Neugeboren - Predigt zu Johannes 3, 1-8 von Matthias Rein

Neugeboren - Predigt zu Johannes 3, 1-8 von Matthias Rein
3, 1-8

Der Predigttext wird zu Beginn gelesen (Luther 2017).

I.

Wolken ziehen eilig über den Himmel. Der Wind bläst von vorn. Die Wellen rollen an den Strand. Das Meer ist in großer Bewegung.  Wir laufen gegen den Wind, immer gegen an. Die Worte wehen aus dem Mund.  Der Wind hat uns im Griff. Wir sehen ihn nicht, den Wind. Aber wir spüren seine Kraft. Wir sehen, was er wirkt: das Meer in Bewegung, eilige Wolken, Sand im Gesicht. „Der Wind bläst, wo er will. Du hörst sein Sausen wohl; aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren wird.“

So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren wird?  Was meint Jesus?

Was wirkt der Wind? Wellen, Wolken, Sausen. Was wirkt der Geist? Neugeborenwerden.  Wo kommen Wind und Geist her? Wo haben sie ihr Anfang?  Beim Wind können wir den Ausgangspunkt kaum finden.  Suchen wir den Ursprung des Geistes, dann begegnen wir Gott. Kein alter Mann, der mit dicken Backen bläst. Eher ein Spannungsfeld voller Energie. Da entspringen Wind und Geist.

II.

Nikodemus fragt und hört zu. Es ist Nacht. In der Nacht hört man den Wind stärker, hört man Worte anders, ahnt man das Licht. Aber sieht es nicht. Nikodemus sah, was Jesus tat: Aus Wasser wird Wein.  Geschrei im Tempel, den Jesus reinigt. Aus Menschen, die zweifeln, werden Nachfolger*innen Jesu. Alle haben es gesehen. Nikodemus hat es gesehen. Und sagt: „Du, Jesus, kommst von Gott.“

Und doch: Nikodemus hat Fragen. Fragen, die einem nachts durch den Kopf gehen: „Was habe ich gesehen? Was hat das zu bedeuten? Gott selbst in diesem Menschen Jesus? Das Reich Gottes?“ Jesus antwortet in der Nacht: „Nikodemus, du bist ein Lehrer Israels, ein kluger und verständiger Mann. Wir sehen das, was vor Augen steht. Wir sehen die irdischen Dinge. Diese Dinge zeigen aber mehr. Sie weisen auf Gottes Wirken, auf himmlische Zusammenhänge. Wer dies sehen will, muss anders sehen. Muss neu geboren werden aus Wasser und dem Geist Gottes. Muss die Welt mit Gottes Augen anschauen.“

III.

„Welch ein schöner Raum!“ Seit einer Stunde sitze ich mit dem Maler in der lichtdurchfluteten gotischen Kirche. Der Maler sieht mit anderen Augen als ich. Das Licht, die Proportionen, die Farben, die Akzente durch den Renaissance-Altar. Er sieht Dinge, die mir bisher verborgen waren. Ein Schattenspiel, eine Lichtbrechung, ein Farbklang. „Ich bin kein glaubender Mensch. Aber mich beschäftigt das Transzendente.“ Der Maler erzählt von sich. Er wird das Kirchenschiff in der Passionszeit umgestalten, wird den Altar verhüllen. Das Leiden des Menschen und das Handeln Gottes. Landschaft und Himmel. Violett. Das inspiriert ihn. Er macht sich auf den Weg zu einer künstlerischen Gestaltung. Er meditiert und probiert. So entsteht ein großes Flies. Eine Landschaft, ein Ausschnitt aus dem Himmel. „Ich bin kein glaubender Mensch. Aber ich habe den Himmel neu sehen gelernt bei dieser Arbeit. Ich sehe so viel mehr.“ So beschreibt der Maler seine Erfahrungen. Ein Mensch auf der Schwelle. Zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen. Auf der Schwelle wie wir. Mit ihm lerne ich neu sehen, lerne ich anders zu sehen.

So macht es Gott mit uns Menschen: er lehrt uns, neu zu sehen.

IV.

Wie geht „Neugeboren werden“? Nikodemus kann das nicht verstehen. Wieder zurück in den Mutterleib? Jesus meint etwas anderes. Es geht um ein „Geborenwerden aus Wasser und Geist“. Das geschieht, wenn ein Mensch im Namen Gottes getauft wird. Es beginnt etwas Neues. Ein neuer Anfang, neu geschaffen, wieder geboren. Nikodemus fragt, wie ein Mensch neu geboren werden kann.  Jesus antwortet: untergetaucht in das Reich des Todes und aufgetaucht zu neuem Leben. Erfüllt durch Gottes Geist. So wird ein Mensch von Gott neu geboren. Gott handelt. Mit uns Menschen geschieht dies.

Und woran erkenne ich das Wirken des Geistes? Wer von Gott neu geboren ist, richtet sich neu aus. Richtet Denken und Handeln an Jesus aus. Ein neues Sehen, ein neuer Blick, eine neue Verbindung, eine neue Bewegung. Im Blickfeld taucht das Himmlische und das Reich Gottes auf, mitten im Irdischen. Im Antlitz des Gekreuzigten leuchtet das Licht Gottes.

Ein Beispiel:

Rasul Sayab kam aus Afghanistan nach Deutschland und stellte einen Antrag auf Asyl. Er wurde am 10.12.2017 in der Erfurter Reglerkirche getauft. Er lebt als Christ und kam jeden Sonntag zum Gottesdienst in die Reglerkirche. Gemeindeglieder begleiteten ihn bei der Verhandlung seiner Zulassung zum Asylverfahren vor dem Verwaltungsgereicht Meiningen. Rasul hat keinen Aufenthaltsstatus in Deutschland bekommen und nun Deutschland auf der Flucht verlassen. Pfarrerin Lipski schreibt: „Rasul ist ein beeindruckender, freundlicher und sehr respektvoller Mensch. Ich bin sehr traurig darüber, dass er weiter in Angst leben muss. Wenn man ihn gefragt hat, wann sein Geburtstag ist, hat er immer gesagt, es sei der 10.12.2017 - der Tag, an dem er getauft wurde.“

V.

