Predigt zu Lukas 18, 1-8 von Peter Schuchardt
Liebe Schwestern und Brüder!
Bilder beeinflussen unser Denken und Fühlen. Sie machen uns traurig. Sie erzeugen Wut. Sie trösten uns. Wir erinnern uns als Volk voller Scham an die Bilder der zerstörten Geschäfte und Synagogen in unserem Land vor 75 Jahren. Die Nationalsozialisten hatten in der Reichspogromnacht gezielt diese Aktion gegen die jüdischen Bürger zur Einschüchterung und als Vorläufer der Vernichtung durchgeführt. Von vielen Schaulustigen erhielten sie damals Beifall. Das lag auch an den hasserfüllten und diffamierenden Bildern, die sie von den Juden etwa im „Stürmer“ verbreitet hatten. Bitten wir Gott heute, dass die Bilder der Zerstörung uns wachsam sein lassen gegen jede Unterdrückung und Diskriminierung.
Aber Bilder können noch mehr als Hass und Wut, Trost und Traurigkeit hervorrufen. Bilder können uns auch irritieren und zum Nachdenken anregen. Unser Herr Jesus Christus malt mit seinen Gleichnissen Bilder. Sie nehmen uns mit auf eine Gedanken- und Herzensreise, heraus aus dem Gewohnten hin zu einer Welt, in der Gottes Reich schon sichtbar wird. Der Hirte etwa, der das verlorene Schaf sucht – und auch uns. Der Vater, der seinen Sohn wiederfindet – und auch uns. Heute hören wir ein Gleichnis Jesu aus dem 18. Kapitel des Lukasevangeliums:
1Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, 2und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. 3Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! 4Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, 5will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. 6Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! 7 Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? 8 Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?
Ein Gleichnis über einen Richter und eine Witwe. Sofort tauchen Bilder in uns auf bei diesen Worten: ein ehrenwerter, angesehener Mann und eine arme, ganz in schwarz gekleidete, verhutzelte alte Frau. Der Richter, dieses Bild ist uns, sorgt für Gerechtigkeit, ist unantastbar, allein dem Recht verpflichtet. Die Witwe dagegen ist für uns der Inbegriff des schutzlosen hilfsbedürftigen Menschen. Witwen und Waisen sollen besonders geschützt werden, so zieht es sich durch das Alte Testament. Und ein Richter, das prägt ja unser Verständnis gerade in unserem heutigen Rechtsstaat, soll allein dem Recht sich verpflichtet fühlen. Und wohlmöglich noch Gott.
Doch in diesem Gleichnis Jesu ist alles anders: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Dieser Richter ist ein Despot, der willkürlich, ohne jede Bindung an Recht und Gesetz und Gott seine Urteile fällt. Wehe dem Menschen, der bei diesem Richter Hilfe sucht, kann ich nur sagen. Denn er ist ihm und seiner Willkür völlig ausgeliefert. Dieser Richter ist so ganz anders als das Bild, dass wir haben. Wir sehen die honorigen Männer und Frauen in den roten Roben des Bundesverfassungsgerichts – und hier ist ein fieser und gemeiner Kerl. Zur Zeit des Neuen Testaments gehen Gerechtigkeit gegen Menschen und Gottesfurcht Hand in Hand. Nur wer gegen Menschen und gegen Gott Antwort geben kann für sein Tun, handelt verantwortungsvoll. Dieser Richter tut das gerade nicht. Er handelt verantwortungslos. Und so jemanden nimmt Jesus als für sein Gleichnis!
Und die Witwe? Wir erfahren nicht viel über sie. Sie wird eben nicht als alt, verhutzelt, und hilflos beschrieben. Das eine, was wir hören, ist: Sie meint im Recht zu sein gegen ihren Widersacher. Das andere ist: sie ist hartnäckig. aber wie! Immer wieder kommt sie und bedrängt den Richter. Der aber will ihr lange Zeit nicht helfen. Und nun erfahren wir das dritte: Sie ist ziemlich gewaltbereit. Der Richter befürchtet, sie könne ihm ins Gesicht (im Griechischen steht wirklich ein „Veilchen“) schlagen! Eine energische Frau, die im Recht zu sein meint und vor Gewalt nicht zurückscheut, die gern mal eine langt. Und so eine nimmt Jesus für sein Gleichnis! Am Ende sagt der Richter zu sich selbst: Kein Mensch, auch nicht Gott, könne mir etwas sagen, und doch will ich dieser Witwe Recht schaffen, bevor sie mir ein blaues Auge haut.
