Predigt zu Apostelgeschichte 1,4-12 von Frank Hiddemann
1,4-12

Predigt zu Apostelgeschichte 1,4-12 von Frank Hiddemann

Liebe Gemeinde,
zweimal ging der Himmel über ihm auf.
Das war das größte Gefühl, das er je hatte.
Einmal mitten im Leben.
Einmal Ende des Lebens,
denn er musste nicht noch einmal sterben.
...
Sein Leben war nicht einfach gewesen.
Sicher, viele Leute liefen ihm nach.
Aber auch die Dämonen kamen ihm ganz nahe.
„Sohn Gottes!“, nannten sie ihn.
Aber bis er ihnen befehlen konnte,
            in die Schweine zu fahren,
                        souverän befehlen,
musste er mit ihnen kämpfen.
So stelle ich es mir vor.
Es war sein dreißigstes Jahr,
als Jesus anfing zu wirken.
Da gehorchtem ihm Wetter und Elemente.
Die Krankheiten und die Dämonen flohen vor ihm.
Die Menschen begannen ihm zu vertrauen,
            und er machte sie satt.
Der Hunger der Seele legte sich,
            wenn sie ihm vertrauten,
                        und die Angst.
Der Hunger und die Verletzungen des Körpers verschwanden,
            wenn Jesus ihn berührte.
...
Aber bis dahin, bis er das konnte,
            tobten die Elemente in ihm selbst,
versuchten die Dämonen,
            ihn zu einem der ihren zu machen,
führte ihn der Teufel auf einen hohen Turm
            und sagte ihm:
„Du bist unverletzlich!
            Du kannst fliegen!
                        Engel werden dich tragen!“
Und Jesus hungerte an Leib und Seele
            und wusste noch nicht,
                        wohin er sich wenden sollte.
Woher kam die Macht,
            die er in sich erwachen spürte?
An wen sollte er sich wenden,
            um diese Macht zu kontrollieren?
Die Versuchungsgeschichte aus der Bibel
zeigt uns den unerschütterlichen Jesus,
            der immer korrekt antwortet:
„Gott allein sollst du dienen!“
Aber die Versuchungsgeschichte zeigt uns auch,
            wie es vorher in ihm nagte,
welche Wege für sein Leben er noch erwog:
- Machthunger,
- das Gefühl stark und unverletzlich
            und auf niemanden angewiesen zu sein,
- Unklarheit über das, was gut und böse ist.
Er hat es dem Teufel gezeigt.
Er hat ihm demonstriert,
            dass er die richtigen Antworten wusste.
Aber er hatte noch keine Gewissheit.
...
Und dann am Anfang seines Wirkens
            ging der Himmel über ihm auf.
„Gott allein“, hatte Jesus dem Teufel immer wieder gesagt.
Aber als Johannes ihn taufte,
            antwortete Gott und nannte ihn so,
wie ihn die Dämonen auch immer genannt hatten: „Sohn Gottes!“
„Dies ist mein geliebter Sohn!“, sagte Gott.
Und Jesus wusste Bescheid.
Das war der Moment der großen Klarheit.
Zur Taufe geht der Himmel auf.
Das ist noch heute so.
Es ist der Moment der großen Klarheit.
Die Entscheidung für Gott
            und - wie wir glauben - der Moment,
                        in dem heute noch Gott antwortet:
„Du bist mein geliebtes Kind!“
...
Ich nehme an,
die wenigsten von uns wissen noch genau,
            wovon Jesus spricht,
wenn er am Himmelfahrtstag zwischen seine Jünger tritt.
Ich war auch überrascht.
...
Er spricht von der Taufe.
Vielleicht erinnert er sich an seine eigene Taufe in diesem Moment.
Johannes taufte ihn im Wasser des Jordans
Der Himmel ging auf über ihm.
Das war der Moment der großen Klarheit.
Den brauchen seine Jünger gerade.
Wir erinnern uns.
...
Elf Jünger haben sich eingeschlossen.
Ostern vorbei, aber die Feigheit war geblieben.
Als sie mit Jesus durch das Land zogen,
            waren sie fast immer unter Menschen.
Oder es kam ein Gichtbrüchiger oder eine Blutflüssige auf ihn zu
            und bat um Heilung.
Das Dorf lief zusammen.
Sie waren nie allein.
Vor allem war Jesus immer in ihrer Mitte.
Dem vertrauten sie sich an,
            und er führte sie.
Selten durch Befehle,
            mehr durch die Art wie er war.
...
Sie merkten erst, als er weg war, was ihnen fehlte.
Und dann saßen die elf Männer in einem Haus
mit geschlossenen Fenstern und erwogen,
die Gruppe aus taktischen Gründen aufzulösen.
Von der Auferstehung sprachen zuerst die Frauen.
Die Elf witzelten darüber.
Jesus habe schon gewusst,
            wie man eine Nachricht am besten verbreitet.
...
Als  er selbst erschien, war Thomas gerade einkaufen.
Er war der einzige, der sich traute.
Hinterher schafften die Zehn es nicht,
den elften Jünger davon zu überzeugen,
dass Jesus wieder da war.
...
Vielleicht hatten sie,
            selbst als er wieder da war,
noch nicht richtig realisiert,
            dass er wieder da war.
Männer sind nicht leicht aus ihrer Trauer zu lösen
und aus dem, woran sie sich gewöhnt haben.
Und so spricht Jesus von diesem Moment der Klarheit,
von dem Moment, als der Himmel aufgeht.
Er kündigt den Jüngern an,
dass sie getauft werden.
Ich lese uns die Szene aus der Apostelgeschichte:
Und als er mit ihnen zusammen war,
gebot er ihnen, von Jerusalem nicht zu weichen,
sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten,
die ihr [, sprach er,] von mir gehört habt.
Denn Johannes hat mit Wasser getauft,
ihr aber werdet mit heiligem Geist getauft werden
            nicht lange nach diesen Tagen.
Als sie nun zusammengekommen waren,
fragten sie ihn:
Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?
Er sprach zu ihnen:
Euch gebührt es nicht, Zeit oder Stunde zu wissen,
die der Vater nach seiner eigenen Macht festgesetzt hat.
Aber ihr werdet Kraft empfangen,
wenn der Heilige Geist über euch kommt,
und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem
            und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Welt.
Und als er dies gesprochen hatte,
wurde er vor ihren Augen emporgehoben,
und eine Wolke nahm ihn auf,
sodass er ihren Blicken entschwand.
Und als sie zum Himmel aufschauten,
            während er dahinfuhr,
siehe, da standen zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen, die sagten:
Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und blickt zum Himmel auf?
Dieser Jesus, der von euch weg
            in den Himmel emporgehoben worden ist,
wird so kommen, wie ihr ihn habt in den Himmel fahren sehen.
Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berge,
welcher der Ölberg heißt,
der nahe bei Jerusalem ist, einen Sabbatweg weit.
[Apg 1, 4-12, Zürcher (1931)]

