele verschiedene Töne und besonders die emotional so berührenden Obertöne damit erzeugen kann. Und so ahnen wir: In ihren Höhlen erklangen die Töne und Obertöne dieses Instrumentes und auch die ihrer Stimmen, denn wer eine Flöte zum Klingen bringt, der empfindet die Melodie zuerst in sich selbst, er singt sie mit seinem Instrument. Dieses Instrument wird in der Ausstellung „Bewegte Zeiten“ im Gropiusbau in Berlin gezeigt, gefunden wurde es in einer Höhle in der Schwäbischen Alb1.
Wenn ich heute die Trompetenklänge höre, dann denke ich auch an die Menschen, die auf dieser Flöte gespielt haben. Vielleicht fühlten sich diese Menschen auch verbunden mit einer göttlichen Kraft. Musik rührt an etwas Himmlisches und an unser Inneres. Denn Musik berührt die tiefen, unbewussten Seiten in uns. Unsere Erinnerungen aus der Kindheit. Unsere Gefühle, die wir nicht jedem zeigen und manchmal selbst vergessen haben. All das gehört zu uns, weil wir Menschen sind. Die Musik in uns kann sie wecken und uns auf geheimnisvolle Weise ins Bewusstsein führen, dass es gut ist, so wie es ist. Denn nicht nur wir, sondern alle Menschen haben teil an den großen und kleinen Sehnsüchte und Freuden. Und nicht nur alle Menschen, sondern auch Gott. Denn dieses Kind Jesus Christus verbindet uns Menschen mit Gott, der seit Urzeiten für uns Menschen da sein will und in diesem Gottessohn einen Weg gefunden hat, dass wir ihn erkennen. Er ist der, der uns schon immer liebt und uns näher ist als wir uns selbst. Und so dürfen wir heute in den Weihnachtsliedern, die wir gemeinsam singen, alles hineinlegen, was uns bewegt und uns von ihnen einstimmen lassen in die Weihnachtsfreude.
Und diejenigen unter uns, denen nicht nach Jubeln zumute ist, die voller Sehnsucht heute in diesen Gottesdienst gekommen sind, die mögen sich an die dunklen Töne halten und an die Worte des Jesaja, der genau darum weiß, was alles kaputt und krank ist in unserer Welt. Die Klage und die Sehnsucht haben auch einen Ort in Weihnachten. Noch sind wir nicht an das Ziel gekommen. Viel zu viel Unfriede ist in der Welt und in uns selbst. Aber es gibt unüberhörbar die Stimme des Jubels und die leisen, friedlichen Töne und es ist gut, ihnen zu lauschen und sie vorsichtig oder auch mit Schwung für sich selbst auszuprobieren. Jehudi Menuhin, der große jüdische Geiger, hat einmal gesagt: „Wenn einer aus seiner Seele singt, heilt er zugleich seine innere Welt. Wenn alle aus ihrer Seele singen und eins sind in der Musik, heilen sie zugleich auch die äußere Welt.“2
Und ich wünsche Ihnen und uns, dass wir aus die Freude über das Gottesgeschenk mitnehmen und Hoffnung schöpfen, dass nicht alles so bleibt wie es ist, sondern dass Gott auch unser Leben heilt und mit Freude erfüllt und dass er uns zutraut, dass auch durch uns Friede werde.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
1 I Abbildung in: Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland. Begleitband zur Ausstellung, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2018, 343
2 I Jehudi Menuhin, in: Wirken aus Stille. Loccumer Brevier 2 Texte zu den Seligpreisungen. Hg: Loccumer Arbeitskreis für Meditation e.V. Evangelische Akademie Loccum,31547 Rehburg-Loccum, , Hannover 2013, 232f.
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Gott kommt in die dunklen Ecken – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Stephanie Höhner
Die Welt liegt im Finstern. Für diese Woche reicht die Brot- und Bohnenration nicht mehr. Der kleine Lohn reicht nicht für neues Saatgut. Die Pacht ist erhöht worden. Das nächste Kind droht zu verhungern. Neue Steuern an den Staat. Den Reichen im Land wachsen dickere Bäuche, die Pachteinnahmen steigen, die Zinsen haben sie auch heraufgesetzt. Von Norden drohen die Nachbarstaaten mit neuen Angriffen. Ein falsches Wort und der Krieg ist zum Greifen nah. Die Welt liegt im Finstern. Der Prophet Jesaja sieht sein Volk, das im Dunkeln lebt. Er sieht, wie Menschen um ihr Leben kämpfen, um ein Leben in Würde. Er sieht, dass Kinder ohne Hoffnung aufwachsen. Dass Mütter und Väter ihren Glauben an eine Zukunft verloren haben.
Diesem Volk und dieser Welt sagt er:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihrer Treiber zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist heute ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches tut der Eifer des Herrn Zebaoth.
Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.
Sie nimmt die blaue Glaskugel mit den weißen Schneeflocken aus der Schachtel. Karin überlegt kurz und hängt sie auf die rechte Seite im Baum. Daneben hängen Anhänger aus kleinen Astscheiben und grau-rote Herzen aus Filz. Die blaue Kugel sticht heraus. Sie wirkt irgendwie fehl am Platz, aber Karin hängt sie trotzdem in den Baum. Jedes Jahr – es ist ihr Ritual. Die blaue Glaskugel hat ihr Vater ihr geschenkt, ein Mitbringsel aus Rothenburg.
Es ist das dritte Jahr, dass Karin und ihre Mutter alleine unter dem Baum sitzen werden. Die Gans, die es früher immer gab, ist für beide viel zu viel. Jetzt gibt es Lachs. Den mochte der Vater nicht gerne.
Weihnachten tut es immer besonders weh. Der Vater hat jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte vorgelesen, auch als Karin schon längst erwachsen war. Er bestand darauf, dass gesungen wird, „Ihr Kinderlein kommet“ und „Stille Nacht“.
Heute bleibt es still unter´ m Tannenbaum. Und es liegt über all dem eine tiefe Traurigkeit. Weihnachten muss halt gefeiert werden. Karin hat das Gefühl, das Fest einfach abzuarbeiten. Für ihre Mutter und für die Tradition. Wie traurig wäre es, wenn sie Weihnachten einfach alles normal machen würde. Kein Baum, kein Lachs, kein „Stille Nacht“. Das wohlige Weihnachtsgefühl von früher kommt einfach nicht auf. Nicht einmal ein bisschen Feststimmung, trotz Kerzen und grau-roten Herzen aus Filz. Die blaue Kugel im Baum – Karins Ritual. Sie ist es ihrem Vater schuldig, wenigstens ein bisschen seiner Weihnachtstradition zu behalten. Wenn es schon in ihr drinnen dunkel und trist ist, dann soll wenigstens außen alles stimmen.
Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Susanne deckt den Tisch auch dieses Jahr wieder für vier. Wie jedes Jahr. Und doch dieses Jahr mit einem neuen Gefühl.
Letztes Jahr Weihnachten war furchtbar für sie. Sie hatte schon seit Monaten immer wieder Streit mit Max wegen jeder Kleinigkeit und auch wegen großer Themen. Bei welchen Eltern zuerst gefeiert wird. Wer die Tochter vom Hockey abholt und den Sohn zum Klavierunterricht bringt. Wer Samstagabend ausgehen darf und wer bei den Kindern bleiben muss. Überhaupt, immer ging es nur noch um die Kinder. Und dann ihre Beförderung. Sie bleibt länger im Büro, er muss auch mal früher Schluss machen und einkaufen gehen. Abends empfängt sie ein murriger Ehemann. So oft hat sie sich im letzten Jahr gefragt, wo eigentlich der Mann ist, in den sie sich verliebt hat. Wo die Liebe hin ist und ob jetzt alles nur noch für die Kinder gemacht wird. Sie fühlt sich gefangen in dem Haus, in dem Leben. Sie funktioniert nur noch, alles fühlt sich eng und dunkel an.
Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihrer Treiber zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn daher geht und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Donnernd ein Schritt nach dem anderen. Alle im Gleichschritt. Die Patrouille dreht wieder ihre Runde. Jeden Abend um sechs. Morgens um acht kommen sie wieder. Donnernde Schritte in der Dunkelheit. Sonst ist kein Geräusch auf den Straßen. Ahmed und Nour sitzen auf grünbunten Kissen am Boden, neben sich ein Glas Tee. Im Hintergrund läuft der Fernseher. Als das Stiefeldonnern näher kommt, stellt Ahmed den Fernseher aus, damit kein blaues Licht nach draußen fällt. Die Patrouille geht unten auf der Straße vorbei. Für ein paar Sekunden hält Nour den Atem an, Ahmed gießt sich gelassen Tee nach.