Wir sind auf dem Rückweg am Strand. Wir haben den Ursprung des Windes nicht gefunden. Aber nun spüren wir: Die Sonne von vorn, der Wind im Rücken. Er schiebt uns. Wir sprechen. Der Wind nimmt die Worte mit. Gottes Geist richtet unsere Augen aus und wärmt das Herz. Der Wind hat uns durchgepustet. Neue Gedanken, neues Sehen.

Gott wirkt.

Amen

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Matthias Rein

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt halte ich im Gottesdienst der Thomas-Gemeinde Erfurt, eine lebendige Ge-meinde im gutbürgerlichen Süden Erfurts. Ich habe fragende und suchende Menschen vor Augen: Menschen, die eine Familie gegründet haben, Mediziner*innen, Künst-ler*innen, Verwaltungsangestellte, Jurist*innen. Menschen, die den christlichen Glauben intellektuell durchdringen möchten, die ähnlich fragen wie Nikodemus. Menschen „auf der Schwelle“, die Fragen stellen, die nicht einfach zu beantworten sind.  
Aber die auch „frohe Botschaft“ hören und erleben wollen.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat das Bild vom Wind beschäftigt, dessen Wirkungen wir wahrnehmen. Und mich hat die Frage nach dem Übergang vom Geborenwerden zum Neugeborenwerden beschäf-tigt. Gibt es einen Übergang, eine Vermittlung von dem einen Zustand zum anderen? Wenn ja, wie? Was wirkt Gott, welchen Anteil haben Menschen in diesem Geschehen?

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Gott ist als Schöpfer, Erlöser und Geist zugleich präsent und verborgen. Jesus spricht von der Unverfügbarkeit des Neugeborenwerdens, zugleich zeigt er den Weg auf, wie ein Mensch neu geboren wird: durch die Taufe und Durchdringung mit Gottes Geist. Gott wirkt, der Mensch empfängt.   

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Bild vom Wind am Meer, die Szene mit dem Maler tragen. Die Sprache soll einfach, gut hörbar und doch mit Tiefe sein. Am Ende wurde wichtig, Gottes offenbares und verborgenes Wirken in allem sichtbar werden zu lassen.

Perikope
30.05.2021
3, 1-8

Alles fließt - Predigt zu Johannes 7, 37-39 von Wolfgang Vögele

Alles fließt - Predigt zu Johannes 7, 37-39 von Wolfgang Vögele
7, 37-39

„Aber am letzten Tag des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Morgendämmerung hat eingesetzt, es wird heller. An einem Arbeitstag kurz vor Sechs fiept der Wecker. Mütter, Väter, Schulkinder, Arbeiter und Angestellt räkeln sich halb verschlafen auf der Matratze. Sie schütteln den Schlaf aus dem Körper und quälen sich müde aus der Decke. Die Beine schwingen sie auf den Boden und stehen langsam auf, ohne das Licht anzuschalten. Sie suchen die Toilette auf, wechseln ins Badezimmer, streifen den Pyjama ab und stellen sich fröstelnd und nackt unter die Dusche. Ohne hinzuschauen, drehen sie das Wasser an, und aus dem Duschkopf prasseln Wasserströme, die dem Blutdruck des vom Schlaf noch trägen Körpers einen kräftigen Schub verleihen, bei kaltem Wasser noch mehr als bei warmem.

Solch eine nasse Explosion, liebe Schwestern und Brüder, stelle ich mir unter „Strömen lebendigen Wassers“ vor: die schäumende, spritzende Wasserkraft, die am Morgen den schlaftrunkenen Nachtkörper wieder in ein Energiebündel verwandelt. Niemandem muß die eigene Nacktheit peinlich sein. Der Glaube wird in diesem Predigttext als eine Art Kneippkur verstanden: Er regt den Kreislauf an und spendet Energie wie die Dusche am Morgen. Wer glaubt, der hat keinesfalls zu heiß gebadet und muß nicht vor dem Leben fliehen. Wer glaubt, der hat sich mit Strömen lebendigen Wassers wecken lassen.

Der Evangelist Johannes verbindet unnachahmlich schnöden Alltag und himmlische Weisheit. Er erzählt vom frisch gebackenen Brot, gegrillten Fischen, anregendem Wein in vollen Krügen und eben auch vom klaren Wasser. Die Vater-und-Sohn-Theologie des Johannes nehmen die hörenden Menschen durch Essen und Trinken, Arbeiten und Waschen auf. Er entwickelt eine Flüssigkeitslehre von Wasser und Wein, weniger von Milch, aber auch von Blut, was allerdings an dieser Stelle nicht auftaucht. Seine Wasserweisheiten hat der Evangelist aus dem Alten Testament gewonnen. In der Bibel fließt so viel Wasser, da können die Leser leicht ins Schwimmen kommen.

