Verwurzelt in Gott - Predigt zu Johannes 15,1-8 von Karoline Läger-Reinbold
Johannes 15,1-8: Jesus spricht: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Gott und die Menschen gehören zusammen Ich bin der Weinstock – ihr seid die Reben.
Dass Jesus so von sich spricht, so einprägsam und doch geheimnisvoll, das finden wir nur bei Johannes. Es geht um Verbindungen und um Verbundenheit. Gott und wir Menschen gehören zusammen, das sagt dieses Bild. Um das Große und Ganze geht es da, und um das gemeinsame Ziel: wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Der Weinstock braucht Pflege dafür. Der Winzer geht regelmäßig hin und sieht nach. Er legt Hand an, kümmert sich.
Weinbau – ein bisschen wie Kindererziehung
Einmal war ich im Herbst in einem Weinbaugebiet. Da war Erntezeit, Lese: Überall in den Weinbergen wurde gearbeitet. Reife, volle Trauben, größere, kleinere, helle und dunkle.
Der Weinbau ist eine Wissenschaft für sich, Rebsorte und Lage, Bodenqualität und Mikroklima – und jedes Gewächs hat einen eigenen Charakter. Mich hat fasziniert, dass die Weinbauern von ihren Reben ein bisschen wie von Kindern reden. Da geht es um Rebenerziehung und um die Ansprüche, die jeder einzelne stellt. Um den Raum, den sie für ihr Wachstum brauchen, und um die nötige Unterstützung. Schließlich auch darum, wann und wie man die freien Triebe zurückschneiden muss, damit das Gewächs sich nachhaltig entwickeln kann. „Mach Platz, denn du nimmst sonst den anderen Licht,“ heißt es dann. Oder: „Du musst erst noch wachsen, bis du kräftiger bist.“
Die Menschenfamilie braucht Gemeinschaftssinn
Zusammenhalt, Erziehung und Wachstum – darauf kommt es an, auch in der Menschenfamilie. Ich bin der Weinstock, sagt Jesus – ihr seid die Reben. Der Weingärtner ist der Vater, er entscheidet, wie es um das Wachstum bestellt ist. Wer keine Frucht bringt, den nimmt er weg, und wer Frucht bringt, wird gereinigt, auf dass er noch mehr Frucht bringe. Das ist ein strenges Regime, und doch scheint es nötig – für den Zusammenhalt.
Ich merke, wie sich in mir etwas sträubt, mag dieses Bild jetzt nicht genau in seine Einzelteile zerlegen. Was ich verstehe ist dies: in der Familie derer, die zu Christus gehören, braucht es Gemeinschaftssinn.
Wie zeigt sich Verbundenheit in der Zeit der Corona-Pandemie?
Und ich versuche, diese Worte zu verstehen in einer Zeit, in der es genau darauf ankommt:
auf den Gemeinschaftssinn. Die letzten Wochen waren hart: Ausgangsbeschränkungen, Kontaktsperre, für manche Quarantäne. Keine KiTa, keine Schule, kein Büro, für viele Menschen heißt das auch: keine Arbeit, kein Geld. Andere arbeiten rund um die Uhr, im Pflegeheim oder im Supermarkt. Die einen sind abends nur noch kaputt, manche gehen sich zuhause mal so richtig auf den Geist, und andere sind seit Wochen allein.
Wie bleiben wir verbunden mit denen, die zu uns gehören? Die wir jetzt nicht sehen können. Nicht treffen, nicht in den Arm nehmen. Telefonieren – ja, das mag helfen. Aber doch nicht über eine so lange Zeit. Schwer zu verstehen, dass es gerade jetzt der Abstand ist, die physische Distanz, die uns am meisten schützt. Darum suchen wir neue Formen der Nähe: mit Regenbogenbildern an den Fenstern. Mit Kreidebotschaften auf dem Gehweg, beim Plausch über den Gartenzaun oder zum Nachbarbalkon.
Die Stammbaum-Hausaufgabe
Ich erinnere mich an meine Schulzeit. Einen Stammbaum sollten wir malen.
Im dritten oder vierten Schuljahr ist das gewesen, so ganz genau weiß ich es heute nicht mehr. Jedenfalls in der Grundschule: Mama, kannst du mir helfen?
Die ersten Striche waren noch ganz leicht: Vater – Mutter – Kind, noch ein Kind. So war das bei uns. Bei meiner Freundin Suse war das anders, die hatte nur ihre Mama. Und darum schon in der Schule mit den Augen gerollt, als die Lehrerin die Aufgabe erklärte.
Einen Stammbaum malen also: Oma und Opa, die andere Oma, die Schwester der Mutter, ok – aber gehört denn die Freundin, mit der sie zusammenlebt, jetzt auch noch dazu?
Wir starteten mit einem großem Blatt Papier und mussten schon nach kurzer Zeit ein zweites Blatt dazu nehmen, mit Tesafilm angeklebt, ein bisschen schief an der Seite. Der Bruder vom Opa, den niemand mehr kannte, weil es von ihm nicht mehr als nur ein altes Foto gab. Der Geburtsname der Tante, den keiner noch wusste. Lauter spannende Entdeckungen, das Familien-Fotoalbum kam uns zu Hilfe. Und diese Vorlage aus der Schule war viel zu schematisch, da passte doch das bunte Leben nur in Ansätzen hinein!
Stammbaum: Mehr als Verwandtschaft
Haben Sie schon mal ihren Stammbaum gemalt? Und wie war das dann: lustig? Oder auch… interessant?
In meinem Stammbaum gibt es Menschen, mit denen bin ich irgendwie verwandt, aber gesehen habe ich sie schon viele Jahre nicht mehr. Vielleicht hört man mal um drei Ecken, was er oder sie gerade macht. Da laufen Linien ins Leere. Und da gibt es Seitenlinien auch: Menschen, die ganz fest zur Familie gehören, ohne dass ich mit ihnen verwandt bin.
Als Kinder hatten wir einen Nenn-Onkel, einen Freund unserer Eltern, der uns zum Geburtstag großzügig beschenkte. Oft kam er auch abends einfach vorbei. Dann hatte er Katzenzungen aus Schokolade für uns oder ein Markstück, und wir durften ihn als Kletterbaum benutzen.
Familie ist bunt
Stammbäume weiten den Blick, sie machen Verbundenheit sichtbar oder stellen sie in Frage. Zum Glück! In den letzten Jahren hat sich das Verständnis von Familie gewandelt. Es ist offener geworden, bunter. Vater, Mutter, Kind - das ist nur ein Konzept unter vielen. Tragfähige Beziehungen gibt es in großer Vielfalt. Verantwortung. Verbindlichkeit. Fürsorge. Empathie. Liebe. Treue. Das sind Werte, die Menschen zusammenführen, unabhängig von Alter, Herkunft oder Geschlecht.
Die Menschenfamilie: verwurzelt in Gott
Und ich erkenne: auch Gott gehört ja dazu. Zu dieser Menschenfamilie. Jesus, der sagt: Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter (Matthäus 12,50).
Christus, unser Bruder. Er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Gott verbindet sich mit uns, und wir können bleiben bei ihm, zu dem wir gehören. In diesen schwierigen Tagen machen wir uns fest. Suchen Wurzeln und Haltedrähte, verbinden uns von neuem mit Gott, unserem Vater, und mit unseren Geschwistern. Wir sind Teil eines Ganzen. Das zu spüren tut gut.
Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren, sagt Jesus. Die Gemeinschaft mit ihm ist eine Gemeinschaft der Hoffnung. Ein festes Gewebe, nicht immer erkennbar, so wie mancher Stammbaum, filigran und bizarr. Verwurzelt in Gott und verbunden durch Christus: ein Grund, der uns trägt. Und der uns wachsen lässt. Was auch immer da kommen mag.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine Stadtteilgemeinde am ersten Sonntag im Mai: Familien, Konfirmandinnen und Konfirmanden, Alleinstehende, Ältere – alle freuen sich über die Sonne, den Frühling. Nach wochenlangem „Lockdown“ und Kontaktverbot herrscht noch große Unsicher-heit: wie geht es weiter in KiTa und Schule, wann werden wir uns wieder wie gewohnt begegnen, wann können wir zusammenkommen und Gottesdienst feiern? Wie geht es den Freunden und Verwandten, die wir immer noch nicht besuchen können?