Draußen drückt die Dunkelheit der Nacht in die Stadt. Drinnen drückt die Dunkelheit der Angst auf Nour und Ahmed.
Die Welt liegt im Finstern. Das war auch letztes Jahr schon so. Immer noch verschluckt das dunkle Meer tausende von Menschen. Immer noch donnern Kriegsstiefel durch Gassen und Straßen. Auch heute, an Heilig Abend. Die Welt liegt im Finstern. Die Welt ist finster für Susanne, die um ihre Ehe bangt. Die sich in ihrem Leben eingesperrt fühlt und die sich nach Liebe sehnt. Die Welt ist finster für Karin. Sie trauert um ihren Vater, um das Gefühl von Geborgenheit, als sie noch Kind war. Sie fühlt sich allein, auch wenn sie Mutter und Freunde hat. Die Welt ist finster für Nour und Ahmed, die Angst haben, dass die Milizen sie ausrauben, entführen, töten, weil sie ihren Glauben anders leben als die Milizen es vorgeben.
In all der Finsternis sehne ich mich nach Licht. Ich schaue auf mein Leben. Es scheint erst einmal hell. Aber auch da gibt es dunkle Ecken und finstere Winkel. Manche liegen weit entfernt, manche sind direkt nebenan. In den dunklen Ecken wohnt die Angst, der Abschied, der Abschied für immer, der Unfall, die Selbstzweifel, der Streit – bis heute unversöhnt, die Einsamkeit. Manchmal fällt in eine dieser Ecken Licht. Ein feiner Strahl, kaum zu erkennen. Und ganz ab und zu ein heller Schein, der größer wird, um sich greift und nur noch ein kleines bisschen der Ecke dunkel lässt. Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Ich sehne mich nach Licht, das aufscheint in der Welt, die im Finstern liegt. Nach einem lieben Wort, das mir nach langem Schweigen über die Lippen kommt. Den Menschen loszulassen, den man liebt und ihn trotzdem festhält in der Erinnerung. Nach Momenten der Freude, auch wenn man für immer Abschied nehmen musste. Nach einem Leben in Sicherheit, ohne das Dröhnen der Kriegsstiefel und dem Bombenbeben, ohne Angst um das eigene Leben und das der Frau.
Nach knusprigem Brot und saftigen Orangen. Nach Frieden und Versöhnung. Nach einem dicken Buch, das an zwei Tagen unter´m Weihnachtsbaum ausgelesen ist und nach ausgelassenem Feiern.
Ich sehe in die Welt, die im Finstern liegt. Und ich höre die alten Worte: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Denn uns ist heute ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er´s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches tut der Eifer des Herrn Zebaoth.
Ein Kind, klein und hilflos, trägt etwas großes: Die Hoffnung auf das Licht. Darauf, dass es anders wird. Dass sich etwas ändert im Leben. Ein Kind – Wunder-Rat Dass ein Wunder geschieht. Er sieht sie an und sagt: So geht es nicht weiter. Wir müssen etwas ändern. Susanne und Max haben sich zusammen einen Tanzkurs geschenkt. Jeden Mittwoch lernen sie jetzt gemeinsam Salsa tanzen.
Ein Kind –Ewig-Vater
Dass der Vater ewig bleibt in der Erinnerung und das Leben hier auch schön ist. Der Lachs ist aufgegessen, die Mutter bleibt noch zum Kaffee. Karin stellt den CD-Player an, es erklingen die alten Lieder. Es ist anders als das Singen mit dem Vater. Die Melodien füllen den Raum und in Karin macht sich ein Gefühl von Wärme breit. Nur für einen Augenblick. Aber es war da, ein Gefühl von Leben und Geborgenheit.
Ein Kind – Gott-Held
Dass ein Held kommt. Der Bruder ruft aus Greifswald an. Er hat es geschafft. Endlich hat er den Bescheid, dass er bleiben darf. Er soll Nour und Ahmed nachholen. Sie sehen ein großes Licht. Sie setzen alle Hoffnung auf ihn. Vielleicht sitzen sie schon in ein paar Monaten in einem Flugzeug Richtung Berlin, vielleicht auch auf einem Schlauchboot im Mittelmeer. Das Licht scheint in der Finsternis, doch manche Ecken werden immer dunkel bleiben.
Noch sitzen sie in ihrer Wohnung und hören das Stiefeldonnern der Patrouille.
Noch liegt die Welt im Finstern. Doch durch kleine Ritzen erahne ich es und hoffe weiter drauf:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
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Lebenskinder - Königskinder – Hoffnungskinder – Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Georg Freuling
Wir feiern heute ein Kind: das Kind von Bethlehem. Ich habe immer wieder den Eindruck: Das bestimmt die Art und Weise, wie wir feiern. Weihnachten weckt in uns die Sehnsucht nach einer heilen Welt, den Wunsch, dass alles gut wird. Unausgesprochen sehnen sich viele zurück in die Unbeschwertheit ihrer Kindheit. Ob es die immer so gab...?
Ja – wir feiern heute ein Kind. Aber Weihnachten ist mehr als der größte Kindergeburtstag des Jahres. Weihnachten soll uns mehr geben, als dass es Wünsche und Sehnsüchte in uns wach hält.
In der Weihnachtsgeschichte sagen die Engel: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Und damit das kein Kinderkram bleibt, hören wir heute eine alte Weissagung aus dem Buch des Propheten Jesaja. „Uns ist ein Kind geboren“ heißt es da. Dieses Kind soll uns heute zeigen, was es mit dem Kind von Bethlehem auf sich hat und mit uns – Menschenkindern. Ich lese Jesaja 9,1-6:
1) Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 2) Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. 3) Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. 4) Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. 5) Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; 6) auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
„Uns ist ein Kind geboren“ sagt der Prophet Jesaja. Mehr als 700 Jahre vor der Nacht von Bethlehem. Jede und jeder hat es wahrscheinlich gerade herausgehört: Hier geht es um ein besonderes Kind.
Die Menschen, zu denen der Prophet spricht, waren besorgt und verängstigt - „ein Volk im Dunkeln.“ Die Welt ringsum war finster und bedrohlich. Die Soldaten Assurs versetzten den Orient in Angst und Schrecken. Trampelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte – grausam und brutal. Im Norden sahen die Menschen in Jerusalem, was ihnen blühte. Zukunft sahen sie nicht – für sich und ihre Kinder.
In diese Welt hinein spricht der Prophet von dem Kind, das alles ändert: „Uns ist ein Kind geboren.“
Was hat es mit diesem Kind auf sich? Und mit dem Kind von Bethlehem? Und – was hat das mit uns zu tun?
Es gibt etwas, was uns mit diesen Kindern verbindet: Am Anfang sind wir alle ein schreiendes,
blutverschmiertes Bündel Mensch. So kommen wir zur Welt. Am Anfang müssen wir raus aus dem Bauch der Mutter. Das ist mit Schmerzen verbunden. Das ist gefährlich. Danach sind Mutter und Kind fertig. Väter oft auch… Und dann zeigt uns dieses kleine Bündel Mensch, wie kostbar und zugleich verletzlich unser Leben ist. Das rührt uns an, macht uns glücklich.
Die meisten Kinder schreien direkt nach der Geburt. Früher hielt man diesen Schrei für lebenswichtig. Mit diesem Schrei, so dachte man lange, fangen die Lungen an zu arbeiten. Ab da atmet das Menschenkind. Heute hilft man nicht nach. Trotzdem schreien die meisten Kinder früher oder später: nach Milch, nach Zuwendung, nach Liebe, nach Leben. Und ich glaube: Das steckt in uns drin – auch, wenn dieser erste Schrei schon längst verstummt ist. Bis zum letzten Atemzug: Du bist ein Lebenskind.
Da kann die Welt noch so dunkel sein. Jedes neugeborene Kind zeigt uns, wie widerspenstig das Leben ist. Dann geht die Sonne auf…
Deshalb erzählt Jesaja seinen Leuten von diesem Kind. Da mögen die Stiefel im Gleichschritt marschieren und die Menschen zittern: Dieses Kind schreit dagegen an mit seinem Lebenshunger.
