Wann kommt Gottes Reich? Eine paradoxe Antwort - Predigt zu Lukas 17,20–25 von Paul Geiß
17,20-25

Wann kommt Gottes Reich? Eine paradoxe Antwort - Predigt zu Lukas 17,20–25 von Paul Geiß

Wann kommt Gottes Reich? Eine paradoxe Antwort

Kap. 17, 20 Als Jesus aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. 23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!

24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

25 Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht. .

I.               

Liebe Gemeinde,

Sie haben das Evangelium gehört, es geht um die ernste Frage, die sich uns immer wieder aufdrängt: Macht Gott dieser Welt ein Ende, wird ein Ende kommen, müssen wir uns ewig damit herumplagen, das Fürchterliches geschieht, ohne dass sich daran etwas ändert? Wann wird das geschehen? Das hat auch schon die Menschen damals umgetrieben. Wir wollen uns darauf einlassen. Und deshalb:

Stellen wir uns doch einmal  vor, wir wären Jüngerinnen und Jünger von Jesus, wären als junge Menschen  aufgebrochen, hätten Vater und Mutter verlassen und uns dem Rabbi aus Nazareth angeschlossen.

Er hat begeistert, er war  plausibel, er hat uns eine Weltdeutung eröffnet, die wir spannend fanden in den Krisen unserer Jugend, wo die großen Fragen nach Sinn und Unsinn des persönlichen Lebens auf Antwort drängen. Und dann hätten wir uns deshalb aus unseren bisherigen Lebensplänen verabschiedet und wären mit ihm gezogen, ein Jahr, zwei Jahre. Eine begeisternde Zeit, von der wir keinen Moment missen möchten.

Er predigt so packend, er verwendet wunderbare Gleichnisse, er erklärt uns, dass der Sabbat um des Menschen willen da ist, nicht, um tote Vorschriften zu erfüllen. Er heilt und belehrt, er deutet und hilft. Alle unsere Erwartungen und Hoffnungen ruhen auf ihm.

Und dann kommen diese Pharisäer und fragen eine Frage, die uns insgeheim auch immer wieder beschäftigt, wir hatten noch nicht den Mut zu fragen: Du, Rabbi, wir sehnen uns nach der Gottesherrschaft, wir sehnen uns danach, dass Gerechtigkeit und Frieden herrschen, dass jeder sein Auskommen hat, dass alle in Frieden und Freiheit leben können und dass Macht und Streit kontrollierbar werden, in geregelten Verfahren, ohne Gewalt und Blutvergießen. Hier auf dieser Erde.

So haben es doch die Propheten angekündigt, Schwerter zu Pflugscharen, der Löwe liegt friedlich an der Seite des Lammes, der Knabe steckt seine Hand furchtlos in die Höhle der Giftschlange.

Und die Propheten haben doch auf Dich hingewiesen, auf den Messias, und für uns bist Du der der Messias, also, wann beginnt Deine sichtbare Herrschaft, wann kommt das Reich Gottes?

Und dann sagt er doch tatsächlich so etwas Paradoxes, auf den ersten Blick Widersinniges: Die Herrschaft ist doch längst unter Euch und sie kommt noch.

Wie das? Sie ist da und kommt doch noch? Was meint er damit?

Meint er damit sich selbst, der sie ankündigt, verkündigt und lebt? Meint er damit, dass wir blind sind und sie nicht sehen? Meint er damit, dass wir selber mehr Sensibilität für seine Art der Herrschaft entwickeln sollen?

Er ist ja in der Regel ein sanfter Christus, er fragt die Leute: Was wollt ihr, dass ich Euch tun soll? und überfällt sie nicht mit seinen Anordnungen und Deutungen. Er begeistert und schafft es, dass die Leute ihm stundenlang zuhören können.

Und dann sagt er noch etwas Merkwürdiges: Ihr könnt Euch nicht darauf vorbereiten, es gibt keine Warnung, keine äußerlich sichtbaren, identifizierbaren Zeichen, die Euch unmissverständlich klarmachen: Jetzt ist sie da, die Gottesherrschaft, nein, sie ist schon da, Ihr seht sie nur offenbar nicht, warum seht Ihr sie nicht? Ihr werdet Euch noch danach sehnen, dass ich wieder bei Euch bin. Irreführende Zeichendeuter werden Euch bezirzen, da bin ich nicht, das bin ich nicht, die endgültige Herrschaft Gottes, meines Vaters: Sie kommt  wie ein Blitz, und dann ist sie endgültig da, sichtbar vor aller Welt.

