Predigt zu 1. Könige 19,1-13 von Rainer Stahl
Liebe Leserin, lieber Leser,
liebe Schwestern und Brüder,
immer, wenn Erzähltexte der Bibel Predigttexte sind, wird uns die Grundfrage aufgegeben, ob sie überhaupt gepredigt werden können, und wenn ja, in welcher Weise. Diese grundlegende Herausforderung gilt auch und gerade angesichts dieses Berichts über Elija.[1] Uns wird heute der wesentliche Teil des 19. Kapitels des 1. Königebuches vorgelegt. Aber darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass es nur verstanden werden kann, wenn auch das 18. Kapitel hinzugenommen wird. Eine Predigt braucht diesen großen Horizont!
Denn die Flucht, auf der wir Elija beim Hören und Lesen des Predigttextes begegnen, ist ja nur verständlich, wenn wir wenigstens in Grundzügen wissen, was vorher geschehen ist. Da steht also zuerst das Wirken des Elija am Karmel, durch das überzeugend und überwältigend die Macht des Gottes Jahwe gegenüber dem Gott Ba’al – so die Begrifflichkeit in der Bibel – zum Ausdruck kommt. Vor großem Forum, angesichts des ganzen Volkes erweist sich Jahwe mit einem Naturwunder, das völlig unerwartet kommt, als der eigentlich mächtige Gott.
Nun aber, im Rahmen dieser Fluchtgeschichte, wird am Ende die Macht des Gottes Jahwe in „einem stillen, sanften Sausen“ – wie Luther übersetzt – spürbar, gar nicht überzeugend und überwältigend! Nicht vor großem Forum, sondern nur für eine einzelne Person – und dann noch ganz behutsam, kaum merklich zeigt sich Gott.
Die Wahrheit liegt also – das wird mir schon bei diesen wenigen Beobachtungen deutlich – im Gesamtzusammenhang, in der Spannung zwischen beiden Erzählungen, zwischen den jeweiligen entscheidenden Aussagen und Erkenntnissen!
Und die Problemstellung, die wir vor uns haben, wird noch radikalisiert durch die direkte Voraussetzung für die Flucht des Elija – nämlich die Gewaltausbrüche im Zusammenhang mit Religion und Glauben, die die Erzählung in 1. Könige 18 andeutet: So habe Isebel die Propheten Jahwes „ausgerottet“. So habe Elija in einem Gewaltrausch 450 Propheten Ba’als eigenhändig am Bach Kischon „geschlachtet“ – hier steht das Fachwort für „schächten“. Diese terroristischen Taten – egal für welche Gottheit sie begangen werden – sind für mich nur eines: nämlich unerträglich. Und wie soll ich da eine Geschichte predigen, die mit solchen Taten in einem Zusammenhang steht?
Trotz dieser Zweifel will ich mich der Aufgabe stellen – liebe Schwestern und Brüder, liebe Leserinnen und Leser –. Zwei Zugänge habe ich entdeckt – aber für mich eigentlich nur diese beiden Zugänge:
Ich denke, dass die beiden Geschichten, die in 1. Könige 18 und in 1. Könige 19 erzählt werden, gemeinsam so etwas wie zwei Akte eines Theaterstücks, oder wie zwei Flügel eines Diptychons bilden: Der erste Akt, der erste Flügel demonstriert die offensichtliche, die direkte Macht des Gottes Jahwe, des „Herrn“. Der zweite Akt, der zweite Flügel weist auf die persönliche Folge dieser Glaubenseinsicht hin: Sie muss angesichts der Erfahrung der Gottesferne durchgehalten werden. Sie muss trotz Zweifeln, trotz Widerständen, trotz Leiden bewährt werden. Im Bild dieses Elija-Zweiakters, dieses Elija-Diptychons: Von himmelhoch-jauchzend-Sein bis hin zu zum-Tode-betrübt-Sein. Von Erfolg und Sieg bis hin zu Angst und Niederlage. Von Kraft und Stärke bis hin zu Erschöpfung und Müdigkeit.
Und es geht um die Opposition zwischen zwei Gottheiten die beide für ihre Anhänger „Herr“ sind. Jahwe übersetzen wir mit „Herr“ (und dieser Gottesname steht in unserem Text immer genau dort, wo in der Lutherbibel das Wort „Herr“ mit Kapitälchen gedruckt ist: „Herr“). Und Ba’al ist einfach ein mögliches Wort für „Herr“ im Hebräischen (so ist das Fachwort für Ehemann „Ba’al“). Hinter ihm verbirgt sich hier immer der Gott Haddad, den wir vor allem aus der aramäischen Kultur in Damaskus kennen. Um die Auseinandersetzung zwischen beiden geht es. Wer verdient Anerkennung? Wer verdient sie nicht?
Die Hauptperson in diesen Geschichten ist ein Mann namens Elija. Dieser Name heißt eigentlich im Hebräischen ausführlich: „Elijahu“. Und das ist ein Satz: „Mein Gott ist Jahwe“. „Mein Gott ist dieser eine der beiden – nämlich Jahwe“. „Mein Gott ist gerade der andere dieser beiden nicht – nämlich nicht Haddad“. Um diese Auseinandersetzung geht es.
Die beiden Kapitel, die wir eigentlich ganz lesen müssten, machen nun in dramatischem Geschehen deutlich, dass Elija im Recht ist, dass nur Jahwe in Wahrheit „Herr“ ist. Das bekennen die Israeliten, die Zeuginnen und Zeugen des faszinierenden Geschehens am Karmel, indem sie sagen und rufen:
„Jahwe ist Gott; Jahwe ist Gott!“
Ich schreibe lieber im Deutschen:
„Dieser, unser ‚Herr’ ist Gott; dieser, unser ‚Herr’ ist Gott!“
Also nicht der andere „Herr“ ist Gott, sondern dieser Jahwe ist der wahre „Herr“, ist der einzige Gott!