Ist es nicht merkwürdig, dass sich das Leben in dieser Welt immer wieder behauptet, dass es triumphiert, obwohl es so verletzlich ist? Obwohl es so schnell unter die Räder gerät. Immer wieder...
An das Kind von Bethlehem hat der Prophet nicht gedacht. Warum sollte er seine Leute 700 Jahre vertrösten? Trotzdem ist es auch dort im Stall dasselbe: ein kleines, schreiendes Bündel Mensch. So wie immer, wenn ein Kind zur Welt kommt. Und doch anders: „Menschwerdung“ sagen wir. Gott wird Mensch, ein Lebenskind – wie Du und ich. Weil Gott das Leben will, weil er es liebt, taucht er selbst hinein. Er tritt an unsere Seite, um dem Leben den Rücken zu stärken.
Damals bei Jesaja, damals in Bethlehem, heute - es gibt noch etwas, was uns mit diesen Kindern verbindet: Ein Kind bekommt einen Namen. Bei uns heute steht der mit der Geburt schon fest. Oft haben die Eltern lange darüber nachgedacht. Bei Taufgesprächen reden wir oft darüber. Der Name wird ausgesucht, weil er schön klingt, weil er eine besondere Bedeutung hat oder andere aus der Familie auch schon so hießen. 2018 sind die beliebtesten Vornamen Emma und Ben.
Bei dem einen Namen bleibt es dann aber nicht; Eltern werden erfinderisch: Hase, Maus, Spatz… Ich nehme an: Bei den meisten Eltern ist das so. Psychologen sagen, dass dadurch Zuwendung zum Ausdruck kommt.
Klar: Das kann Kindern auch zu Kopf steigen. In Köln habe ich neulich eine pinke Karte gesehen –
mit einer Krone drauf und dem Spruch: „Egal, was Papa sagt: Du bist keine Prinzessin.“ Und Eltern sollten auf jeden Fall aufhören, wenn es für die Kinder peinlich wird. Ich nehme an, dass kein 13jähriger sich freut, wenn er von seiner Mutter vor der Schule mit „Hallo, Mausebacke“ begrüßt wird.
Trotzdem sind diese Kosenamen wichtig und sagen etwas aus: Für Eltern sind ihre Kinder unendlich wichtig und wertvoll. Ausnahmen bestätigen – leider – die Regel. Und für Kinder ist das Wissen wichtig: Hier stehe ich an erster Stelle. Hier bin ich das Königskind.
Von einem richtigen Königskind spricht Jesaja. Am Königshof in Jerusalem wird ein Prinz geboren, der später auf dem Thron Davids regieren wird. Dieses Königskind bekommt gleich mehrere Namen: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Das sind keine gewöhnliche Namen! Wahrscheinlich sind es sogenannte Thronnamen, die es auch bei den Ägyptern gab. Diese Namen zeigen: Dieser König ist Gott besonders nah und besonders begabt.
Auch das Kind von Bethlehem bekommt einen Namen: Jesus – Jehoshua – Gott hilft. Und es trägt noch andere Namen: Christus – Messias – der Gesalbte Gottes. Immanuel – Gott ist mit uns. Nicht nur seine Namen, seine ganze Geschichte erzählt, wer Gott für uns ist: Gott ist der Liebende, für den jedes Menschenkind an erster Stelle steht: ein Königskind.
Damals bei Jesaja, damals in Bethlehem, heute - es gibt noch etwas, was uns mit diesen Kindern verbindet: Wir sind in diesem Leben nicht immer auf Rosen gebettet, aber trotzdem sind wir Hoffnungskinder. Wenn ein Kind geboren wird, fragen sich Eltern schon mal: „Kind, in was für eine Welt haben wir Dich hineingesetzt?“ Und manche Erwachsene sind der Überzeugung, dass man diese Welt keinem Kind zumuten kann. Was haben wir Menschen aus dieser Welt gemacht?! Wir haben ihr unseren Stempel aufgedrückt, machen Wälder zur Wüste, und unser Müll schwimmt in den Ozeanen. Wie lange erträgt diese Erde uns noch? Friedenskinder sind wir auch nicht! Überall Hass und Gewalt, Unvernunft und Dummheit, dass es zum Himmel schreit. Und dazwischen unsere Kinder...
Trotzdem bringen Kinder Hoffnung in diese Welt. Sie öffnen uns Erwachsenen die Augen für das, was wir zu sehen verlernt haben - den Vogel am Himmel, den Marienkäfer auf dem Blatt, das Gänseblümchen am Wegrand. Sie protestieren gegen die kleinste Ungerechtigkeit, wo wir schon resigniert haben. Und sie erinnern uns daran, dass auch wir uns diese Welt ganz anders wünschen, machen uns zu Hoffnungskindern.
Große Hoffnungen setzt Jesaja auf das Kind, das am Königshof in Jerusalem geboren wird. Da kommt einer, der für Frieden und Gerechtigkeit sorgt. Da kommt einer, der zeigt: Gott hat uns nicht vergessen. Er hält das Versprechen, das er David gegeben hat. Er ist treu.
Und das Kind von Bethlehem? Auf Rosen gebettet ist es nicht - nicht im Himmelbett mit Samt und Seide, sondern im Futtertrog auf Stroh. Ein König, der nicht hoch zu Roß daher kommt, sondern auf einem Eselchen. Er hat einen harten Weg vor sich - der gekreuzigte Freund der Sünder.
Trotzdem hat er dieser Welt etwas entgegenzusetzen: Da kommt Gott nicht mit Macht, räumt nicht ein für alle mal auf. Kein Machtwort – sondern Liebe. Und die Idee von einer anderen Welt, in der nicht das Recht des Stärkeren zählt, in der die Gerechtigkeit nicht niedergetrampelt wird. Mit diesem Kind kommt unsere Hoffnung zur Welt, eine Hoffnung, die nicht tot zu kriegen ist. Da können die Mächtigen dieser Erde twittern und toben, wie sie wollen. Wir sind und bleiben Hoffnungskinder!
Deshalb feiern wir heute: Gott hat uns beschenkt; Lebenskinder – das sind wir. Gott liebt uns; Königskinder – das sind wir. Gott gibt uns uns diese Welt nicht auf; Hoffnungskinder – das sind wir! Amen.
Gebet
Gott, wir sehnen uns nach Deiner Nähe.
Wir schauen aus nach dem,
der zu uns kommt.
IHN versprichst Du uns,
den Wunder-Rat, Gott-Held,
Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Deshalb bitten wir:
Komm, Wunder-Rat,
komm in unsere Welt,
rate allen die das Sagen haben
in Regierungen, Parlamenten und Palästen.
Bewege sie zu Besonnenheit und Menschlichkeit.
Komm, Gott-Held,
komm in unsere Welt,
und mach unsere Helden klein,
damit sie nicht überheblich werden
und Not und Elend über die Menschen bringen.
Komm, Ewig-Vater,
komm in unsere Welt
und mach uns zu Deinen Kindern.
Mach uns reich durch Deine Fürsorge,
damit unsere Herzen weit werden.
Komm Friede-Fürst,
komm in diese zerrissene Welt,
die sich so sehr nach Frieden sehnt.
Lass die Hassparolen verstummen,
entwaffne Hände und Herzen durch Deine Liebe.
Amen.
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Morgenröte - Predigt zu Jesaja 35, 3-10 von Norbert Stahl
Liebe Gemeinde,
eine liebe Kollegin hat zum diesjährigen Advent ein Gedicht rundgemailt, das mich anspricht:
Advent vielleicht
Dass wäre schön
auf etwas hoffen können
was das Leben lichter macht
und leichter das Herz
das gebrochene ängstliche
und dann den Mut haben
die Türen weit aufzumachen
und die Ohren und die Augen und auch den Mund
nicht länger verschließen
das wäre schön…
…das wäre schön
wenn am Horizont Schiffe auftauchten
eins nach dem anderen
beladen mit Hoffnungsbrot
bis an den Rand
das mehr wird immer mehr durch teilen
das wäre schön…
... das wäre schön
wenn Gott nicht aufhörte zu träumen in uns
vom vollen Leben einer Zukunft für alle
und wenn dann der Himmel aufreißen würde
ganz plötzlich
neue Wege sich auftun
hinter dem Horizont
das wäre schön
(Carola Moosbach)
Das wäre schön…
Ja, liebe Gemeinde, das wäre schön, wenn plötzlich der Himmel aufrisse über Syrien, über dem Jemen, über dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA. Wenn plötzlich der Himmel aufrisse und neue Wege sich auftäten, hinter dem Horizont. Hinter dem Horizont, der in Mexiko am sechs Meter hohen Zaun endet, in Syrien hinter der Frontlinie und im Jemen an der nächsten Straßenkreuzung, die die Scharfschützen im Visier haben.