Wie kann man das begreifen: Jetzt ist sie zugleich sichtbar und unsichtbar, die Gottesherrschaft, es gibt Hinweise, aber sie sind ungewiss. Einige Scharlatane werden sie auf ihre Weise beschreiben, wollen sie sogar hier in dieser Welt herbeigeführt wissen, aber das ist sie nicht. Wir sehnen uns danach und wollen Jesus für immer haben, um in Ruhe und Frieden unbedroht leben zu können, und da sagt Jesus doch noch: aber ich muss leiden und von diesen Menschen um mich herum abgelehnt werden.

Wäre ich an seiner Seite und hätte diese Worte gehört, es wäre mir wie ein Stich durchs Herz gegangen. Jesus mein Vorbild, er wird nicht mehr da sein? Irgendwann bin ich allein und muss mich ohne ihn zurechtfinden? Mein geistlicher Vater nicht mehr da?

Er enttäuscht mich. Denn wahre Liebe sinnt auf Dauer, nicht auf solche rätselhaften Ankündigungen paradoxer Natur. Und da sagt er: Meine Herrschaft kommt plötzlich, unangekündigt, wie ein Blitz von einer Himmelsseite bis zur anderen.

Aber haben wir nicht alle solche Prozesse durchgemacht?

Wir haben uns als junge Menschen einer Überzeugung angeschlossen, unsere Eltern haben uns getauft, Paten und Lehrer uns begleitet, wir wurden konfirmiert und jetzt sind wir selbständige Christen im Glauben an diesen Jesus. Was nun? Es hat sich doch wenig von dem erfüllt, woran wir geglaubt haben. Der Blitz ist bisher ausgeblieben. Was jetzt?

Lassen wir das für einen Moment unberücksichtigt.

   II.

Das Kirchenjahr neigt sich dem Ende entgegen, drittletzter Sonntag vor dem Ende des Kirchenjahres, dann Advent und dann erst Weihnachten, es ist nicht schon jetzt viel zu spät, wie es uns bereits keineswegs wie ein Blitz angelaufene Weihnachtsindustrie fürchten lehrt.

Nächste Woche ist der Volkstrauertag, Buß- und Bettag und dann der Gedenktag für die Entschlafenen, der Ewigkeitssonntag.

Für viele von uns ist im zu Ende gehenden Jahr die Welt noch mehr aus den Fugen geraten. Überall Katastrophen, die Kriege im Nahen Osten mit ihren menschenverachtenden mörderischen  Konfrontationen in Syrien, Israel und Palästina, Irak, im Jemen, in Afrika und in Afghanistan treiben immer mehr Menschen zur Flucht. Sie drängen nach Europa, nach Deutschland. Wie soll das weitergehen?

Ein weltweit agierender deutscher Autokonzern fälscht die Abgaswerte von 11 Millionen Fahrzeugen, wirbt mit falschen Versprechungen, denen die Käufer Glauben schenken, weil sie das gar nicht selber nachprüfen können. Ihr Glaube in die perfekte Maschine und diesen Konzern wird verhöhnt und bitter enttäuscht.

Ein deutsches Bankunternehmen lügt und betrügt, umgeht Sanktionen und betreibt Geldwäsche im Milliardenausmaß und unterstützt auch die illegal zu Macht und Reichtum gekommenen. Immer schamloser werden Lügner und Betrüger, immer größer die Schäden.

Natürlich hätten wir jetzt gerne den Menschensohn an unserer Seite, der Unrecht zurechtrückt, die Herrschaft Gottes dürfte eigentlich solche schlimmen Verbrechen und Verfehlungen nicht dulden. Warum greift Gott denn nicht ein? Warum ist denn die angebrochene Gottesherrschaft noch nicht vollendet.

O, Jesu Christ, Du machst es lang mit Deinem jüngsten Tage, den Menschen wird auf Erden bang von wegen vieler Plage. Komm doch, komm doch, Du Richter groß, und mach uns bald in Gnaden los von allem Übel. Amen.

So dichtet Bartholomäus Ringwaldt 1586 im Gesangbuchlied 149 im Evangelischen Gesangbuch. Anscheinend teilt er mit uns die gleiche Erfahrung: Das Unrecht weltweit siegt, der Fromme unterliegt.

Die Hoffnung glimmt nur noch wenig. Die Fragen bleiben, wir stehen allein mit unseren Träumen und mit den überlieferten Verheißungen, an die wir vielleicht glauben.

   III.

Oder doch nicht allein? Wir leben ja in einer Gemeinschaft. In der großen Gemeinschaft der weltumspannenden Kirche Jesu Christi.

Jesus hat seine Jünger begleitet, angespornt, ermutigt und verpflichtet. Er musste leiden und wurde verworfen, er starb und, ja was nun?

Er wurde von Gott wieder erweckt, er ist auferstanden, er hat diese Art Welt überwunden, er wird wiederkommen und das vollenden, was er angefangen hat. So hat er es versprochen. Seine Herrschaft hat bereits begonnen und wirkt weiter in den Menschen, die an ihn glauben, in seiner Kirche, in der Welt, die von Christen in Politik und Gesellschaft mitgestaltet wird.

Wie sagt das nizänische Glaubensbekenntnis, - so ähnlich heißt es ja auch im apostolischen Glaubensbekenntnis in jedem Gottesdienst:

Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit,

zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.

Seit jeher gibt es die Vorstellung von einem Endgericht am Ende aller Zeit und Welt, und Jesus redet darüber ja auch in den nachfolgenden Versen des Lukasevangeliums.

Seit dem Mittelalter gibt es die Gesänge, die auf die Wiederkunft Christi als Richter und Retter hinweisen, es ist der Glaube an den Dies irae, dies illae, den Tag des Zorns, jenen Tag, an dem durch Gott, durch Jesus Christus und seinen Geist gerichtet und gerettet wird. Das Lied 149 im evangelischen Gesangbuch beschreibt die Vorstellung von jenem Tag. Wie kann das sein? Ich weiß es nicht, aber ich glaube daran.

Die Verbrechen der Menschheit sind ja nicht nur gerade in diesen Tage so himmelschreiend, dass ich die Vorstellung vom Endgericht am jüngsten Tag nicht abweisen kann. Er kommt wie ein Blitz unerwartet und ich hoffe, dass dann Gott in Jesus Christus das rechte Maß finden wird, um zu richten und zu retten. Wie das geschieht, das male ich mir erst gar nicht aus und die schlimmen Wünsche der Rachepsalmen aus dem Alten Testament möchte ich erst gar nicht an mich herankommen lassen, obwohl ich sie angesichts der Verbrechen verstehen kann.

   IV.

Lösen wir uns wieder von dem Bild, wir als Jüngerinnen und Jünger zu der Zeit Jesu.

Wir können ja nicht wirklich die Hoffnungen und Enttäuschungen aus der Zeit Jesu vor 2000 Jahren nachempfinden. Wir tragen immer unsere eigenen Hoffnungen und Enttäuschungen mit ein.

Aber ich hoffe, wir wollen bei Jesus bleiben und unsere Hoffnung in unseren großen und kleinen Gemeinden und Gemeinschaften mit Gebeten, Singen, Musik, ermutigenden Gottesdiensten immer wieder anfachen, allen Unkenrufen zum Trotz.

Wie heißt es in dem Lied „Jesu, meine Freude“,

Trotz dem alten Drachen, trotz dem Todesrachen und der Furcht dazu.

Tobe, Welt und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.

Gottes Macht  hält mich in Acht.  Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen.

Johann Sebastian Bach hat das unnachahmlich in seiner großartigen Motette vertont, und in diesen Trotz miteinstimmen, miteinstimmen, der Energie und Tatkraft liefert,  mit einstimmen, in diesen Trotz, er stellt sich dem Unrecht entgegen.

Jesus ist für unsere Augen nicht mehr sichtbar. die Menschen haben sich auch über seine Gebote und seine Formen von Barmherzigkeit hinweggesetzt und auch die Christenheit ist zerstritten.

Da erkennen die einen die anderen nicht als Kirche an, ein frommer Fundamentalist behauptet, er sei gerettet und die anderen verworfen, weil nicht alle an die leibliche Auferstehung Jesus glauben können, er aber schon.

Und das kirchliche Machtgefüge ist auch nicht immer barmherzig und Gemeinden und Pfarrer leiden unter willkürlichen Entscheidungen des Kirchenregiments. Reformen und Reförmchen irritieren. Aber auch da sage ich mir: Die Herrschaft Gottes hat begonnen, aber das Ende steht noch aus. Warten wir es doch ab und lassen es Gott richten!

Was bleibt: Ein altes Gebet zum Beispiel: Gott, lass bald den Tag kommen, an dem Deine Liebe siegt und wir Dich schauen können von Angesicht zu Angesicht.

Oder der Satz von Paulus im Brief an die Korinther 13 Vers 12:

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Und wie sagt Martin Luther am Ende seines Morgensegens (EG 815):

Alsdann mit Freuden an Dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen oder was Dir Deine Andacht eingibt.

So sehnen wir uns gestern, heute und morgen nach dem versprochenen dies irae, dies illae, nach dem Gericht am jüngsten Tag, nach der Wiederkunft Christi. Dadurch wird hoffentlich gerichtet, was verkehrt läuft in dieser Welt. Aber auch wir können auch nur darauf hoffen, er möge uns allen ein gnädiger Richter sein.

Und ein Letztes: wir sind mit unserem Zorn über den Zustand dieser Welt nicht allein, auch nicht mit unserer Hoffnung, die sich auf die Welt Gottes am Ende der Zeit richtet, seine Gemeinde, seine Kirche und auch wir hoffentlich, wir werden nicht verstummen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. AMEN. und Ende der Welt in Jesus Christus.