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Bild vom Weinstock spricht von der Verbundenheit derer, die zu Christus gehören. Miteinander verwurzelt sein – im Glauben an Gott, in der gemeinsamen Hoffnung auf sein Reich, in der Liebe zu ihm und zu unseren Nächsten, das gibt Halt. In einer Phase der Ungewissheit und der Vereinzelung durch Kontaktverbote und Ausgangsbe-schränkungen ist dies eine starke Botschaft, die Gemeinschaft der Glaubenden wird sichtbar gemacht.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der Vater als Weingärtner: Auch wenn hier der Gedanke an ein göttliches Gericht sehr deutlich anklingt, ist das ein warmes, schönes, zärtliches Bild. Zum Erziehungskonzept des Winzers gehören Aufmerksamkeit, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein und sehr viel Liebe.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Erinnerung an die Stammbaum-Hausaufgabe, die für mich zunächst der Einstieg in die Predigt war, steht jetzt am Ende. Für die Hörerinnen und Hörer die Predigt mag sie so eine Einladung sein, den Faden weiter zu spinnen: Wem bin ich verbunden? Welche Gemeinschaft ist es, die mich trägt, und worin hat sie ihre Wurzeln?
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02.08.2020 - 8. So. nach Trinitatis
21.05.2020 - Christi Himmelfahrt
Zwei Seiten einer Medaille: Hören und furchtlos werden – Predigt zu Johannes 5, 39–47 von Ulrich Kappes
In den Versen, die unserem Predigttext vorausgehen, wird erzählt, dass die „Juden“ hinaus in die Wüste wanderten, um Johannes zu hören. Sie hielten ihn eine Zeit lang für einen Messias, waren in jedem Fall von ihm fasziniert. Manche Gemeinden erinnern am morgigen Tag an Johannes den Täufer.
Viele der „Juden“, die in unserem Text nur mit „ihr“ angeredet werden, hatten die Heilung am Teich Bethesda miterlebt: Es gab einen Kranken am Teich Bethesda. Er hatte 38 Jahre gewartet, als erster in die Flut des Wassers zu steigen und so geheilt zu werden. Es half ihm keiner. Jeder war sich selbst der nächste. Dann kam Jesus und ein über Jahrzehnte lang Gelähmter konnte gehen.
Was geschah mit den „Juden“ nach dem Tod des Johannes und nach der Heilung des Kranken durch Jesus? Sie kehrten zu ihrem Bibelstudium zu Haus oder in der Synagoge zurück. Sie saßen über ihren alten Texten, erwogen, welche Auslegung die richtige ist. Was Jesus mit dem Wundern am Teich Bethesda bewirkt hatte, berührte sich nicht. Seine Predigt war ohne Wirkung auf sie. Das ist die Situation, in die hinein Jesus spricht:
Lesung Johannes 5,39 - 47
Bleiben wir daran hängen, dass Jesus offenbar sehr enttäuscht von „den Juden“ war, bleiben wir also bei der historischen Situation kleben, so verkennen wir die Tiefendimension dieser Verse. Die „Juden“ sind hier ein Symbol dafür, wie es gehen kann; wenn man die Schrift zwar liest und doch keinen Zugang zu ihr findet. Angeredet werden zwar die Juden der Zeit Jesu, gemeint sind aber alle, die es mit Jesus Ernst meinen.
Wir schweifen einen Moment ab. Die Menschen der Stadt, in der wir leben, lesen zum überwiegenden Teil nicht in der Bibel. Es interessiert sie nicht. Sie meinen, dass sie diese Worte nicht brauchen. Die alten Texte haben für sie keine Bedeutung.
Haben wir uns davon anstecken lassen, und ist unser Leben auch ein Leben ohne die Schrift? Wenn eben für alle die Bibel unbrauchbar ist, sollte ich dann auf sie hören? Das mag in früheren Generationen anders gewesen sein, aber jetzt und heute ist eine andere Zeit. Sind die Bibel und mit ihr das Hören auf ihre Wahrheit, die Erkundung des wahren Schriftsinnes auch bei uns abhanden gekommen?
Wir hören: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin. (Ja), „sie ist es, die von mir zeugt.“ So fremd uns diese Worte klingen mögen, so klar und „steil“ ist ihre Aussage: Wer das wahre Leben, das hier das „ewige Leben“ heißt, sucht, kann die Antwort in der Schrift finden. Sie ist das Tor zu einem neuen Leben.
Lassen Sie uns bitte einen weiteren Bogen schlagen! 1
Die Fragen: „Wer bin ich? Wo komme ich her? Was macht mich im Wesentlichen nicht austauschbar“ gehören für Christen und Nichtchristen zu den entscheidenden Fragen, die wir uns stellen. (Sicher nicht täglich, aber sie brechen immer und immer mal auf.) Keiner kommt an ihnen vorbei.„Was ist das Ziel, woraufhin ich lebe? Wo und wie kann ich mich immer von neuem zurüsten lassen, dieses Ziel zu erreichen? Wie kann ich weiter leben, wenn mein Leben durch grausame Ereignisse aus den Fugen gerät?“
Es gibt die Naturwissenschaften, die viel über uns sagen. Wir wissen, dass wir aus dem Tierreich hinaus gewachsen sind. Jeder Säugling macht im Mutterleib durch, was in der Natur über die Jahrmillionen geschah. Die Psychologen klären uns auf, wie viel Anteile unsere Eltern und unsere Erziehung an uns ausmachen. Sie helfen uns, mit unseren Schwächen fertig zu werden. Ist damit meine Frage, wer ich im Kern und unverwechselbar bin, beantwortet? Sagt mir die Evolutionswissenschaft oder die Psychologie, wer dieses Ich eigentlich ist, das sich im Leben behaupten muss? Jede Einzelwissenschaft über den Menschen erkennt immer über den Menschen und seine „Seele“, aber jeder verantwortliche Wissenschaftler sagt gleichzeitig, das er nicht weiß, was der Mensch eigentlich und im Kern ist. Je mehr Hypothesen, desto mehr Fragen gibt es. Das ist Fakt.
„Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin. (Ja), sie ist es, die von mir zeugt.“
Warum setzt Jesus alles daran, dass Menschen die Bibel „richtig“ lesen, in seinem Sinn „richtig“ das Wort hören?
Die Antwort heißt nach meinem Dafürhalten: „Weil die Schrift allein uns eine umfassende Lehre vom Menschen vermittelt. Sie sagt und zeigt mir, wer ich in der Traditionskette der Glaubenden bin, unauswechselbar, einmalig, angenommen mit meinen Fehlern. Warum kann sie das? Die biblische Lehre vom Menschen ist keine Wissenschaft. Sie geht nicht vom Menschen aus, sondern ausschließlich von Gott. Von Gott etwas zu wissen, von Gott und Christus etwas zu wissen, heißt bis heute, Antworten zu bekommen, die wir sonst nicht bekommen. Die Ähnlichkeit zu Christus, zu der ich aufgerufen werde, die Analogie zu Gottes Verhalten und Walten sind der Schlüssel zu der Frage, warum und wofür ich eigentlich lebe. Geradezu prophetisch nannte sie einst Platon das schönste Band aller Bänder, das mich hält.I2I
Im Juli dieses Jahres jährt sich der 80. Todestag des Pfarrers Paul Schneider, den man den „Prediger von Buchenwald“ nannte. Er war der erste Märtyrer der evangelischen Kirche während der Zeit des Nationalsozialismus.I3I
Als er durch behördliche Willkür des NS-Staates aus seiner Pfarrstelle versetzt im Hunsrück versetzt wurde, hielt er sich nicht daran. Erst nach einer Zeit gab er seinen starken Widerstand dagegen auf. Er kritisierte in seinen Predigten die totalitäre Herrschaft der Partei, die an die Stelle Gottes gesetzt wurde und schloss sich der Bekennenden Kirche an. Er vollführte nie den „Deutschen Gruß“. Er weigerte sich, den sogenannten Arierparagraphen anzuerkennen, der es getauften Juden untersagte, in der evangelischen Kirche zu predigen.