Das wäre schön, wenn der Himmel aufrisse über der Sprachlosigkeit in vielen Familien. Das wäre schön, wenn angesichts eine schwierigen Diagnose im Krankenhaus Wolken der Ratlosigkeit aufreißen würden. Das wäre schön, wenn plötzlich Licht hineinfiele ins Dunkel der Trauer. Wenn sich in finanziellen Sorgen plötzlich neue Wege auftäten und der Horizont weit würde – das wäre schön.
Israel in Gefangenschaft
Am heutigen zweiten Advent hören wir einen Predigttext aus ferner Zeit. Im Jahr 597 v. Chr. hört Israel als Staat auf zu existieren. Die Babylonier sind die alles beherrschende Großmacht. Ein ums andere Volk unterwerfen sie. Auch Israel. Jerusalem und der Tempel liegen in Trümmern. Weite Teile der Bevölkerung sind weggeführt ins Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (das Gebiet des heutigen Irak). Die Israeliten sind sehr traurig und haben Heimweh. Sie sind abgeschnitten von allem, was ihnen lieb und teuer ist. Ob sie jemals zurückkehren, ist ungewiss. Und wenn ja: Was werden sie vorfinden? Die Lage erscheint hoffnungslos. – Da erhebt mitten unter den Israeliten einer seine Stimme. Jesaja heißt er. Er hat eine Verheißung für sein Volk:
Predigttext Jes 35, 3-10
Jesaja liefert Hoffnungsbrot
Gewaltige Worte! Jesaja liefert Hoffnungsbrot. Es ist, als reiße er den Himmel auf. Wie kann einer so reden? Jesaja traut sich das, weil er neben dem, was vor Augen ist, noch eine andere Dimension kennt: Die göttliche. „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! … Er kommt und wird euch helfen.“ Also weil Gott handelt, gibt es Zukunft. Er ist gewissermaßen selbst das Mehl des Hoffnungsbrotes.
Ob jemand Jesaja geglaubt hat? Ob jemand gekostet hat von seinem Hoffnungsbrot? Ob bei jemandem das Leben lichter, das Herz leichter wurde? Es ist nicht zu leicht zu hoffen, wenn alles dagegen spricht. Wenn eine niederschmetternde Diagnose im Raum steht; wenn man sich auseinandergelebt hat; wenn die Zäune so hoch sind; wenn das Überqueren einer Straße tödlich enden kann. Es ist nicht leicht zu hoffen, wenn alles dagegen spricht. Niemand garantiert mir, dass das Erhoffte auch eintritt. Deshalb schreibt Fulbert Steffensky über die Hoffnung:
Hoffnung – eine untreue Buchhalterin
„Die Hoffnung … ist eine wundervolle untreue Buchhalterin, die die Bilanzen fälscht und einen guten Ausgang des Lebens behauptet, wo dieser noch nicht zu abzusehen ist. … Hoffnung ist der Glaube, der den Tag schon in der Morgenröte sieht.“*
Steffensky beschreibt hier die Fähigkeit der Hoffnung hinauszublicken über das, was vor Augen ist:
Die Bilanz aus Erfahrung sagt: Das geht nicht gut aus. Die Hoffnung fälscht die Bilanz und sagt: Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Die Bilanz aus Erfahrung sagt: Das ist unmöglich. Die Hoffnung fälscht die Bilanz und sagt: Ich suche weiter nach eine Lösung.
Die Bilanz aus Erfahrung sagt: Da sehe ich keine Zukunft mehr. Die Hoffnung fälscht die Bilanz und sagt: Ich gebe dennoch nicht auf.
Ich will nichts beschönigen. Ich weiß sehr wohl: Es gibt Momente im Leben, da sieht man nicht einmal mehr einen Hauch von Morgenröte. Da ist nur noch Ausweglosigkeit. Oder man ist ganz und gar in Trauer. Dennoch: Paradoxer Weise ist der Punkt, an dem die Nacht am tiefsten ist, zugleich der Punkt, an dem der neue Tag beginnt.
Morgenröte
Für Israel bricht dieser neue Tag tatsächlich an. Die Morgenröte, die am Himmel aufzieht, sind Veränderungen im Politischen. Bei den Persern gelangt Kyros auf den Thron. So wie einst die Babylonier, so zieht nun er gegen die umliegenden Völker. Auch gegen die Babylonier. Für die Israeliten scheint damit erstmals seit langem die Rückkehr in die geliebte Heimat als Möglichkeit am Horizont auf. Hoffnungsbrot!
Eines Tages ist es tatsächlich so weit. Kyros lässt die Israeliten ziehen. Ein langer Tross schlängelt sich durch die Wüste: Männer, Frauen, Kinder, junge und alte Menschen, schnelle und langsame, und viele Tiere. Mühsam ist der Weg. Aber die Israeliten haben Energie: Hoffnungsbrot ist nahrhaft. Nach tagelangem Marsch erreichen sie schließlich die letzten Berghöhen, die noch zu überwinden sind. Nur noch wenige Meter, dann können die Ersten im Zug über die Bergkuppe schauen. Dann liegt der Blick frei auf die Heimat. Plötzlich werden die vorne im Zug ganz still. Es verschlägt ihnen die Sprache. Was für ein Anblick! Der Jordan! Der See Genezareth! Das Grün! Das weite Land! Die anderen schieben von hinten nach. „Ist das schön!“ flüstert einer. „Jesaja hat Recht behalten!“ Da entfährt es einem: „Gelobt sei Gott, der uns erlöst!“ Es dauert nicht lange, dann stimmen sie das große Loblied an: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit!“(Ps 103,1-4)
Noch einmal: Morgenröte
Liebe Gemeinde, am ersten Heiligen Abend der Geschichte handelt Gott noch einmal. Nun bricht die Morgenröte an für die ganze Menschheit. Das Kind in der Krippe erhält den Namen Jesus. Das heißt: Gott hilft, Gott rettet. Diesem, seinem Namen, macht Jesus als Erwachsener alle Ehre. Er heilt Kranke, er holt Verlorene in die Gemeinschaft zurück. Er ebnet vielen einen Weg zu Gott, die schon aufgegeben hatten, nach ihm zu suchen. Kinder und Frauen erhalten bei ihm ihren rechtmäßigen Platz. Jesus schreibt die Bilanzen um. Und das ist gut so! Für Viele ist er Hoffnungsbrot. In seiner Nähe werden die Herzen hell. Darum heißt er auch Brot des Lebens und Licht der Welt. Sein Name ist ein Versprechen. Das Versprechen Gottes, für uns da zu sein. Gott hört nicht auf zu träumen vom vollen Leben einer Zukunft für alle.
Alte Geschichten?
Alte Geschichten? Lange vorbei? Mag sein, dass das damals so war, aber heute?
