Ausgestreckte Hand - Matthäus 14,22-33 von Jens Junginger
Von der ausgestreckten Hand und der Schönheit der Jesusgeschichten
Jesus heilte Kranke, er half den Armen, er wurde gekreuzigt.
Jesus ging übers Wasser.
Das sind die markantesten Kennzeichen für Jesus, die Menschen spontan einfallen.,
Es sind Merkmale, die seine Außergewöhnlichkeit beschreiben.
Sein Gang übers Wasser ist ein beliebtes Motiv für Maler.
Es bietet ebenso Anlass zu ganz grundsätzlichen Diskussionen.
Der war halt was Besonderes und hatte übernatürliche Fähigkeiten, sagen die einen,
Das ist der beste Beweis, sagen die Anderen, dass da viel erdichtet und erfunden wurde.
Und die Dritten wählen den Kompromiss.
Er war wichtig mit seiner Nächstenliebe, aber dass er übers Wasser ging, das ist einfach unlogisch, Fantasy eben.
Hören wir uns an, was in der Geschichte erzählt wird:
Jesus drängte die Jünger,
in das Boot zu steigen.
Sie sollten an die andere Seite des Sees vorausfahren.
Er selbst wollte inzwischen die Volksmenge verabschieden….
Das Boot war schon weit vom Land entfernt.
Die Wellen machten ihm schwer zu schaffen,
denn der Wind blies direkt von vorn.
Um die vierte Nachtwache kam Jesus zu den Jüngern.
Er lief über den See.
Als die Jünger ihn über den See laufen sahen,
wurden sie von Furcht gepackt.
Sie riefen:
»Das ist ein Gespenst!«
Vor Angst schrien sie laut auf.
Aber sofort sagte Jesus zu ihnen:
»Erschreckt nicht!
Ich bin es.
Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Petrus antwortete Jesus:
»Herr, wenn du es bist,
befiehl mir,
über das Wasser zu dir zu kommen.«
Jesus sagte:
»Komm!«
Da stieg Petrus aus dem Boot,
ging über das Wasser
und kam zu Jesus.
Aber auf einmal merkte er,
wie stark der Wind war
und bekam Angst.
Er begann zu sinken
und schrie:
»Herr, rette mich!«
Sofort streckte Jesus ihm die Hand entgegen
und hielt ihn fest.
Er sagte zu Petrus:
»Du hast zu wenig Vertrauen.
Warum hast du gezweifelt?«
Dann stiegen sie ins Boot –
und der Wind legte sich.
Und die Jünger im Boot warfen sich vor Jesus nieder.
Sie sagten:
»Du bist wirklich der Sohn Gottes!«
Als der Maler Paul Klee1 vor etwa 100 Jahren nach Tunesien reiste, sagte er bei seiner Ankunft:
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer“. Er war ergriffen von dem was er sah. Der Nachwelt hat er eindrückliche Aquarelle hinterlassen, mit farbenfrohen Motiven aus dem Maghreb.
Er hat uns aber noch einen Satz hinterlassen über die Bedeutung von Bilder und die Kunst. Er sagte: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“
Mir gefallen Paul Klees Bilder. Und mir gefällt dieser Satz.
Mit gefällt der Satz hinsichtlich der Bilder, die die biblischen Geschichten zeigen.
In unserer Geschichte sehen vordergründig eine Art Superman: Jesus.
Einen Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten.
Einen Menschen, dem sich die Naturgewalten, Wasser und Wellen unterwerfen.
Wir sehen einen Menschen, der mit einer Macht ausgestattet ist, die in anderen Kulturen und Religionen der Antike nur Götter haben.
Diejenigen, die dieses Bild auf erzählerische Weise malen, machen diesen Jesus sichtbar, so wie sie ihn sehen.
Man merkt den Erzählern an, so wie man es dem Maler Paul Klee abspürt, dass sie ergriffen wurden, von dem was sie erlebten.
Paul Klee vermochte es mit seinen Farben und Konturen zu zeigen.
Die Erzähler, die von Jesu Gang über das Wasser erzählen, bündeln ihre Eindrücke von Jesus in eben dieser Erzählung. Sie tun das als diejenigen, die von ihm beeindruckt waren, mittelbar oder unmittelbar. Sie machen etwas von ihm in ihrer Erzählung sichtbar, Jahrzehnte nachdem Jesus gelebt, geheilt, geredet, agiert hat und gekreuzigt wurde.