Das lebendige Wasser aus dem Predigttext sollte nicht allzu schnell symbolisch überhöht werden. Im Hebräischen meint diese Wendung das frische, klare Wasser aus dem Fluß oder Bach, weich und angenehm zu trinken. Totes Wasser dagegen riecht faulig, abgestanden und schal. Es kommt aus einer trüben Quelle, oder es stand zu lange in einer Zisterne. In einer trockenen Gegend wie dem Land um Jerusalem und Jericho kann der sich glücklich schätzen, der in der Nähe einer Wasserquelle lebt. Ich lese eine kurze Passage aus dem Propheten Jeremia, eine der schönsten Wasserstellen (Jer 17,7-8): „Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den HERRN verlässt und dessen Zuversicht der HERR ist. Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; (…).“ Wasser ist lebensnotwendig, für den Olivenhain, für das kleine Kind, für das Lamm und den Dromedar, für Kühe und Kälber, für durstige Menschen, glaubende wie nicht-glaubende. Zu Quellen und Brunnen müssen alle Zugang haben.

Dieses Leben benötigt weder Zaubertrank noch medizinische Tinktur, die tröpfchenweise verabreicht wird. Leben benötigt Ströme von Wasser. Anderthalb Liter täglich: Darin kommen Alltagsroutine, Lebensweisheit und medizinische Notwendigkeit zusammen. Auf diese Alltagsweisheit baut die Glaubenslehre des Evangelisten: Sie ist nah am Wasser gebaut.

Und auf dieser Grundlage stimmt Jesus das Trinklied des Heiligen Geistes an. Dieses allerdings enthält Widersprüche und trifft darum auf Unverständnis bei den Jüngern. Die energiespendende Dusche mit dem Heiligen Geist versteht sich nicht von selbst. In der erzählten Gegenwart spricht Jesus mit den Jüngern. Für Johannes, den Schriftsteller, weiß Jesus stets, daß er über die Gegenwart der erzählten Szene hinausredet. Die Leser und Hörerinnen des Evangeliums sind schon mitangesprochen. Das bedingt Verständnisschwierigkeiten auf allen Seiten: Jünger und Leser verstehen nicht richtig. Aber der Evangelist erklärt geduldig. Die Jünger im Evangelium kennen den Heiligen Geist noch nicht. Die Leser des Evangeliums können nicht richtig nachempfinden, wie es war, dem Lehrer aus Nazareth als leibhaftige Person zu begegnen.

Die später geborenen Glaubenden sind um ihres Glaubens willen angewiesen auf den Heiligen Geist. Sie brauchen diesen Geist nicht nur tröpfchenweise, wie die Großmütter, die jeden Abend vor dem Schlafengehen einen Fingerhut voll Klosterfrau Melissengeist tranken. Der heilige Geist ist weder ein Likör, noch ein teurer Whisky oder ein Grand Cru aus dem Burgund. Letztere müssen erst jahrelang im Faß und dann auf eine Flasche gezogen gekühlt im Keller liegen, bevor sie in kleinen Schlucken zum runden Geburtstag oder der Hochzeit des Sohnes getrunken werden. Liebe Gemeinde, Sie erinnern sich an die Geschichte der Hochzeit von Kana; auch sie erzählt der Alltagstheologe Johannes (Joh 2,1-12). Der Speisemeister beschwert sich beim Bräutigam, daß er den Gästen den besten Wein bis zuletzt vorenthalten habe. Dabei war es Jesus selbst, der in seinem ersten öffentlichen Wunder Wasser in Wein verwandelt hatte. Den Heiligen Geist muß man sich vorstellen wie eine tägliche Dusche mit weichem, klaren Wasser. Der Heilige Geist sprüht, sprudelt, regnet, belebt, manchmal heiß, manchmal kalt. Der Geist tröstet, sagt Jesus an anderer Stelle im Evangelium (z.B. Joh 14,26). Und das heißt: Das Wasser löscht den Durst, es reinigt und belebt, es hilft zu nüchternem und klarem Bewußtsein. Wein, ab dem dritten Glas, betütert und berauscht. Der heilige Wasser-Geist ernüchtert – und das nachhaltig. Der Körper braucht das Wasser, um nicht zu vertrocknen. Glaube braucht den Geist, um nicht in frommer Rechthaberei, klerikaler Bürokratie oder endlosen Diskussionen in gestalteter Mitte zu erstarren.

Nun allerdings steht der Heilige Geist nicht wie die tägliche Dusche im Badezimmer zur Verfügung, wo das Wasser nach dem Betätigen der Armatur eiskalt oder lauwarm aus dem Duschkopf strömt. Aus der Predigtgeschichte ergeben sich einige Hinweise zur geistlichen Wasserkunde: Zuerst weist der Evangelist auf die Verbindung zwischen Jesus von Nazareth und dem Heiligen Geist hin. Ohne „Verherrlichung“, wie er es nennt, ohne Kreuz und Auferstehung Jesu, ist der Heilige Geist nicht zu haben. Der Geist wirkt dort, wo Menschen ahnen, hoffen und glauben, daß Gott die Leiden dieser Welt überwinden will und zu diesen Verheißungen steht. Der Heilige Geist stellt sich nicht auf Knopfdruck ein – und schon gar nicht von selbst. Den Trost des Geistes arbeitet Gott nicht am Fließband ab.

Den Glaubenden hilft das Gebet. Das ist die Armatur, die den Geist in Bewegung setzt. Es heißt im bekanntesten und schönsten aller Pfingstlieder, das am Sonntag Exaudi, eine Woche vor dem Pfingstfest, selbstverständlich schon zum Brausen der Orgel gesungen werden kann: „Nun bitten wir den Heiligen Geist/ um den rechten Glauben allermeist,/ dass er uns behüte an unserm Ende,/ wenn wir heimfahr‘n aus diesem Elende./ Kyrieleis.“ (EG 124,1) Im Lied vereinen sich die Sängerinnen und Sänger zum „Wir“ der Gemeinde. Jesus richtete seine Rede über den tröstenden Geist an die Gemeinschaft der Jünger, die bei Johannes zu einer Gemeinschaft von Freunden stilisiert werden. Wie Gott seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse (Mt 5,45), so regnet es das Wasser des Heiligen Geistes über Gemeinschaften von Menschen. Häufig zielt es nicht auf einzelne Glaubende, sondern auf Gemeinschaften, Gemeinden. Und ein letztes ist wichtig: Beim Duschen am Morgen stellt die lauwarme Mittelstellung des Hebels einen guten Kompromiß zwischen der Erinnerung an das warme Bett und der Notwendigkeit kühlender, kräftiger Belebung dar. Die Bibel verhält sich gegenüber dem Lauwarmen sehr, sehr skeptisch (Apk 3,16). Der Heilige Geist ist nicht zu kanalisieren und auch nicht zu temperieren. Er fließt nicht zwingend durch Kirchen- und Gemeindeleitungen; er verbreitet sich dort, wo er will (Joh 3,8). Der Heilige Geist ist keine klerikale Bewässerungsanlage, sondern daran zu erkennen, daß er an den ungewöhnlichsten Orten für heiße und kalte Überraschungen sorgt. Der Geist bewirkt zugleich Offenheit und Kraft; er weckt die Glaubenden aus allen Formen der bleiernen, geistlichen Müdigkeit.

Deswegen, liebe Schwestern und Brüder, lassen sie uns durchbuchstabieren, was das heißen könnte. Die letzten Monate der Pandemiewellen haben bei vielen eher für Müdigkeit und Einsamkeit als für Energie und neue Projekte gesorgt. Dieser Zustand wird so nicht anhalten. Wir benötigen die Bereitschaft, uns überraschen und neu motivieren zu lassen. Wir müssen denen helfen, in Pflegeheimen und Krankenhäuser, die schon lange über den Rand der Erschöpfung hinaus arbeiten, um dafür zu sorgen, daß sich das Virus nicht weiter ausbreitet. Das kann der Applaus vom Parkplatz aus sein, die beim Haupteingang vorbeigebrachte Pizza, aber auch der vom Balkon gesungene Choral. Überhaupt das Singen und Musizieren, auf das wir in den Gottesdiensten sehnsüchtig warten. Geistliche Musik wird die Überraschung sein: Wie schön, nach dem Ende der Pandemie einen gemeinsam gesungenen Choral mitzuhören, mitzusingen und mitzubeten. Ein Choral, eine Kantate, ein Lobpreis-Song – das ist ein klares Wasser, das erfrischt und jegliche Form von Apathie vertreibt.

Es braucht Aufmerksamkeit und Geduld, manchmal mehr das Abwarten als das übereilte, vorschnelle Handeln. Der Geist, der erfrischt und munter macht, stellt das Leben in eine größere Perspektive. Sie reicht über solche Pandemiezeiten, die unsere Geduld strapazieren, und über den Tod hinaus. Im Predigttext heißt es, daß auch die Jünger noch nicht wußten, daß Jesus verherrlicht werden sollte. Genau dieses Wissen macht den Unterschied des Glaubens. Es erfrischt und gibt neuen Mut. Alle, die glauben, folgen dem, der in Kreuz und Auferstehung vorangegangen ist. Und das wird gegenüber allem, das beim Alten bleiben soll, noch für manche Überraschung sorgen, sei es im Gebet, sei es in der Gemeinde, sei es an Orten, wo es kein kirchlicher Aktenordner vermutet hätte. Das ist die einfache Einsicht des Evangeliums: Geist ist Klarheit, Mut und Überraschung.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unsere Trägheit, klarer als unser Denkvermögen und überraschender als unsere Phantasien, bewahre eure Herzen und Sinne frisch gebraust in Christus Jesus. Amen. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Dr. Wolfgang Vögele

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mir stehen Menschen vor Augen, die sich überraschen lassen, die nicht jeden Sonntag die üblichen homiletischen Formeln hören wollen. Ich habe versucht, einige Ideen über den Heiligen Geist zu artikulieren, die Menschen dazu anregen, über ihr tägliches Leben nachzudenken.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich habe mich durch die Wasserstellen der Bibel in Auszügen hindurchgelesen und war überrascht, an wie vielen Stellen Wasser vorkommt. Damit kommt zusammen, daß Wasser wieder zu einem sehr aktuellen ökologischen Thema geworden ist. Ich habe versucht, dieses nicht moralistisch auszuwalzen, sondern das Moment der Überraschung stark zu machen. Der Geist ist ein Geschenk, kein klerikaler Machtfaktor.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Man kann sich über das Bild des Duschens am Anfang mokieren. Auf der anderen Seite zähle ich das zu den Zumutungen, denen sich nach dem Johannesevangelium Hörer und Prediger gleichermaßen aussetzen müssen. Und zur Überraschung des Geistes gehört dann auch die unkonventionelle Reaktion.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Es war gut, die Predigt nach drei Wochen ein zweites Mal zur Hand zu nehmen. Ich bin der Überzeugung, daß sich der Wassergedanke als homiletisches Leitmotiv bewährt hat, selbst dann, wenn die Predigt dann nicht den Regeln entspricht, die andere Homiletiker aufstellen. Man sollte dem ersten Einfall vertrauen.

 

Perikope
16.05.2021
7, 37-39

Riecht Ihr das? - Predigt zu Johannes 21, 1-14 von Dörte Gebhard

Riecht Ihr das? - Predigt zu Johannes 21, 1-14 von Dörte Gebhard
21, 1-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht fast ganz am Ende des Johannesevangeliums, im 21. Kapitel. Ich lese die Verse 1-14:

Danach zeigte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias. Und er zeigte sich so: Simon Petrus und Thomas, der Didymus genannt wird, und Natanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren beisammen. Simon Petrus sagt zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagen zu ihm: Wir kommen auch mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen ins Boot und fingen nichts in jener Nacht. Als es aber schon gegen Morgen ging, trat Jesus ans Ufer; die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war.
Da sagt Jesus zu ihnen: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagt zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet einen guten Fang machen. Da warfen sie es aus, und vor lauter Fischen vermochten sie es nicht mehr einzuziehen. Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Als nun Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, legte er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.

