Schöpfung - Predigt zu Sprüche 8,22-36 von Christiane Borchers
Jubilate, jubelt, die Erde ist schön, jede Pflanze, jedes Tier, jeder Mensch: ein Kunstwerk, empfindsam und verletzlich. Jedes Lebewesen: angewiesen auf Sonnenschein und Regen, den Wechsel von Tag und Nacht, auf die Fruchtbarkeit der Erde. Alle Lebewesen kommen aus demselben Element, dem Wasser. Alles Leben ist im Meer entstanden. Die Schöpfung ist nicht abgeschlossen, Leben steht niemals still, entwickelt sich immer weiter.
Aus der Ferne vernimmt sie zarte Töne,
leicht und behände bewegt sie sich zum Klang der Musik.
die Töne werden stärker,
sie dreht sich schneller, ihre Arme schwingen mit.
Die Musik wird fordernd und laut.
Jetzt fegt sie wie ein Wirbelwind durch die Luft,
sie tanzt mit dem Wind über den Wassern in der Tiefe.
Die Wasser geraten in Bewegung, die Wellen werden groß und mächtig.
Das Wasser beginnt sich zu teilen,
sammelt sich unten im Ozean,
oder oben in Regenwolken am Himmel.
Trockenes Land entsteht, die Erde wird fruchtbar,
das Leben beginnt.
Die Welt entsteht durch ekstatischen Tanz einer Frau, die sich mit dem Wind verbindet. So erklären sich die Griechen in der Antike die Erschaffung der Welt. Seit alters her sinnen Menschen über den Ursprung der Schöpfung nach. Die Schöpfung ist kein Zufall, sie entstammt göttlichem Wirken, so denken die Menschen in der Antike. Das steht für sie außer Frage. In allen Schöpfungsmythen kommt Wasser als das Urelement vor und spielt bei der Erschaffung der Welt eine Rolle. Das Wasser selbst wird nicht geschaffen, es ist vorhanden, ebenso existiert die Dunkelheit, bevor Schöpfung geschieht. Schöpfung entsteht durch Teilung des Wassers. Das Wasser wird geteilt in unten und oben. Das untere Wasser ist das Wasser der Ozeane, es fließt in Flüssen, Bächen und Seen. Das obere Wasser ist der Regen, der vom Himmel auf die Erde fällt. Der Zustand vor der Erschaffung der Welt ist dem Zustand im Mutterschoß ähnlich: Sie ist gestaltlos, bedeckt von Wasser und Dunkelheit. Auch der erste Schöpfungsbericht in der Bibel erzählt, dass zu Anfang nichts ist bis auf Wasser und Dunkelheit.
„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Tiefe und der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ Gott schafft weder Wasser noch Finsternis, sie sind vorhanden. Das erste, was Gott macht, ist das Licht. Danach teilt er das Wasser in unten und oben, bis trockenes Land sichtbar wird. Die Teilung des Wassers ist Voraussetzung für Leben. Die Teilung des Schilfmeeres kommt mir in den Sinn. Auch hier teilt Gott das Wasser. Die Israeliten laufen trockenen Fußes durch das Meer, die sie verfolgenden Ägypter gehen in den Fluten unter, weil Gott das Wasser wieder schließt.
Gott erschafft die Welt. Bei ihrer Erschaffung ist er nicht allein. Es ist schon jemand da. Diese Gestalt stellt sich im Buch der Sprüche vor: Die Weisheit spricht:
„Gott hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.“ Die Weisheit ist alt. „Als die Meere noch nicht waren, ward ich geboren“, sagt sie von sich. Mir fällt auf: Die Weisheit ist geboren, nicht geschaffen. Gott hat sie also nicht gemacht. „Als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen, war ich da. Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren. Als Gott die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens, da war ich schon da. Als Gott die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über die Fluten der Tiefe, als er die Wolken droben mächtig machte und die Quellen der Tiefe stark und dem Meer seine Grenze setzte, war ich da.
