Judas Iskariot - Predigt zu Johannes 13, 21-30 von Frank Nico Jaeger

Judas Iskariot - Predigt zu Johannes 13, 21-30 von Frank Nico Jaeger
13, 21-30

Schon gerade, als er den Jüngern die Füße gewaschen hat, gab es Diskussionen. Jesus ist aufgeregt, jetzt ist die Zeit gekommen. Die Nacht ist bald da:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Was du tust, das tue bald. Als er aufbricht denken die anderen, er gehe noch Einkaufen für den Herren oder dass er den Armen etwas bringen würde. Er spielt seine Rolle perfekt. Mit dem letzten Bissen im Mund verlässt er den Tisch, den Raum, tritt vor die Tür. Seine Schritte hallen wider von den anderen Häusern. Er wird nicht zurückkehren. Die Nacht nimmt ihn auf.

Endlich ist er alleine. Weg von den anderen. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Es war ihm zu eng. Zu dicht. Zu nah. Er hat Angst vor dem, was jetzt kommt. Angst vor dem, was nun geschehen muss.

Beim Essen hatte Jesus gesagt: Einer unter euch wird mich verraten. Und dabei sein Blick. Ahnte er etwas? Die anderen waren bloß irritiert. Jeder Mensch trägt doch ein Bild einer anderen, bessern Welt in sich. Er ist auf dem Sprung. Er will nur weg. Diesen Blick vergessen. Jetzt ist Nacht.

Er ist kein Handlanger des Teufels. Er ist Teil einer Strategie. Davon ist er überzeugt. Er will, dass das Reich anbricht. Sein Reich. Der Hass auf das System ist groß. Das römische Reich muss aus dem Land vertrieben werden und er macht den Unterschied, will die Dinge nur beschleunigen. Zum Handeln provozieren.

Er, der Judas Iskariot, trägt den Riss schon in seinem Namen. Er trennt das Himmlische vom Irdischen. Er verkauft Jesus und holt ihn so auf die Erde.

Jetzt ist es Nacht. Und Jesus wird bald gefangengenommen.

Den Jüngern ist sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen. Aber die Worte über den bevorstehenden Verrat hallen nach. Lähmen die Gedanken. Gehöre ich, Herr, zu den Guten? Diese Frage war zu erwarten.

Herr, bin ich´s? Auch die Jünger halten nicht immer das, was sie versprochen haben.

Verrat ist immer ein harter Vertrauensbruch und der Verrat des Judas wiegt umso schwerer, weil er mit am Tisch saß. Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass nicht einmal ein Platz am Tisch des Herrn vor Verrat schützt. Nähe schützt nicht. Judas ist dabei bloß der Anfang. In der Geschichte der Kirche wird das immer wieder deutlich.

Falsche Brüder und falsche Schwestern nennt man im Allgemeinen „Judasse“. In der DDR hießen sie IM Mönch, IM Petrus oder IM Monstranz: Katholische Priester als Stasi-Spitzel. Auch evangelische Christen waren bereit zum Verrat. Es gab Verstrickungen mit der Stasi bis tief in den Kirchen-Apparat hinein. Bestimmt war Vielen nicht bewusst, was die Konsequenzen ihres Verhaltens waren. Manche wollten einfach nur ein neues Auto, Reisefreiheit oder anderweitige Vergünstigungen. Andere dachten, sie hätten hehre Ziele; dachten, sie täten etwas Gutes, wenn sie mit der Stasi zusammenarbeiteten, um so Konflikte mit dem Staat zu lösen. Entlastungsmythen. Aber die Gefahr kommt nicht immer von außen. Es braucht einen Freund, einen Nächsten, der Jesus preisgibt, es braucht einen der Zwölf, der ihn verrät. Das Furchtbarste geschieht nicht von außen. Der Feind kommt von innen. Der Verrat kommt aus der Mitte. Nicht nur beim letzten Abendmahl. Nie war die Kirche eine Gemeinschaft der Reinen und Sündlosen. Alle Überheblichkeit ist unangebracht. Wohl aber Zittern und die Erkenntnis: Der Verrat des Judas war bloß der Anfang.

Herr bin ich‘s?

Zum 500. Reformationsjubiläum bat die Evangelische Kirche Mitteldeutschland um Vergebung: Wo immer „Pfarrer und Pfarrerinnen, kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben“ bekannte sie ihre Schuld. Sie beklagte die Fälle, „in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden.“

Judas sitzt in kirchlichen Gremien und in weltlichen Strukturen. Er ist in meinen dunklen Momenten. Er ist der Zweifel und der Vertrauensbruch. Er ist das nicht gehaltene Versprechen. Er ist der Verrat an der Sache. Judas ist einer der Zwölf. Immer.

Am Ende bleibt nur diese eine Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ohne bleibt es finster.

Jesus sitzt am Tisch. So wie er immer ist, unberechenbar gütig, unberechenbar barmherzig, unberechenbar gnädig, schaut er sich um. Er sieht seinen Jüngern der Reihe nach in die Augen. Er wartet ab. Er weiß, was geschehen wird, weiß, wer ihn verraten wird. Er kennt den Riss, der durch Judas hindurch geht. Er sieht seinen Schmerz, seine Verzweiflung. Seine Enttäuschung. Er sieht das Dunkle in seinen Augen. Die Nacht, die auch seine ist.

Und er reicht Judas das Brot.

Sein Blick ist freundlich.

Kann man Verrat vergeben? „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ „Das Vertrauen ist kaputt.“ Das sagen Menschen, die verraten wurden. Verrat ist etwas Mächtiges, Unkalkulierbares. Alle Sicherheit ist komplett zerstört.

Kurz bevor alles vorbei ist, wird Jesus am Kreuz beten: „Vater, vergib ihnen.“

Für Judas, für die ganze Kirche, für dich und für mich bleibt das zu hoffen.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Frank Nico Jaeger

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Angesichts der immer noch alles beherrschenden Pandemie, feiern wir nur Kurzgottes-dienste. Zudem können wir nicht heizen, somit erwarte ich nur die eingefleischte Kern-gemeinde. Aber. Wer weiß, ab und an verirrt sich auch in Corona-Zeiten ein neues Ge-sicht zu uns.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Dietrich Bonhoefer, Petra Bahr und Johannes Block

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Auf Vergebung bleibt zu hoffen. Immer.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Kluge und dienliche Fragen, Hinweise und Korrekturen der hochverehrten Dekanin Quincke haben der Predigt den letzten Schliff gegeben und auf die Füße gestellt.

Perikope
21.02.2021
13, 21-30

Freude ohne Grenzen - Predigt zu Johannes 2, 1-11 von Andreas Schwarz

Freude ohne Grenzen - Predigt zu Johannes 2, 1-11 von Andreas Schwarz
2, 1-11

Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Der Blick ins Kirchenbuch unserer Gemeinde offenbart, was im vergangenen Jahr zu erleben war. Nur sehr wenige Trauungen haben stattgefunden. Kein Wunder. In den ersten Monaten war es noch zu kalt. Und dann wurde das Leben so stark eingeschränkt, dass Hochzeitsfesten die Freude abgeschnitten wurde. Wer will denn da heiraten? Unter solchen Bedingungen. Mit Abstand. Begrenzte Zahl an Gästen. Nicht singen. Nicht tanzen. Was soll das für eine Hochzeit werden? Dann lieber warten, bis es wieder geht. Aber dann ging es das ganze restliche Jahr auch nicht richtig.

Natürlich wäre eine Hochzeit rechtlich gültig, wenn das Paar mit ganz wenigen Gästen zum Standesamt geht. Ein Gläschen Sekt zum Anstoßen draußen vor der Tür trinkt. Und alle gehen nach Hause.

Aber eine Hochzeit ist doch ein Fest. Ein großes. Ein fröhliches. Ja, ein ausgelassenes. Weil Menschen verliebt sind. Weil sie sich auf gemeinsame Zeit freuen. Weil sie von einer schönen Zukunft träumen. Und alle sollen an dieser Freude teilhaben. Eltern und Geschwister. Freunde. Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen,

Großeltern, Nichten und Neffen. Und alle sollen Spaß haben. Sie sollen gut essen und trinken. Sie sollen fröhlich sein. Sie sollen singen und tanzen. Das Leben ist schön.

Das stimmt so oft nicht. Aber jetzt soll das Schöne am Leben gefeiert werden. Einmal im Leben. Das jedenfalls ist der Plan. Und es ist das, was die Beiden sich gegenseitig versprechen. So ausgiebig und lange wie möglich soll das gefeiert werden. Ohne Einschränkung und ohne schlechtes Gewissen. Da ist kein Gedanke an morgen oder übermorgen oder nächste Woche.

Da ist auch keine Furcht vor dem Tag danach, vor dem Kater oder dem Aufräumen. Feiern. Jetzt. Heute und morgen und die ganze Woche. Wenn es um die Liebe geht. Und um das Leben. Wenn es um das Leben geht, das zwei Menschen führen und genießen. Und das Leben, das aus ihrer Liebe entstehen darf, sie zu einer Familie macht. Das ist dann die reine Freude. Die Gott schenkt und gönnt. Herrlich!

Wie unangenehm, wenn diese herrliche Freude am schönsten Tag des Lebens getrübt wird.

Zum Beispiel dadurch, dass der Wein alle ist. Es ist dann völlig egal, ob mehr Gäste da waren. Ob einige mehr getrunken haben, als gedacht Oder ob einfach zu wenig bereit gestellt war. Er ist alle. Die Gäste möchten weiter trinken.