Irgendwann war das Fass für das NS-Regime übergelaufen, und man brachte ihn in das KZ Buchenwald. Unerschrocken hat er dort Bibelworte beim Lagerappell aus seiner Zelle heraus gerufen, ja geschrien. Er glaubte, dass es allein dieses Wort der Schrift sein kann, das Menschen in der Hölle von Buchenwald Kraft und Trost gibt.
Am 18. Juli 1939 verstarb er an den Folgen einer überdosierten Strophantinspritze. Papst Johannes Paul II. erwies ihm auch die Ehrung seitens der katholischen Kirche.
Wie kann es sein, dass ein Mensch solchen Mut hat, seinen Widersachern mit dieser Unerbittlichkeit entgegen zu treten? Ich meine, dass solches Verhalten möglich ist, wenn einer „keine Ehre von Menschen“ sucht und unabhängig vom Ruhm wird. Jesus sagt in unserem Predigttext die Worte: „Ich nehme nicht Ehre von Menschen.“
Der Vorwurf an „die Juden“ lautet: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt, die von dem alleinigen Gott sucht ihr nicht?“
Eng verkoppelt wird in diesen Worten die Mahnung, in der Schrift das ewige Leben und Jesus selbst zu suchen und in der Nachfolge danach zu streben, keine Ehre haben zu wollen. „Ich nehme nicht Ehre von Menschen.“ Wenn das so ist, wenn ich nicht unentwegt danach strebe, anerkannt zu werden, es mir Schritt für Schritt egal wird, was andere über mich sagen, ob sie mich loben oder tadeln, dann schwindet analog die Furcht vor Menschen.
Ich nehme nicht Ehre von den Menschen. Wer das buchstabiert, geht in die Schule der Furchtlosigkeit. Das eine bedingt das andere. Es gibt in unserem Land eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die meinen, dass uns die Asylsuchenden die Perspektive nehmen. Sie argumentieren, dass wir erst an uns und noch mal an uns, dann erst an Fremde denken sollten. In Kassel waren es offenbar Menschen mit diesem Gedankengut, die den Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf seiner Veranda erschossen. Was geschieht mit uns? Etwas plump gefragt, was „macht das mit uns“? Terroristen aller Couleur, stehen sie nun rechts oder links, wollen uns Angst machen und Furcht einflößen: „Wenn du das sagst, wenn du das tust, wirst du sehen, was wir aus dir machen.“
Der heutige Bibeltext ruft uns zu einer Art von Training auf, an der Seite von Jesus unabhängig von Ehrungen werden. Dieses Training wird, so meine ich, die Furchtlosigkeit bei uns wachsen lassen. Es ist enorm wichtig, dass wir uns unserer Quellen erinnern, die Schrift und Jesus in ihr verinnerlichen und so Stück für Stück furchtlos zu werden.
ANMERKUNGEN
Anm. 1 Das folgende ist der Versuch, die komprimierte Theologie der analogia fidei, die Eberhard Jüngel in seinem Aufsatz „Der Gott entsprechende Mensch. Bemerkungen zur Gottebenbildlichkeit des Menschen als Grundfigur theologischer Anthropologie“ entfaltet, auf das Niveau einer Gemeindepredigt herunter zu brechen.
(In: Entsprechungen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen, Tübingen 2002, S. 291–317.)
Anm. 2 Nach E. Jüngel, a. a. O. S. 7.
Anm. 3 Als Quelle zu der Kurzbiografie liegen zugrunde:
Renate Trautmann, Friedrich Bartsch, Helmut Burgert (Hrsg.): Das Bildnis des evangelischen Menschen, Berlin 1960, S. 248 sowie Philipp H. Hildmann: Schneider, Rudolph, in RGG (4.Auflage) , Tübingen 2004, S. 944.
Liturgische Hinweise:
Als Tageslied wähle ich 382, 1-3 (Ich steh vor dir mit leeren Händen)
An St. der Epistel wird die atl. Lesung vorgetragen: Jeremia 23, 16–29
Vor der Predigt soll 450,1–2 (Morgenglanz der Ewigkeit) gesungen werden.
Predigtlied ist 450,1–4 (Herr Jesu, Gnadensonne
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Jesus macht den Unterschied- Predigt zu Johannes 5,39-47 von Markus Kreis
Jesus macht den Unterschied! So heißt der Titel meiner Predigt: Jesus macht den Unterschied! In diesem Titel steckt schon ein Unterschied drin. Der ist nämlich doppelt zu verstehen, einmal so und einmal anders.
Jesus macht den Unterschied! Das heißt zum einen: Jesus macht den Unterschied aus. Macht einen Unterschied aus für mich. In meinem Leben. Macht mich und mein Leben zu etwas besonderem. Macht mir mein Leben unterscheidbar vom Leben anderer. Zumindest so, wie ich das sehe.
Jesus macht den Unterschied! Das heißt zum anderen: Jesus macht etwas. Jesus wirkt. Er sorgt dafür, dass sich etwas ändert. Dass etwas nicht so bleibt, wie es ist. Jesus macht den Unterschied! Das heißt: Jesus ist zuerst aktiv. Und nicht ich. Nicht ich mit meiner Idee von meinem Leben. Nicht ich mit meinem Eindruck vom Leben anderer. Meine Ideen und mein Eindruck spielen hier eine passive Rolle.
Jesus macht den Unterschied! So heißt das doppelte Motto meiner Predigt. Jesus macht den Unterschied aus! Jesus macht mein Leben besonders. Und: Jesus tut was. Er sorgt dafür, dass etwas nicht so bleibt, wie es ist.
Und es geht doppelt gemoppelt weiter. In Jesu Sätzen stecken zwei Listen. Die Themen der einen stehen im Gegensatz zu denen der anderen Liste. Jesus führt in seinem Bibelwort zweierlei an. Zum einen wie ein Menschenleben aussieht, in dem er, Jesus, nicht den Unterschied macht. Zum anderen wie ein Leben aussieht, in dem er, Jesus, sehr wohl den Unterschied macht. Das stellt er in seinem Bibelwort gegenüber.
Wie sieht ein Leben aus, in dem Jesus nicht den Unterschied macht. Jesus beschreibt das in seinem Bibelwort so:
Ein solches Leben sucht allein in Schriftzeichen, in heiligem Code, das wahre Leben zu finden.
Ein solches Leben sucht das wahre Leben nicht in Jesus allein, sondern in anderen Menschen.
Ein solches Leben birgt nicht Gottes schöpferische Liebe in sich.
Ein solches Leben sucht zuerst den Menschen zu gefallen.
Ein solches Leben versteht Jesu Worte als Anklage ohne Vergebung
Kommen wir zum zweiten. Wie sieht ein Leben aus, in dem Jesus sehr wohl den Unterschied macht. Jesus beschreibt das in seinem Bibelwort so:
Ein solches Leben sucht das wahre Leben allein in Jesus
Ein solches Leben birgt schöpferische Gottes Liebe in sich.
Ein solches Leben will zuerst Gott dem Schöpfer gefallen.
Ein solches Leben versteht Jesu Worte als Vergebung, die einer Anklage folgt
Wo ordne ich mein Leben ein? Macht Jesus in meinem Leben den besonderen Unterschied?
Suche ich das wahre Leben nur in Schriftzeichen, in heiligem Code? Oder suche ich es allein in Jesus?
Suche ich das wahre Leben allein in Jesus oder zuerst in anderen Menschen?
Birgt mein Leben Gottes schöpferische Liebe in sich? Oder schiebt es Gottes Liebe nur vor wie eine Kulisse?
Will ich dem schöpferischen Gott gefallen? Oder irgendwelchen von ihm geschaffenen Menschen?
Verstehe ich Jesu Worte als Vergebung oder nur als Anklage?
Wo ordne ich mein Leben in diesen Fronten ein? Macht Jesus in meinem Leben den besonderen Unterschied? Oder wird wie bisher in unserem Bibelwort vorwiegend Doppeltes zu melden sein. Teils - teils, mal hier - mal da?
Weiß ich überhaupt, mein und dein in dieser Sache zu unterscheiden? Beanspruche ich einen Unterschied für mein Leben, der gar nicht vorhanden ist? Mache ich da einen Unterschied, der mir gar nicht zusteht?
So was kann nur Jesus von seinem Leben sagen: Gott macht den Unterschied aus. Macht einen Unterschied aus für mich. In meinem Leben. Macht mich und mein Leben zu etwas besonderem. Macht mein Leben unterscheidbar vom Leben anderer.
Jesus macht den Unterschied! Wie gut, dass es da noch die zweite Bedeutung gibt. Jesus macht etwas. Jesus wirkt. Er sorgt dafür, dass sich etwas ändert. Dass etwas nicht so bleibt, wie es ist. Was wirkt Jesus? Jesus teilt Gott mit mir, so dass der Unterschied zwischen Gott und mir mich nicht mehr trennt von ihm.
Jesus macht den Unterschied! Unabhängig von mir. Jesus ist aktiv. Und nicht ich. Nicht ich mit meiner Idee von meinem Leben. Nicht ich mit meinem Eindruck vom Leben anderer. Meine Ideen, mein Eindruck vom Leben spielen nur eine passive Rolle. Jesus teilt Gott mit mir, so dass der Unterschied zwischen Gott und mir mich nicht mehr trennt von ihm.
Wie soll das gehen? Ein Unterschied, der nicht scheidet? Ein Unterschied, der verbindet? Gottes Leben, das einzig wahre Leben, hat sich nur in Jesus gezeigt, offen und unverstellt. Keinesfalls im Leben eines anderen Menschen. Da es sich direkt nur in Jesus gezeigt hat, kann es sich mir nicht direkt zeigen. Jesus weilt schließlich nicht mehr auf Erden unter uns Menschen. Es kann sich mir nur indirekt mitteilen.
Ein jeder kann Gottes Leben und Liebe in sich bergen. So wie es in Jesu Leben der Fall gewesen ist. Aber eben offen und unverstellt und nicht verborgen. Wie ist das zu verstehen? Kurz gesagt:
Gottes Leben und Liebe in sich bergen, das ist wie schwanger sein, ohne es schon zu wissen. Das heißt: Gottes Leben und Liebe wirkt in mir, ohne dass ich es zunächst wahrnehme. Aber es tut sich was. Und dieses wird sich zeigen, in mein Leben kommen und es ganz schön ändern. Gott ist schließlich der Schöpfer.
Da sich Gottes Leben und Liebe direkt nur in Jesus gezeigt hat, kann es sich mir nur indirekt zeigen. Es zeigt sich mir mental, in meinen Kopf hinein, in etwas, das in meinem Gehirn vorgeht, oder biblisch gesagt: im Eingehen von Gott in meinen Geist. Der damit zu einem heiligen wird.
Doch Vorsicht! Dem Geist eines Menschen vermag allerlei einzugehen. Der Geist eines Menschen vermag allerlei zu erschaffen. Nur weil etwas geistig ist, ist es noch längst nicht von Gott. Denke ein jeder nur an die Luftschlösser, denen er in seinem Leben unterlegen ist. An die vergeblichen Hoffnungen, falschen Sehnsüchte, Täuschungen, Irrtümer und Verfehlungen. Manch einer mag auch den Geist geistloser Zustände kennen.
Nicht umsonst ist der heilige Geist mit dem Glauben verbunden. Und Glauben unterscheidet sich von Wissen. Das heißt: Dass mein Geist mit Gott dem Schöpfer verbunden ist, weiß ich nur mit Gewissheit. Und nicht mit Sicherheit.
Ich kann angesichts des Unterschiedes nur darauf hoffen, dass Gott mich neu erschafft. Umso mehr, wenn der Gegensatz nicht allein in meinem Kopf eine Rolle spielt. Rein mental ist. Sondern wenn er körperlich wird. Wenn sich das Leben und seine Umstände mir widersetzen, mich bedrängen, in Not bringen. Da hilft nur die Hoffnung: Jesus macht den Unterschied!
Jesus macht den Unterschied in einem Leben aus. In allen Lebenslagen. Und das heißt: Wer im Geist vereint mit dem Schöpfer lebt, der macht Unterschiede wie Jesus. Der verbindet wie er das verborgene Innen der Welt mit ihrem Außen. Der vereint und unterscheidet wie Jesus. Der vereint und unterscheidet den Schöpfer am Werk und das Geschaffene. Bezogen auf unseren Bibeltext heißt das:
Der sucht das wahre Leben nicht nur in Schriftzeichen, sondern im Geist des Schöpfers, der sich darin ausdrückt.
Der sucht das wahre Leben zuerst bei seinem Schöpfer, Gott, und nicht unter den geschaffenen Menschen.
Der weiß, dass Gottes schöpferische Liebe in einem Menschenleben aus dem verborgenen heraus wirkt. Und schiebt sie deshalb nicht wie eine Kulisse vor sich her.
Der will zuerst Gott gefallen, und wenn es sich so ergibt, auch den Menschen.
Der versteht Jesu Worte zuerst als Vergebung und nicht nur als Anklage.
In diesem Unterscheiden erschafft Gott seine Menschengeschöpfe immer wieder neu. Amen.
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Das Abenteuer Vertrauen wagen - Predigt zu Johannes 5, 39-47 von Anke Fasse
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
was für ein Vertrauen – unter diesem Motto haben sich in den letzten Tagen zehntausende ganz unterschiedliche Menschen in Dortmund zum Evangelischen Kirchentag getroffen. Sie haben miteinander und mit vielen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Kirche über verschiedenste aktuelle Themen diskutiert. Sie haben miteinander gefeiert, gesungen und gebetet. Jetzt gerade, während wir hier miteinander Gottesdienst feiern, feiern in Dortmund rund 100000 Menschen, darunter viele Jugendliche, an der Seebühne im Westfalenpark den Abschlussgottesdienst der kirchlichen Großveranstaltung.
Was für ein Vertrauen! Was für ein Vertrauen? Haben all diese Menschen denn nichts gehört vom gewaltigen Mitglieder– und Bedeutungsverlust der Kirche? Haben Sie nicht wahrgenommen, dass es nur noch bei einer kleinen Zahl dazu gehört, sich konfirmieren zu lassen, sich aktiv in der Kirche einzubringen? Irgendwie nicht mehr so recht zeitgemäß...
Und dann so etwas: 100000 kommen zusammen, um dort heute miteinander öffentlich Gottesdienst zu feiern. Was für ein Vertrauen!
Und wie ist es mit unserem Glauben? Mit unserem Vertrauen?
„Ich könnte glauben, wenn ich doch nur ein paar mehr Anhaltspunkte hätte, dass es Gott wirklich gibt. Aber was ich jeden Tag in der Zeitung lese, das bringt mich dem Glauben wirklich nicht näher.“ Diesen Eintrag fand ich in unserem offenen Buch, das in der Krankenhauskapelle ausliegt. Und darunter schrieb ein anderer: „Ich würde ja vertrauen, aber was, wenn ich doch falle?“
Ich muss tief durchatmen, als ich das las. Viele verschiedene Bibelworte kommen mir in den Sinn. Der Herr ist mein Hirte – wie oft habe ich allein in den letzten Wochen diesen alten, vielen so vertrauten, Psalm gesprochen und gespürt, wie er Menschen in Extremsituationen Halt und festen Boden unter den Füßen gibt.
Und gestern erst sagte eine Ehrenamtliche zu mir: „Ich habe ja den Herrn Jesus. Dem gebe ich alles ab, was ich im Krankenhaus an Schwerem höre. Der wird das schon machen.“ Ja, wir haben Jesus, das möchte ich am liebsten dem Schreiber dieser Worte sagen. Er hat gelebt auf dieser Erde, so wie du und ich. Er ist Vorbild und Richtschnur für viele. Er ist Gott auf Erden. Hoffnung über den Tod hinaus. Ja und dann: Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen. Das haben Menschen über die Jahrhunderte hinweg erlebt, geglaubt, erfahren – immer wieder neu und anders. Was brauchen wir denn noch mehr um zu glauben, zu vertrauen?