Die Weisheit ist älter als die Welt, sie ist so alt wie die Urflut. Bereits im ersten Satz des biblischen Schöpfungsberichts ist von ihr die Rede: „…. der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ Der Geist Gottes, der über den Wassern schwebt, ist die Weisheit. Das hebräische Wort für Geist ist Ruach, die Ruach wird mit der Weisheit aus dem biblischen Buch der Sprüche identifiziert. Die Ruach ist wie das Wasser und die Finsternis vor aller Zeit vorhanden. Mit ihrer Hilfe erschafft Gott die Welt. Luther bezeichnet die Weisheit als die Werkmeisterin.
Die Weisheit ist bei Gott, als er dem Wasser seine Grenze setzt und die Grundfesten der Erde legt. Von Gott und der Weisheit wird als von zwei verschiedenen „Personen“ geredet. Sie haben ein vertrautes Verhältnis zueinander, sie ist sein Liebling und spielt vor ihm allezeit. Die Weisheit spielt vor Gott. Das Wort „vor“ kann ich räumlich verstehen: Die Weisheit spielt vor Gott. Ein Bild entsteht bei mir im Kopf: Wie ein Kind spielt die Weisheit auf dem Teppich vor den Füßen seines Großvaters. Der Großvater sitzt gemütlich in seinem Lehnsessel und sieht mit Freude seinem Enkel beim Spiel zu. Die Weisheit spielt. Wir können uns die spielende Weisheit aber auch als erwachsene Frau vorstellen, die einen erotischen Tanz vor ihrem Geliebten aufführt. Die Bibel sagt immerhin, dass sie sein Liebling ist, an der Gott seine Lust hast.
Die Weisheit spielt vor Gott.
Das Wort „vor“ lässt sich auch zeitlich deuten. Die Weisheit spielt, längst bevor Gott die Welt erschafft. Ihr Spielen ist ein schöpferisches Spiel, gar ein erotischer Tanz, durch dessen schnelle Bewegung Leben entsteht wie ihn der griechische Schöpfungsmythos erzählt.
Die Weisheit ist Gottes Lust, auch ein Kind kann die Lust und die Freude seiner Eltern oder Großeltern sein. Dennoch dürfen wir uns die Weisheit nicht als spielendes Kind vorstellen. Die Weisheit hat einen hohen Anspruch. Sie wirbt um Gehör „So hört auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten! Hört meine Mahnung, werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!“ So spricht kein Kind, so spricht eine erwachsene Person, die Lebenserfahrung hat und die weiß, um was es geht. Die Weisheit ist eine erwachsene Person, sie wird als Frau wahrgenommen und nicht als Mann. Es wird von ihr an anderer Stelle als Frau Weisheit gesprochen. Das hebräische „Ruach“ wird im Griechischen mit „Sofia“ übersetzt, sowohl Ruach als auch Sofia sind weiblich. Das deutsche Wort „Geist“, so übersetzt Luther das Wort „Ruach“, gibt die lebendige bewegende schöpferische Kraft nicht annähernd wieder. Im Deutschen gibt es keinen entsprechenden Begriff für Ruach.
Die Weisheit spielt vor Gott. Sie ist sein Liebling, der seine Lust an ihr hat. Die Weisheit selbst ist nicht lustlos, sie hat ihre Lust an den Menschenkindern. Sie scheint grundsätzlich mit den Menschen zufrieden zu sein, legt sie nicht grundsätzlich auf ihre Verfehlungen fest, obwohl sie weiß, wie grausam Menschen sein können. Gewalt und Unrecht beherrschen ganze Familienverbände und Völker. Schwache: Frauen, Kinder, Tiere, leiden am meisten darunter und haben das Nachsehen. „Hört auf mich, meine Söhne“, ruft sie diesen Leuten entgegen, „werdet weise und schlagt meine Mahnungen nicht in den Wind!“ Die Weisheit steht an Wegkreuzungen. An Wegkreuzungen muss ich mich entscheiden, welchen Weg ich einschlage. Die Weisheit steht an den Toren der Stadt. Am Stadttor wird Recht gesprochen. Die Weisheit hat sich gute Plätze ausgesucht, sie mahnt, nicht den Tod, sondern das Leben zu wählen.