Hinter den Kulissen wird es unruhig. Gastgeber geraten in Panik. Wie peinlich, wie unangenehm. Wie soll das gerettet werden? Alle, die es mitbekommen, denken und überlegen mit. Auch Maria. Ich sag’s mal meinem Sohn, vielleicht weiß der, wie das hier hinzukriegen ist. Aber das geht völlig daneben. Ganz unfreundlich wird sie abserviert.

Es ist nicht meine Aufgabe, bedrohte Hochzeitsfeiern zu retten. Es gibt wohl Schlimmeres als das. Wenn das Leben selbst eingeschränkt wird. Wenn es bedroht wird. Durch Krankheit oder Gewalt. Durch den Tod.

Niemand ahnt, wem wann welche Stunde schlägt. Jesus schon. Er kennt seinen Weg. Er weiß, was kommt. Später, wenn diese Hochzeit längst vorbei ist. Wenn niemand mehr darüber spricht, dass der Wein alle war. Er weiß, dass Menschen auf ihn hören und ihm vertrauen,

dass sie ihm danken dafür, dass er sie geheilt, sie befreit hat. Aber er weiß eben auch, dass manche darauf aus sind, ihn loszuwerden. Er weiß, welchen Weg er gehen muss und gehen wird. In die Stunde hinein, in der niemandem nach Feiern zumute ist. In der Trauer angesagt ist, Abschied.

Das ist dann der Sieg des Todes. Da gibt es keinen Wein mehr, keine Freude, kein Leben.

Was aber, wenn Jesus zu den Menschen gekommen ist, um das Leben zu bringen? Wenn er eine Freude schenkt, die bleibt? Wenn er für Wein sorgt, damit es fröhlich zugeht? Dauerhaft. Ohne Ende.

Als wolle er sich nicht vereinnahmen lassen. Nicht von seiner Mutter. Nicht von dem Gastgeber der Hochzeit. Und auch nicht von denen, die still applaudieren, dass er dem Saufgelage nicht weiteren Zufluss liefert. Weil er zu erkennen gibt, dass er kein Erfüllungsgehilfe irgendwelcher Erwartungen ist.

Sondern dass er der ist, der verwirrt und erstaunt. Der frei entscheidet und handelt. Dass er bei allem, was er sagt und tut, das Leben im Blick hat. Und die Freude daran und darauf.

Ja, ich weiß. Immer habe ich es gehört. Dass Jesus für dieses Wunder kritisiert wurde. Wie kann er nur! Solche Mengen an Alkohol. Was ist das denn für ein Zeichen? Mitzuhelfen, dass Leute sich betrinken. Man kann doch auch ohne Alkohol fröhlich sein. Und überhaupt: Es ist eine ernste Angelegenheit mit dem Glauben.

Immerhin geht es um Leben und Tod. Um Verzicht. Um Distanz zu dieser Welt und was bei ihr gilt. Das Leben ist keine Party. Christen sollten nüchtern sein. Sie sollen wachen und beten. Sie sollen immer einen Blick und ein Herz für die Armen haben. Und jetzt so etwas:

Wasser zu Wein. Richtig viel. Davon können die Gäste lange trinken. Sie können weiter feiern und fröhlich sein. Mit Wein, der sogar noch besser schmeckt als der davor.

Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Ein Zeichen für die Freude, für ein fröhliches Fest. Ein Zeichen dafür, dass Jesus gekommen ist, damit Menschen leben. Er weiß von seiner Stunde; Er weiß von seinem Leiden und Sterben. Er weiß auch von all dem Elend der Menschen. Und doch hilft er zu ausgelassener Freude.

Gegen das schlechte Gewissen. Gegen die Moralprediger und Mahner: Das darfst du nicht. Das sollst du nicht. Und wenn schon Hochzeit, dann trink doch Wasser oder Saft. Nein. Wein. Wo Jesus ist, geht es um das Leben. Um das gute Leben. Um das Leben, das nicht eingeschränkt ist, nicht abgebremst. Sondern um das Leben, das frei und fröhlich ist.

Das Leben, das mit Jesus zu den Menschen kommt, wird sich als stärker als der Tod erweisen. Da muss die Freude grenzenlos sein. Und Christen müssen nicht die Spaßbremsen sein. Dafür ist das das erste Zeichen. Mit Jesus kommt die Freude, die größer ist als menschliche Sorge und Leid. Darum gibt es nichts zu mahnen, sondern zu feiern.

Natürlich warten Liebende auf eine Zeit, in der sie wieder fröhlich feiern können. Ohne Einschränkung und Abstand.  In der sie festlich essen, fröhlich singen und ausgelassen tanzen. Und Wein trinken. Ohne schlechtes Gewissen. Mit viel Freude. Und als Zeichen. So ist es, wenn Jesus kommt. So wird es einmal immer sein. Bei ihm und mit ihm.

Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide. Jesu, meine Zier. Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein. Jesu, meine Freude.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Situation wird im Beginn der Predigt kurz beleuchtet. Das Jahr 2020 ist seit März extrem eingeschränkt, was besonders für Hochzeitsfeiern relevant war und ist. Mehre-re geplante Hochzeiten wurden abgesagt, bzw. ins Jahr 2021 verschoben. Was eine Hochzeitsfeier vor allem ausmacht – viele Gäste, Feier ohne Beschränkung – war und ist nicht möglich. Einige wenige Trauungen fanden statt, hatten aber mit den Beschrän-kungen zu kämpfen und waren am Ende nur ein schmaler Kompromiss. Das Wesen ei-ner Feier war kaum erkennbar.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Erfahrung, Jesus in der Erzählung durch Johannes so kennen zu lernen, dass er sich den Mahnern widersetzt, dass er frei ist, sich dem Vorwurf auszusetzen, er sein Fres-ser und Säufer. Dass von grenzenloser Freude die Rede ist, zeichnet ein irgendwie fremd bleibendes und doch befreiendes Bild von Jesus.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen. Wenn ich glaube, ein klares und festes Bild davon zu haben wie Jesus ist, wie er redet und handelt, dann muss und möchte ich mich korrigieren lassen. Ich möchte mich auch bei bekannten Texten noch überra-schen lassen und an Jesus und seiner Verkündigung Neues entdecken.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Es kam – erneut – zu einem sehr angenehmen und hilfreichen Austausch mit dem Coach. Die sehr differenzierte und ausführliche Wahrnehmung hat mich Dinge an meinen Formulierungen und vor allem auch an Stilelementen entdecken lassen, die zur Bearbeitung der vorliegenden Predigt geführt. Dafür bin ich dankbar und auch für künftige Arbeit (hoffentlich) sorgsamer.

Perikope
17.01.2021
2, 1-11

Die Aufteilung der Welt in Schwarz und weiß - Predigt zu Johannes 9,1-7 von Bernd Giehl

Die Aufteilung der Welt in Schwarz und weiß - Predigt zu Johannes 9,1-7 von Bernd Giehl
9,1-7

Nach meinem Empfinden darf die Geschichte nicht mit Vers 7 enden. Ich würde mindestens bis Vers 17 lesen. Um die Hörer nicht überzustrapazieren, könnte man Johannes 9,1-7 in der Lesung vortragen und Vers 8-17 vor der Predigt.

 

Es mag auch ein Gefühl der moralischen Überlegenheit in der Frage liegen, die die Jünger dem Meister stellen: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Das Schicksal des Blinden geht ihnen nicht wirklich nahe, sonst würden sie in seiner Gegenwart wohl nicht so fragen. Könnte aber auch sein, dass sie es wirklich wissen wollen. Der Mann ist schließlich von Geburt an blind. Wie kann das sein, wenn Gott die Schöpfung gut eingerichtet hat? Er selbst kann doch keine Schuld an seinem Schicksal tragen, also müssen die Eltern irgendetwas getan haben, was der Sohn nun ausbaden muss. Und doch klingt die Frage nicht besonders betroffen. Sie macht den Blinden zum Objekt. Sie erniedrigt ihn zur Sache. So als wäre er nicht nur blind, sondern auch noch taub. Wer ist schuld? Vermutlich weder der Blinde noch seine Eltern. Wie gut, dass wir nicht mehr in solchen Kategorien denken. Wie gut, dass diese Zeiten vorbei sind.

Nein, das stimmt nicht.  Dafür gibt es wohl immer noch zu viel Leiden in der Welt. Und so fragen viele: Wer ist schuld an diesem oder jenem Missstand? Wer ist schuld am Klimawandel? Die Menschen könnte die Antwort heißen, aber weil das viel zu unkonkret ist, sagen die, die fragen: die Autofahrer. Oder zugespitzter noch: die Besitzer eines SUV. (Jedenfalls wenn man selbst keinen besitzt.) Die Vielflieger sagen sie, und um die von ihren Gewohnheiten abzubringen, erfinden Leute mit Einfluss das Wort „Flugscham“. Die Fleischesser sagen die, die sich endlich zum veganen Leben durchgerungen haben und stolz darauf sind.  Die Männer sind schuld, dass wir es nicht weiterbringen, sagen die ehrgeizigen Frauen.