Ich erinnere mich noch gut an den Februar 1989. Da hielt ich mich für ein mehrwöchiges Gemeindepraktikum in der Kirchengemeinde Freiberg in Sachsen auf. Da existiert die alte DDR noch. Es ist ein kalter Winter. Ständig liegt der Geruch von verbrennenden Braunkohlebriketts in der Luft. In den Läden kann man das Nötigste für den täglichen Bedarf kaufen, mehr aber nicht. Vielfalt sieht aber anders aus. Auch an einfachen Dingen wie Möbeln oder Spielzeug für Kinder mangelt es. Man muss warten können. Manchmal jahrelang. Auf eine Fotokamera z.B. oder ein Auto. In vielen Gesprächen schlagen mir Hoffnungslosigkeit und Frust entgegen. Es erscheint völlig ausgeschlossen, dass es zu tiefgreifenden Veränderungen kommen könnte. Allenfalls Kosmetik ist zu erwarten. Manchmal hört man allerdings etwas aus Leipzig. Aus der Nikolaikirche. Da kommen schon jahrelang Menschen zusammen und halten ein Friedensgebet. Hoffnungsbrot wird verteilt. Immer montags. Die Menschen wünschen sich Veränderungen. Reden werden gehalten, es wird gesungen und gebetet. Kerzen werden entzündet. Das Leben wird lichter, Herzen werden leichter. Es werden immer mehr, die in Leipzig zusammenkommen. Und an vielen anderen Orten in der DDR. Immer größer, immer machtvoller wird diese Bewegung. – Sie kennen den Ausgang, liebe Gemeinde. Im November desselben Jahres 1989 ist die Grenze offen. Menschen tanzen auf der Berliner Mauer. 40 Jahre lang war sie eine unüberwindbare Grenze. Vielen, die sie überwinden wollten, hat sie das Leben gekostet. Jetzt ist das Land hell und weit. Das hat niemand erwartet. Diese dynamische Bewegung hat niemand vorhergesehen. Es waren unglaubliche Monate. „Dann werden die Lahmen springen … und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Von Freude und Wonne sind sie ergriffen“(Jes 35) – das ist wahr geworden nicht nur im 6. Jahrhundert vor Christus. Das hat sich auch mitten unter uns ereignet. Gott hört nicht auf zu träumen vom vollen Leben einer Zukunft für alle. Manchmal, da reißt er den Himmel auf und neue Wege tun sich auf hinter dem Horizont.
Über alle Horizonte hinaus
Freilich: Nicht jede Geschichte geht so gut aus. Bei den großen Worten Jesajas bleibt ein Rest. Schon damals zu Israels Zeiten. Ganz so glanzvoll, wie Jesaja es vorhersagt, war die Rückkehr in die Heimat dann doch nicht. Und für uns Deutsche brachte die Wiedervereinigung viel Freude und Glück. Sie beinhaltet aber auch Mühevolles, bis heute. Und auch in unserem persönlichen Leben geht ja nicht jede Geschichte gut aus. Im Gegenteil: Manchmal geht der Weg wirklich bis ganz tief in die Nacht. Die Hoffnungsbotschaft Jesajas gilt dennoch. Ihr Horizont reicht über unser irdisches Leben hinaus. Ich glaube, es ist wahr: Die Mitte der Nacht – und sei es die Nacht des Todes – ist der Anfang des neuen Tages. Ich kann das glauben, weil ich nicht auf meine Kraft setze, sondern auf die Kraft Gottes. Ich vertraue auf Jesus. Das heißt: Gott rettet. Das hat am Tod keine Grenze. Am Ende haben die Bedingungen von Zeit und Raum, haben unsere irdischen Horizonte keine Bedeutung mehr. Deshalb freue ich mich auf Weihnachten: Da liegt es, auf Heu und auf Stroh, das Hoffnungsbrot.
„Wenn Gott die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll des Lobes sein.“(Ps 126,1) „Freude und Wonne werden sein und Schmerz und Seufzen entfliehen.“(Jes 35,10).
Amen.
* zitiert nach „der andere Advent“ – Kalender 2018/19
Vorschläge zur Liturgie:
EG 1,1-3.5
Ps 24 (EG 712)
EG 11,1.5.6
EG 7,1-7
EG 13,1-3
Lesung: Mt 11,1-6
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Freut euch, ihr Christ_innen, freuet euch sehr! – Predigt zu Jesaja 35,3-10 von Kirstin Müller
Liebe Gemeinde,
wo hat er sich nur versteckt, der Engel vom letzten Weihnachten? Irgendwo muss er doch sein. Als ich ihn schließlich in einer Ecke des Schrankes entdecke, kommt er mir kleiner vor, als ich ihn in Erinnerung hatte. Trotzdem freue ich mich, dass er noch da ist. Beim Suchen fällt mir außerdem ein Kerzenhalter in die Hände. Den hatte ich ganz vergessen. Ich freue mich, dass ich ihn wiederentdeckt habe. Stück um Stück schmücke ich die Wohnung im Advent. Das gehört für mich zur Vorbereitung auf Weihnachten dazu. Engel und Kerzenhalter sollen in diesem Jahr ihren Platz auf der Fensterbank finden. Fehlt nur noch der leuchtende Stern. Ein Zacken ist abgeknickt. Sieht irreparabel aus. Soll ich ihn trotzdem noch einmal aufhängen? Der fehlende Zacken wird seinem Leuchten hoffentlich keinen Abbruch tun. Sein Licht soll doch anderen und mir zur Freude ins Dunkel scheinen.
Freude gehört zum Advent – in diese Zeit. Sie sucht ihren Platz in unserem Leben. Alle Jahre wieder. Neu.
Freude gehört zum Advent in vielen Liedern, wie „Tochter Zion, freue Dich!“ oder in Erzählungen und Erinnerungen: „Ich weiß noch, wie die Augen der Kinder an Weihnachten geleuchtet haben! War das schön!“. Sie ist Vorfreude auf Menschen, die wir als Weihnachtsbesuch erwarten, oder im Gepäck, wenn wir uns selber auf den Weg machen, andere zu besuchen. Wir suchen Geschenke aus, um Menschen eine Freude zu bereiten. Und es gehört wohl auch zur Freude, dass ich Menschen in dieser Zeit sehr schmerzlich vermissen kann. Schmerzlicher, als in anderen Zeiten. Dass mir – zum Beispiel beim Schmücken der Wohnung mit weihnachtlichem Schmuck aus vergangenen Jahren - erst bewusst wird, was sich alles getan hat in meinem Leben. Wer mir fehlt. Was neu und anders ist. Sich gewandelt hat. Manchmal zum Besseren. Manchmal aber auch nicht.
Freude gehört zum Advent. Mit dieser Freude sorgsam umzugehen, klarzukommen in dieser Zeit, ist eine Aufgabe. Sie beginnt damit wahrzunehmen, was ist und auf uns zukommt. Zukommen will.
Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Lk 21,28
Seht auf! Also: Sieh her. Schau genau. Denn es steht Großes an: Etwas ist in die Welt gekommen, kommt wieder zur Welt, was stark und mächtig ist. Gott kommt, um zu erlösen, zu verändern, zu retten. Dich. Und die Welt. Das zu sehen ist eine große Aufgabe. Weil damit eine große Erwartung verbunden ist: Erlösung naht. Wie soll ich Erlösung, Rettung der Welt im Alltag meines Lebens, im Alltag der Welt sehen, erkennen?
Vielleicht, indem ich bei mir beginne und die Erwartung auch und vor allem als Ermutigung sehe. Diese, meine Adventszeit als gott-verbunden wahrzunehmen. Sie als Bestandteil des großen göttlichen Tuns zu sehen. Wenn ich meinen kleinen Engel zusammen mit dem wiedergefundenen Kerzenhalter in die Fensterbank stelle. Mich an ihnen freue. Wenn ich meinen demolierten Stern im Fenster zum Leuchten bringe. Mich an ihm freue. Und glaube, dass auch andere das Licht erfreut. Und sei es nur für kurze Momente. Wenn ich mich traue, darauf zu vertrauen, dass meine Erwartungen von Gott gesehen werden. Und erfüllt werden. Weil Gott zur Welt kommt. Auch zu mir. Und weil die Welt – von Gott aus gesehen - eine gerettete ist. Auch für mich.
Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Lk 21,28
Beim Blick in die Bibel fällt auf, dass Menschen ihre Erwartung auf Rettung oft groß gedacht haben. Von Gott her gedacht haben. Schon in alten Zeiten war das so. Sie haben sich Rettung herbeigesehnt. Erlösung aus Notlagen, Bedrückung, Ungerechtigkeit. Sie haben sich erinnert an Zeiten, in denen sie sich von Gott behütet gefühlt haben. Manchmal kannten sie solche Zeiten nur aus Erzählungen. Sie haben diese Erzählungen in ihr Leben hineingelassen. Und damit die Sehnsucht in ihrer Zeit genährt. Rettung einen Platz eingeräumt. Deshalb lassen Sie uns heute bewusst in eine alte biblische Verheißung schauen. Sehen, was uns da ganz fremd – oder auch vertraut entgegen kommt. Wie uns Freude begegnet.
Ein Blick in das Buch des Propheten Jesaja. Dort heißt es im 35. Kapitel:*
Jauchzen sollen Wüste und Öde, frohlocken soll die Steppe und blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unseres Gottes. Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt den verzagten (*herzverscheuchten) Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht – da ist euer GOTT!