Sie sind beeindruckt von ihm gewesen, weil er vielleicht der Einzige war, der die Angst der Leute wahrgenommen hatte, die am See, am See Genezareth, lebten. Die Angst der Fischer - vor den Naturgewalten, den Stürmen und Unwettern. Er war wohl der einzige, der auf sie eingegangen ist und sie beruhigt hat. Er ihre Angst ernst genommen.
Und er war der, der auch über dieser Angst stand, über dem, was ihnen Angst machte – das Wasser, die Wellen, die Unsicherheit in ihrer Existenz.
Ihrer Angst zum Trotz strahlte er Ruhe aus. Souveränität. Das beruhigte.
Was die Leute empfanden und was Jesus bei ihnen bewirkte, das machten die Erzähler sichtbar:
Das war der, der übers Wasser ging. Der über allem zu stehen schien. Und das hatte natürlich etwas faszinierendes, beeindruckendes und zugleich Gespenstisches.
Es hat ihnen die Angst genommen.
Unmögliches war ihm möglich!
Das sind die beiden Bildbotschaften der biblischen Wunder-Geschichten.
Beide Botschaften sind wichtig für unser Grundvertrauen, für unsere Haltung und wie wir dem Leben und den Unwettern im Leben begegnen, auch, wie wir in die Zukunft blicken.
Die Schönheit einer solchen Geschichte liegt gerade nicht in ihrer logischen rationalen Nachvollziehbarkeit
und schon gar in ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit, sondern in ihrem anarchischen unlogisch visionären Gehalt2.
Jesus unterfüttert die Vision von einem angstfreien Leben in dem er sie anreicherte, mit seiner unmissverständlichen Haltung, seinem parteilichen Auftreten und seinem entschiedenen Handeln.
Eine Orientierung an dieser jesuanischen Vision des menschlichen Miteinanders brauchen wir in einer beängstigenden, Angst machenden, vielfach entzweiten und entsolidarisierten Welt dringender denn je.
Eine andere Schönheit dieser Jesus Geschichte ist, dass sie die unumstößliche Gewissheit vermittelt:
Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Diese Gewissheit braucht jedes Kind, jeder Mensch – eigentlich.
Wir leben in unruhigen Zeiten
Es gibt genug was wir aufzählen könnten, warum die Angst gute Gründe hat.
Angst um die Zukunft – auch der Kinder.
Angst davor, dass Ängste geschürt werden und dass mit der Angst – mit vermeintlicher Angst – Stimmung und Politik gemacht wird.
Umso wichtiger ist es da, dass gerade Kinder mit einem Grundvertrauen aufwachsen, in ihre Zukunft hinein.
Dieses Grundvertrauen bekommen sie aus verschiedenen Quellen, von den Eltern, Paten, Großeltern.
Und - aus den biblischen Geschichten.
Aus Quellen, die einen Jesus sichtbar machen, der ruhig und gelassen übers Wasser geht, auch wenn es dem aufgeklärten rational denkenden erwachsenen Menschenverstand als totaler Quatsch erscheint.
Der Entertainer Thomas Gottschalk hat es beim Neujahrsempfang recht eindrücklich geschildert, wie er selbst als Kind unmerklich, aber nachhaltig von christlicher Herzensbildung geprägt, gestärkt und stabilisiert wurde. Und das bewirken solche Bildergeschichten,
Und er hat bekannt, dass es ihm wiederum bei seinen Kindern nicht gelungen ist, ihnen diese Geschichten mitzugeben und dass da etwas fehlt.
Nun erzählt unsere Geschichte ja auch vom Scheitern, vom sinkenden Vertrauen, von der Angst, die einem gleichsam den Boden unter den Füssen wegzieht und einen verunsichert.
Petrus war sich zunächst sicher. Er stieg aus dem Boot und ging los.
Er hatte Vertrauen, ja, Gewissheit.
Doch dann verlor er den Boden unter den Füßen und sank ab.
Lebensläufe sollten heute solche Einbrüche gerade nicht aufweisen.
Denn da runzelt jeder Personaler die Stirn. Warum eigentlich?
Ein früherer Personalvorstand eines schwäbischen Familienunternehmens beklagte vor ein paar Jahren in einem Gespräch: Genau solche Erfahrungen des Einbrechens, der Verunsicherung, das fehlt den meisten Jungen von heute. Sie sind – sagte er aus eigener Erfahrung – lehrreich, Herzensbildend.