Nun würden wir das Gleichnis und unseren Herrn völlig falsch verstehen, wenn wir meinten, so wie die beiden sollen wir auch sein. Aber das Faszinierende an diesem Gleichnis ist: Jesus nimmt es aus einer gottlosen, unbarmherzigen Welt, um uns Gottes Barmherzigkeit zu zeigen. Lukas gibt uns eine Einleitung für dieses Gleichnis. Jesus will uns damit veranschaulichen, dass wir, seine Jüngerinnen und Jünger, allezeit beten und nicht nachlassen sollen. Die rabiate Witwe schafft es durch ihr Verhalten, den despotischen Richter zum Einlenken zu bewegen. Wie viel mehr dürfen wir dann auf Gott hoffen, der es doch so gut mit uns meint! Tag und Nacht dürfen wir zu Gott rufen, und er wird uns erhören. Ja, mit wie viel mehr Glaubensgewissheit dürfen wir uns an Gott, unseren Herrn wenden. Und Jesus Christus sagt es uns: Gott wird uns Recht verschaffen in Kürze. ER wird es nicht lange hinziehen, wie dieser Despotenrichter. Soviel Zuspruch, so viel Hoffnung, soviel Zuversicht spricht aus diesen Worten Jesu. Soviel verspricht euch Gott, soviel Hoffnung, soviel Zuversicht könntet ihr haben.
Und doch fragt Jesus uns – und es ist das einzige Gleichnis, das mit einer Frage endet: Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden? Was meinst du? Damit spricht Jesus uns direkt an. Wird er Glauben finden auf der Erde? Jesus fragt hier nicht nach großem Glauben, er fragt grundsätzlich nach Glauben bei uns, bei seinen Jüngerinnen und Jüngern durch alle Zeiten hindurch. Es ist falsch zu meinen, zu Lebzeiten Jesu hätten die Menschen mehr Glauben gehabt als heute. Das Neue Testament spricht da eine andere Sprache. Und mit diesem Gleichnis stellt Jesus seinen Jüngern zu allen Zeiten die Frage: Werde ich Glauben finden bei euch, wenn ich wiederkomme? Die Sonntage am Ende des Kirchenjahres lenken unseren Blick über diese Zeit und diese Erde hinaus auf Gottes Ewigkeit. Wir wissen: Diese Erde und diese Zeit hier sind begrenzt. Auch das Wort von der Wiederkehr Christi malt ein Bild, ein sehr tröstliches Bild. Selbst wenn diese Welt untergeht, geht sie doch nicht verloren. „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand“: das, was wir als Trostlied bei unseren Beerdigungen so oft singen, gilt ja für diese Welt als Ganze. Christi Hände werde auch diese Welt auffangen, wenn sie dereinst nicht mehr sein wird. Glauben wir das? Vertrauen wir darauf, dass alles Sterben und Vergehen, auch unser eigenes, auch das dieser Welt, in Christi Händen letzte Geborgenheit findet? Darum fragt er : „Werde ich Glauben finden?“ Wie bei allen Gleichnissen Jesu gilt auch hier: Achten wir darauf, wer uns hier fragt. Es ist nicht der gestrenge Verurteiler, nicht ein Despotengott, der willkürlich über uns herrscht. Es ist Christus selbst, Gottes Sohn, der uns mit seinem Leben und Sterben und Auferstehen Gottes Liebe zeigt. Die gilt für unsere Welt wie für unser Leben. Und er will uns nicht drohen, sondern einladen und ermutigen zum Gebet und zum Vertrauen auf Gott. Beides gehört zusammen. Weil wir Gott vertrauen können, können wir ihm im Gebet alles sagen. Und weil wir Gott alles sagen können, wird unser Vertrauen zu ihm wachsen und tiefer werden. Lasst euch darauf ein, das ist Christi Einladung heute an uns. Wie viel mehr als der Richter im Gleichnis wartet Gott auf unserer Gebete! Noch haben wir doch Zeit, uns mit unserem Gebet an Gott zu wenden. Noch haben wir Zeit, die ermutigenden Bilder der Gleichnisse Jesu in unser Herz aufzunehmen. Wir sollten es tun. Denn es sind Bilder der Gnade und der Barmherzigkeit. Es sind Bilder, die uns von Gottes Walten und Wirken in unserer oft gottfernen Welt erzählen. Es sind Bilder, die die Hoffnung und den Trost in uns wachhalten. Und diese Bilder brauchen wir. Denn sie zeigen uns: Das, was jetzt ist, ist nicht alles. Auch die beschämenden Bilder der Reichspogromnacht nicht. Gottes Gnade und Barmherzigkeit kann selbst das überwinden und verändern. Und darum braucht unsere Welt nichts so sehr wie das Wort von Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Jesu Gleichnisse nehmen uns mit auf eine Herzensreise, in der diese neue Welt Gottes schon sichtbar wird. Und damit schon verändert sie unsere Welt hier. Seine guten Bilder stellen unsere so unbarmherzige Welt und auch uns immer wieder in Frage.
Lassen wir uns von Jesu Gleichnisbild heute anregen zum Nachdenken, zum Vertrauen und zum Gebet. Denn Gott ist doch da mit seiner heilvollen Nähe. Er wartet auf uns und unsere Gebete. Wir sollten ihn nicht warten lassen. Öffnet ihm ruhig euer Herz. Ihr braucht nur Vertrauen! Und dann könnt ihr ihm unablässig sagen, was ihr auf dem Herzen habt. Das ist die große Einladung Gottes, für jeden von euch. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen