Riecht Ihr das? - Predigt zu Johannes 21, 1-14 von Dörte Gebhard

Riecht Ihr das? - Predigt zu Johannes 21, 1-14 von Dörte Gebhard
21, 1-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht fast ganz am Ende des Johannesevangeliums, im 21. Kapitel. Ich lese die Verse 1-14:

Danach zeigte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias. Und er zeigte sich so: Simon Petrus und Thomas, der Didymus genannt wird, und Natanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren beisammen. Simon Petrus sagt zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagen zu ihm: Wir kommen auch mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen ins Boot und fingen nichts in jener Nacht. Als es aber schon gegen Morgen ging, trat Jesus ans Ufer; die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war.
Da sagt Jesus zu ihnen: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagt zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet einen guten Fang machen. Da warfen sie es aus, und vor lauter Fischen vermochten sie es nicht mehr einzuziehen. Da sagt jener Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr. Als nun Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, legte er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Ufer entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.

Als sie nun an Land kamen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf liegen und Brot. Jesus sagt zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt. Da stieg Simon Petrus aus dem Wasser und zog das Netz an Land, voll von grossen Fischen, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, riss das Netz nicht. Jesus sagt zu ihnen: Kommt und esst! Keiner von den Jüngern aber wagte ihn auszuforschen: Wer bist du? Sie wussten ja, dass es der Herr war.

Jesus kommt und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso den Fisch.

Das war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern zeigte, seit er von den Toten auferweckt worden war.

Liebe Gemeinde

Könnt Ihr diese Geschichte riechen?

Sieben Jünger Jesu sind in ihren Alltag zurückgekehrt. Riecht ihr das? Es schnuppert wieder nach Arbeit und gar nicht mehr nach Aufbruch und unglaublichen Herausforderungen. Gar nicht mehr nach Jüngerschaft und Nachfolge. Es riecht nicht mehr aufregend und exotisch. Es stinkt leicht fischig.

Es kommt zwar ein neuer Morgen, aber wirklich «frisch» duften weder die Gegend noch die Leute. Eher etwas säuerlich, nach leeren Mägen, nach Schwielen und Schweiss. Nachts zum Fischen auf den See hinausfahren ist harte Arbeit. Warme Duschen sind noch nicht erfunden.

Nicht wenige erzählen mir in der Seelsorge, dass zwar immer wieder ein neuer Morgen kommt. Aber er bringt die altbekannten Sorgen mit. Es wird wieder Tag. Aber die Ungewissheit, ob die Stelle nicht wegrationalisiert wird, bleibt. Es wird wieder hell. Aber die Schulden sind auf einen Schlag 100 Euro höher, weil die nächste Stromrechnung da ist. Die Nacht ist zu Ende. Aber die Gedankenkreisel um die Kinder hören nicht auf. Sie wissen noch gar nicht, was sie werden wollen. Sie wollen es auch noch gar nicht wissen, obwohl sie volljährig sind.

Petrus hat wohl den richtigen Riecher für diese Situationen. Er steht wieder am Strand von Tiberias und ist kein zögerlicher Typ. Soll man sagen, er sei entscheidungsfreudig? Wahrscheinlich knurrt ihm bloss der Magen sehr laut! Das Leben muss weitergehen. Eine Woche ist diese grosse Aufregung mit dem leeren Grab jetzt her und dieser denkwürdige Abend, als Thomas bei ihnen war und der Auferstandene erschien.

Aber ganz offensichtlich müssen sie für ihren Lebensunterhalt wieder selbst sorgen. Erinnert ihr euch, wie es war, vor drei Jahren ungefähr?  Als sie berufen wurden, Jünger zu sein? Sie hatten ihre Netze, überhaupt alles, was sie hatten, fallen lassen damals, nach diesem grandiosen Fang am helllichten Tag (Lk 5), waren mit Jesus losgezogen, auf der Stelle. Jetzt ist Jesus fort. Also an die – alte – Arbeit. Wenig überraschend ruft Petrus:  Ich gehe fischen. Petrus hat es wahrscheinlich zuerst für sich beschlossen, hat sein Jüngersein für beendet erklärt und verkündet, dass er wieder Fischer sei. Wie früher. Alles wie gehabt.

Ein paar wenige unter unseren Zeitgenossen teilen sogar die Rückkehrerfahrung von Petrus. Sie haben vor ein paar Jahren alles zurückgelassen, haben sich verabschiedet und sind ausgewandert, kurzentschlossen, nach Kanada oder Australien. Aber es wurde einfach gar nichts mit der eigenen Landwirtschaft in der grossen Abgeschiedenheit. Das Heimweh dagegen wurde übermächtig. Sie hatten sich sicher mehr überlegt als Petrus und die Jünger am See seinerzeit, als Jesus sie rief. Aber so richtig vorstellen kann man sich nicht, was es heisst, ehe man es nicht erlebt hat.

Wahlweise die Kälte oder die Hitze, die langen Nächte oder die stechende Sonne waren zu viel. Und dann sind die Auswanderer eines Tages plötzlich wieder da. Suchen wieder Arbeit, meist ungefähr die alte – besser als ungelernt irgendwo anzufangen – und richten sich mehr schlecht als recht wieder ein. Sie hatten alles aufgegeben, aber: Das Leben muss weitergehen. Niemand wagt, so richtig nachzufragen, wieso, weshalb.

Am See Genezareth fragt auch niemand nach. Da können sie froh sein. Die anderen sechs Jünger kommen ohne Zögern mit, als Petrus wieder wie früher zu den Booten strebt. Sie folgen Petrus sofort. Keine Diskussion, nur: «Wir kommen auch mit dir.»

Ungefähr so kurzentschlossen, wie sie damals Jesus nachfolgten, schnappen sie nun halt die Netze und sitzen alle wieder in den alten Booten. Echte Alternativen haben sie keine, nur so Fantasien, etwa: Am gedeckten Tisch sitzen bei Gott. Sowas kommt ihnen in den Sinn, hungrig und durstig, wie sie sind.

Nein, sie werden alle wieder gewaltig nach Fisch müffeln. Wie damals. Bei der Hitze tagsüber kann man frischen Fisch ja gar nicht so schnell einsalzen und konservieren, wie er schon zu stinken anfängt.

Fischen haben sie wenigstens schon als Kinder gelernt. Es das ist das Einzige, was ihnen nun wieder übrigbleibt. Sie sind wieder umgeben von vertrauten Gerüchen. Es schnuppert nach Teer und Tang am Strand von Tiberias.

Es stinkt nebenbei auch übel, nach faulen Eiern. Aber das kommt davon, dass Tiberias Schwefelquellen hat. Wegen des Thermalwassers ist Tiberias bis heute ein beliebter Ort bei Touristen. Aber statt jetzt in Wellnesserinnerungen zu schwelgen, schnuppern wir noch genauer hin zu Petrus und den Jüngern!

An diesem Morgen riecht es nach Resignation oder mehr. Es stinkt zum Himmel nach Verzweiflung. Nichts haben sie gefangen. Die ganze Nacht nichts. Keiner von ihnen. Ob sie es verlernt haben? Das «Warum?» kriecht in die müden, klammen Glieder, breitet sich aus mit der Erschöpfung, mit dem Hunger.

Viel zu vielen kriecht gegenwärtig immer wieder das «Warum?» ins Herz: Warum finden die Ärzte nicht heraus, warum meine Mutter solche Schmerzen hat? Warum hat mein Patenkind noch keine Lehrstelle? Warum stehe ich überhaupt heute Morgen wieder auf? Ich werde doch den ganzen Tag allein und sehr einsam sein. Warum haben sie ausgerechnet mir gekündigt? Warum hat mein Mann heute die 57. Absage auf seine Bewerbungen bekommen? Warum macht er sich eigentlich immer noch die Mühe?

Die Jünger haben alle zusammen nichts erreicht, nichts gefangen ausser demselben grossen «Warum».

Zu tun haben sie trotzdem. An Ruhe ist nicht zu denken. Sie müssen die nassen, schweren Netze flicken, an der Sonne zum Trocknen aufhängen, die Boote wieder richtig in Stand setzen. Auch wer gar nichts fängt, hat jede Menge zu tun. Eigentlich sollte man die Boote flicken, auch wieder streichen. Dann röche es wenigstens nach frischer Farbe. Sogar ein wenig nach Neuanfang. Das denken wohl ein paar bei sich, aber nicht einmal Petrus sagt das laut.

Am Ufer steht – plötzlich oder schon länger? –  ein Fremder. In der Morgendämmerung noch nicht genau zu erkennen. Mit ihren guten Nasen können sie sofort feststellen, dass es kein Fischer ist. Er verströmt nicht diesen unverwechselbaren Geruch nach Fischabfall und Grünzeug aus dem Wasser, nach ihren dauernd feuchten Kleidern.

Aber wer ist es dann? Der Evangelist Johannes hält fest: ... die Jünger wussten aber nicht, dass es Jesus war. Jetzt fragt er auch noch: Kinder, ihr habt wohl keinen Fisch zum Essen? Wenn es nicht nach Fisch riecht und man auch keinen Fisch sieht, dann ist kein Fisch da! Sie werden wortkarg: Nein.

Doch dann werden sie von einem gemeinsamen Déjà-vu-Erlebnis überwältigt, dass sie überhaupt gar nichts mehr sagen. Mag sein, Ihr kennt solche Erfahrungen. Als ob ein Film abläuft, den man schon einmal gesehen hat. Mit allen Geräuschen und Gerüchen, Farben und Gefühlen.

In diesem Fall ist der Film der Jünger drei Jahre her. Aber sie sehen ihn vor sich, als wäre es gestern gewesen. Sie hören wieder wie damals (vgl. Lk 5, 1-11), als sie berufen wurden: Werft das Netz (auf der rechten Seite des Bootes) aus, und ihr werdet einen guten Fang machen.

Genau wie damals hatten sie die ganze Nacht nichts gefangen. Wieder sind sie hundemüde nach der durchgemachten Nacht. Wieder erscheint es unsinnig, nochmals auf den See zu fahren. Wieder gehorchen sie trotzdem. Wieder fangen sie mehr, als ihre Netze halten können. Wieder werden sie allein nicht fertig. Wieder müssen sie Hilfe haben. Wieder ...

Für Petrus wird das alles zu viel auf einmal. Als Johannes ihm sagt: Es ist der Herr!, wird er verrückt: Er zieht sich an und wirft sich ins Wasser. Eins von beidem hätte ja gereicht, anziehen oder ins Wasser springen. Aber keine Sorge, auch Petrus kommt später wieder zu sich, zu den anderen, zum Auferstandenen.

Die anderen sind gleich geistesgegenwärtiger. Sie rudern los und kommen den Ersten zu Hilfe, um die vielen Fische an Land zu bringen.

An Land riecht es unterdessen nach herzhaftem Frühstück. Ein Kohlefeuer knistert. Fisch, keiner weiss woher, ist schon gebraten. Alle haben Hunger, keiner stellt Fragen. Vom frisch gefangenen Fisch wird sogleich noch etwas dazu gebracht und plötzlich ist auch Brot da. Riecht Ihr das? Himmlische Düfte liegen in der Luft.

Ach ja, irgendeiner will alles ganz, ganz genau begreifen und zählt noch nach: 153 Fische – das ist die merkwürdigste Zahl im ganzen Neuen Testament. Wenn man 1, 5 und 3 nimmt und rechnet: 1 hoch 3 plus 5 hoch 3 plus 3 hoch 3, kommt wieder 153 heraus. Mathematiker lieben diese Zahl. Es ist unglaublich, was man damit alles für Rechenspiele veranstalten kann.

Ich zähle sie hier nicht auf, sonst zieht der Geruch eines Schulzimmers in die Kirche, Bohnerwachs mit Mief. Sonst fängt es hier noch an, nach Kreidestaub und nassem Schwamm zu stinken und nach Angstschweiss vor dem nächsten Mathetest ... Lassen wir das!

Kirchenvater Hieronymus überliefert, dass damals den griechischen Zoologen 153 Fischarten insgesamt bekannt gewesen seien. Sie hätten dann einfach alles gefangen, was es zu fangen gab. Im See Genezareth kommen ungefähr 25 Sorten vor, das würde eigentlich zum Leben als Fischer reichen.

Also zurück an den Strand mit dem herrlichen Frühstücksduft in der Luft! Es stinkt nichts mehr, nicht die Arbeit und nicht die Armut, nicht die Leute und nicht das Leben. Kommt und esst!, sagt Jesus.  So riecht Gottesbegegnung im Alltag. Nicht exotisch oder nie dagewesen, sondern es riecht bei den Fischern wie es riechen soll: nach frischem Fisch.  Das Leben geht weiter.

Sie hauen rein und stellen jetzt erst recht keine Fragen: Sie wussten ja, dass es der Herr war.

Wir Heutigen erkennen auch, dass es der Herr war, der Auferstandene. Er stärkt uns im Abendmahl mit Brot und Saft der Reben. (Manche sagen: zum Glück nicht mit Fisch!) Wir haben das nötig. Immer wieder, denn wir leben wieder wie die Jünger.  So geht das Leben weiter.  Scheitern und Misserfolge sind nicht aus der Welt. So viel «Warumfragen» sind jeden Morgen leider frisch und neu.

Für den himmlischen Duft eines Frühstücks können wir auch sorgen, für jene, die in der Nacht nichts gefangen haben ausser grosser Angst.

Ein gemeinsames Frühstück – gern darf es von mir aus duften nach Kaffee und Marmeladenbrötchen, nicht zwingend nach Fisch – kann Wunder wirken. Kraft schenken nach einer durchgemachten Nacht, für eine, die einsam ist, für einen, der nicht weiss, wie er durch den Tag kommen soll.

Ein Frühstück ist nichts Spektakuläres, aber etwas Wundervolles. Es ist die Pause, in der man den Himmel riechen kann – zwischen einer elend langen Nacht und einem anstrengenden Tag.

Vielleicht dauert ein Frühstück nur so lange wie diese Predigt. Die Jünger jedenfalls werden sich ziemlich bald an die Arbeit machen müssen. 153 Fische, so viele wie noch nie, wollen gesalzen und haltbar gemacht werden. Sonst stinkt am Ende der Fisch zum Himmel. Das soll nicht sein. – Behalten wir lieber den Duft des Himmels auf Erden in der Nase und im Herzen. Ein feines Frühstück ist dabei natürlich nur der Anfang. Lasst Eure Nasen nur weiterschnuppern ... sie werden viel erriechen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an PD Dr. Dörte Gebhard

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Gottesdienst wird zweimal gefeiert, am Morgen in einem kleinen Dorf ohne Kirche im Untergeschoss der dortigen, alten Turnhalle, am Nachmittag in der Schöftler Kirche mit derzeit und auch dann voraussichtlich 50 Personen (aktuelle Regelung in der Schweiz), die leibhaftig anwesend sein können. Für alle weiteren Hörerinnen und Hörer wird der Gottesdienst via zoom übertragen – ins Kirchgemeindehaus und nach Hause. Ich predige jeweils 20 Minuten, die Gemeinde ist aber auch viel längere Predigten von einem Kollegen gewöhnt.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Als Mensch, der sehr gern sehr genau hinriecht, ein gutes Gedächtnis für Gerüche aller Art hat, habe ich in die Perikope hineingerochen und dabei die Atmosphäre herausge-rochen. Das hat mir, trotz unumgehbarem Gestank, viel Vergnügen bereitet und eine neue Perspektive erschlossen. Bei uns auf den Dörfern riecht es – für mich leider - nie nach Fisch und Krabbenfang, aber alltäglich nach „Landwirtschaft“, nach Feuer mit Gartenabfällen, auch nach Abgasen und das viel zu stark.
Mit den meisten bin ich per Du, so „ihrze“ ich alle in der Predigt.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mir hat eingeleuchtet, dass ich heute wie die Jünger an Quasimodogeniti lebe. Ich habe von allen Wundern, von Ostern gehört und muss nun doch wieder meinen Alltag be-stehen. Aber genau mitten in diesem Alltag wird es – immer wieder – Sonntag und ich kann den Himmel „riechen“ – auf wenig spektakuläre, dafür aber auf sehr hilfreiche, wundervolle Weise. Ich bin nicht wie Jesus, aber das Wunder eines Frühstücks für sol-che wie die Jünger und mich, das kann ich vollbringen.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt ist nun exegetisch genauer, in Lukas 5 steht die Sonne hoch, in Joh 21 herrscht Zwielicht, Morgendämmerung. Sodann ist die Gegenwartsverknüpfung prä-ziser (bei den wachsenden Schulden etc.). Weiterhin riskieren muss ich, dass jemand „der Nase nach“ geht und die Predigt an entscheidenden Riechstellen verlässt (Mathe-unterricht, Wellnessurlaub, ...).

 

Perikope
11.04.2021
21, 1-14

Neuer Rahmen, anderer Blick - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Barbara Bockentin

Neuer Rahmen, anderer Blick - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Barbara Bockentin
12,20-24

(Der Bibeltext in der Übersetzung der Basisbibel wird vor der Predigt gelesen.)

Einfach stehen gelassen, die namenlosen Griechen. Weil sie zu spät waren. Welch ein doofes Gefühl! Wäre das nicht auch anders gegangen? Nun aber waren sie ausgeschlossen, gehörten nicht dazu.
Einfach stehen gelassen – so fühlten sich Philippus und Andreas. Sie waren enttäuscht. Da waren sie als Fürsprecher ausgesucht worden. Und nun dies. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Nicht nur, dass Jesus auf ihre Bitte nicht einging. Sie gar nicht erst zur Kenntnis nahm. Schlimmer noch, sie kamen sich wie dumme Jungs vor. Wie jemand, der keine Ahnung hatte. Sie auch nie haben würde. Rätselhafte Worte, die warf Jesus ihnen hin. Worte vom Sterben. Worte von Verwandlung.

Milly spielte mit den Bohnen. Sie ließ sie durch die Finger rieseln. Eins ums andere Mal. Glatt fühlten sie sich an. Nur an einer Stelle, da fühlten sie sich anders an. Da sahen sie anders aus. Fast wie ein Auge. Oma stupste sie an. „So, nun kannst du je drei Bohnen in ein Loch legen. Am besten mit dem Auge nach oben.“ Gewissenhaft folgte Milly der Anweisung. Wie das zugehen sollte mit dem Keimen, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hoffte einfach, dass Oma recht hatte.

„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
In einem einfachen Bild deutet Jesus eine Zeitenwende an. Alles, was bisher den Alltag geprägt hat, geht dem Ende entgegen. Eine winzige Bewegung braucht es dazu: einfach die Hand öffnen und das Samenkorn in die Erde fallen lassen.

Als alle Bohnen gelegt waren, nahm Oma den Spaten wieder in die Hand. Sorgfältig schippte sie Erde auf die Löcher. Milly durfte anschließend darüber harken. Genauso sorgfältig. „Oma, woher sind die Bohnen, die wir gepflanzt haben?“ „Erinnerst du dich an den letzten Sommer? Als wir das Stroh der Bohnen hier im Garten verbrannt haben?“ Milly nickte. „Dabei haben wir doch Bohnen getrocknet. Die haben wir jetzt wieder zum Pflanzen benutzt.“

Ein Kreislauf wird beschrieben. Eine Unterbrechung wäre lebensfeindlich. Das leuchtet ein. Trotzdem sträubt sich etwas in mir. Das Leben vom Ende aus betrachten. Mitten im Leben sich darauf vorbereiten. Auf das Ende. Und dann dort nicht stehenbleiben. Darüber hinaus denken, schauen. Eine Vorstellung von dem entstehen lassen, was dann folgt.
Das sind Worte, die von der Zeit danach sprechen. Dabei verheimlichen sie nicht das Bittere, das Schwere. Und weisen doch darüber hinaus.

Ins Herz treffen diese Worte. Sie machen das Leiden nicht klein. Es hat seine Zeit. Soviel es braucht, damit Neues keimen und wachsen kann. Die Veränderung ist im Sterben bereits angelegt. Unvorstellbar. Einzig zu hoffen, zu glauben. Und hoffentlich im Nachhinein bestätigt.
 
„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Ein Bild, das das Unsagbare verstehbar macht. Ohne viele Worte, aber mit viel Bodenhaftung und Erfahrung. 
Ein Bild, das Vertrauen auf das, was meinen Augen verschlossen bleibt, erlaubt. 
Ein Bild, das dem Abschied eine neue Perspektive gibt.
Das Unausweichliche, der Tod, erhält einen neuen Rahmen.

Einfach stehen gelassen. 
Mitten im Leben, das gerade jetzt verlockend ist. Auf dem Punkt des höchsten Triumphes taucht auf einmal die Ahnung des Todes auf. Schwer zu hören. Schwer zu verstehen.
Diese Worte, die einen anderen Raum eröffnen.
Hinter denen mehr steht als eine simple Naturerfahrung.
Eben nicht sich weitertragen lassen von der Euphorie und den Hosanna-Rufen.
Stattdessen auf den Boden einer Wirklichkeit gestellt, die ihnen unbegreiflich ist.
Ohne zu wissen, ob er trägt. Ob das Versprechen gehalten werden kann.

Jetzt. Einfach stehen lassen.
Alle Pläne, alle Vorstellungen gelten nicht mehr.
Ein abrupter Schnitt.
Das tut weh.
Das bleibt unverständlich.
Am liebsten die Augen verschließen.
Nicht wissen wollen, was Jesu weiß.
Nicht verstehen können, wie sehr sie sich auch anstrengen.
Vertrauen auf etwas, dessen Gelingen unvorstellbar ist. 
Vertrauen auf etwas, was das Herz nicht wahrhaben möchte. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Seit Weihnachten feiern wir in unserer Gemeinde durchgängig Gottesdienste am Küchentisch per zoom. Da kommen Menschen aus unterschiedlichen Gemeinden und Orten zusammen. Der Altersdurchschnitt ist deutlich jünger als in unseren vorher üblichen Gottesdiensten. Auch Menschen, die sonst nie zum Gottesdienst kamen, sind seitdem regelmäßig dabei. Seit dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr sind die Gottesdienste nicht länger als 30 Minuten. Das bedeutet für die Predigt eine Zeitbeschränkung auf etwa fünf Minuten.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Im ersten Durchgang hat mich die Frage, was „Sehen“ eigentlich bedeutet, am meisten beschäftigt. Die Griechen meinen damit etwas anderes als die Jünger. Und die müssen damit leben, dass Jesus diesen Wunsch abschlägt. Dem habe ich zunächst versucht nachzugehen und dabei gemerkt, dass V. 24 wie eine Rahmung des Lebens gelesen werden kann.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Überrascht hat mich selbst, die Entdeckung von V. 24 als Ansage einer Zeitenwende. Über den Vers predige ich häufiger bei Beerdigungen. Da hat mich die Arbeit an der Predigt noch mal auf andere Facetten gebracht.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Als hilfreich, aber auch anstrengend empfand ich die Herausforderung, meinen Predigtentwurf so zu überarbeiten, dass es noch erkennbar meine Art zu predigen blieb. Dabei aber die berechtigten Hinweise zu bedenken, mich auf sie einzulassen und sie (nach meiner Art) zu berücksichtigen.

Perikope
14.03.2021
12,20-24

Judas Iskariot - Predigt zu Johannes 13, 21-30 von Frank Nico Jaeger

Judas Iskariot - Predigt zu Johannes 13, 21-30 von Frank Nico Jaeger
13, 21-30

Schon gerade, als er den Jüngern die Füße gewaschen hat, gab es Diskussionen. Jesus ist aufgeregt, jetzt ist die Zeit gekommen. Die Nacht ist bald da:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Was du tust, das tue bald. Als er aufbricht denken die anderen, er gehe noch Einkaufen für den Herren oder dass er den Armen etwas bringen würde. Er spielt seine Rolle perfekt. Mit dem letzten Bissen im Mund verlässt er den Tisch, den Raum, tritt vor die Tür. Seine Schritte hallen wider von den anderen Häusern. Er wird nicht zurückkehren. Die Nacht nimmt ihn auf.

Endlich ist er alleine. Weg von den anderen. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Es war ihm zu eng. Zu dicht. Zu nah. Er hat Angst vor dem, was jetzt kommt. Angst vor dem, was nun geschehen muss.

Beim Essen hatte Jesus gesagt: Einer unter euch wird mich verraten. Und dabei sein Blick. Ahnte er etwas? Die anderen waren bloß irritiert. Jeder Mensch trägt doch ein Bild einer anderen, bessern Welt in sich. Er ist auf dem Sprung. Er will nur weg. Diesen Blick vergessen. Jetzt ist Nacht.

Er ist kein Handlanger des Teufels. Er ist Teil einer Strategie. Davon ist er überzeugt. Er will, dass das Reich anbricht. Sein Reich. Der Hass auf das System ist groß. Das römische Reich muss aus dem Land vertrieben werden und er macht den Unterschied, will die Dinge nur beschleunigen. Zum Handeln provozieren.

Er, der Judas Iskariot, trägt den Riss schon in seinem Namen. Er trennt das Himmlische vom Irdischen. Er verkauft Jesus und holt ihn so auf die Erde.

Jetzt ist es Nacht. Und Jesus wird bald gefangengenommen.

Den Jüngern ist sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen. Aber die Worte über den bevorstehenden Verrat hallen nach. Lähmen die Gedanken. Gehöre ich, Herr, zu den Guten? Diese Frage war zu erwarten.

Herr, bin ich´s? Auch die Jünger halten nicht immer das, was sie versprochen haben.

Verrat ist immer ein harter Vertrauensbruch und der Verrat des Judas wiegt umso schwerer, weil er mit am Tisch saß. Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass nicht einmal ein Platz am Tisch des Herrn vor Verrat schützt. Nähe schützt nicht. Judas ist dabei bloß der Anfang. In der Geschichte der Kirche wird das immer wieder deutlich.

Falsche Brüder und falsche Schwestern nennt man im Allgemeinen „Judasse“. In der DDR hießen sie IM Mönch, IM Petrus oder IM Monstranz: Katholische Priester als Stasi-Spitzel. Auch evangelische Christen waren bereit zum Verrat. Es gab Verstrickungen mit der Stasi bis tief in den Kirchen-Apparat hinein. Bestimmt war Vielen nicht bewusst, was die Konsequenzen ihres Verhaltens waren. Manche wollten einfach nur ein neues Auto, Reisefreiheit oder anderweitige Vergünstigungen. Andere dachten, sie hätten hehre Ziele; dachten, sie täten etwas Gutes, wenn sie mit der Stasi zusammenarbeiteten, um so Konflikte mit dem Staat zu lösen. Entlastungsmythen. Aber die Gefahr kommt nicht immer von außen. Es braucht einen Freund, einen Nächsten, der Jesus preisgibt, es braucht einen der Zwölf, der ihn verrät. Das Furchtbarste geschieht nicht von außen. Der Feind kommt von innen. Der Verrat kommt aus der Mitte. Nicht nur beim letzten Abendmahl. Nie war die Kirche eine Gemeinschaft der Reinen und Sündlosen. Alle Überheblichkeit ist unangebracht. Wohl aber Zittern und die Erkenntnis: Der Verrat des Judas war bloß der Anfang.

Herr bin ich‘s?

Zum 500. Reformationsjubiläum bat die Evangelische Kirche Mitteldeutschland um Vergebung: Wo immer „Pfarrer und Pfarrerinnen, kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben“ bekannte sie ihre Schuld. Sie beklagte die Fälle, „in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden.“

Judas sitzt in kirchlichen Gremien und in weltlichen Strukturen. Er ist in meinen dunklen Momenten. Er ist der Zweifel und der Vertrauensbruch. Er ist das nicht gehaltene Versprechen. Er ist der Verrat an der Sache. Judas ist einer der Zwölf. Immer.

Am Ende bleibt nur diese eine Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ohne bleibt es finster.

Jesus sitzt am Tisch. So wie er immer ist, unberechenbar gütig, unberechenbar barmherzig, unberechenbar gnädig, schaut er sich um. Er sieht seinen Jüngern der Reihe nach in die Augen. Er wartet ab. Er weiß, was geschehen wird, weiß, wer ihn verraten wird. Er kennt den Riss, der durch Judas hindurch geht. Er sieht seinen Schmerz, seine Verzweiflung. Seine Enttäuschung. Er sieht das Dunkle in seinen Augen. Die Nacht, die auch seine ist.

Und er reicht Judas das Brot.

Sein Blick ist freundlich.

Kann man Verrat vergeben? „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ „Das Vertrauen ist kaputt.“ Das sagen Menschen, die verraten wurden. Verrat ist etwas Mächtiges, Unkalkulierbares. Alle Sicherheit ist komplett zerstört.

Kurz bevor alles vorbei ist, wird Jesus am Kreuz beten: „Vater, vergib ihnen.“

Für Judas, für die ganze Kirche, für dich und für mich bleibt das zu hoffen.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Frank Nico Jaeger

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Angesichts der immer noch alles beherrschenden Pandemie, feiern wir nur Kurzgottes-dienste. Zudem können wir nicht heizen, somit erwarte ich nur die eingefleischte Kern-gemeinde. Aber. Wer weiß, ab und an verirrt sich auch in Corona-Zeiten ein neues Ge-sicht zu uns.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Dietrich Bonhoefer, Petra Bahr und Johannes Block

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Auf Vergebung bleibt zu hoffen. Immer.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Kluge und dienliche Fragen, Hinweise und Korrekturen der hochverehrten Dekanin Quincke haben der Predigt den letzten Schliff gegeben und auf die Füße gestellt.

Perikope
21.02.2021
13, 21-30

Freude ohne Grenzen - Predigt zu Johannes 2, 1-11 von Andreas Schwarz

Freude ohne Grenzen - Predigt zu Johannes 2, 1-11 von Andreas Schwarz
2, 1-11

Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt's dem Speisemeister! Und sie brachten's ihm. Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten's, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie trunken sind, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Es geschah zu Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Der Blick ins Kirchenbuch unserer Gemeinde offenbart, was im vergangenen Jahr zu erleben war. Nur sehr wenige Trauungen haben stattgefunden. Kein Wunder. In den ersten Monaten war es noch zu kalt. Und dann wurde das Leben so stark eingeschränkt, dass Hochzeitsfesten die Freude abgeschnitten wurde. Wer will denn da heiraten? Unter solchen Bedingungen. Mit Abstand. Begrenzte Zahl an Gästen. Nicht singen. Nicht tanzen. Was soll das für eine Hochzeit werden? Dann lieber warten, bis es wieder geht. Aber dann ging es das ganze restliche Jahr auch nicht richtig.

Natürlich wäre eine Hochzeit rechtlich gültig, wenn das Paar mit ganz wenigen Gästen zum Standesamt geht. Ein Gläschen Sekt zum Anstoßen draußen vor der Tür trinkt. Und alle gehen nach Hause.

Aber eine Hochzeit ist doch ein Fest. Ein großes. Ein fröhliches. Ja, ein ausgelassenes. Weil Menschen verliebt sind. Weil sie sich auf gemeinsame Zeit freuen. Weil sie von einer schönen Zukunft träumen. Und alle sollen an dieser Freude teilhaben. Eltern und Geschwister. Freunde. Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen,

Großeltern, Nichten und Neffen. Und alle sollen Spaß haben. Sie sollen gut essen und trinken. Sie sollen fröhlich sein. Sie sollen singen und tanzen. Das Leben ist schön.

Das stimmt so oft nicht. Aber jetzt soll das Schöne am Leben gefeiert werden. Einmal im Leben. Das jedenfalls ist der Plan. Und es ist das, was die Beiden sich gegenseitig versprechen. So ausgiebig und lange wie möglich soll das gefeiert werden. Ohne Einschränkung und ohne schlechtes Gewissen. Da ist kein Gedanke an morgen oder übermorgen oder nächste Woche.

Da ist auch keine Furcht vor dem Tag danach, vor dem Kater oder dem Aufräumen. Feiern. Jetzt. Heute und morgen und die ganze Woche. Wenn es um die Liebe geht. Und um das Leben. Wenn es um das Leben geht, das zwei Menschen führen und genießen. Und das Leben, das aus ihrer Liebe entstehen darf, sie zu einer Familie macht. Das ist dann die reine Freude. Die Gott schenkt und gönnt. Herrlich!

Wie unangenehm, wenn diese herrliche Freude am schönsten Tag des Lebens getrübt wird.

Zum Beispiel dadurch, dass der Wein alle ist. Es ist dann völlig egal, ob mehr Gäste da waren. Ob einige mehr getrunken haben, als gedacht Oder ob einfach zu wenig bereit gestellt war. Er ist alle. Die Gäste möchten weiter trinken.

Hinter den Kulissen wird es unruhig. Gastgeber geraten in Panik. Wie peinlich, wie unangenehm. Wie soll das gerettet werden? Alle, die es mitbekommen, denken und überlegen mit. Auch Maria. Ich sag’s mal meinem Sohn, vielleicht weiß der, wie das hier hinzukriegen ist. Aber das geht völlig daneben. Ganz unfreundlich wird sie abserviert.

Es ist nicht meine Aufgabe, bedrohte Hochzeitsfeiern zu retten. Es gibt wohl Schlimmeres als das. Wenn das Leben selbst eingeschränkt wird. Wenn es bedroht wird. Durch Krankheit oder Gewalt. Durch den Tod.

Niemand ahnt, wem wann welche Stunde schlägt. Jesus schon. Er kennt seinen Weg. Er weiß, was kommt. Später, wenn diese Hochzeit längst vorbei ist. Wenn niemand mehr darüber spricht, dass der Wein alle war. Er weiß, dass Menschen auf ihn hören und ihm vertrauen,

dass sie ihm danken dafür, dass er sie geheilt, sie befreit hat. Aber er weiß eben auch, dass manche darauf aus sind, ihn loszuwerden. Er weiß, welchen Weg er gehen muss und gehen wird. In die Stunde hinein, in der niemandem nach Feiern zumute ist. In der Trauer angesagt ist, Abschied.

Das ist dann der Sieg des Todes. Da gibt es keinen Wein mehr, keine Freude, kein Leben.

Was aber, wenn Jesus zu den Menschen gekommen ist, um das Leben zu bringen? Wenn er eine Freude schenkt, die bleibt? Wenn er für Wein sorgt, damit es fröhlich zugeht? Dauerhaft. Ohne Ende.

Als wolle er sich nicht vereinnahmen lassen. Nicht von seiner Mutter. Nicht von dem Gastgeber der Hochzeit. Und auch nicht von denen, die still applaudieren, dass er dem Saufgelage nicht weiteren Zufluss liefert. Weil er zu erkennen gibt, dass er kein Erfüllungsgehilfe irgendwelcher Erwartungen ist.

Sondern dass er der ist, der verwirrt und erstaunt. Der frei entscheidet und handelt. Dass er bei allem, was er sagt und tut, das Leben im Blick hat. Und die Freude daran und darauf.

Ja, ich weiß. Immer habe ich es gehört. Dass Jesus für dieses Wunder kritisiert wurde. Wie kann er nur! Solche Mengen an Alkohol. Was ist das denn für ein Zeichen? Mitzuhelfen, dass Leute sich betrinken. Man kann doch auch ohne Alkohol fröhlich sein. Und überhaupt: Es ist eine ernste Angelegenheit mit dem Glauben.

Immerhin geht es um Leben und Tod. Um Verzicht. Um Distanz zu dieser Welt und was bei ihr gilt. Das Leben ist keine Party. Christen sollten nüchtern sein. Sie sollen wachen und beten. Sie sollen immer einen Blick und ein Herz für die Armen haben. Und jetzt so etwas:

Wasser zu Wein. Richtig viel. Davon können die Gäste lange trinken. Sie können weiter feiern und fröhlich sein. Mit Wein, der sogar noch besser schmeckt als der davor.

Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat. Ein Zeichen für die Freude, für ein fröhliches Fest. Ein Zeichen dafür, dass Jesus gekommen ist, damit Menschen leben. Er weiß von seiner Stunde; Er weiß von seinem Leiden und Sterben. Er weiß auch von all dem Elend der Menschen. Und doch hilft er zu ausgelassener Freude.

Gegen das schlechte Gewissen. Gegen die Moralprediger und Mahner: Das darfst du nicht. Das sollst du nicht. Und wenn schon Hochzeit, dann trink doch Wasser oder Saft. Nein. Wein. Wo Jesus ist, geht es um das Leben. Um das gute Leben. Um das Leben, das nicht eingeschränkt ist, nicht abgebremst. Sondern um das Leben, das frei und fröhlich ist.

Das Leben, das mit Jesus zu den Menschen kommt, wird sich als stärker als der Tod erweisen. Da muss die Freude grenzenlos sein. Und Christen müssen nicht die Spaßbremsen sein. Dafür ist das das erste Zeichen. Mit Jesus kommt die Freude, die größer ist als menschliche Sorge und Leid. Darum gibt es nichts zu mahnen, sondern zu feiern.

Natürlich warten Liebende auf eine Zeit, in der sie wieder fröhlich feiern können. Ohne Einschränkung und Abstand.  In der sie festlich essen, fröhlich singen und ausgelassen tanzen. Und Wein trinken. Ohne schlechtes Gewissen. Mit viel Freude. Und als Zeichen. So ist es, wenn Jesus kommt. So wird es einmal immer sein. Bei ihm und mit ihm.

Jesu, meine Freude, meines Herzens Weide. Jesu, meine Zier. Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt herein. Jesu, meine Freude.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Situation wird im Beginn der Predigt kurz beleuchtet. Das Jahr 2020 ist seit März extrem eingeschränkt, was besonders für Hochzeitsfeiern relevant war und ist. Mehre-re geplante Hochzeiten wurden abgesagt, bzw. ins Jahr 2021 verschoben. Was eine Hochzeitsfeier vor allem ausmacht – viele Gäste, Feier ohne Beschränkung – war und ist nicht möglich. Einige wenige Trauungen fanden statt, hatten aber mit den Beschrän-kungen zu kämpfen und waren am Ende nur ein schmaler Kompromiss. Das Wesen ei-ner Feier war kaum erkennbar.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Erfahrung, Jesus in der Erzählung durch Johannes so kennen zu lernen, dass er sich den Mahnern widersetzt, dass er frei ist, sich dem Vorwurf auszusetzen, er sein Fres-ser und Säufer. Dass von grenzenloser Freude die Rede ist, zeichnet ein irgendwie fremd bleibendes und doch befreiendes Bild von Jesus.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen. Wenn ich glaube, ein klares und festes Bild davon zu haben wie Jesus ist, wie er redet und handelt, dann muss und möchte ich mich korrigieren lassen. Ich möchte mich auch bei bekannten Texten noch überra-schen lassen und an Jesus und seiner Verkündigung Neues entdecken.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Es kam – erneut – zu einem sehr angenehmen und hilfreichen Austausch mit dem Coach. Die sehr differenzierte und ausführliche Wahrnehmung hat mich Dinge an meinen Formulierungen und vor allem auch an Stilelementen entdecken lassen, die zur Bearbeitung der vorliegenden Predigt geführt. Dafür bin ich dankbar und auch für künftige Arbeit (hoffentlich) sorgsamer.

Perikope
17.01.2021
2, 1-11