Unsere Predigtgeschichte fordert uns heraus – liebe Schwestern und Brüder, liebe Leserinnen und Leser –, nach den Entscheidungen zu fragen, die sich für uns zwischen Gott und Göttern, zwischen dem wahren „Herrn“ und den Herren ergeben, die über uns Macht ausüben wollen. Und sie fordert uns heraus, gegen die scheinbar mächtigen Götter unserer Zeit beim wahren Gott, beim einzigen „Herrn“ zu bleiben.
An dieser Stelle beginnt nun die Aufgabe der wachen Auseinandersetzung in unserer Zeit. Dabei wird es nie einfach um ganz klare Entgegenstellungen gehen. Sondern es wird immer darum gehen, ob und inwieweit wir unsere Lebenssicherheit und unsere Begeisterung von Dingen und Prozessen und Ereignissen beziehen, oder ob wir diese Dinge, Prozesse und Ereignisse nüchtern in unserem Leben nutzen – aber dabei und daneben Gott die eigentliche Macht in unserem Leben zusprechen! Also: Bei Geld und Gott gilt das; bei Sexualität und Gott gilt das; bei Sport und Gott gilt das; bei Besitz und Gott gilt das; bei Gesundheit und Gott gilt das; bei den modernen Medien der Kommunikation und Gott gilt das. Unser Glaube und unser heutiges Predigtwort schärfen unsere Selbsterkenntnis: Wie weit geht der Einfluss von Geld, von Sexualität, von Sport, von Besitz, von Gesundheit, von Smartphones, Facebook und Mobiltelefonen in meinem Leben? Stehen sie an der Stelle Gottes? Oder kann ich mich ihrer erfreuen und sie als Gaben Gottes deuten und einordnen und deshalb auch mit Nachlassen, Verlust, Verringerung einigermaßen – ich schreibe gar nicht: gut – umgehen? Unsere Predigtgeschichte fordert uns jedenfalls auf, für uns im eigenen Leben nach Verhaltensweisen, nach Entscheidungen, nach Schwerpunktsetzungen zu suchen, die Gott die letztliche Bedeutung belassen!
Schließlich geht es bei unserer Predigtgeschichte – liebe Schwestern und Brüder, liebe Leserinnen und Leser – um die Frage, was es für uns persönlich bedeutet, wenn wir den Einflüssen unserer Zeit und den Verlockungen anderer Mächte nicht erliegen. Ist dann einfach alles klar und in Ordnung? Haben wir dann alle Probleme überwunden und sind schon gleichsam „am Ziel“?
Unsere Predigtgeschichte lehrt uns: Nein! Auch dann können uns Enttäuschungen und Frustrationen, Müdigkeit und Scheitern überfallen. Dann brauchen wir den direkten Beistand des wahren Gottes, seine Hilfe ganz im Alltäglichen – so wie der „Bote Jahwes“, wie der „Engel des Herrn“ Elija stärkt und ertüchtigt für den Weg zum eigentlichen Ziel. So werden auch wir göttlichen Beistand brauchen – gerade als Glaubende brauchen. Wir werden diese Hilfe auch bekommen, aber nur in der Schwäche unseres Scheiterns, in den Ausbrüchen unseres Zweifelns, in den Erfahrungen unserer Enttäuschungen.
Diese Wahrheit hat der Marburger Theologe Hans-Martin Barth vor fünf Jahren in seinem großen Buch zur Theologie Martin Luthers so zum Ausdruck gebracht: „Gott begegnet auf Erden nie anders als in der Dialektik von Verborgen- und Offenbar-Sein: Die Offenbarung ist nicht das Ende der Verborgenheit Gottes – die Verborgenheit ihrerseits wird zum Impuls, erneut nach der Offenbarung zu fragen.“[2]
Genau dafür ist diese Elija-Geschichte ein Symbolgeschehen. Sie zu predigen, heißt, aufmerksam zu werden auf Erlebnisse und Widerfahrnisse im eigenen Leben, die als Offenbarung Gottes und als Verbergen Gottes verstanden werden können.
Zum Beispiel mein Erleben des 15. Juli 2010:
Um 4.30 Uhr sind wir in der Stüdl-Hütte auf 2.802 Metern Höhe unterhalb des Großglockners aufgewacht. Um 5.50 Uhr begann nach gutem Frühstück der Aufstieg zum eigentlichen Tagesziel. Das haben wir alle sicher erreicht – die Erzherzog-Johann-Hütte auf 3.451 Metern Höhe. Um 10.00 Uhr sind wir dort, essen etwas, und ich schlafe sogar ein wenig auf einer Bank in der Gaststube. Unser Bergführer Matthias entscheidet zusammen mit dem Wirt, dass wir doch noch am selben Nachmittag zum Gipfel aufsteigen. Wir bilden zwei Seilschaften – eine mit dem Wirt der Erzherzog-Johann-Hütte Bergführer, eine mit Matthias, jeweils mit dreien aus unserer Gruppe (zwei bleiben in der Hütte zurück und verzichten auf den Aufstieg). Zwei Mitwanderer und ich bilden mit Matthias zusammen die zweite Seilschaft. Um 14.00 Uhr geht es los. Am oberen Rand des Gletschers werden die Steigeisen und Stöcke abgelegt. Dann kraxeln wir über sehr schmale Wege und Felsplatten hinauf bis zum Gipfel. Um 16.00 Uhr sind wir am Ziel – auf 3.798 Metern Höhe. Überwältigt von dieser Leistung stehen wir zusammen um das Gipfelkreuz. Das war so ein großer Moment der Gewissheit, dass Gott geholfen und gut geführt hat.
Beim Aufstieg war ich der Letzte gewesen und bin nun beim Abstieg der Erste. Ich muss den schmalen und von Abbrüchen gekennzeichneten Weg wieder finden, wobei Markierungsstöcke gut helfen. Matthias geht hinten, um im Zweifelsfall die gesamte Seilschaft zu halten. Ohne Probleme kommen wir an den Beginn des Gletschers, nehmen wieder unsere Stöcke und legen die Steigeisen an. Ich denke: Nun kann nichts mehr passieren. Deshalb gehe ich fröhlich den wenig steilen Gletscher hinunter. Da rutscht die Person hinter mir aus und schlittert mir in die Beine, schlägt sie mir weg, so dass wir beide die Eis- und Schneefläche hinunterrutschen. Ich halte gerade noch meine Stöcke so fest, dass ich mich nicht mit ihnen verletze. Wie viele Meter wir hinunterschlittern, weiß ich gar nicht. Ich denke nur: Matthias wird schon halten. Und so ist es auch. Unser Bergführer hat diese Panne vorausgesehen und rechtzeitig das Seil um einen großen Stein geschlungen gehabt. So tut es einen Ruck, und wir halten plötzlich unmittelbar an. Aber als ich aufstehe, rutscht die Person hinter mir weiter ab, und die nächste in der Seilschaft schlittert auf uns zu. Männer, die den Weg reinigen wollten, kommen und helfen uns wieder auf. Die Person direkt hinter mir in der Seilschaft ist durch die Steigeisen der anderen am Arm verletzt worden, aber Schlimmeres ist nicht geschehen. Ein wenig zitternd stehen wir da – und gehen dann, als Matthias bei uns ist, doch wieder ohne Angst weiter. Die Erzherzog-Johann-Hütte liegt ja unter uns, ein sichtbares und Sicherheit vermittelndes Ziel. Gegen 18.00 Uhr sind wir vor ihr.
So kann ein solches Erlebnis sein: Gottes Segen zeigt sich im Schutz in der Gefahr. Zum Beispiel. Möge sich Ihnen – liebe Schwestern und Brüder, liebe Leserinnen und Leser – dies immer wieder erweisen. Möge Ihnen so der „Herr“, der Gott ist und in „stillem, sanftem Sausen“ erfahrbar ist, nahe kommen!
Amen.
„Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre Eure Herzen und Sinne bei Christus Jesus, unserem Herrn!“
[1] Ich folge der ökumenischen Schreibweise der biblischen Namen, die seit 1981 gilt und gegen die wir Evangelischen uns seither merkwürdig sperren, weshalb sie noch immer nicht durchgängig in unsere Lutherbibel aufgenommen wurde. Aber gerade bei diesem Namen ist diese Schreibweise für das Verständnis ganz entscheidend!
[2] Hans-Martin Barth: Die Theologie Martin Luthers. Eine kritische Würdigung, Gütersloh 2009, 201.
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Ein Wiedererwachen des Glaubens - Predigt zu 1. Könige 19,1-8 von Martin Schmid
Ein Wiedererwachen des Glaubens
Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert getötet hatte. Da sandte Isebel einen Boten an Elia und ließ ihm sagen: Bist du Elia, so bin ich Isebel! Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du ihnen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und ging fort, sein Leben zu retten. Als er nach Beerseba in Juda kam, ließ er seinen Diener dort; er selbst aber ging in die Wüste, eine Tagereise weit, und als er hingekommen war, setzte er sich unter einen Ginsterstrauch. Da wünscht er sich den Tod und sprach: Es ist genug! So nimm nun, Herr, mein Leben hin, denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter dem Ginsterstrauche schlafen. Auf einmal aber berührte ihn ein Engel und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Als er sich umschaute, siehe, da fand sich zu seinen Häupten ein geröstetes Brot nebst einem Krug mit Wasser. Da aß er und trank und legte sich wieder schlafen. Und der Engel des Herrn kam zum zweitenmal, berührte ihn und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg für dich zu weit. Da stand er auf, aß und trank und wanderte dann kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Gottesberg Horeb. (Übers. Zürcher Bibel)
Liebe Gemeinde,
müsste das nicht schön sein, wenn der Glaube, also unser Glaube, aus seinem Schlummer erwachen könnte, wenn er also die Augen aufschlagen, eine Kräftigung erfahren und sich auf einen Weg machen könnte, der ihn Gott näherbringt! Die Bibel erzählt, wie so etwas schon geschehen ist. Und sie erzählt es deshalb, weil es sich wiederholen kann. Ich will versuchen, es nachzuerzählen.
Es fängt allerdings nicht besonders gut an für den Glauben. Weil es für ihn auf einmal keinen Platz mehr gab im Land. Das lag an dem Herrscherpaar Ahab und Isebel. Die hatten sich drangemacht, den Glauben zu vertreiben. Aber es lag auch am Propheten Elia, der den Glauben eigentlich stärken wollte. An den Opferstätten auf dem Berg Karmel war viel Blut geflossen. Nicht das Blut von Tieren, sondern von Menschen, Priestern des Gottes Baal. Das sah nach einem großen Erfolg für Elia aus. Aber der Stärkung des Glaubens diente es nicht. Denn noch nie ist es dem Glauben bekommen, wenn er ein Bündnis mit der Gewalt einging. Die Erfolge, die er schon errungen hat in sogenannten Glaubenskriegen und bei Versuchen, sich äußerer Macht zu bedienen, fielen dem Glauben stets zuletzt auf die Füße. – Mühsam, Stein auf Stein, hatte Elia dort droben zunächst einen zerbrochenen Altar wiedererbaut und hatte zu Gott gebetet. Gott hatte ihn erhört. Am Ende hatte er sein Bemühen noch krönen wollen durch einen Triumph über die Feinde des Glaubens. Aber es gibt kaum einmal Siege, die nicht zugleich Niederlagen wären; das ist so bei militärischen Siegen und ist erst recht so bei Siegen auf dem Feld des Glaubens.
Nun lief Elia um sein Leben.
Übrigens wurden auch wirtschaftliche, gesellschaftliche, ganz und gar unblutige Erfolge dem Glauben schon zur Belastung. Selbst Kirchen, Gemeindezentren, Begegnungsstätten, Kindergärten, Pfarrhäuser, selbst die ganzen schönen Immobilien des Glaubenslebens haben den Glauben schon eingeengt. Auch öffentlicher Einfluss und Akzeptanz, oft mühsam erworben, haben dem Glauben nicht immer genützt, sondern haben ihm bisweilen den Vorwurf der Anpassung eingetragen. Für Elia folgte jedenfalls gleich auf seinen großen Erfolg ein böser Absturz. „Ich werde dich mit deinen eigenen Waffen schlagen“, ließ ihm die Königin Isebel ausrichten. „Genau das, was du meinen Leuten angetan hast, werde ich dir antun, gleich morgen.“
So wurde Elia zum Flüchtling und der Glaube mit ihm. Wohin sollte er fliehen? Elia wählte die Wüste, von wo der Glaube einst gekommen war. Alles ließ er zurück, sogar seinen Diener; er wollte sich von niemand mehr helfen lassen. Elia schien zu spüren, dass jede Hilfe ihm schaden musste, die nicht aus dem Glauben selbst kam. Dort, tief in der Wüste, eine Tagereise weit, sank Elia unter einem Ginsterstrauch nieder. Nur den verbliebenen Rest seines Glaubens hatte er bei sich. Dieser Rest war nicht groß. Da ging es Elia wie manchen von uns. Nun legte er seinen Glauben neben sich ab; man kann das bekanntlich, seinen Glauben ablegen. Es waren ihm nicht nur die Mühen zu viel geworden und die Ängste der Flucht, nun schien ihm auch sein Glaube eine Last geworden zu sein. War der nicht auch schon früher, in den Zeiten der Väter, eine Last gewesen? „Ich habe genug; zum Leben reicht es ohnehin nicht.“ Aber zum Sterben reichte es auch nicht, obwohl er seinen Gott darum bat. So schlief Elia unter dem Ginsterstrauch, zusammengekauert unter dem kümmerlichen Schatten, den der Strauch schenkte. Und ebenso schlief auch sein Glaube.
Vielerorts schlummert der Glaube. Unsere Kirche, so scheint es, ist ein bisschen müde geworden. Eingerollt und schlummernd kann man Reste des Glaubens hierzulande auch noch finden im Schatten von Musik und Dichtung, Baukunst und Malerei. Auch schlummert er in ein paar persönlichen Erinnerungen, in Photos von Tauffeiern und Konfirmationen. Er ruht in Gewohnheiten, die ihn noch festhalten, in Feiern und Festen, die ihn noch konservieren. In Zeiten, die sonnig und gut sind, lässt man den Glauben ruhen; man braucht ihn ja nicht. Aber auch schlechte Zeiten, in denen Kälte und Gewalt herrschen, setzen dem Glauben bisweilen so zu, dass er ermattet.
Nein, es fing damals nicht gut an für den Glauben. Und leicht könnte man denken, dies sei jetzt sogar schon sein Ende. Wir jedenfalls könnten so etwas befürchten, weil uns doch immer öfter die Angst beschleicht, dass es überhaupt mit dem Glauben zu Ende geht und dass sein Schlummern gewissermaßen der vorletzte Schritt sei. Aber bei Elia ist es anders gekommen. Elia kam hervor aus dem Schatten des Ginsterstrauchs, und sein Glaube war wie neu geboren. Der schlug im mütterlichen Schatten dieses Strauches die Augen auf und erwachte. Der Schlaf des Glaubens wurde zum Heilschlaf. Etwas Schönes ist das, ein ausgeschlafener Glaube. Da gibt es noch viel zu erzählen. Und soviel lässt sich jetzt schon sagen: Es kam deshalb zu einer Wiederbelebung des Glaubens, weil dieser beatmet wurde!
Gott hat Boten geschickt. Und sie gaben Elia das Gottesgeschenk zurück, das ihm Isebel zu rauben drohte. Die Königin Isebel hatte sich – nun auch durch die Worte ihres Boten - vor Elia in einer Art und Weise aufgebaut, die ihm dem Atem verschlug: „Bist du Elia, so bin ich Isebel.“ Da bekam Elia keine Luft mehr. Er floh. Erschöpft und immer noch atemlos kroch er am Ende unter den Ginsterstrauch, um seine Seele auszuhauchen. Gottes Boten ließen ihn wieder zu Atem kommen.
In Elias hebräischer Muttersprache wird übrigens für „Seele“ ein Wort verwendet, das zunächst einmal „Kehle“ bedeutet. Und über die Kehle, nämlich über den Atem, kehrte das Leben zu ihm zurück. Aufatmend konnte er sich schließlich wieder erheben und mit ihm sein Glaube.
Der erste Bote, dessen Gott sich bediente, war dieser Ginsterstrauch. Dass Gott überhaupt noch Boten hat, muss für Elia eine Überraschung gewesen sein. Hatte er doch geglaubt, er sei der einzige Bote, der Gott noch geblieben war, der letzte seiner Diener. Auch später, bis hin zur heutigen Zeit, wo die Gotteshäuser sich leeren, meinte man oft, es herrsche ein Mangel an Zeichen und Boten von Gott. Man sollte aber Gott nicht unterschätzen. Gott ist nicht nur schwach - was Elia noch lernen musste - , Gott ist auch stark. Und seine Stärke besteht nicht nur darin, dass er bisweilen Feuer vom Himmel fallen lässt, seine besondere Stärke ist es, dass er Boten sendet.
Nun scheint der Ginsterstrauch auf den ersten Blick als Gottesbote nicht besonders geeignet. Der Wüstenginster ist keine Rose, er wirkt weder jung noch morgenschön. Der Ginster ist auch kein Mandelbaum, dessen Blütenzweige den Betrachter entzücken. Seine Zweige sind 2 – 3 m hoch und fast blattlos. Sie geben ein bisschen Schatten. Im Frühling zeigt der Strauch weiße, purpurgestreifte Blüten. Früchte liefert er nicht. In Hungerzeiten haben Menschen schon versucht, sich von seiner Wurzel zu ernähren. Im übrigen kann er verwendet werden als Brennholz. Wie kann ein Strauch von so bescheidenem Nutzen dann aber ein Bote sein? Dadurch, dass er so tief wurzelt. Der Pfahl seiner Wurzel reicht bis dort hinab, wo auch in der Wüste der Boden noch feucht ist. Im Falle Elias handelte es sich freilich weniger um eine Befeuchtung als um eine Beatmung. Und der Pfahl der Ginsterwurzel wies dazu die Richtung. Denn der Glaube kommt an seinen Wurzeln wieder zu Atem und also eher in der Tiefe als in der Höhe, eher im Rückgang auf tragende Schichten als im Erstürmen von Gipfeln. Elia hatte das erfahren. Und wir werden‘s uns auch sagen lassen.
Auch den nächsten Boten, den Gott zu Elia sandte, hätte man nicht ohne weiteres für einen solchen gehalten. Manche meinen, es sei ein viehtreibender Nomade gewesen oder die mit Mitleid begabte Frau eines solchen Wanderhirten. Die Schrift allerdings sagt, es war ein Bote, ein Engel. Und Elia fühlte sich angerührt und angesprochen. Er öffnete die Augen und sah vor sich ein geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser. Er hörte, wie er aufgefordert wurde: „Steh auf und iss!“ Darauf aß er und trank, schloss aber wieder die Augen und legte sich schlafen. Denn auch einem Propheten hilft es wenig, gekräftigt zu werden, solange sein Glaube sich noch im Schlummer-Modus befindet. Uns, die wir keine Propheten sind, hilft das erst recht nicht. Es fehlt uns ja nicht an Essen und Trinken. Und die Einrichtungen sind in jüngster Zeit wie Pilze aus dem Boden geschossen, die uns unterstützen wollen, unsere Kraft zu erhalten oder sie gegebenenfalls wieder zu erlangen. Fast atemlos mühen sich die Leute in Studios und Centern. Um wirklich weiter zu kommen, braucht’s aber mehr als die Bereitschaft, sich zu schinden. Vielleicht könnte man sagen: es braucht eine Beatmung.
Und Gott sandte zu Elia noch einen Boten, für mich ist das schon der dritte. Er sah dem zweiten sehr ähnlich. Noch einmal fand sich Elia angerührt und angesprochen und noch einmal fiel sein Blick auf die köstlichen Lebensmittel, geröstetes Brot und Wasser im Krug. Doch beim zweiten Mal war nun auch sein Glaube wieder erwacht. Auch sein Glaube schlug die Augen auf. Er sah das Brot und sah im Brot ein Zeichen vom Himmel. Er sah den Krug und erkannte im Wasser das Geschenk einer uns Menschen umsorgenden Güte. Er sah die Schritte des Hirten und sah darin die Spur eines Engels. Er könnte den Schatten gesehen haben, den der Ginsterstrauch in den Wüstensand warf, und könnte sich daran gefreut haben und ebenso auch am Anblick der kleinen weißen Blüten des Ginsters. Staunend könnte er gesehen haben, wie die Sonne am Morgen über den Horizont heraufkam und wie der Wind den Sand in Wirbeln aufwehte. Die Augen des Glaubens könnten auch jenes Volk wieder erspäht haben, das einst durch diese Wüste gezogen war, vierzig Jahre lang, unter der Führung von Mose. Und die Augen des Glaubens könnten gesehen haben, wie Gottes Volk bewahrt worden ist, wie Gott den hungernden, dürstenden Wanderern einst nicht nur mit Wasser, Brot und Wachtelspeise geholfen hatte, sondern auch mit Geleit und Weisung für ihren Weg. - Gottes Wind blies dem wiedererwachten Glauben ins Gesicht, manchmal scharf und manchmal als ein sanftes Fächeln. So kam der Glaube Elias wieder zu Atem. Und Elia stand auf und ging, im Glauben gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zu dem Gottesberg Horeb.
Es gibt die Sitte in Israel, dass bei der häuslichen Feier am Sederabend, zu Beginn des Passafestes, ein zusätzlicher Becher für Elia aufgestellt und mit Wein gefüllt wird. Wir sollten auf unsere Art auch einen Platz frei halten für Elia. Wir sollten ihn einladen, ihn und seinen Glauben. Damit unser Glaube dadurch belebt wird oder, wie man vielleicht besser sagen sollte, beatmet. Amen.
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Predigt zu 1.Könige 19,1-16 von Werner Schwartz
1.Kön 19,1-16 - Elia am Horeb
1 Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
2 Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
3 Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
4 Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
5 Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!
6 Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
7 Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
8 Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
9 Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia?
10 Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
11 Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.
12 Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.
13 Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia?
14 Er sprach: Ich habe für den HERRN, den Gott Zebaoth, geeifert; denn Israel hat deinen Bund verlassen, deine Altäre zerbrochen, deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir das Leben nehmen.
15 Aber der HERR sprach zu ihm: Geh wieder deines Weges durch die Wüste nach Damaskus und geh hinein und salbe Hasaël zum König über Aram
16 und Jehu, den Sohn Nimschis, zum König über Israel und Elisa, den Sohn Schafats, von Abel-Mehola zum Propheten an deiner Statt.
Liebe Gemeinde,
als Kinder sind wir ins Leben getreten mit riesigen Phantasien. Die ganze Welt verbessern. Alles gut machen, auch das gut machen, was die Eltern, wir erkannten es, nachdem sie mal entzaubert waren, nicht ganz so gut hingekriegt haben. Große Erfolge haben, von vielen bewundert werden – und was unserer Phantasien mehr sind.
Und dann machten wir uns dran, das Programm abzuarbeiten. Heraus aus dem Schatten der Eltern, heraus aus dem Schatten großer Vorbilder, heraus aus dem Schatten, den unsere eigenen Allmachtsphantasien auf uns werfen, auf dem Weg zu unserem eigenen ganz unverwechselbaren Menschsein.
Davon handelt die Geschichte des Elia.
1
Ein Erfolgstyp, dieser Elia. Er hat sich Großes vorgenommen und hat es erreicht, hat einen rauschenden Erfolg. Für den Herrn, den Gott Israels kämpfen wollte er, gegen die vielen Götter Kanaans. Und er hat gesiegt. Es ist ihm gelungen. Er steht auf dem Gipfel seines Erfolgs, seines Einflusses, seiner Macht. Isebel ist mit ihren Baalspropheten aus dem Feld geschlagen. Er hat gekämpft und gesiegt, für Gott gekämpft, für Gott gesiegt. Was mehr könnte er wollen?
Er steht für die Zukunft. Aus der Barbarei ist die Zivilisation gewachsen, aus der Vielgötterei der Monotheismus. Ein Gott, der alles geschaffen hat, der über alles herrscht. Nicht dieses Chaos von unzähligen Göttern für dies und jenes, für Gesundheit und Fortschritt, wirtschaftlichen Erfolg und Glück, Liebe und Krieg. Ein Gott für alle und jeden.
Es gab eine gewaltige Götterdämmerung. Feuer von Elias Gott aus dem Himmel verzehrt das Göttergewusel der schönen Königin Isebel. Aus ist mit ihrer Macht, ihrem Einfluss. Elias Gott ist stärker, ist allein stark. Die anderen Götter sind Rauch und Asche, mitsamt ihren Priestern und Propheten. Mit Spott und Häme überschüttet er sie gar, als sie vergehen. Ihre Herrschaft ist geschleift. Der eine Gott herrscht. Allein. Und Elia ist sein Prophet.
Einer, der seine Karriere gemacht hat. Es ist ihm geglückt. Geglückt, was andere versucht und nicht erreicht oder gar nicht erst versucht haben. Er ist der Held, bestaunt, bewundert, gefürchtet.
Da erschrickt er. Er ist da, wohin er wollte, hat erreicht, was er wollte. Aber ist es das? Das Ziel seines Lebens? Kann er sich da zufrieden geben, stolz sein, ausruhen? Es kommen massive Fragen. Neid steigt auf, Haß, Rachegedanken. Die alten Feinde sind längst nicht aus dem Feld geschlagen. Sie melden sich laut zu Wort. Sie sinnen auf Revanche. So leicht ist der Sieg nicht zu kriegen.
2
Da, mit einemmal, wird Elia schwach. Er kriegt es mit der Angst. Und der große Sieg zerschmilzt ihm in der Hand. Der größte Triumph seines Lebens ist mit einemmal nichts mehr wert. Nach der Euphorie des Triumphes greift eine große Depression nach ihm. Er stürzt ab aus höchsten Höhen. Ein Wort der Isebel, und er ist ganz klein, er, der große Elia, der Mann des mächtigen Gottes.
So ist das ja manchmal nach den großen Höhen. Da lauern ebenso große Tiefen. Nach dem Rausch der Energie die große Kraftlosigkeit. Eben war noch die Welt mit Händen zu greifen, jetzt ist alles nichts. Sein ganzes rauschhaftes Glück, mit einemmal ist es verdampft, aufgelöst, verschwunden.
Wie stark der Glaube auch gewesen ist, er hat seine Kraft verloren. War es eine Täuschung? Leere Luft, doch nicht gewaltig, nicht tragfähig? Zweifel kommen ihm, Ratlosigkeit packt ihn.
Und Angst steigt auf. Das soll’s gewesen sein? Das Glück ist nicht festzuhalten. Es kippt um ins Unglück. Ich bin ein Versager. Ich kann nicht, was ich mir eingebildet habe. Ich bin nicht besser als meine Väter, nicht besser als die anderen neben mir. Es ist nichts mit meiner Größe.
Elia flieht, läuft davon, davon vor Isebel, davon vor seinem Erfolg, davon vor der Angst, das könnte sich in Luft auflösen. Er hat Angst. Angst um sein Leben. Nichts ist er mehr wert. Er flieht in die Wüste, weg von aller Zivilisation, weg von allen Menschen. Ja nur niemandem begegnen, mit niemandem reden müssen. Weg, unsichtbar sein, ganz klein, verschwindend klein.
Eben noch groß, jetzt ganz klein. Bereit zu sterben. Voller Todessehnsucht. Einfach nicht mehr da sein, einfach vergehen. So nimm nun, Herr, meine Seele. Aus, vorbei, das wäre das Beste. Er will seinem Leben ein Ende setzen. Er legte sich hin und schlief ein, mitten in der Wüste, bereit zum Sterben. Ohne jede Hoffnung.
Es ist ja auch nichts mehr zu hoffen. Er ist ein armer Tropf, elend, einsam, verlassen, ohne Mut, ohne Hoffnung, ohne Perspektive. Den Diener lässt er noch zurück. Jetzt will er ganz allein sein. Das Leben ist zu Ende.
Der große Elia, der Tage zuvor noch Tote lebendig machen konnte, das Kind der Witwe von Zarpat, und er hat ihr in der dürre ihres Lebens einen nie versiegenden Ölkrug und ein allezeit wunderbar gefülltes Mehlgefäß hinterlassen. Er hat keine Kraft mehr. Von nichts und niemand erhofft er mehr etwas. Er hat keine Zukunft mehr. Er ist in der Sackgasse. Es gibt keinen Weg mehr für ihn. Aus. Ende. Genug.
Kraftlos und deprimiert liegt er unter seinem Wacholder. Er will einschlafen und nie wieder aufwachen.
3
Gott lässt ihn einschlafen. Aber nicht für die Ewigkeit, nein für diese Zeit. Und mitten im Schlaf, wo Elia nichts mehr tun kann, wo er sein Leben losgelassen hat, wo er nichts mehr gestaltet, er der tüchtige Erfolgsmensch, mitten im Schlaf begegnet ihm Hilfe. In seiner trostlosen Situation werden seine Lebensgeister wieder geweckt.
Im Schlaf. Und in einem langen, langsamen Prozess. Dort in der Wüste, wo es nichts zu essen und nichts zu trinken gibt, wo nur der Tod lauert, dort wird er gespeist und getränkt. Dort, wo keine Menschenseele zu erwarten ist, begegnet ihm ein Mensch, ein Engel, ein Bote von Gott, mit oder ohne Flügel.
Alle haben ihn verlassen, und er meint, er hätte alle verlassen. Da begegnet ihm einer und gibt ihm, was er von niemandem mehr in dieser Welt erwartet hat: Er kommt ihm nah, er berührt ihn, nimmt körperlich Kontakt mit ihm auf, Hautkontakt, bietet ihm Gemeinschaft und neuen Lebensmut.
Wasser und Brot gibt er ihm, Grundnahrungsmittel, zu essen und zu trinken. Geröstetes Brot – stellen Sie sich vor, wie das duftet, mitten in der Wüste. Erfrischendes Wasser, ein ganzer Krug voll, man hört es förmlich zischen, ein Labsal für die ausgetrocknete Kehle.
Essen und Trinken hilft ihm gegen die Depression. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen, weiß die Volksweisheit in unserem Sprichwort. Seelsorge ist oft Leibsorge. Fürsorglich, und deshalb braucht’s die Hilfe anderer. Wohltuend, aufbauend, beiläufig, ganz alltäglich.
Elia isst und trinkt. Und fällt wieder zurück in seine Depression, in den Schlaf.
Der Engel kommt nicht nur einmal, er kommt wieder. Wer in der Depression ist, kommt nicht mit einemmal heraus. Er braucht Kontakt, wieder und wieder, ganz alltäglichen Kontakt, ganz alltägliche Hilfestellung: Steh auf und iss!
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Gott hat ihn nicht alleingelassen, nicht einmal in der Wüste. Dahin ist er ihm gefolgt. Da begleitet er ihn. Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her, sagt ein anderer Spruch unserer Volksweisheit, die eine Lebensweisheit ist.
Aber damit endet die Geschichte noch nicht. Nicht für Elia. Er ist ja auf der Suche nach Gott. Elia, Elijahu: Gott ist der Herr, Ich traue auf Gott den Herrn, ist sein Name. Und dieser Name ist Programm. Und Aufgabe.
Denn was Elia erfahren hat, der große Erfolg gegen die Baalspriester, die tiefe Depression nach dem Erfolg und die Hilfe in der Wüste seines Lebens, das alles braucht noch eine Klärung.
Elia macht sich auf den Weg. Auf den Weg zu Gott. Er pilgert – vierzig Tage und vierzig Nächte, wie das Volk Israel seinerzeit vierzig Jahre – zu dem Berg der Gottesoffenbarung, zum Horeb. Dort hat sich Gott doch gezeigt, dort kann er sich, so hofft er, auch ihm zeigen. Neu zeigen, damit er Gewissheit gewinnt, eine Lebensperspektive.
Er ist auf ein großes Spektakel vorbereitet. Gott kann sich zeigen im Gewittersturm, im Erdbeben, im Vulkanausbruch. Gott in seiner Gewalt. Etwa so wie damals, als er das Opfer der Baalspriester weit überbot. Das erwartet Elia.