Sie ist sechzehn Jahre alt und beeindruckt weltweit Viele mit ihrem Engagement. Klein und unscheinbar begann sie. Irgendwo in Schweden. Beharrlich. Standfest. Voller Überzeugung und Vertrauen. So lange schon weisen verschiedenste Forscher auf die gravierenden, unumkehrbaren Folgen des Klimawandels hin. Warnen die Weltgemeinschaft nicht so fortzufahren mit dem Konsum, mit dem Verbrauch der Energien. Abkommen werden geschlossen. Und doch schreitet die Zeit immer weiter voran – ohne dass viel passiert. Die Warnungen scheinen zu verhallen. Für die junge Greta aus Schweden ist dies nicht zu ertragen. Aus dem Engagement einer einzelnen entwickelt sich eine weltweite Bewegung junger Menschen. Fridays for future ist mehr als ein Begriff. Es ist eine Bewegung, die anders und neu hinterfragt, weltweit. Ich bin fasziniert von der Beharrlichkeit und dem Engagement dieses Mädchens und der vielen jungen Menschen, die sie in Bewegung versetzt hat. Und ich bin berührt davon, dass sie darauf drängen, dass all die Warnungen endlich ernst genommen werden und ihnen Umdenken und Taten folgen. Niemand kann sagen, wir hätten es nicht gewusst, welche Folgen der Klimawandel hat und wir hätten keine Zeit gehabt, etwas zu verändern.
Jesus selbst begegnet dies „Problem“ mit dem Nicht-Glauben können oder Nicht-Glauben wollen. Er selbst erlebt, wie schwer es für Menschen ist, eine Haltung zu verändern. Scheinbar müsste alles klar sein, schwarz auf weiß ist es in den Schriften festgehalten, Mose etwa verweist auf ihn – aber die Gemeinde vertraut und glaubt ihm nicht. Ihr geht es um das, was vor Augen ist, um die Anerkennung bei anderen Menschen und nicht um Gott. Darum geht es im Predigtwort für den heutigen Sonntag. Ich lese aus dem 5. Kapitel des Johannesevangeliums.
Ihr forscht doch in den Heiligen Schriften und seid überzeugt, in ihnen das ewige Leben zu finden – und gerade sie weisen auf mich hin. Aber ihr seid nicht bereit, zu mir zu kommen und so das ewige Leben zu haben. Ich bin nicht darauf aus, von Menschen geehrt zu werden. Außerdem kenne ich euch; ich weiß, dass in euren Herzen keine Liebe zu Gott ist. Ich bin im Auftrag meines Vaters gekommen, doch ihr weist mich ab. Wenn aber jemand in seinem eigenen Auftrag kommt, werdet ihr ihn aufnehmen. Wie könntet ihr denn auch zum Glauben an mich kommen? Ihr legt ja nur Wert darauf, einer vom andern bestätigt zu werden. Aber die Anerkennung bei Gott, dem Einen, zu dem ihr euch bekennt, die sucht ihr nicht. Ihr braucht aber nicht zu denken, dass ich euch bei meinem Vater verklagen werde. Mose klagt euch an, derselbe Mose, auf dessen Fürsprache ihr hofft. Wenn ihr Mose wirklich glaubtet, dann würdet ihr auch mir glauben; denn er hat über mich geschrieben Da ihr aber seinen geschriebenen Worten nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen gesprochenen glauben. (Joh 5, 39-17)
Was macht es so schwer mit dem Glauben und mit dem Vertrauen, damals und heute? Die Gemeinde, zu der Johannes schreibt, war wohl sehr klein. Das Christentum war jung und vielen kritischen Stimmen ausgesetzt. Die christliche Gemeinde war umgeben von der traditionsreichen jüdischen Gemeinde, eine Minderheit also. Und Jesus versucht, sie zu überzeugen, indem er auf die gemeinsamen Schriften, auf die hebräische Bibel verweist. „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir, denn er hat von mir geschrieben.“ Viel mehr Autorität gibt es nicht. Und doch ist und bleibt es schwierig mit dem Glauben.
Ich versuche eine Verbindung in die heutige Zeit zu ziehen. Die Kirchenmitgliedschaft sinkt. Die Bedeutung der Kirche nimmt ab, das wird immer wieder gesagt, berichtet, geschrieben. Und heute: 100000 Menschen feiern Gottesdienst, nicht in einer Kirche, sondern draußen im Westfalenpark und wieviel mehr mögen es an den vielen anderen Orten sein – und wir gehören dazu. Und das alles 2000 Jahre nachdem es so zaghaft anfing mit dem Christentum, belächelt und verfolgt wurde. Welch Vertrauen haben Menschen doch immer wieder besessen. Welch Vertrauen, welche Beharrlichkeit, welcher Glaube wurde ihnen geschenkt, haben sie gewagt - und so etwas bewegt.
Hätte mir nicht jemand sagen können, wie schnell die Zeit vergeht?“, das sagt mir mit einem verschmitzten, nachdenklichen Lächeln eine ältere Frau im Krankenhaus. „Dann hätte ich doch manches anders gemacht und vor allem, die Prioritäten anders gesetzt. Ob die Fenster nun sauber oder schmutzig sind, das spielt doch keine Rolle,“ meinte sie, „aber die Zeit mit den Kindern, oder das einfach mal in der Sonne sitzen und genießen – das hätte ich mal mehr machen sollen. Aber“ – nach einer Pause fügt sie hinzu – „wenn ich ehrlich bin, hat mir das meine Mutter noch kurz vor ihrem Tod gesagt: Mädchen, hat sie gesagt, je älter du wirst, je schneller vergeht die Zeit. Nutze sie! Ja, das hat sie gesagt. Aber, ich frage mich, warum ist es so schwer, das umzusetzen? Niemand kann sagen, ich hätte es nicht gewusst.“ Nachdenklich gehe ich von diesem Gespräch zurück in mein Büro und denke immer wieder daran.
Warum ist es manchmal so schwer, Weisheiten, Warnungen, Erkenntnisse nicht nur zu hören, sondern sie umzusetzen im eigenen Leben mit Wort und Tat?
Und so wie es mir schwerfällt wirklich etwa so umweltbewusst einzukaufen, wie ich es eigentlich möchte oder meine Prioritäten wirklich bewusst im Leben zu setzen, weil ich weiß, dass meine Zeit begrenzt ist – so schwer, wie es für mich persönlich ist, so schwer und noch viel schwerer ist es für die großen Zusammenhänge dieser Welt.
Und auf der anderen Seite, erleben wir dies Vertrauen all der Menschen, die gerade jetzt beim Kirchentag einen lebendigen Gottesdienst feiern. Wir erleben, dass das Engagement einer einzelnen Jugendlichen etwas bewegen kann.
Liebe Gemeinde, immer wieder mag es gute Gründe geben, nicht zu glauben oder nicht zu vertrauen. Aber genauso viele Gründe gibt es der Einladung zum Glauben zu folgen und es zu wagen mit Körper, Geist und Seele, es auszuprobieren, immer wieder neu, gegen den Strom zu schwimmen, zaghaft, beharrlich – und darauf zu vertrauen, dass ER da ist mit seiner Verheißung für Dich und mich und unsere Welt.
Amen
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Von der Wahrheit und ihrer Leugnung - Predigt zu Johannes 5, 39-47 von Ralf Hoburg
Es gibt die alte Volksweisheit: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Ob diese Skepsis dem Menschen, der wissentlich oder unwissentlich nicht die Wahrheit sagt, immer gerecht wird oder ob es auch Situationen für sogenannte Notlügen gibt, bleibt der Phantasie des Lesenden und der Deutung der jeweiligen Situation überlassen. Aber existiert auch die Umdrehung dieser Volksweisheit, nämlich dass demjenigen, der die Wahrheit spricht, oft kein Vertrauen und Glauben entgegen gebracht wird? Die Weltgeschichte kennt Beispiele dafür, dass die Wahrheit – weil sie so unfassbar und unwahrscheinlich klingt – nicht geglaubt wird! Dieses Phänomen fällt wohl in den Bereich der „Prophezeiungen“, deren Beweis in der Zukunft liegt.
Wer die Wahrheit dann ausspricht, der wird von den Anderen gescholten, verschmäht oder gar für verrückt erklärt. Denn oftmals verfährt die Mehrheitsmeinung nach der Devise und Lebensweisheit: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“. Die Propheten des Alten Testamentes sprachen die Wahrheit aus, dass JHWE das Gericht über das Volk Israel ergehen lässt. (Jes. 8) Der Reformator Martin Luther sprach die Wahrheit aus, dass der Ablasshandel nicht der Hlg. Schrift entspricht und wurde für „vogelfrei“ erklärt. Mancher Zeitgenosse ahnte in Deutschland schon 1933, dass der Zweite Weltkrieg kommt und heute inszeniert sich ein kleines Mädchen, das „freitags nie kann“ (Zitat – Die Fantastischen Vier) und spricht vor laufenden Fernsehkameras die Wahrheit aus, die sowieso schon jeder kennt und alle glauben es und machen fröhlich freitags schulfrei! Aber wer beim Dieselskandal die Wahrheit sagt, dass hier maßlos übertrieben wird, wird niedergebrüllt. Journalisten werden in Russland verhaftet, wenn sie die Wahrheit sagen, die keiner hören will – aber wer in der SPD die Wahrheit sagt, dem wird nicht geglaubt. Vielleicht kommt es auch manchmal darauf an, „wer“ die Wahrheit ausspricht, die von der Allgemeinheit nicht gehört werden will.
Zur Wahrheit haben wir inmitten der Medienwelt einen ganz eigenen Bezug – eben mal so und mal so! Die Frage, was Wahrheit denn inmitten der Meinungsfreiheit und der digitalen Bilderwelten ist, kann nicht mehr eindeutig beantwortet werden. Repräsentieren die Medien noch die Wahrheit der Geschehnisse oder bilden sie nicht vielmehr ein gedeutetes Bild von der Wirklichkeit ab, das nicht selten die Waage zwischen Wahrheit und Lüge zu Gunsten der Lüge verschoben hat? Sprechen Politiker die Wahrheit und wird auf die, die die Wahrheit – die oft unbequem ist – aussprechen, gehört? Wohl kaum.
1-Die Wahrheit in Person
Von der Tragik von einem der die Wahrheit sagt, aber nicht gehört wird, spricht der Predigttext aus Joh. 5,39-47. Wer ist der, der die Wahrheit spricht? Das Johannesevangelium gibt schon am Anfang die Antwort auf diese Frage sehr elementar, aber verschlüsselt: Er ist das Wort selbst oder genauer – das Wort, das Fleisch geworden ist und unter uns wohnte. (Joh. 1,14) Mit dieser Formel beschreibt das Evangelium anders als die übrigen synoptischen Evangelien das, was die Theologie „Offenbarung“ nennt. Damit ist gemeint, dass Gott selbst in Person sich der Welt zeigt und auf die Welt in Form eines Menschen kommt. Dies bildet in der antiken Vorstellung von Religion eine doppelte Provokation: Für die Griechen bleibt der Gott Zeus dem Menschen unnahbar – für die Juden lebt in der Antike die Vorstellung eines nahenden Weltendes, an dem dann der Herr selbst erscheinen wird. Für beide Weltauffassungen bildet also die Idee, dass Gott selbst in Person eines Menschen auf die Welt kommt, eine Ungeheuerlichkeit. Den Römern wiederum war die Religion der Juden egal – Hauptsache sie machen keinen politischen Aufstand.
So gerät die Wahrheit von der Offenbarung regelrecht zwischen die religiösen Fronten der damaligen Welt. Es ist also nur zu verständlich, dass der, der die Behauptung aufstellt, selbst die Offenbarung zu sein, angefeindet wird. Er wird zwar von allen gesehen und gehört, seine Taten sind unübersehbar, geglaubt wird ihm dennoch nicht. Aber: Behauptet er das eigentlich? Oder anders: Was wird in dem Text eigentlich genau gesagt? Schauen wir hin.
Der Predigttext aus Joh. 5,39-47 ist in einen größeren Textabschnitt eingebettet, nämlich in Joh. 5,19-47, in dem es vor allem um das Verhältnis von Gott Vater und Sohn mit dem Stichwort der Vollmacht geht bzw. dem Zeugnis für den Sohn. Aber es ist eine merkwürdige Konstruktion, denn nirgendwo spricht der Bibeltext die Wahrheit offen aus, dass Jesus von Nazareth die Offenbarung ist. Vielmehr wird in Wendungen gesprochen, die nebulös bleiben, die etwas ahnen lassen, aber es nicht wirklich sagen. Und dennoch sind sie keineswegs nichtssagend! Parteipolitiker von heute können hier wahrlich Rhethorik und unklar bleibende Argumentation lernen. Einen Schlüssel zum Verständnis liefern die Verse in Joh. 5,31-32, die in etwa wie folgt zu verstehen sind: Wenn der irdische Jesus von Nazareth von sich selbst sagen würde, er sei das Wort Gottes, die Offenbarung oder der Sohn Gottes, so wäre sein Zeugnis „nicht wahr“. (Joh. 5,31) Daraus folgt: Wenn ein anderer dies tut, so lässt sich feststellen: „ich weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das er von mir gibt.“ (Joh. 5, 32) So hat etwa Johannes der Täufer die Wahrheit bezeugt, indem er von sich selbst auf den Anderen verwies.
Von hier aus gesehen erschließt sich dann die Wahrheit Stück für Stück. Den Beginn findet man in Joh 5,19, in dem es heißt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht.“ Da ist die Ver-drehung oder besser Um-Drehung wieder: Alle Aktion geht vom Anderen aus – hier Gott selbst. In moderner Sprache könnte man sagen, dass der Sohn Jesus von Nazareth ein Medium ist oder anders ausgedrückt ein Gefäß, durch das etwas bewirkt wird. Aber was? In verschiedenen Wendungen kommt zur Sprache, dass es um das Ziel der Seligkeit geht (Joh. 5,34) oder das ewige Leben (Joh. 5,39). Und dies geschieht aus Glauben und Bekenntnis. Zu diesem Zweck sollen die Menschen „den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat.“ (Joh. 5,23) Damit ist eine harte Wahrheit ausgesprochen, die es auszuhalten gilt.
II - Die Wahrheit in Wort und Schrift
In der eigentlichen Predigtperikope aus Joh. 5,39-47 wird dieser „Stachel im Fleisch“ von dem Sohn seinem eigenen Volk vor Augen geführt. Jesus von Nazareth – so wie ihn das Johannesevangelium hier darstellt – geht in die Auseinandersetzung und Konfrontation. Über den historischen und authentischen Charakter dieser Verse lässt sich verständlicher Weise nichts aussagen – die You-Tuber und Blogger von heute waren mit ihren Smartphones leider nicht „live“ dabei und es findet sich auch nichts im Internet. So lassen sich die Verse, die eine schmerzvolle Auseinandersetzung wiederspiegeln, nur aus dem Kontext der Theologie des Johannesevangeliums verstehen.
Was aber hält Jesus – der Sohn – seinem eigenen Volk konkret vor? Die Theologie des Johannesevangeliums, in die die Worte eingebettet sind, weist hier eine gewisse Nähe zur Theologie des Apostel Paulus auf. (Röm 7) Beide kritisieren die ausschließliche Bezogenheit des Judentums auf das Gesetz der Tora und ihrem religiösen Gebrauch. Für Paulus und Johannes sucht das Judentum allein aus dem Halten der Gesetze und der Tora-Observanz das „ewige Leben“. Der Konflikt wird in V. 39 offenbar: „Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“ Das Johannesevangelium entstand in einer Zeit ab ca. 70 n. Chr. in einem eher hellenistischen, d.h. griechisch geprägten Kontext. Ganz offensichtlich ist das Evangelium von einer sehr ambivalenten Position gegenüber dem Judentum durchzogen. Wahrscheinlich wird es durchaus konfliktreiche Kontakte zu jüdischen Gemeinden gegeben haben, deren Reflex zum Teil im Text mitschwingt.