Ihr werdet getauft werden mit dem Heiligen Geist.
Und sofort nach diesem Satz stellen die Jünger unter Beweis,
dass der Heilige Geist noch nicht bei Ihnen angekommen ist.
Stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?
Sie schauen eben nicht zum Himmel,
der über der Erde aufgeh'n kann, sondern auf die Erde.
Das Reich Davids,
Israel in seiner größten geografischen Ausdehnung,
das Friedensreich mit einem neuen David.
Das trauen sie Jesus zu.
König werden, mehr nicht.
...
Und der spricht noch einmal von der Taufe.
Der Heilige Geist wird über euch kommen
            und ihr werdet für mich auf der Erde sein.
Ihr werdet für meine Sache einstehen.
Ihr werdet sein wie ich war - mithilfe des Heiligen Geistes.
Und dann hebt er die Augen der Männer zum Himmel.
Er tut das, indem er selbst - vor ihren Augen - im Himmel verschwindet.
Seht, der Himmel öffnet sich!
...
Die elf starren nach oben.
Und jetzt kommt eine Slapstick-Szene.
Elf Männer aus Galiläa starren in den Himmel,
            wo hinein Jesus gerade verschwunden ist,
und zwei Engel, die plötzlich da sind, fragen:
Ihr galiläischen Männer, was steht ihr da und blickt zum Himmel auf?
Ja, was blicken sie zum Himmel auf.
Sollten sie nicht in Jerusalem Jesu Zeugen sein?
Und so gehen sie nach Jerusalem.
Sie sehen zur Erde,
            dann zum Himmel
                        und dann wieder auf die Erde.
So ist es richtig.
Hin- und hersehen.
Zu wissen: Der Himmel öffnet sich zuweilen.
Und mit diesem Wissen auf der Erde leben.
Auf der Erde, die nicht mehr ist wie bisher.
Denn der offene Himmel ist nun keine Metapher mehr.
Er öffnet sich, um Jesus aufzunehmen.
Er öffnet sich bei jeder Taufe.
Und die Jünger setzen sich in Bewegung.
Sie gehen zurück nach Jerusalem.
...
In der lateinamerikanischen Befreiungstheologie
gibt es den Begriff der „Praxis der Füße“.
Wohin geht Jesus?
Wo ist er unterwegs?
Aber auch:
Was tun die Leute in den Evangelien,
            ehe sie wissen, was sie tun wollen.
Darauf ist die Antwort:
Jesus ist im ganzen Land unterwegs.
Er mischt sich unter das Volk.
Er geht zu den Armen.
Er geht auch in die Gebiete und die Häuser,
            die ein anständiger Jude lieber meidet.
Und auf unsere elf Jünger bezogen heißt das:
Diesmal haben sie es begriffen.
Vielleicht wissen sie noch nicht, was sie tun werden.
Sie wissen noch nicht, wie sie handeln werden
in jener Geschichte, die Lukas geschrieben hat
            und die „Die Apostelgeschichte“ heißt.
Aber ihre Füße bewegen sich bereits Richtung Jerusalem,
an den Ort, wo alles endete
            und dann wieder alles begann,
                        an den Ort, wo Jesus sie haben will.

Taufe ist eine Mischung aus der Praxis der Füße: Zum Taufstein gehen.
Und einer Bewegung des Himmels: Er öffnet sich.
Und nach der Taufe gehen wir nach Jerusalem (oder wo immer uns Gott braucht).
Und wir wissen: Einmal hat sich der Himmel geöffnet.

Und wir leben unser Leben.
Und es ist nicht einfach.
Und manchmal kommen uns die Dämonen sehr nah.
Und öfter wissen wir nicht, was wir tun.
Aber die Füße gehen voran.
Und wir schauen zum Himmel,
wenn wir nicht weiter wissen und fragen uns:
Wann geht der Himmel auf?
Und wir wissen:
Es kann passieren.
Es wäre nicht das erste Mal!
Amen.
...
Und der Friede Gottes,
der weiter ist als unsere menschliche Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.