Als sie nun an Land kamen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot. Jesus sagt zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Da stieg Simon Petrus aus dem Wasser und zog das Netz an Land, voll von grossen Fischen, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, riss das Netz nicht. Jesus sagt zu ihnen: Kommt und esst! Keiner von den Jüngern aber wagte ihn auszuforschen: Wer bist du? Sie wussten ja, dass es der Herr war.

Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso den Fisch.

Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, seit er von den Toten auferweckt worden war.

Liebe Gemeinde

Könnt Ihr diese Geschichte riechen?

Sieben Jünger Jesu sind in ihren Alltag zurückgekehrt. Riecht ihr das? Es schnuppert wieder nach Arbeit und gar nicht mehr nach Aufbruch und unglaublichen Herausforderungen. Gar nicht mehr nach Jüngerschaft und Nachfolge. Es riecht nicht mehr aufregend und exotisch. Es stinkt leicht fischig.

Es kommt zwar ein neuer Morgen, aber wirklich «frisch» duften weder die Gegend noch die Leute. Eher etwas säuerlich, nach leeren Mägen, nach Schwielen und Schweiss. Nachts zum Fischen auf den See hinausfahren ist harte Arbeit. Warme Duschen sind noch nicht erfunden.

Nicht wenige erzählen mir in der Seelsorge, dass zwar immer wieder ein neuer Morgen kommt. Aber er bringt die altbekannten Sorgen mit. Es wird wieder Tag. Aber die Ungewissheit, ob die Stelle nicht wegrationalisiert wird, bleibt. Es wird wieder hell. Aber die Schulden sind auf einen Schlag 100 Euro höher, weil die nächste Stromrechnung da ist. Die Nacht ist zu Ende. Aber die Gedankenkreisel um die Kinder hören nicht auf. Sie wissen noch gar nicht, was sie werden wollen. Sie wollen es auch noch gar nicht wissen, obwohl sie volljährig sind.

Petrus hat wohl den richtigen Riecher für diese Situationen. Er steht wieder am Strand von Tiberias und ist kein zögerlicher Typ. Soll man sagen, er sei entscheidungsfreudig? Wahrscheinlich knurrt ihm bloss der Magen sehr laut! Das Leben muss weitergehen. Eine Woche ist diese grosse Aufregung mit dem leeren Grab jetzt her und dieser denkwürdige Abend, als Thomas bei ihnen war und der Auferstandene erschien.

Aber ganz offensichtlich müssen sie für ihren Lebensunterhalt wieder selbst sorgen. Erinnert ihr euch, wie es war, vor drei Jahren ungefähr?  Als sie berufen wurden, Jünger zu sein? Sie hatten ihre Netze, überhaupt alles, was sie hatten, fallen lassen damals, nach diesem grandiosen Fang am helllichten Tag (Lk 5), waren mit Jesus losgezogen, auf der Stelle. Jetzt ist Jesus fort. Also an die – alte – Arbeit. Wenig überraschend ruft Petrus:  Ich gehe fischen. Petrus hat es wahrscheinlich zuerst für sich beschlossen, hat sein Jüngersein für beendet erklärt und verkündet, dass er wieder Fischer sei. Wie früher. Alles wie gehabt.

Ein paar wenige unter unseren Zeitgenossen teilen sogar die Rückkehrerfahrung von Petrus. Sie haben vor ein paar Jahren alles zurückgelassen, haben sich verabschiedet und sind ausgewandert, kurzentschlossen, nach Kanada oder Australien. Aber es wurde einfach gar nichts mit der eigenen Landwirtschaft in der grossen Abgeschiedenheit. Das Heimweh dagegen wurde übermächtig. Sie hatten sich sicher mehr überlegt als Petrus und die Jünger am See seinerzeit, als Jesus sie rief. Aber so richtig vorstellen kann man sich nicht, was es heisst, ehe man es nicht erlebt hat.

Wahlweise die Kälte oder die Hitze, die langen Nächte oder die stechende Sonne waren zu viel. Und dann sind die Auswanderer eines Tages plötzlich wieder da. Suchen wieder Arbeit, meist ungefähr die alte – besser als ungelernt irgendwo anzufangen – und richten sich mehr schlecht als recht wieder ein. Sie hatten alles aufgegeben, aber: Das Leben muss weitergehen. Niemand wagt, so richtig nachzufragen, wieso, weshalb.

Am See Genezareth fragt auch niemand nach. Da können sie froh sein. Die anderen sechs Jünger kommen ohne Zögern mit, als Petrus wieder wie früher zu den Booten strebt. Sie folgen Petrus sofort. Keine Diskussion, nur: «Wir kommen auch mit dir.»

Ungefähr so kurzentschlossen, wie sie damals Jesus nachfolgten, schnappen sie nun halt die Netze und sitzen alle wieder in den alten Booten. Echte Alternativen haben sie keine, nur so Fantasien, etwa: Am gedeckten Tisch sitzen bei Gott. Sowas kommt ihnen in den Sinn, hungrig und durstig, wie sie sind.

Nein, sie werden alle wieder gewaltig nach Fisch müffeln. Wie damals. Bei der Hitze tagsüber kann man frischen Fisch ja gar nicht so schnell einsalzen und konservieren, wie er schon zu stinken anfängt.

Fischen haben sie wenigstens schon als Kinder gelernt. Es das ist das Einzige, was ihnen nun wieder übrigbleibt. Sie sind wieder umgeben von vertrauten Gerüchen. Es schnuppert nach Teer und Tang am Strand von Tiberias.