„Wohl dem Menschen, der mir gehorcht“. Die Weisheit verlangt keinen blinden Gehorsam, sie gibt einen Rat. Ihre Mahnungen haben Gewicht. Wer ihre Weisungen in den Wind schlägt, muss mit den Konsequenzen rechnen. „Wohl dem Menschen, der mir gehorcht und meinen Weisungen folgt, er wache an meiner Tür täglich und hüte die Pfosten meiner Tore“. Die Bilder, die die Bibel malt, gefallen mir. Die Weisheit ist nicht heimatlos, sie hat ein Zuhause und wohnt in einem Haus. Das Haus scheint prächtig zu sein. Ist es gar ein prächtiger Tempel so wie Gott einen Tempel auf Erden hat? Die Pfosten der Tore könnten einen Hinweis darauf liefern.
„Wer mich findet, findet das Leben, wer mich aber verfehlt, zerstört sein Leben.“ Ihre Weisungen und Mahnungen sind ernst gemeint. Wehe den, der sich nicht an sie hält. Die Weisheit beansprucht Autorität. Sie behält ihre Einsichten und Erkenntnisse nicht für sich, sie teilt sie mit und mahnt, sich für das Leben zu entscheiden. Sie zwingt niemanden, ihre Ratschläge zu befolgen. Wer ihre Mahnungen missachtet, hat die Folgen zu tragen. Nicht Tod und Verderben, sondern Bewahrung des Lebens ist ihr Ziel. Dasselbe Ziel verfolgt auch Jesus. Jesus kann als Träger der Weisheit gesehen werden. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“, schreibt Paulus in seinem Brief an die Kolosser (Kol 2,3).
Das Johannes-Evangelium zeugt von der Wiederkehr der Weisheit in Christus. „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht…. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,1,3,14). In Jesus hat die Weisheit auf Erden eine Bleibe gefunden.
Der Weisheit ergeht es wie Jesus. Sie kommt aus dem Himmel in die Welt und will bei den Menschen Wohnung nehmen. Wie Jesus nimmt die Welt sie nicht an. Wie Jesus wandert die Weisheit durch die Welt und mahnt, das Leben zu wählen. Wie Jesus findet sie keinen Platz, an dem sie ihr Haupt hinlegen kann (vgl. Mt 8,20). Die Weisheit ist wie Jesus obdachlos. Wie Jesus kehrt sie in den Himmel zurück. Die Bibel kennt beide Traditionen: da ist auf der einen Seite das Haus bzw. der Tempel, in dem die Weisheit wohnt, auf der andere Seite die fehlende Schlafstätte, wo sie ihr Haupt hinlegen kann.
Jubilate, jubelt, die Weisheit lässt sich hören.
Jubilate, jubelt, die Schöpfung ist schön. Jedes Lebewesen, jede Pflanze, jedes Tier gebühren Anerkennung und Respekt.
Jubilate, jubelt, die Erde erhält und ernährt uns, labt euch an ihrer Pracht.
Die Weisheit steht heute wieder an den Wegkreuzungen und besonderen Plätzen und ruft: Hört meine Weisungen, schlagt meine Mahnungen nicht in den Wind, entscheidet euch nicht für den Tod, wählt das Leben. Habt eure Lust an den Menschenkindern, die für das Leben eintreten. Tanzt, spielt, seid schöpferisch und gestaltet die Welt. Amen.
Liedvorschläge:
Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig
EG-Nr. 510 Freuet euch der schönen Erde…
EG-Nr. 690 Auf Seele, Gott zu loben (ref. Ausgabe)
EG-Nr. 501 Wie lieblich ist der Maien (Melodie wie EG-Nr. 690)