Vielleicht wird aber gerade das abtrainiert oder mit Medikamenten bekämpft?
Die glatte Laufbahn führt zu einer vermeintlich coolen und verklärenden Selbst-Gewissheit.
Neuerdings wird in der Hochschule hier das Fach Ingenieurs-Psychologie eingeführt. Es besteht – so wird erklärt - Bedarf an Menschlichkeit in der Arbeitswelt. Und! Es werden kirchlich-seelsorgerliche Angebote und Ansprechpersonen erbeten und erfragt, für die Studierenden.
Einbrüche, Verunsicherung, die Gefahr den Halt zu verlieren, das gibt’s, mehr als sichtbar wird. Wir sind keine Maschinen.
Das, was dieser Jesus von Nazareth verkörpert, gelebt und vertreten hat, womit er zutiefst beeindruckt hat, das ist uns – so ist mein Eindruck - verloren gegangen
Und wir merken: Wir vermissen es!
Dieses: „Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste“ tut uns nicht gut. Es entsteht Misstrauen, Skepsis, Abgrenzung, Ausgrenzung, Aggression, Rücksichtslosigkeit.
Wir sind in Zweifel geraten, ob die Ideologie: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ im wahrsten Sinne des Wortes tragfähig ist, oder ob wir damit nicht eher untergeh’n?
Petrus konnte sich auf Jesus verlassen.
Wir sagen heute: Er konnte sich auf seine Empathie, seine Solidarität, auf seine Achtsamkeit verlassen.
Und, dass er ihm Halt geben würde.
Petrus sinkt, weil er verunsichert wurde, weil er ins Zweifeln geraten ist.
Aber: Petrus geht nicht unter.
Weil er Jesus nicht egal ist. Weil einer die Hand austreckt.
Diese zunächst verrückt, unlogisch erscheinende Geschichte macht sichtbar:
Wir sind untereinander auf ausgestreckte Hände angewiesen, alle.
Nicht nur auf die ausgetreckten Hände von Profis.
Und: Wir sind auf solche Geschichten angewiesen. Ich meine sogar sehr. Wieder mehr. Geschichten, die uns sensibilisieren, die ermutigen, Verunsicherung und Angst gerade nicht zu kaschieren, sondern das Einsinken wahrzunehmen, gegenseitig Achtsamkeit einzuüben und Halt zu geben.
Solche Geschichten machen ein Vorbild sichtbar, erkennbar. Vorbilder geben Halt. Sie prägen die eigene Haltung und geben Orientierung, für das, was wichtig ist, für unser Zusammenleben – im Kleinen wie im Großen.
Die Geschichte macht sichtbar:
Du kannst den Boden unter den Füßen verlieren. Du kannst aber auch an einer ausgestreckten Hand Halt finden. Du kannst selbst deine Hand ausstrecken und Halt geben.
Geht hin, sagt Jesus, erzählt davon und tut desgleichen.
Gebet
Du Gott
dich sprechen wir an - direkt
einfach so,
denn
wir brauchen jemand
einen Ansprechpartner
außerhalb der Sphäre
unseres menschlichen Miteinanders
ein etwas anderes Gegenüber
das uns nicht gleich ins Wort fällt
auf Sachzwänge und Logik verweist
oder die Frage nach der Umsetzbarkeit stellt
oder den Sinn oder Unsinn beklagt
Du Gott des Erbarmens
Du Gott der Liebe
wir merken
wie gut es ist, wie wichtig
immer wieder sichtbar gemacht zu bekommen
worauf es ankommt
worauf es wirklich ankommt
was uns Orientierung gibt
was uns trägt
durch die Unwetter unseres Lebens
und dieser Welt hindurch
gerade, wenn wir den Boden unter den Füßen verlieren
nämlich
das wirkliche Dasein füreinander
die ausgestreckte Hand
und dass wir sie annehmen, zugreifen
egal was passiert
Du Gott bist es letztlich
Du, Gott in uns
der du uns zugleich umgibst
du verleihst uns
den Blick, die Sensibilität
für Mitmenschen
so bitten wir dich
bleib bei uns
dass wir das nicht verlieren
sondern wachhalten
durch Geschichten
die auch von Jesus erzählen
hilf uns
sensibel zu sein und zu bleiben
und uns gegenseitig dazu zu ermuntern.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Klee
[2] Fulbert Steffensky (2002), Das Haus, das die Träume verwaltet, S.82