Es stinkt nebenbei auch übel, nach faulen Eiern. Aber das kommt davon, dass Tiberias Schwefelquellen hat. Wegen des Thermalwassers ist Tiberias bis heute ein beliebter Ort bei Touristen. Aber statt jetzt in Wellnesserinnerungen zu schwelgen, schnuppern wir noch genauer hin zu Petrus und den Jüngern!

An diesem Morgen riecht es nach Resignation oder mehr. Es stinkt zum Himmel nach Verzweiflung. Nichts haben sie gefangen. Die ganze Nacht nichts. Keiner von ihnen. Ob sie es verlernt haben? Das «Warum?» kriecht in die müden, klammen Glieder, breitet sich aus mit der Erschöpfung, mit dem Hunger.

Viel zu vielen kriecht gegenwärtig immer wieder das «Warum?» ins Herz: Warum finden die Ärzte nicht heraus, warum meine Mutter solche Schmerzen hat? Warum hat mein Patenkind noch keine Lehrstelle? Warum stehe ich überhaupt heute Morgen wieder auf? Ich werde doch den ganzen Tag allein und sehr einsam sein. Warum haben sie ausgerechnet mir gekündigt? Warum hat mein Mann heute die 57. Absage auf seine Bewerbungen bekommen? Warum macht er sich eigentlich immer noch die Mühe?

Die Jünger haben alle zusammen nichts erreicht, nichts gefangen ausser demselben grossen «Warum».

Zu tun haben sie trotzdem. An Ruhe ist nicht zu denken. Sie müssen die nassen, schweren Netze flicken, an der Sonne zum Trocknen aufhängen, die Boote wieder richtig in Stand setzen. Auch wer gar nichts fängt, hat jede Menge zu tun. Eigentlich sollte man die Boote flicken, auch wieder streichen. Dann röche es wenigstens nach frischer Farbe. Sogar ein wenig nach Neuanfang. Das denken wohl ein paar bei sich, aber nicht einmal Petrus sagt das laut.

Am Ufer steht – plötzlich oder schon länger? –  ein Fremder. In der Morgendämmerung noch nicht genau zu erkennen. Mit ihren guten Nasen können sie sofort feststellen, dass es kein Fischer ist. Er verströmt nicht diesen unverwechselbaren Geruch nach Fischabfall und Grünzeug aus dem Wasser, nach ihren dauernd feuchten Kleidern.

Aber wer ist es dann? Der Evangelist Johannes hält fest: ... die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. Jetzt fragt er auch noch: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Wenn es nicht nach Fisch riecht und man auch keinen Fisch sieht, dann ist kein Fisch da! Sie werden wortkarg: Nein.

Doch dann werden sie von einem gemeinsamen Déjà-vu-Erlebnis überwältigt, dass sie überhaupt gar nichts mehr sagen. Mag sein, Ihr kennt solche Erfahrungen. Als ob ein Film abläuft, den man schon einmal gesehen hat. Mit allen Geräuschen und Gerüchen, Farben und Gefühlen.

In diesem Fall ist der Film der Jünger drei Jahre her. Aber sie sehen ihn vor sich, als wäre es gestern gewesen. Sie hören wieder wie damals (vgl. Lk 5, 1-11), als sie berufen wurden: Werft das Netz (auf der rechten Seite des Bootes) aus, und ihr werdet einen guten Fang machen.

Genau wie damals hatten sie die ganze Nacht nichts gefangen. Wieder sind sie hundemüde nach der durchgemachten Nacht. Wieder erscheint es unsinnig, nochmals auf den See zu fahren. Wieder gehorchen sie trotzdem. Wieder fangen sie mehr, als ihre Netze halten können. Wieder werden sie allein nicht fertig. Wieder müssen sie Hilfe haben. Wieder ...

Für Petrus wird das alles zu viel auf einmal. Als Johannes ihm sagt: Es ist der Herr!, wird er verrückt: Er zieht sich an und wirft sich ins Wasser. Eins von beidem hätte ja gereicht, anziehen oder ins Wasser springen. Aber keine Sorge, auch Petrus kommt später wieder zu sich, zu den anderen, zum Auferstandenen.

Die anderen sind gleich geistesgegenwärtiger. Sie rudern los und kommen den Ersten zu Hilfe, um die vielen Fische an Land zu bringen.

An Land riecht es unterdessen nach herzhaftem Frühstück. Ein Kohlefeuer knistert. Fisch, keiner weiss woher, ist schon gebraten. Alle haben Hunger, keiner stellt Fragen. Vom frisch gefangenen Fisch wird sogleich noch etwas dazu gebracht und plötzlich ist auch Brot da. Riecht Ihr das? Himmlische Düfte liegen in der Luft.

Ach ja, irgendeiner will alles ganz, ganz genau begreifen und zählt noch nach: 153 Fische – das ist die merkwürdigste Zahl im ganzen Neuen Testament. Wenn man 1, 5 und 3 nimmt und rechnet: 1 hoch 3 plus 5 hoch 3 plus 3 hoch 3, kommt wieder 153 heraus. Mathematiker lieben diese Zahl. Es ist unglaublich, was man damit alles für Rechenspiele veranstalten kann.

Ich zähle sie hier nicht auf, sonst zieht der Geruch eines Schulzimmers in die Kirche, Bohnerwachs mit Mief. Sonst fängt es hier noch an, nach Kreidestaub und nassem Schwamm zu stinken und nach Angstschweiss vor dem nächsten Mathetest ... Lassen wir das!

Kirchenvater Hieronymus überliefert, dass damals den griechischen Zoologen 153 Fischarten insgesamt bekannt gewesen seien. Sie hätten dann einfach alles gefangen, was es zu fangen gab. Im See Genezareth kommen ungefähr 25 Sorten vor, das würde eigentlich zum Leben als Fischer reichen.