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Und er wird enttäuscht, völlig enttäuscht. Der Herr aber war nicht da, nicht im Wind, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. Wo doch alle Welt damals Gott so erfährt.
Keine Gotteserfahrung, keine Gottesbegegnung, nicht einmal jetzt, wo er nach dieser schlimmen Depression das doch so nötig gehabt hätte. Nein, Gott ist nicht da. Er zeigt sich Elia nicht. Elia spürt nichts von Gott. Er sieht nur, was die Natur ihm zeigt: Sturm, Erdbeben, glühendes Feuer aus dem Berg. Ob ihn das nicht noch einmal und noch tiefer in die Depression reißt?
Gott verbirgt sich, ist dunkel und unsichtbar, unerfahrbar. Gott, als ob es ihn nicht gäbe, nicht erfahrbar jedenfalls. Kein Zauber rührt ihn an, keine religiöse Bewegung ergreift ihn. Nichts, weniger als wir erleben, wenn wir eines unserer Kirchenlieder singen. Gar nichts.
Ein stilles sanftes Sausen nur, so wird erzählt, ist zu vernehmen, und da verhüllt Elia sein Haupt. Da begegnet ihm Gott.
Das hat nichts mit leisen Tönen zu tun, in denen Gott sich zeigen würde. Es geht nicht um Samtpfötigkeit gegenüber machtvoller Demonstration. Das stimmt zwar auch, dass es manchmal gut ist, sich auf die leisen Töne einzustellen, genau hinzuhören, empfindsam zu sein. Aber das ist es hier nicht.
Präzis übersetzt heißen die Worte hier: Nach dem Feuer kam die Stimme einer lautlosen Stille. Und es wird dann auch nicht gesagt: Da war der Herr. Da, wo nichts zu hören ist, da spricht Gott.
Das nimmt dem Erfolgsmenschen Elia jetzt aber auch wirklich alles aus der Hand. Er ist kein religiöses Genie. Er hat keine Begegnung mit Gott, von der er großartig weitererzählen könnte. Nichts, was seinen Triumph über die Baalspriester nachträglich erklären, rechtfertigen, ausschmücken, plausibel machen würde. Er hat nichts in der Hand, gar nichts.
Er hört nichts, lautlose Stille, die Negation jedes Lautes, und darin erfährt er die Nähe Gottes. Nichts wird ihm da erklärt, geklärt, mitgeteilt. Wo er sich das doch gewünscht hätte, wie immer Menschen sich das wünschen. Gott begegnen, Gott erfahren, Gottes Stimme hören. Ein klares Wort zum Beispiel, das sagt: Du bist auf dem rechten Weg, anders als die andern, vielleicht auch noch. Nichts dergleichen.
Gott ist kein lauter Gott, sondern eher ein leiser, kein harter Gott, sondern eher ein weicher, kein allmächtiger Gott, sondern eher ein ohnmächtiger, hilfsbedürftiger Gott.
Vielleicht ist es das, was Elia da zu lernen anfängt: Gott ist nicht derjenige, der sich machtvoll demonstriert, machtvoll für sich gegen die Ohnmacht der anderen Götter oder machtvoll für mich gegen die Macht der anderen mit ihren Göttern. Gott ist anders als unsere menschliche Vorstellung, auch als die Allmachtsphantasien unseres Lebens und schon gar als die Überlegenheitsgefühle, die wir anderen gegenüber hegen.
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Gott ist Gott. Er redet weniger deutlich, als Elia, als wir das wünschen. Lautlose Stille nur spricht. Aber er hört offenbar, Gott hört. Er hört die Klage des Elia an. Das verändert nicht mit einem Schlag seine Situation. Sie ist und bleibt beklagenswert. Elia ist und bleibt voller Angst. Dies ist nicht einfach erledigt.
Gott hört. Und Gott spricht. Geh wieder deines Wegs durch die Wüste. Geh zurück, zurück in deinen Alltag, an deinen Platz, zurück zu deinem Leben. Geh und tu, was du tun musst. Wenn wir weiterlesen: Geh und ordne, was zu ordnen ist. Nicht mit Gewalt, nicht mit dem Schwert. Salbe Hasael zum König, ordne die Verhältnisse, in denen du mit den andern lebst. Nicht ein neues Gemetzel, sondern eine faire, humane Regelung. Das ist der Auftrag.
Vielleicht ist Gott da ja zu erfahren, da wo wir die Fragen des Lebens miteinander regeln? Vielleicht ist das die Stimme, mit der er spricht, die Stimme, die wir vernehmen können.
Jedenfalls ist das eine Perspektive, die Hoffnung gibt gegen alle Depression. Eine Perspektive, die uns nicht zu einem großartigen Erfolg verdammt, dem vielleicht dann doch wieder die Enttäuschung und Verzweiflung folgt. Nein, diese Perspektive schickt uns einfach an die Arbeit, dort, wo wir leben. Das Menschliche tun, das Leben menschlich gestalten.
So sind wir auf dem Weg. Die Allmachtsphantasien und die Wünsche, es besser zu machen als unsere Eltern, helfen uns vermutlich wenig. Aber wir können unseren Weg gehen, selbst wenn er uns in die Depression führt, unseren Weg gehen, geduldig, beharrlich, um Menschlichkeit bemüht. Das ist Gottes Weg für uns. Der Weg, auf dem uns Gott begegnet. Selbst wenn wir’s kaum wahrnehmen.
Liedvorschläge: 74,1-4 / 179.3 / 85,1-4 / 640,1+2 / 85,8-10