Die Zeiten, in denen wir stolz waren, dass wir uns von der (bürgerlichen) Moral befreit hatten, scheinen unendlich weit entfernt zu sein. Heute geht es darum, wem man die Verantwortung für welchen Missstand zuschieben kann. Wer hat das getan?  Antworten bitte an das BKA oder jede örtliche Polizeidienststelle. Die Schuldigen sollen endlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Ein  altes Spiel. Ein böses Spiel. „Schwarzer Peter“ heißt es wohl. Aber jetzt kommt der Spielverderber. Jesus heißt er und er hat schon so manches Spiel durcheinandergebracht. Er verweigert sich der Frage nach der Schuld des Blinden. Das Licht der Welt, sagt er, scheint auch für den Blinden, jedenfalls seit dem Augenblick, als er mir begegnet ist. Denn ich, Jesus, bin das Licht der Welt. Und dieses Licht soll der arme Mann jetzt ebenfalls sehen. Und dann tut er das Wunder. Er spuckt in den Staub, er bereitet einen Brei, streicht ihn dem Blinden auf die Augen und schickt ihn dann zum Teich Siloah, um sich zu waschen. Was der dann auch tut. „Und kam sehend wieder“, so berichtet es das Johannesevangelium.

An dieser Stelle könnte die Geschichte nun zu Ende sein. Und wir könnten ihn jetzt fragen, ob er froh über seine Heilung sei. Vermutlich würde er sich an den Kopf greifen.  Was das für eine Frage sei, würde er antworten. Er könne die Welt und ihre Farben sehen. Er sei nicht mehr auf seinen Stock angewiesen. Er könne Gesichter erkennen. Auch das Staunen in unseren Gesichtern könne er sehen. Ob da auch ein paar Zweifel seien? Ach ja: zum allerersten Mal wisse er, wie Bäume aussehen. Oder Menschen.

Aber wir können ja noch ein bisschen nachhaken. Wir kennen die ganze Geschichte, also könnten wir zum Beispiel fragen: Einmal angenommen, du hättest voraussehen können, was nachher passierte, hättest du dann immer noch gesagt: „Ja, Herr, ich will sehen können?“

Er hat es ja nicht wissen können. Wenn man vom Rathaus kommt, ist man klüger, hat einer

gesagt, der es wissen musste, und er hat Recht. Das Misstrauen seiner Umgebung, („Kann der wirklich sehen? Hat der uns ein Leben lang zum Narren gehalten?“) die hochnotpeinliche Befragung durch die Pharisäer und am Ende sogar der Ausschluss aus der Synagoge; angenommen, er hätte das alles vorausgesehen, hätte er sich dann immer noch für das Sehen entschieden?

Nein, ich weiß nicht, was er antworten würde. Ich weiß nur, dass er über die Antwort längere Zeit nachdenken müsste.

Das Spiel geht weiter. Der Schwarze Peter ist noch  da.

Stellt sich die Frage: Warum akzeptieren Menschen  das Gute nicht? Warum suchen sie  immer wieder den Keim des Bösen darin? Wer die Geschichte zum ersten Mal hört,  wird sich wundern, wie ein so positiver Anfang nach und nach immer hässlicher wird.  Wenn man  diese Geschichte  etwa 1500 Jahre in die Zukunft verlegte, so würde sie ein Inquisitionsprozess mit Großinquisitor, hochnotpeinlicher Befragung, Streckbank und am Ende dem Scheiterhaufen. Weil unbußfertige Sünder nun einmal brennen müssen. Gott will es so. Amen.

Und wenn man gar die Linien bis zur Gegenwart ausziehen würde – was würde dann passieren? Schauen wir mal.

Ob ich jetzt wohl von einer Märchenzeit erzähle? Manchmal kommt es mir so vor. Und doch muss es sie gegeben haben, jene Zeit,  in der viele Menschen die Welt nicht mehr aufgeteilt haben in „gut“ und „böse“, sondern jeden so leben ließen, wie er wollte. Sie ist vorbei, so wie die Zeit der Märchen eigentlich immer schon vorbei ist, wenn sie erzählt werden und doch erinnere ich mich an sie.  Ich meine die Zeit am Ende des letzten Jahrhunderts. Und ich meine, es wäre eine Nachwirkung von „1968“ gewesen. Nicht dass die 68er Bewegung besonders tolerant gewesen wäre. Das war sie nicht und konnte es wohl auch nicht sein, weil sie gegen alles ankämpfte, was irgendwie nach Faschismus roch. Aber sie demonstrierte eben auch gegen das Autoritäre, das nach Kaiserreich und Nationalsozialismus den Deutschen noch tief in den Knochen steckte.