Also zurück an den Strand mit dem herrlichen Frühstücksduft in der Luft! Es stinkt nichts mehr, nicht die Arbeit und nicht die Armut, nicht die Leute und nicht das Leben. Kommt und esst!, sagt Jesus.  So riecht Gottesbegegnung im Alltag. Nicht exotisch oder nie dagewesen, sondern es riecht bei den Fischern wie es riechen soll: nach frischem Fisch.  Das Leben geht weiter.

Sie hauen rein und stellen jetzt erst recht keine Fragen: Sie wussten ja, dass es der Herr war.

Wir Heutigen erkennen auch, dass es der Herr war, der Auferstandene. Er stärkt uns im Abendmahl mit Brot und Saft der Reben. (Manche sagen: zum Glück nicht mit Fisch!) Wir haben das nötig. Immer wieder, denn wir leben wieder wie die Jünger.  So geht das Leben weiter.  Scheitern und Misserfolge sind nicht aus der Welt. So viel «Warumfragen» sind jeden Morgen leider frisch und neu.

Für den himmlischen Duft eines Frühstücks können wir auch sorgen, für jene, die in der Nacht nichts gefangen haben ausser grosser Angst.

Ein gemeinsames Frühstück – gern darf es von mir aus duften nach Kaffee und Marmeladenbrötchen, nicht zwingend nach Fisch – kann Wunder wirken. Kraft schenken nach einer durchgemachten Nacht, für eine, die einsam ist, für einen, der nicht weiss, wie er durch den Tag kommen soll.

Ein Frühstück ist nichts Spektakuläres, aber etwas Wundervolles. Es ist die Pause, in der man den Himmel riechen kann – zwischen einer elend langen Nacht und einem anstrengenden Tag.

Vielleicht dauert ein Frühstück nur so lange wie diese Predigt. Die Jünger jedenfalls werden sich ziemlich bald an die Arbeit machen müssen. 153 Fische, so viele wie noch nie, wollen gesalzen und haltbar gemacht werden. Sonst stinkt am Ende der Fisch zum Himmel. Das soll nicht sein. – Behalten wir lieber den Duft des Himmels auf Erden in der Nase und im Herzen. Ein feines Frühstück ist dabei natürlich nur der Anfang. Lasst Eure Nasen nur weiterschnuppern ... sie werden viel erriechen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an PD Dr. Dörte Gebhard

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Gottesdienst wird zweimal gefeiert, am Morgen in einem kleinen Dorf ohne Kirche im Untergeschoss der dortigen, alten Turnhalle, am Nachmittag in der Schöftler Kirche mit derzeit und auch dann voraussichtlich 50 Personen (aktuelle Regelung in der Schweiz), die leibhaftig anwesend sein können. Für alle weiteren Hörerinnen und Hörer wird der Gottesdienst via zoom übertragen – ins Kirchgemeindehaus und nach Hause. Ich predige jeweils 20 Minuten, die Gemeinde ist aber auch viel längere Predigten von einem Kollegen gewöhnt.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Als Mensch, der sehr gern sehr genau hinriecht, ein gutes Gedächtnis für Gerüche aller Art hat, habe ich in die Perikope hineingerochen und dabei die Atmosphäre herausge-rochen. Das hat mir, trotz unumgehbarem Gestank, viel Vergnügen bereitet und eine neue Perspektive erschlossen. Bei uns auf den Dörfern riecht es – für mich leider - nie nach Fisch und Krabbenfang, aber alltäglich nach „Landwirtschaft“, nach Feuer mit Gartenabfällen, auch nach Abgasen und das viel zu stark.
Mit den meisten bin ich per Du, so „ihrze“ ich alle in der Predigt.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mir hat eingeleuchtet, dass ich heute wie die Jünger an Quasimodogeniti lebe. Ich habe von allen Wundern, von Ostern gehört und muss nun doch wieder meinen Alltag be-stehen. Aber genau mitten in diesem Alltag wird es – immer wieder – Sonntag und ich kann den Himmel „riechen“ – auf wenig spektakuläre, dafür aber auf sehr hilfreiche, wundervolle Weise. Ich bin nicht wie Jesus, aber das Wunder eines Frühstücks für sol-che wie die Jünger und mich, das kann ich vollbringen.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt ist nun exegetisch genauer, in Lukas 5 steht die Sonne hoch, in Joh 21 herrscht Zwielicht, Morgendämmerung. Sodann ist die Gegenwartsverknüpfung prä-ziser (bei den wachsenden Schulden etc.). Weiterhin riskieren muss ich, dass jemand „der Nase nach“ geht und die Predigt an entscheidenden Riechstellen verlässt (Mathe-unterricht, Wellnessurlaub, ...).

 

Perikope
11.04.2021
21, 1-14

Neuer Rahmen, anderer Blick - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Barbara Bockentin

Neuer Rahmen, anderer Blick - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Barbara Bockentin
12,20-24

(Der Bibeltext in der Übersetzung der Basisbibel wird vor der Predigt gelesen.)

Einfach stehen gelassen, die namenlosen Griechen. Weil sie zu spät waren. Welch ein doofes Gefühl! Wäre das nicht auch anders gegangen? Nun aber waren sie ausgeschlossen, gehörten nicht dazu.
Einfach stehen gelassen – so fühlten sich Philippus und Andreas. Sie waren enttäuscht. Da waren sie als Fürsprecher ausgesucht worden. Und nun dies. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Nicht nur, dass Jesus auf ihre Bitte nicht einging. Sie gar nicht erst zur Kenntnis nahm. Schlimmer noch, sie kamen sich wie dumme Jungs vor. Wie jemand, der keine Ahnung hatte. Sie auch nie haben würde. Rätselhafte Worte, die warf Jesus ihnen hin. Worte vom Sterben. Worte von Verwandlung.