Eine blühende Wüste. So etwas habe ich noch nie gesehen, aber ich stelle es mir himmlisch vor. Eine vor neuem Leben strotzende Landschaft. Jauchzen, frohlocken, jubeln sind die Worte, mit denen Jesaja diese Landschaft beschreibt. Nach langer Zeit bricht – unverhofft – Leben auf. Frische Farben, leuchtendes Grün. Knospen brechen hörbar auf. Es ist ein Aufblühen wie ein Lachen – mehr noch, wie ein Jauchzen, eine große Freude. Darin wird diese Landschaft adventlich – auch wenn sie nicht winterlich mit Schnee, Tannengrün und Lichterglanz daherkommt. In Jauchzen, Frohlocken, Jubeln wird laut Jesaja die Herrlichkeit Gottes erkennbar: Seht, da ist euer Gott! Das ist ein guter Grund, um die müden Hände zu stärken und die wankenden Knie festzumachen. Mich aufzumachen. Dorthin, wo die Sehnsucht mich hinführt. Selbst mit mattgewordener Freude, mit im-Halse-steckengebliebenen Jauchzern und schmerzenden Gliedern. Zu erwarten, dass Gott kommt, sichtbar wird. Und nicht zu erstarren und mutlos zu werden, aus lauter Furcht, es könnte nicht so sein.
Sagt den verzagten (*herzverscheuchten) Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht – da ist euer GOTT!
Eine Landschaft, die vor Leben jauchzt und jubelt, ein mutiges Losgehen zu einem Sehnsuchtsort, ein Warten auf Gott. Findet die Verheißung Jesajas Anklänge in Ihrem Leben? Heute? In der Erinnerung? Oder in Erwartung auf das, was kommen soll? Ich höre sie als Aufforderung, mein Gottvertrauen wachsen zu lassen. Ihm zwischen Engel, Kerzenhalter und Stern einen Platz in meiner Wohnung, meinem Leben einzuräumen.
Seht, da ist euer Gott. Er kommt zur Rache. Das von Gott Gereifte – er selbst kommt und befreit euch.* Plötzlich wird es ernst. Ein verstörender Vers. Ein Riss in der Sehnsucht, dass alles heil werden und schön aussehen soll. Mit Gott kommt Rache. Sie fügt sich nur schwer in das Jauchzen und den Jubelklang ein.
Bitte keine Rache. Niemals und schon gar nicht in dieser Zeit, die vom Frieden auf Erden träumt. Schreien nicht aber das Unrecht, Unglück und Leid der Welt nach Rache? Nach ausgeglichen und abgegolten werden?
Bei Jesaja ist Rache Gottessache. Nicht Menschenangelegenheit. Er bringt sie zur Sprache, aber malt sie nicht weiter aus. Oder doch. Dann aber in ungewöhnlichen Tönen. Das von Gott Gereifte – er selbst kommt und befreit euch.* Gottes Rache kommt – als Befreiung. Als Rettung.
Gereiftes wird gerettet. Es geht hier nicht nur um kurzes Aufblühen, sondern auch um Reifen, Ernten, Früchtebringen. Nicht nur ein kurzer Zeitpunkt, sondern ein Zeitraum gerät in den Blick. All das, was in den Jahren der Sehnsucht, die sich nicht erfüllt hat, geworden ist: Enttäuschte Erwartungen, Verluste, Wunden und Narben bekommen hier ihren Platz. Bei Gott. Auch das Enttäuschtsein von Gott und das Gottverlassensein. Sie haben ihren Platz, aber sie bedeuten nicht das Ende aller Sehnsucht. Das was gereift ist – Gott kann es befreien.
Und so sieht Befreiung (die Rache Gottes?) nach Jesajas Verheißung aus:
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden, dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
Wir kommen zurück in die blühende Wüste – in die knospende Landschaft. Wenn Gott abgegolten und befreit hat, dann ändert sich das Leben grundlegend. Dann wird viel mehr möglich, als ich mir bisher gedacht oder vorgestellt habe. Was hält mich davon ab, mir die Welt vorzustellen, wie sie erlöst ist, von Gott gerettet?! Wie könnte sie aussehen? Wie wird es sein?
Sehnsuchtsbilder zu zeichnen, die Welt, wie sie sein kann. Und diese Bilder wie Sterne ins adventliche Fenster hängen, Lichtpunkte der Sehnsucht in der Welt, Lichtpunkte der Rettung auch. Auch das eine mögliche Aufgabe im Advent, Erlösung auszumalen, sie mir mit anderen vorzustellen. Von ihr zu erzählen, Gottes Rettung Ausdruck zu verleihen, reifen zu lassen und damit ihren Raum in der Welt zu vergrößern.
Und dann kommt noch einmal Freude auf:
Und es wird dort (in der Wüste) ein Damm sein, ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Auf ihm kann kein Makliger (unreiner) wandern. Selber ER geht ihnen den Weg voran, dass auch Toren sich nicht verlaufen. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Die Befreiten aus dem Volk Israel werden nach Hause kommen. Auf sicherem Weg. Gott wird mit ihnen sein. Unreine werden nicht unter ihnen sein. Auf dem Weg, den Gott bereitet, kann sich niemand verlaufen.Es droht keine Gefahr von wilden Tieren. Gott selbst geht voran. Und so werden die Erlösten ankommen: Mit Jauchzen und Freude und Wonne. Am Ende wird nicht nur die Landschaft von Freude ergriffen,am Ende breitet sich die Freude unter den Menschen aus. Wird laut und hörbar. Das Ende ist ein Jauchzen! Freude! Wonne!
Freude gehört zum Advent. Stille Freude. Aber sie darf auch laut werden. Jauchzen! Können Sie das? Jauchzen? Wo ist für Jauchzen Platz? In meiner Wohnung, bei Engel, Kerzenhalter und Stern? In meinem Herzen?
Vielleicht sollten wir täglich mindestens einmal jauchzen – um der Freude im Advent Ausdruck zu verleihen. Um sie groß werden zu lassen. Von Gott her gedacht. In unserer Zeit. Vielleicht ist es wie beim Lachen, von dem gesagt wird, dass es schon reiche, die Gesichtszüge zu verziehen. Ich muss nicht froh sein. Aber wenn ich die Mundwinkel hochziehe, lächele, wirkt es trotzdem. Wenn unser Jauchzen so der Erlösung den Weg bereiten könnte, mithelfen könnte - das wäre doch was, oder?!
Advent ist Zeit der Freude. Ich mag ihr trauen. Mich trauen, die Freude großwerden zu lassen. Denn seht: Gott kommt. Rettet. Erlöst. Mag die Sehnsucht danach in uns wachsen und reifen, dass sie laut wird und die Erde das Jauchzen lernt! Amen.
Tochter Zion freue Dich!
* in Klammern habe ich „beredte“ Worte aus der Übersetzung von Buber/Rosenzweig ergänzt.
* Gamal in Vers 4 kann vergelten, aber auch reifen, vollbringen und abstillen bedeuten. Deshalb folge ich hier der Übersetzung Buber/Rosenzweig.
Bei Luther heißt es: Gott, der vergilt, kommt und wird euch helfen.
* Bei Luther heißt es:
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf herumirren.
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Eine kleine Geschichte vom Untergang der Welt - Predigt zu Jesaja 35,3-10 von Thomas Thieme
Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Er hatte mit seinen Fäusten schon auf so viele Stammtische gehauen - jetzt waren ihm die Hände müde. Immer wieder hatte er mit der Faust auf den Tisch gehauen, war aufgesprungen und hatte seine Meinung laut gesagt. Vom vielen Springen und Stehen bekam er schon wankende Knie.