Ich selbst habe diese Zeit eher am Rande erlebt. 1968 war ich fünfzehn Jahre alt und lebte auf dem Land, wo das alles noch kein Thema war. Meine jüngeren Geschwister und ich lebten noch in der Furcht des Herrn, und das war ganz wörtlich zu nehmen. Mein Vater war ein gottesfürchtiger Mann, der seinen Kindern den Glauben und das Gehorchen  zu vermitteln versuchte und das Gewünschte  öfters einmal mit dem Stock einbläute. Ich habe erst spät gelernt, ihn und seine Überzeugungen in Frage zu stellen und meinen eigenen Weg zu finden. Ohne das, was „1968“ und in den folgenden Jahren passierte, wäre mir das wohl nicht gelungen.  Aber nach und nach setzte sich der Geist von „68“ durch.  Die Menschen und damit auch ich konnten freier atmen. Sie brauchten sich nicht mehr zu rechtfertigen, wenn sie anders leben wollten. Kinder konnten ihren eigenen Kopf haben; sie konnten ihren Eltern widersprechen. Anders als meine Geschwister und ich musste kaum ein Kind noch Angst haben, geschlagen zu werden. Männer und Frauen konnten unverheiratet zusammenleben und kaum ein Vermieter fragte nach dem Trauschein. Homosexuelle konnten sich zu ihrer Neigung bekennen. Vielleicht wurden sie immer noch schief angesehen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit küssten, aber zumindest wurden sie nicht mehr sozial geächtet.  

Heute dagegen gibt es wieder eine Moral. Die ist sicher anders als vor fünfzig Jahren, vielleicht sogar subtiler, aber deshalb nicht weniger gnadenlos.

Womit wir im Zeitalter der „Aktivisten“ angekommen sind.

Aktivisten sind Menschen, die sich für das Gute einsetzen. Wenn ich es einmal überspitzt und vielleicht auch ein bisschen böse ausdrücken darf. Wo immer ein Problem am Horizont auftaucht, wird es bald Menschen geben, die es bekannt machen und sich für seine Lösung einsetzen. Daran ist noch nichts auszusetzen;  eher schon daran, dass es für sie nichts Wichtigeres gibt als ihre Sache. Alles andere tritt für sie in den Hintergrund und da es ja bekanntlich mehr als nur ein brennendes Problem unter dem Himmel gibt, nimmt die Lautstärke und auch die Intoleranz sowohl in den Medien wie auch in der Öffentlichkeit eher zu.  Aktivisten  kämpfen gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Umweltzerstörung, für die Rechte von Transpersonen und anderen Minderheiten. Keins dieser Ziele ist schlecht. Nur die Mittel, die sie dafür einsetzen, sind manchmal fragwürdig. So gibt es in der Debatte um die Rechte der Frauen mittlerweile die Begriffe „weiße, alte Männer“ und – womöglich noch pointierter – den Begriff der „toxischen Männlichkeit“. Das Problem mit ihnen ist: Sie sind so wunderbar unscharf. Natürlich denkt man beim „weißen alten Mann“ zuerst an Donald Trump und seine frauenverachtenden Sprüche  aber natürlich kann man den Spruch jedem gegenüber anwenden, dessen Position in der Geschlechterfrage man nicht teilt: Weiße Männer (vor allem alte weiße Männer) sollten sich schämen.  Wären sie doch besser als Frauen geboren oder als “people of colour“.  Am besten ist diese Haltung in der #me too Debatte zu beobachten. Wenn einem Mann sexistisches Verhalten zum Vorwurf gemacht wird, kann er sich schon einmal nach einer neuen Karriere umsehen.   Er wird mit Shitstorms überhäuft und im Unterschied zu einem normalen juristischen Verfahren sind Anklage und Richter identisch. Es braucht weder Verteidigung noch Beweise und das Urteil steht von vornherein fest.

Alles ist plötzlich einem moralischen Werturteil unterworfen, und das ist zumindest

für die Aktivisten bindend. Wenn Peter Handke den Nobelpreis für sein Werk bekommt, geht sofort ein Aufschrei durch die Medien. Wie kann man nur, wo er doch Partei für die Serben bezogen hat? „Pipi Langstrumpf“ ist für Kinder nicht zumutbar, weil Pipis Vater angeblich ja ein „Negerhäuptling“ war und das Wort wird vermutlich alle Menschen mit brauner Hautfarbe beleidigen.  

Auch eine Macht, die für das Gute kämpft und dabei unfaire Mittel einsetzt oder alle anderen ihren Werturteilen unterwerfen will, verwandelt sich.

Die Vermutung liegt nah, dass dies die Glaubenskriege des 21. Jahrhunderts werden.

An diesem Punkt fällt mir die alte Niemöller Frage ein: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Wenn wir an die Geschichte von der Heilung des Blinden denken, könnte die Antwort lauten: Er hat  sich der Frage der Jünger nicht angeschlossen. Er hat nicht gefragt: Wer ist schuld, dass dieser arme Mann nicht sehen kann? Stattdessen hat er das getan, was in seinen Möglichkeiten lag: er hat den Mann geheilt, sodass er zum ersten Mal in seinem Leben sehen konnte. Vielleicht hat er den „Shitstorm“, der darauf folgte, vorausgesehen. Zumindest im Johannesevangelium wird ja immer wieder davon erzählt, dass die Feindschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten  aufgrund der Wunder, die er tat, entstand und dabei immer größer wurde. Aber das hat ihn offenbar nicht besonders interessiert. Er ist seinen Weg konsequent bis ans Ende gegangen.