Milly spielte mit den Bohnen. Sie ließ sie durch die Finger rieseln. Eins ums andere Mal. Glatt fühlten sie sich an. Nur an einer Stelle, da fühlten sie sich anders an. Da sahen sie anders aus. Fast wie ein Auge. Oma stupste sie an. „So, nun kannst du je drei Bohnen in ein Loch legen. Am besten mit dem Auge nach oben.“ Gewissenhaft folgte Milly der Anweisung. Wie das zugehen sollte mit dem Keimen, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hoffte einfach, dass Oma recht hatte.

„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
In einem einfachen Bild deutet Jesus eine Zeitenwende an. Alles, was bisher den Alltag geprägt hat, geht dem Ende entgegen. Eine winzige Bewegung braucht es dazu: einfach die Hand öffnen und das Samenkorn in die Erde fallen lassen.

Als alle Bohnen gelegt waren, nahm Oma den Spaten wieder in die Hand. Sorgfältig schippte sie Erde auf die Löcher. Milly durfte anschließend darüber harken. Genauso sorgfältig. „Oma, woher sind die Bohnen, die wir gepflanzt haben?“ „Erinnerst du dich an den letzten Sommer? Als wir das Stroh der Bohnen hier im Garten verbrannt haben?“ Milly nickte. „Dabei haben wir doch Bohnen getrocknet. Die haben wir jetzt wieder zum Pflanzen benutzt.“

Ein Kreislauf wird beschrieben. Eine Unterbrechung wäre lebensfeindlich. Das leuchtet ein. Trotzdem sträubt sich etwas in mir. Das Leben vom Ende aus betrachten. Mitten im Leben sich darauf vorbereiten. Auf das Ende. Und dann dort nicht stehenbleiben. Darüber hinaus denken, schauen. Eine Vorstellung von dem entstehen lassen, was dann folgt.
Das sind Worte, die von der Zeit danach sprechen. Dabei verheimlichen sie nicht das Bittere, das Schwere. Und weisen doch darüber hinaus.

Ins Herz treffen diese Worte. Sie machen das Leiden nicht klein. Es hat seine Zeit. Soviel es braucht, damit Neues keimen und wachsen kann. Die Veränderung ist im Sterben bereits angelegt. Unvorstellbar. Einzig zu hoffen, zu glauben. Und hoffentlich im Nachhinein bestätigt.
 
„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Ein Bild, das das Unsagbare verstehbar macht. Ohne viele Worte, aber mit viel Bodenhaftung und Erfahrung. 
Ein Bild, das Vertrauen auf das, was meinen Augen verschlossen bleibt, erlaubt. 
Ein Bild, das dem Abschied eine neue Perspektive gibt.
Das Unausweichliche, der Tod, erhält einen neuen Rahmen.

Einfach stehen gelassen. 
Mitten im Leben, das gerade jetzt verlockend ist. Auf dem Punkt des höchsten Triumphes taucht auf einmal die Ahnung des Todes auf. Schwer zu hören. Schwer zu verstehen.
Diese Worte, die einen anderen Raum eröffnen.
Hinter denen mehr steht als eine simple Naturerfahrung.
Eben nicht sich weitertragen lassen von der Euphorie und den Hosanna-Rufen.
Stattdessen auf den Boden einer Wirklichkeit gestellt, die ihnen unbegreiflich ist.
Ohne zu wissen, ob er trägt. Ob das Versprechen gehalten werden kann.

Jetzt. Einfach stehen lassen.
Alle Pläne, alle Vorstellungen gelten nicht mehr.
Ein abrupter Schnitt.
Das tut weh.
Das bleibt unverständlich.
Am liebsten die Augen verschließen.
Nicht wissen wollen, was Jesu weiß.
Nicht verstehen können, wie sehr sie sich auch anstrengen.
Vertrauen auf etwas, dessen Gelingen unvorstellbar ist. 
Vertrauen auf etwas, was das Herz nicht wahrhaben möchte. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Seit Weihnachten feiern wir in unserer Gemeinde durchgängig Gottesdienste am Küchentisch per zoom. Da kommen Menschen aus unterschiedlichen Gemeinden und Orten zusammen. Der Altersdurchschnitt ist deutlich jünger als in unseren vorher üblichen Gottesdiensten. Auch Menschen, die sonst nie zum Gottesdienst kamen, sind seitdem regelmäßig dabei. Seit dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr sind die Gottesdienste nicht länger als 30 Minuten. Das bedeutet für die Predigt eine Zeitbeschränkung auf etwa fünf Minuten.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Im ersten Durchgang hat mich die Frage, was „Sehen“ eigentlich bedeutet, am meisten beschäftigt. Die Griechen meinen damit etwas anderes als die Jünger. Und die müssen damit leben, dass Jesus diesen Wunsch abschlägt. Dem habe ich zunächst versucht nachzugehen und dabei gemerkt, dass V. 24 wie eine Rahmung des Lebens gelesen werden kann.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Überrascht hat mich selbst, die Entdeckung von V. 24 als Ansage einer Zeitenwende. Über den Vers predige ich häufiger bei Beerdigungen. Da hat mich die Arbeit an der Predigt noch mal auf andere Facetten gebracht.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Als hilfreich, aber auch anstrengend empfand ich die Herausforderung, meinen Predigtentwurf so zu überarbeiten, dass es noch erkennbar meine Art zu predigen blieb. Dabei aber die berechtigten Hinweise zu bedenken, mich auf sie einzulassen und sie (nach meiner Art) zu berücksichtigen.

Perikope
14.03.2021
12,20-24