Am Anfang wollte er noch etwas bewahren. „Es war doch nicht alles schlecht hier.“ Das war seine Standardantwort, wenn die Tochter mit dem Enkel zu Besuch war und das Thema auf die Schule kam. Der Enkel lernte anders und anderes und vor allem mit anderen. „Die Bekloppten brauchen doch viel mehr Aufmerksamkeit.“ Rief er und seine Tochter meinte halb angewidert, halb vertraut „Das sagt man nicht mehr Papa.“ „Was denn?“ meinte er „Ich hab doch Recht.“ Und Mutter sagte dann meistens „Lass doch. Haste schon gehört, der Klotz Michi hat jetzt Arbeit in der Stadt. Endlich. Und jetzt überlegt er, ob er sich ne Wohnung da nimmt, weil der Weg ist doch so weit und wenn er mal ne Frau trifft, na die kann er ja nicht bis hier rausbringen, wo er doch noch bei Mutti wohnt. Die wird’s dann aber schwer haben. Der Michi macht ja alles und fährt se überall hin zum Arzt und zum Einkaufen und so.“
Da hat er wieder mit der Faust auf den Tisch gehauen und gerufen „Weil se hier alles dicht gemacht haben. Früher gab’s hier alles. Bäcker, Fleischer, Arzt und den Kuhstall mit Arbeit für alle. Wer mit Kühen nicht konnte, der ist zu Schmidtchen in die Schrottbude. Und jetzt. Nüscht mehr. Alles tot und wenn wir hier den Löffel abgeben, dann is wirklich alles tot.“ „Ach Lass doch.“ Hat Mutter dann gesagt. „Die da oben machen doch eh, was sie wollen.“ „Wer sind denn ‚die da oben‘?“ Fragte die Tochter halb genervt, halb vertraut, weil sie wusste, gleich haut er wieder auf den Tisch und ruft „Die Verbrecher. Die gehören alle abgestraft. Warts nur ab, die kriegen schon noch ihr Fett weg.“
Sagt den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
„Gott kommt uns entgegen!“ Auf einmal wurde der Pfarrer laut. Die Sache war ihm wichtig, darum wiederholte er sie mit der Betonung auf dem ‚ER‘ „ER kommt uns entgegen. Darauf müssen wir uns einstellen und nicht noch mehr Handys kaufen und all den Weihnachtsplunder, der morgen schon Müll ist. Auf Gott bereiten wir uns auch nicht mit Glühwein vor. Der Zapfhahn ist keine Wüstenquelle, er ist eine Fata Morgana.“ Er dachte an Fatima, die bei Getränke-Maik arbeitet, aber selber keinen Alkohol trinkt. Und daran, dass er noch Glühwein kaufen musste für den christlichen Weihnachtsmarkt.
Mitten in seine Überlegung sang der Seniorenchor „O Heiland reiß die Himmel auf, herab vom Himmel lauf.“ Und er dachte: „Ja, lass laufen, Heiland. Kannste alles Wegspülen hier. Das ganze Land, ein einziges Jammertal. Wenn’s nach mir ginge, müsste man den Laden dicht machen und völlig neu anfangen. Aber dann ohne diese ganzen Pfuscher und Idioten. Wie damals die Straße. Die haben wir schnurgerade übers Feld gezogen und links und rechts ham se gejammert. Rechts die Besitzer, links die Naturschützer und wir mitten durch für Frieden und Sozialismus. So müsste man das heute wieder machen. Nur ohne Sozialismus.
Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
Am Montag begann es zu regnen. Erst nur ein wenig. Aber ab Mittag groß es wie aus Kübeln. Zuerst lief der alte Flutgraben längs der Dorfstraße voll. Das hatte es seit Ewigkeiten nicht mehr gegeben. Auf den Feldern rings um das Dorf bildeten sich erst kleine Lachen, dann richtige Seen. Dann liefen die Keller voll. Im Flutgraben war ein richtiger Fluss entstanden, der beharrlich am Unterbau der Straße nagte. Zwei Tage lang, dann war die Straße unterspült und sackte ab. Nun saßen alle fest auf der Insel im braunen Meer, weil das Wasser den lehmigen Boden aufweichte. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk kamen mit Schlauchbooten zur Evakuierung. Sie schipperten zwischen den Häusern hindurch. Hielten mit Ferngläsern Ausschau nach Menschen, die auf ihren Dächern saßen und winkten. Sie riefen mit Megafonen in die Häuser. Oma Erna, die sonst keinen Meter ohne ihren Rollator schafft, musste sich mit einem Sprung aus dem Fenster ins Boot retten. Die Dorfbewohner wurden in der alten Kaserne gesammelt, die etwas außerhalb und auf einer Anhöhe lag. Wer im Kasino eintraf wurde begrüßt mit „Gott sei dank, du hast es geschafft.“ Oder „Himmel noch eins, was für eine Katastrophe. Zum Glück bist du jetzt hier.“ Alle bekamen heißen Tee, warme Decken und ausreichend Kekse. Der Seniorenchor sang Adventslieder und irgendwie war jeder froh, dass er selbst und der andere es hierher geschafft hatte.
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
Es regnete 10 Tage. Dann hörte es auf. Nach 12 Tagen brach der graue Himmel auf und eine strahlende Sonne beleuchtete die Überreste dessen, was einmal ihr Zuhause gewesen war. Die Bewohner kamen in einer langsamen Prozession von der Anhöhe in ihr Dorf zurück. Auf den Strahlen der Sonne kamen der Landrat und der Ministerpräsident. Fernsehteams und Reporter umschwärmten sie. Er hörte sie reden von einem Neuaufbau, einem Neuanfang und er dachte an „blühende Landschaften“ und dass er das alles schonmal gehört hatte. Schön sollte es werden, schöner als vorher. Mutter war ganz aus dem Häuschen. Ergriffen weinte sie ein paar Freudentränen in eine Kamera.
Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Die letzten Verse aus Jesaja, dass die Erlösten des Herrn wiederkommen mit Jauchzen und ewiger Freude, diese Verse haben für mich einen besonderen Klang und zwar den aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms. Ein Requiem ist eigentlich ein Gottesdienst mit Geben für einen Toten. Aber Brahms schrieb sein Requiem als Trost für die Hinterbliebenen.
Für alle Mühseligen und Beladenen hat Jesaja den Trost, dass sie als Erlöste nach Zion kommen werden. Hört sich toll an, wenn wir gemeint sind. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto weniger sicher wurde ich mir. Es ist doch so: Die Erlösung kommt nach dem Ende. Und selbst, wenn es nach dem Ende blühende Landschaften geben wird. Was wir zu Hause nennen, was wir als Heimat kennen - es wird vergehen. Weg, aus, Ende. Im besten Fall wandelt es sich, aber nicht zum Besseren. Wenn überhaupt, dann zu etwas völlig anderem.
Jesaja tröstet die, die heute schon verzagen, damit, dass Gott Rache üben wird. Das ist gut, denn es hält uns, die Gläubigen, zurück, selbst Rache zu üben. Aber damit sind wir nicht allein. Es gibt ja auch noch die, die wegen uns verzagen, die wegen uns Mühe haben oder Leid tragen, zum Beispiel darüber, dass sie ihre Heimat verlieren. Und seine Heimat verliert ja nicht nur der, der weggeht (weggehen muss). Sondern auch der, der bleibt, diejenigen, die zurückbleiben. Das gilt für Aleppo und das gilt für Asmara oder Kinshasa. Das gilt auch für Cottbus oder Frankfurt / Oder und das gilt auch für Wolfshagen oder Gumtow in der Prignitz.
Wir als Kirche wollen Vorreiter sein bei so ziemlich allem. Und dann passiert es eben - wer vorausreitet, hängt andere ab. Ist es da nicht tröstlich, dass wir alle auf die gleiche Weise zum Ende kommen? Das Ende wird zu uns kommen.
Hier unterscheidet sich übrigens Jesaja von Brahms. Jesaja sagt jedem, der es hören kann: wir werden die Erlösten - die anderen erfahren Gottes Rache. Aber mit dem Ton von Brahms wird daraus: Wenn Gott uns - die wir heute hier sitzen, wenn Gott uns auf den heiligen Weg leiten wird, dann nur zusammen mit allen, die wir abgehängt haben.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre Eure Herzen und Sinne bis ans Ende in Christus Jesus, durch den Gott die Welt richtet, als wollte er sie erlösen.
Amen.
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Hoffnungsbilder - Predigt zu Jesaja 35, 4 – 6 von Walter Meyer-Roscher
Der Predigttext lässt Bilder aufscheinen, die Hoffnung machen. Wir sehen Bilder von der Verwandlung der Wüste in ein Land voller Leben; Bilder von der Heilung menschlicher Behinderungen und Gebrechen, von Begleitung und Geborgenheit in der Unwegsamkeit, von Freude, die Klage und Schmerz verbannt – Hoffnungsbilder.