Es wäre schön, wenn wir von diesem Mann lernen. Wenn wir uns einsetzen für die, die es brauchen und dabei doch immer auf die Wahl der Mittel achten.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer i.R. Bernd Giehl

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe keine Gemeinde mehr und so halte ich nur noch selten Gottesdienst. Mir ist bewusst, dass die meisten Menschen, die noch zum Gottesdienst kommen, eher ältere Menschen sind. Dennoch hoffe ich, dass auch die zumindest ein wenig von der Problematik verstehen, die ich hier ansprechen will: der Rolle der sogenannten „Aktivisten“ in den gesellschaftlichen Debatten.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Es wäre gut, wenn die Menschen nicht nur ihre eigenen Maßstäbe für allein gültig erklären würden, sondern ein bisschen Toleranz lernen. Dazu könnte die Auseinandersetzung mit diesem Text beitragen.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gottes Gnade ist größer als die der Menschen. Er sieht auch da Farben, wo die Menschen nur schwarz oder weiß sehen.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe an vielen Stellen genauer formuliert, was ich meine. Ich hoffe, das dient der Verständlichkeit.

Perikope
02.08.2020
9,1-7

Gemeinsam am Feuer - Predigt zu Johannes 20, 19-23 von Frank Muchlinsky

Gemeinsam am Feuer - Predigt zu Johannes 20, 19-23 von Frank Muchlinsky
20,19-23

Liebe Gemeinde,

ganz gleich, mit wie vielen Menschen wir uns derzeit real treffen dürfen, es ist Pfingsten, also Grillzeit! Wir sind vereint im Garen von Lebensmitteln unter freiem Himmel. Was uns trennt, sind lediglich die Fragen nach den Speisen, die wir am liebsten auf den Rost legen, und die Entscheidung für die einzig wahre Art der Befeuerung: Gas oder Kohle? Das ist wie evangelisch oder katholisch. Man gehört einer Richtung an, und je ernster man es mit dem Grillen meint, desto wichtiger wird auch diese Entscheidung. Wer aus Überzeugung mit Kohle befeuert, rümpft schon einmal die Nase über die Gasgriller. Umgekehrt hat man schon hochgezogene Augenbrauen sehen können bei Menschen, denen der Geruch von Kohlegrills in die Nase stieg. Vor allem während des Anzündens kommen hier Brandbeschleuniger zum Einsatz, die entsetzlich stinken und rauchen können. So groß die Differenzen zwischen den Grillkonfessionen aber auch sein mögen: Wird man aber bei einem Grillmenschen der anderen Richtung eingeladen, herrscht schnell Eintracht. Man ist beisammen und freut sich am so oder so entfachten Brutzeln. Natürlich ist man sich immer einig in der Ablehnung von Elektrogrills, die eine Art Sekte sind.

Jesus war ein Kohlengriller. Das ist keine Behauptung, sondern eine biblische Tatsache. Als der auferstandene Jesus am See Tiberias seinen Jüngern erscheint, sind die gerade auf dem See am Fischen. Jesus steht am Ufer, ruft sie und "als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot." (Joh. 21,9) Jesus grillte also auf Kohle, und das ist eine schöne Verbindung zum Predigttext für heute. Der spielt nur ein Kapitel vor diesem Grilltreffen am See.

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. (Joh. 20,19-20)

Die Stimmung in dieser Szene ist eine ganz andere, denn die Jünger sind nicht draußen an der frischen Luft und dazu noch auf dem Wasser. Sie haben sich vielmehr verschanzt, weil es draußen gefährlich ist. Wer raus geht, exponiert sich. Wer raus geht riskiert, von "den Juden" entdeckt und angeklagt zu werden. Alle Jünger selbst sind Juden, aber die Gefahr da draußen geht eben von den anderen aus, von der Menge, von "den Juden". Also bleiben sie lieber drinnen und verschließen die Türen.

Jesus tritt trotzdem ein, und als die Jünger ihn erkennen, ändert sich ihre Stimmung, sie werden froh. Jesus wiederholt noch einmal seinen Gruß und dann redet er zu seinen Jüngern.

Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. (Joh. 20,21-23)

Jesus schickt seine Jünger los, seinen Auftrag fortzusetzen. "Macht es wie ich!" sagt er ihnen, kurz nachdem er ihnen seine Wunden gezeigt hat, inklusive der Stelle, an der man mit einem Lanzenstich seinen Tod feststellte. "Ich sende euch", sagt er. Natürlich ist den Jüngern klar, was das bedeutet: Es heißt: "Raus mit euch dahin, wo die Gefahr lauert!" Damit man dazu bereit ist, sich derart in Gefahr zu bringen, muss man schon ordentlich brennen. Und hier zeigt sich Jesus als geübter Kohlengriller: Er bläst seine Jünger an. So, wie der Atem die Kohlen heißer brennen lässt, so lässt dieser Atem Jesu seine Jünger glühen.

Kohle braucht etwas Zeit, bis sie wirklich heiß brennt. Die Glut dringt langsam durch den festen Stoff. Der Sauerstoff in der Atemluft beschleunigt diesen Vorgang. So wirkt der Heilige Geist, den Jesus seinen Jüngern hier einbläst. Ich stelle mir Jesus gar nicht zart hauchend vor, sondern vielmehr kräftig pustend. Das ist eine schönere Geste, als die Jünger beispielsweise aus der Tür zu schubsen. So etwas wünschen wir uns auch, wenn wir wieder raus dürfen und irgendwie sollen und doch nicht ganz so wie wir vielleicht wollen. Wir wünschen uns einen Anschub, der uns erfüllt, der uns spüren lässt, dass da etwas in uns lebendig ist und glüht.

Die Bibel hat es gleich gesagt: Der Mensch atmet Gottes Atem. "Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen." (Gen. 2,7) Und nun gibt es noch einen göttlichen Atemstoß von Jesus. Wie eine Mund zu Mund Beatmung für jemanden, der nur noch flach atmet, wie Blasen in die schwach glimmende Glut. Jesus erweckt seine Jünger neu zum Leben. Nun kann er sie senden "wie mich der Vater gesandt hat." Und so geht die Geschichte weiter, beziehungsweise, sie geht für die Jünger richtig los: Bisher waren sie die Gesellen, jetzt werden sie die Meister. Aus Zuhörern werden Prediger, sogar vergeben dürfen sie in Gottes Namen.

In unserer Grill- und Pfingstzeit merken wir, wie es uns aus den Häusern drängt. Manche spüren das Glimmen in sich, andere das Brennen. Und seit ein paar Wochen gibt es noch ganz andere Brandbeschleuniger als den Atem Jesu Christi, die uns heiß glühen lassen wollen: Verschwörungsphantasien werden wie Petroleum über uns ausgegossen. Man trifft sich zu Demonstrationen, um für das rechte Maß an Beschränkungen einzutreten, doch die Luft ist geschwängert von Hassparolen wie von einer Benzinwolke.

Wer sich aber vom Geist Gottes anfachen lässt, bekommt von Jesus gesagt: "Macht es wie ich!" Und das bedeutet: Brennt aus Liebe für einander! Vergebt einander! Und geht vernünftig mit euren Möglichkeiten um! Das steckt in den Satz "Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten." Das bedeutet doch: "Ihr habt große Macht, großen Einfluss auf andere Menschen." Es ist mittlerweile ein recht bekanntes Sprichwort, dass mit großer Macht auch große Verantwortung kommt.

Achten wir darum genau darauf, dass wir uns vom Geist Jesu anheizen lassen, der uns für andere brennen lässt. Meiden wir den Ungeist derer, die einfach das Feuer wollen! Treffen wir uns zum freundlichen Grillen im Freien dort, wo es wirklich erlaubt ist mit genügend Abstand. Laden wir dazu die Kohle-, die Gasgriller und auch die Elektrogriller ein, freilich nicht alle auf einmal. Der Geist Gottes erfüllt uns alle!

Amen

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Frank Muchlinsky

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich stelle mir vor, dass diese Predigt wohl weit häufiger gelesen wird als gehört. Eine Gemeinde, die in diesem Jahr einen live Pfingstmontag-Gottesdienst hielte, kenne ich nicht. Darum stelle ich mir vor allem Lesende vor.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich habe mich von dem Bild beflügeln lassen, wie Jesus sine Jünger anpustet. Er macht also das Schlimmste, was man in der Pandemie tun kann, beziehungsweise das, was man nur noch in ganz intimen Beziehungen tut. Dazu das Bild davon, wie jemand Grillkohlen anbläst, damit sie heißer glühen – schon war das Pfingstbild komplett für mich.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Intimität dieser Pfingstgeschichte im Unterschied zu der aus der Apostelgeschichte. Der Heilige Geist als "zweiter Atemstoß Gottes".

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Vor allem ein neues Ende. Ich hatte ein paar Sätze, die mir so gut gefielen, dass ich sie gern unterbringen wollte. Das führte dazu, dass der erste Schluss etwas ausfranste. Danke, Friederike Erichsen-Wendt für die Hilfe beim Bündeln!

Perikope
01.06.2020
20,19-23