Liest man die Verse vor dem Hintergrund der auch aktuell in Israel sehr kontrovers geführten Diskussion um die sog. Ultra-Orthodoxen, dann haben diese Verse von vor 2000 Jahren nichts an ihrer Brisanz verloren. Vielmehr zeigen sie einen tiefen Riss im Judentum, der gegenwärtig wieder sehr lebendig ist. Dieser Riss macht die Schwierigkeit deutlich, wie in der modernen Gesellschaft die Religion gelebt werden soll und kann. Während die Ultra-Orthodoxen in Israel ihr gesamtes Leben dem Schriftstudium widmen, ihr Seelenheil im ausschließlichen Gebet finden und in ihrem Leben „jenseits“ der Gesellschaft soziale Unterstützung vom Staat Israel erhalten und so die Gesellschaft spalten, lehnen andere Teile der Gesellschaft dies als religiösen Fundamentalismus ab. Dieser religiöse Konflikt prägt die aktuelle Politik Israels und belastet auch den Dialog mit Palästina.
Diese Ausschließlichkeit der Heilssuche prangert im Bibeltext der Sohn an und verweist auf einen alternativen Umgang mit der Heiligen Schrift, denn dort wird ja gerade das lebendige Wort bezeugt, das der Sohn selber ist. Die Perspektive des Sohnes vermischt sich hier mit der Perspektive des Evangelisten Johannes. Und aus der Sicht des Evangelisten Johannes verweigern sich die Juden diesem lebendigen Wort. In V. 43 kommt dies unmissverständlich zur Sprache: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an.“
An dieser Stelle darf natürlich heute ein Wort zum Antijudaismus nicht fehlen. Ganz im Sinne des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1945 und den vielen Denkschriften seitdem zum Verhältnis von Christen und Juden muss klar gesagt werden: Es gibt eine Schuldgeschichte, in die auch Martin Luther mit seinen Schriften wider die Juden eingebettet ist. Es verbietet sich von der „Verstocktheit“ der Juden zu reden. Vielmehr bleiben Judentum und Christentum – und dann auch der Islam – unverbrüchlich miteinander verbunden. Sie sind aber auch unterschieden. Und dies betrifft vor allem die Deutung des Verhältnisses von Gott Vater und Sohn. Jeder Religion ist es aufgrund ihrer eigenen Tradition selber überlassen, die eigene Wahrheit zur Sprache zu bringen. Es ist die Freiheit der Religion sich jeweils zu den anderen Religionen zu verhalten und – wie dies der Text bezeugt – dann auch Elemente daraus abzulehnen. Es zählt zu den kleinen versteckten Wahrheiten dieses Textes, die in diesem Zusammenhang benannt werden können. In Vers 45-46 erwähnt der Predigttext Moses. Auf ihn beziehen sich alle drei semitischen Religionen und an ihm zeigen das Johannesevangelium wie wiederum der Apostel Paulus auf, was Glaube ist. Martin Luther hat sich in seinen Bibelauslegungen ebenfalls auf Moses bezogen und hat den Glauben als „fides“ – als Vertrauen – beschrieben. Moses vertraute der Verheißung und sie wurde erfüllt. Nicht die Übergabe der Gesetzestafeln wie im 2. Buch Genesis beschrieben allein begründet für Luther den Glauben, sondern das Vertrauen auf die Verheißung, die aus christlicher Sicht in der Offenbarung Mensch geworden ist. Nichts anderes betont auch der Text aus dem Johannesevangelium, aber es ist das Recht und die Freiheit des Judentums dies anders zu sehen.
III - „bezeugen“ in der Welt der vielen Wahrheiten
Viel wird in diesen Tagen und Wochen von der religiösen Indifferenz unserer Gesellschaft gesprochen und davon, dass die Kirchen in Deutschland weiter schrumpfen werden. Mittlerweile ist es wohl schon die Mehrheit in der Gesellschaft, die die Wahrheit, von der in diesem Text die Rede ist, nicht hören will. Ja, sogar noch drastischer: diese Wahrheit interessiert nur noch einen kleineren Teil der Menschen – die Mehrheit weiß eigentlich gar nicht mehr wovon die Rede ist. Hart klingt da der Satz des Bibeltextes: „Ihr nehmt mich nicht an“. (Joh. 5,43)
Was soll man da machen? Kinder haben bei solchen Gelegenheiten noch unverbaute Möglichkeiten ihres Kindseins, wenn sie nicht gehört werden: Schreien, toben, rumbrüllen. Erwachsene wechseln dann lieber die Methode durch gutes Zureden oder versuchen Überzeugungsarbeit zu leisten in der Hoffnung, dass die eigene Wahrheit von den Anderen dann doch noch gehört wird. Die Skeptiker würden einfach ihre Sachen einpacken und still den Saal durch die Hintertür verlassen und die ewig Naiven bauen Leuchttürmchen im Sand und wollen trotzig Wachsen gegen den Trend.
Was rät der Bibeltext? Er argumentiert mit einer Logik durch die Hintertür. Die Position des „Nicht-glaubens“ wird ernst genommen. Es geht nicht darum diese Haltung zu verurteilen. Der Bibeltext spricht davon, dass der Sohn das Volk Israel nicht vor dem Vater verklagen wird (Joh. 5,45). Gleichzeitig verweist das Evangelium hier erneut auf Moses. Die Argumentation – diesmal wieder in der Deutung des Evangelisten Johannes – wird geschickt aufgebaut, denn wieder wird der Glaube des Moses als Vorbild genommen. Die Schriften bezeugen in gleicher Weise Moses und den Sohn. Wer also dem nicht glaubt, was in den Schriften steht, der kann auch nicht den Worten des Sohnes glauben. (Joh. 5,47)
Eine positive Wendung strebt dieser Bibeltext in Joh. 5,39-47 in sich selbst nicht an. Dafür muss der Interpret wieder zurückgreifen auf den Kontext des Textes. Die Kernbotschaft des Johannesevangeliums bildet der Zusammenhang von „Glauben und Verstehen“ (Rudolf Bultmann). Wer das Wort hört und der Botschaft vor der Offenbarung glaubt, der hat verstanden, welche Bedeutung in ihm steckt. (Joh. 3,16) Allerdings: In der heutigen pluralen Welt gibt es viele heilsversprechende Worte, die miteinander konkurrieren. Wer seine eigene Wahrheit bezeugt, der hat das Recht dazu. Aber er muss es in Anerkennung von Toleranz und Gleichheit unter Absehung eines Absolutheitsanspruches tun. Mit Recht gilt: Die Religion ist Privatsache und eines ist gewiss: an irgendeine Wahrheit glaubt jeder!
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Kaffeepause mit Gott - Predigt zu Johannes 14,15 von Berenike Brehm
I Seit Jörg sie vor drei Jahren verlassen hat, dreht sich in Ilses Leben unaufhörlich ein Karussell voller Probleme. Gerade hat es wieder richtig an Fahrt aufgenommen: Ilses Vater Werner hat vor zwei Wochen einen Herzinfarkt erlitten, kurz darauf hat ihr Jana, ihre Große den neuen Freund vorgestellt und gestern kam dann Clara auch noch mit der nächsten Fünf in Mathe heim. Ilse weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Sie macht sich Sorgen. Claras Noten in der Schule werden immer schlechter. Wenn sie so weitermacht, muss sie von der Realschule runter. Wird Clara dann jemals einen guten Job finden? Es ist doch eh schon schwer genug auf dem Arbeitsmarkt…
Und was will Jana mit diesem Hassan? Einem Araber, der erst seit fünf Jahren hier in Deutschland wohnt! Kann das was überhaupt was werden? Hassan kann zwar gut deutsch und ist auch Christ, aber diese arabischen Männer haben doch so andere Vorstellungen von Familie. Hoffentlich unterdrückt er ihre Tochter dann nicht. Ilse hat schon so viel Schlimmes über solche Beziehungen gehört. Und übermorgen steht auch noch Werners Beipass-Operation an. Hoffentlich versauen es die Ärzte nicht, denkt Ilse. Sie hat Angst. Mit zittrigen Händen gießt sie sich einen Kaffee ein.