Wir möchten uns ja gern, viel zu gern auf solche Bilder einlassen – schon gar in der Adventszeit, wenn das Licht der Kerzen die anderen Bilder, die uns das Jahr über bedrängen, ins Dunkel sinken lässt. Aber wirklich verdrängen können wir sie ja nicht. Sie kommen wieder – die Bilder von Unfrieden und Hass, Gewalt und Zerstörung, von Ungerechtigkeit, Hunger und Flüchtlingselend. Sie kommen wieder und bedrängen uns, verbreiten Angst, oft auch Resignation.
Sieht der Prophet sie nicht oder sieht er etwa über sie hinweg? Dann wären seine Hoffnungsbilder nur eine Illusion, ein Traum, der sich angesichts der rauen Wirklichkeit schnell wieder verflüchtigt. Nein, der Prophet hat sie durchaus vor Augen – die Bilder, die uns Angst machen. Er redet ja von müden Händen, wankenden Knien und von verzagten Herzen, die gestärkt und getröstet werden müssen.
Er redet in eine Zeit hinein, in der das Exil in Babylon nur noch ferne Erinnerung und die Hoffnung auf Heimkehr längst in Erfüllung gegangen ist. Aber diese Heimkehr ist nicht die erwartete große Wende in der Geschichte des Volkes Israel geworden. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden hat sich schnell wieder abgenutzt. Die Realität ist voll von Enttäuschungen.
Der Wiederaufbau von Stadt und Tempel ist nur schleppend vorangekommen. Kümmerlich, müde und armselig sind die Stichworte für alle Lebensbereiche geworden. Diejenigen, die den Ton angeben, haben als Hoffnungsträger abgewirtschaftet und durch Machtbesessenheit und Anfälligkeit für die Faszination der Gewalt jede aufkeimende Hoffnung verspielt.
Nein, der Prophet kennt die bedrängenden, angstmachenden Bilder viel zu gut. Deshalb erwartet er beim Entwerfen seiner Hoffnungsbilder das Entscheidende auch nicht von Menschen. Sie können mit ihren begrenzten Kräften und ihrem eingeschränkten Durchsetzungsvermögen nicht Begründer der Hoffnung sein. Sagt den verzagten Herzen, so beginnt seine Botschaft: Fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott, er kommt und wird euch helfen.
Wieder nur eine Illusion? Wieder nur ein Traum, der sich vor dem Ansturm der uns täglich verfolgenden Bilder verflüchtigen wird? Wo ist er denn zu sehen und zu erfahren, dieser Gott, der kommt, um uns zu helfen? Für viele ist dies doch der eigentliche Grund für alle Hoffnungslosigkeit und Resignation: Das dumpfe Gefühl, nicht nur von aller Hoffnung, sondern auch von Gott verlassen zu sein.
Aber vielleicht suchen sie ihn ja gar nicht da, wo er zu finden wäre. Vielleicht erwarten sie ja auch einen ganz anderen Gott als den, der kommt, um uns zu helfen.
Der Prophet sieht in seiner Zeit nach vorn. Seine Zusage zielt in die Zukunft. Wenn wir Advent feiern und mit Advent die Ankunft Gottes meinen, dann können wir auch zurückblicken und uns erinnern. Wir können zurückdenken an die Adventsgeschichte von dem, der in Gottes Auftrag und in seinem Namen gekommen ist: Jesus von Nazareth.
Die Adventsgeschichte berichtet tatsächlich, dass er so ganz anders gekommen ist als der erwartete Erlöser – ohne Macht und Gewalt, auch nicht von oben, so dass alle zu ihm aufblicken oder sich vor ihm ducken mussten. Kein Triumphator, kein Helfer, wie sich viele einen allmächtigen Gott vorstellen.
Der Evangelist, der seine Ankunft beschreibt, hat die alte Verheißung des Propheten durchaus vor Augen: Fürchtet euch nicht. Seht, da ist euer Gott. Er kommt und wird euch helfen. Und dann erzählt er, wie dieser Helfer in Gottes Namen und in seinem Auftrag auf einem Esel in die Heilige Stadt eingezogen ist, auf dem Reit- und Lasttier der armen Leute. Und er fügt hinzu: sanftmütig ist er gekommen.
Eine neue, ungewohnte und ganz und gar nicht erwartete Eigenschaft für den ersehnten Erlöser: sanftmütig. Nicht mit Macht und Gewalt hat er eine bessere, eine schöne neue Welt schaffen wollen, auf die zu hoffen es sich lohnt. Nein, durch seine Worte und seine Taten, sein Verhalten und sein Leben hat er Menschen ansprechen, beeindrucken und verändern wollen.
Ihm ging es weniger um die Demonstration von Gottes Allmacht. Seine Barmherzigkeit und seine Menschenfreundlichkeit wollte er denen nahebringen, die unter eigener Schuld und eigenem Versagen litten, die sich vom Leben übergangen fühlten, und die Macht anderer schmerzlich zu spüren bekamen. So hat er Vergebung gegen Gnadenlosigkeit, Versöhnung gegen Hass, Mitmenschlichkeit gegen Egoismus und Durchsetzungsvermögen zur Geltung gebracht. Im Namen Gottes hat er sich auf die Seite der Opfer, der zu kurz Gekommenen gestellt. Ihre Menschenwürde hat er ihnen wiedergegeben.
Wo er sich Menschen zugewandt hat, haben sie neue Hoffnung geschöpft und wieder zu leben begonnen. Da haben sie sich auch von seinem Geist in Bewegung setzen lassen, um selbst mitzuhelfen, verwundetes, behindertes Leben zu heilen, gefährdetes Leben zu schützen und für das Lebensrecht der Ohnmächtigen einzutreten. In seiner Nähe haben sie alle verstanden, dass da ein Versprechen eingelöst ist: Siehe, da ist euer Gott. Er kommt, um euch zu helfen.
Wir können uns erinnern, die Adventszeit ist auch eine Zeit der Erinnerung daran, wie die alte Verheißung in Erfüllung gegangen ist.
Die Erinnerung aber kann zu einer Einladung und zu einer Aufforderung werden, wenn wir uns in den Sog der Geschichte vom Kommen dieses Jesus von Nazareth hineinziehen, wenn wir uns von seinem Geist in Bewegung bringen lassen. Er hat ja auch gesagt: Ich werde den Menschen zu allen Zeiten begegnen, jeden Tag. In den geringsten meiner Menschengeschwister werde ich auf sie zukommen. In den Ohnmächtigen und Unterdrückten, in den Versagern und in den Leidenden werde ich ihnen begegnen. In ihren Gesichtern können sie, müssen sie mich erkennen und wissen: was sie ihnen im Bösen oder Guten antun werden, das tun sie mir an.
Das ist Einladung und Aufforderung zugleich: Ihr könnt Gottes Menschenfreundlichkeit erfahren als Vergebung von Schuld, als Anerkennung von Menschenwürde und als Mut zum Leben, zu neuen Anfängen, zu Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Da wird aus der Erinnerung an die alte Verheißung vorwärtsweisende Gegenwart: Seht, da ist euer Gott. Er kommt, um euch zu helfen.
Da schieben sich tatsächlich vor die Bilder, die uns verfolgen, die Bilder von Verwundung, Behinderung und Vernichtung menschlichen Lebens, von gestörtem und zerstörtem Zusammenleben andere Bilder, Hoffnungsbilder: Menschen, die blind sind für die eigenen Möglichkeiten und für die Nöte anderer gehen plötzlich die Augen auf. Andere, die ihre Ohren verschlossen und sich in das Schneckenhaus ihrer Resignation zurückgezogen haben, hören wieder die alten Worte der Verheißung und der Mahnung. Menschen, die unbeweglich und starr geworden sind, kommen wieder in Bewegung. Andere, die den Weg verloren haben, die den Weg zu sich selbst und zu ihren Mitmenschen nicht mehr finden konnten, sehen plötzlich einen Weg, auf dem sie gehen können. Sie sehen einen Weg, der sich in der Wüste eigener Verlassenheit und eigener Ängste auftut. Da wird sich diese Wüste verwandeln in ein Land, in dem sich zu leben, auf andere zuzugehen und mit anderen zusammenzuleben, lohnt. Die Erlösten werden dort gehen, sagt die alte Verheißung. So ist es und so wird es sein. Darauf könnt Ihr euch verlassen.
Amen