II Während sie ihren Kaffee trinkt, fällt Ilses Blick in Richtung Kühlschrank. „Suche Frieden und jage ihm nach“, steht da auf einer Karte zur Jahreslosung. Sie seufzt: „Ja, Frieden, das wär was!“. Hatte davon nicht auch neulich die Pfarrerin letztens beim Abendmahl gesprochen? Da gab es doch dieses Abschlusswort, dass Jesus einem Frieden gibt. Ilse nimmt ihr Smartphone und googelt mit den Wortfetzen, die sie noch weiß, nach der Bibelstelle. Und in der Tat wird sie fündig. In Johannes 14 steht, was sie gesucht hat. Ilse liest: »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote befolgen. Dann werde ich den Vater um etwas bitten: Er wird euch an meiner Stelle einen anderen Beistand geben, einen, der für immer bei euch bleibt. Das ist der Geist der Wahrheit. Diese Welt kann ihn nicht empfangen, denn sie sieht ihn nicht und erkennt ihn nicht. Aber ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch gegenwärtig sein.
Ich lasse euch nicht wie Waisenkinder allein. Ich komme wieder zu euch. Es dauert nur noch kurze Zeit, dann wird diese Welt mich nicht mehr sehen. Aber ihr werdet mich sehen, denn ich lebe. Und ihr werdet auch leben. Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten. Mein Vater wird ihn lieben. Und wir werden zu ihm kommen und immer in ihm gegenwärtig sein. Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richten. Und dabei stammt das Wort, das ihr hört, nicht von mir selbst. Es stammt vom Vater, der mich beauftragt hat. Ich habe euch das gesagt, solange ich noch bei euch bin. Der Vater wird euch den Beistand schicken, der an meine Stelle tritt: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe. Zum Abschied schenke ich euch Frieden: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch keinen Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und fürchtet euch nicht.
III „Fürchtet auch nicht“, klingt es in Ilses Kopf nach. „Leichter gesagt als getan“, denkt sie. Doch spürt sie auch Kraft, die in diesen Worten liegt. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. Ja, danach sehnt Ilse sich. Aber geht das überhaupt, sich keine Sorgen zu machen? Es ist ja wirklich alles so schwer und viel gerade. Die Sorgen kommen völlig ungefragt in ihrem Kopf. Ilse jedenfalls hat sie nicht um Besuch gebeten. Sie ist ja nicht freiwillig in dieses Karussell voller Probleme gestiegen. Da wurde sie einfach so hineingezogen. Aber wie kann sie nun wieder da rauskommen?
Ilse schaut nochmal auf die Worte. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. Das bringt etwas in ihr zum Klingen. Auf einmal huscht ein ganz neuer Gedanke durch ihren Kopf: „Die Dinge ändern sich nicht, wenn ich mir Sorgen mache. Clara wird deswegen keine bessere Schülerin, Jana wird sich nicht von Hassan trennen, und die OP von Werner muss nun einmal sein. Er braucht sie ja. Und es liegt auch ganz viel Hoffnung in der OP.“ Ilse fasst einen Entschluss: „Ich sage meinem Vater einfach, dass ich Angst um ihn habe. Und dann bete ich mit ihm und gebe ihm meinen Glücksengel mit ins Krankenhaus.“
Kaum ist der Entschluss gefasst, ist Ilse als wäre ein großer Stein von ihrem Herzen gepurzelt. Als drehe sich das Karussell ihrer Probleme schon viel langsamer. Das gibt Ilse Kraft über Clara nachzudenken. „Ein gutes Gespräch anstatt sich immer nur anzubrüllen“ denkt Ilse, „sicherlich finden wir dann gemeinsam auch Stärken von Clara. Mit Tieren kann sie doch echt gut.“ Sofort fasst Ilse den nächsten Entschluss: „Wenn Clara heute Mittag von der Schule kommt, werde ich sie fragen, ob wir mal gemeinsam einen Hund im Tierheim ausführen wollen.“ Und während sie das noch denkt, wird ihr Problemkarussell noch ein gutes Stück langsamer. Ilse kann schon fast nebenherlaufen. Beflügelt denkt sie weiter nach. Auf ihrer inneren Liste fehlen nur noch Jana und Hassan. „Ich sollte Hassan mal richtig kennenlernen“, denkt Ilse. Und da kommt ihr auch schon eine Idee wie: „Ich werde Jana und Hassan Freitagabend zum Essen einladen. Wenn Hassan will, kann er seine Familie mitbringen. Ich war doch mal in diesem Kochkurs mit den Flüchtlingen, da wird ich sicher noch Rezepte finden.“
IV Ilse nimmt den letzten Schluck Kaffee und bemerkt, wie das Problemkarussell in ihrem Kopf auf einmal stehen geblieben ist. Dafür hängt an einer seiner Streben nun eine große, gut lesbare Liste: 1. Mit Papa beten und ihm meinen Engel mitgeben 2. Mit Clara nach Tieren im Tierheim sehen 3. Hassan mit seiner Familie zum Essen einladen. Ilse betrachtet die Liste. Sie gefällt ihr. Doch kommt ihr auch ein leiser Zweifel: Was, wenn der Sturm des Lebens die Liste vom Karussell abreißt und das Problemkarussell wieder in Gang bringt? „Ich brauche Hilfe“, denkt Ilse. „Damit ich bei meiner Liste bleibe, und nicht aufgebe“. Ilses blickt wieder zu dem Bibeltext auf ihrem Smartphone. Sich nicht fürchten. Frieden haben. Beistand erfahren. „Da bin ich doch schon weit gekommen“, denkt sie. „Die Furcht ist jedenfalls weg. Sogar Frieden spüre ich gerade in mir. Aber der Beistand fehlt mir noch.“ Es erleichtert Ilse zwar zu wissen, dass Gott ihr beisteht. Und doch hätte sie gerne auch einen menschlichen Beistand. Jemand, der nachfragt, ob denn ihre Liste noch am stehenden Karussell hängt, ob Ilse noch dabei ist, die Liste abzuarbeiten. Oder ob das Problemkarussell sie wieder mitgerissen hat.
Ilse drückt auf das Telefonsymbol ihres Handys und dann auf Cornelias Nummer. Allzu oft haben die beiden nicht Kontakt, aber sie stehen sich immer bei. Gerade in den schweren Zeiten. „Klar“, sagt Cornelia auch gleich, als Ilse ihr von dem Karussell und der Liste erzählt hat, „ich rufe dich einfach nächste Woche an und frage, wie viele Haken du schon an deine Liste gesetzt hast.“ „Danke“, sagt Ilse und verabschiedet sich. Dann steht sie auf. In der Diele nimmt sie den Glücksengel vom Regal und geht auf Vater Werners Zimmer zu. Ohne Furcht. Ganz im Frieden. Mit Beistand von Gott und von Cornelia. Das fühlt sich richtig gut an. So ganz anders wie noch vor der Kaffeepause in der Küche. Ilse ergänzt ihre Liste schnell um einen weiteren Punkt: 4. Mehr Kaffeepausen mit Gott. Dann klopft Ilse an Werners Zimmer. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe die Inselgemeinde auf Juist vor Augen, die in jedem Gottesdienst anders zu-sammengesetzt ist aus Gästen und Insulanerinnen und Insulanern. Die Gemeinde hat das Mosaik, das in der Predigt eine tragende Rolle spielt, an der Altarwand vor sich. Der Kunstlehrer, der das Bild mit Schülerinnen und Schülern erarbeitet hat, wäre in diesem Jahr 111 Jahre alt geworden, und am 12. Juli 1964 wurde in der erst halbfertigen Kirche der erste Gottesdienst gefeiert.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat besonders der Gedanke beschäftigt, dass die Distanz zwischen Boot und Festland nicht nur praktische sondern auch inhaltliche Gründe haben könnte und die daraus resultierende Freiheit in der Begegnung mit Christus.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich möchte weiter über das Geheimnisvolle im Prozess der Entstehung oder Entde-ckung von Glauben nachdenken. Welche Möglichkeiten haben wir als Kirche /Gemeinde, in alles Freiheit Räume, Geschichten, Erfahrungen zur Verfügung zu stel-len, die hilfreich sein können?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Neben den sehr hilfreichen Beobachtungen des Coaches fand ich es hilfreich, den Text der Predigt wiederholt laut zu lesen. Ich habe dabei etliche sprachliche Dubletten ent-deckt und verändert, aber auch einzelne Worte und Formulierungen immer wieder ausgetauscht, um auszuprobieren, was im Moment für mich stimmiger erscheint.