Predigt zu Psalm 73,28 von Andreas Pawlas

Predigt zu Psalm 73,28 von Andreas Pawlas
73,28

„Gott nahe zu sein ist mein Glück!“ 

Liebe Gemeinde!

„Glück“ ist wirklich das entscheidende Stichwort zum Jahresanfang! Denn zum Beginn des Neuen Jahres beschäftigt die Menschen ganz intensiv, ob das Neue Jahr nun Glück bringen wird – oder schlimmer Weise etwa nicht. Aber wie sollte dazu nun die neue Jahreslosung passen „Gott nahe zu sein ist mein Glück“? Denn auf den ersten Blick scheint das wieder einmal nur ein sehr spezielles Wort für einen kleinen Kreis hoch engagierter Christenmenschen zu sein. Aber unter uns normalen Menschen da ist man doch viel zu sehr mit den ganz irdisch erkennbaren Anzeichen oder Zeichen für das Glück im Neuen Jahr beschäftigt. Davon zeugen nur zu deutlich die ganzen Schornsteinfeger und Glücksschweinchen in den Geschäften. Und entsprechend schenkt man sich auch gern vierblättrige Kleeblätter als Symbole für das Glück, das man sich und anderen nun einmal zum Jahresanfang und für das ganze Jahr wünschen möchte. Und bitte, wer wollte sich denn davon ausschließen, anderen derart Glück zu wünschen! Nein, das ist doch ganz selbstverständlich!

Aber einen Moment! Nüchtern gesehen müsste das doch eigentlich überraschen, dass man einander so zum Jahresanfang Glück wünscht. Denn irgendwie kann das gar nicht in unser modernes Zeitalter gehören. Denn was predigen etwa Euch jungen Leuten die internationalen PISA-Experten? Ihr müsst gefälligst in der Schule tüchtig sein, damit alles gut wird. Und gibt es dabei auch nur einen, der da von irgendeinem Glück spricht, das man haben sollte oder könnte? Nein, ganz offenkundig wird unterstellt, dass man alle großen Ziele dieser Welt durch tüchtiges Lesen und Rechnen usw. erreichen könnte. Denn wozu würde man sich sonst die große Mühe machen, diese ganzen sorgfältigen Maßstäbe für Lese- und Rechenfähigkeit zu entwickeln? Und so mühen sich um Euch über alle Maßen, damit Ihr tüchtig lernt nicht nur Eure Lehrer, sondern Eure Eltern, eben weil ihnen das Glück von Euch Kindern wirklich am Herzen liegt. Aber trotzdem wünscht man sich zum Jahresanfang „Viel Glück!“

Und natürlich wünscht man einander auch in den Betrieben und Verwaltungen zum Jahresanfang Glück! Allerdings, warum denn nur? Denn das Marketingkonzept und der Produktionsplan für 2014 stehen doch schon lange fest. Auch sind die Haushalte der Städte und Kommunen in der Regel schon längst beschlossen. Und das heißt doch, dass man sich damit verbindlich festgelegt hat, was man in 2014 alles machen will. Und jeder weiß auch, dass das auch so sein muss, dass man sich so festlegt, denn sonst kommt das Chaos. Also noch einmal, wozu dann am Jahresanfang das aufmunternde „Viel Glück!“?

Und wozu wünscht man sich auch in der Familie Glück zum Neuen Jahr? Denn auch dort steht doch alles fest: Die Berufstätigkeit von Mutter und Vater, die schulische Laufbahn der Kinder und dass Oma immer älter wird, das ist doch ganz normal? Wozu also zum Jahresanfang der Wunsch „Viel Glück!“?

So richtig hat mir das bisher noch keiner sagen können. Oder - muss man das wohl auch gar nicht sagen, weil dabei irgendwie und in aller Selbstverständlichkeit ein Wissen mitschwingt, das man nicht gewohnt ist, laut auszusprechen und das meist lieber für sich behält? Was das sein sollte? Nein, bestimmt nichts Originelles. Aber ganz gewiss etwas, was die Menschheit seit Anbeginn schon immer wusste. Nämlich, dass wir unser Geschick eigentlich nicht in unserer eigenen Hand haben. Nämlich, dass wir als menschliche Wesen genauso wie die Tiere und Pflanzen und alle Kreatur letztlich von Mächten und Kräften abhängig sind, die nicht unsere eigenen sind. Gewiss, wir wollen und müssen viel in unserem Leben und in dem Leben unserer Umwelt auf den Weg bringen und gestalten, aber ob das alles wirklich so wird, wie wir uns das einmal ausgedacht haben, so glücklich und so gut, wie wir uns das einmal vorgestellt haben das ist offensichtlich nicht in unserer Hand.

Wie viele Beispiele bekommen wir da laufend frei Haus geliefert! Denn so mancher sagt etwa: Das war schon immer mein Traum, ein eigenes Haus zu bauen. Und jetzt habe ich das Glück, es endlich geschafft zu haben. Jedoch, was nützt mir das wirklich, wenn mir dabei die Ehe zerbricht und ich in dem schönen Haus allein sitze? Oder: Ich wollte schon immer Kinder haben. Das war mein Traum. Und jetzt habe ich das Glück, Kinder zu haben. Aber was passiert? Es gibt entsetzlicher Weise nur Zank und Streit. Oder: Ich wollte schon immer gut verdienen und in meinem Beruf ganz oben sein. Und nun habe ich das Glück, genau da zu sein und Geld spielt keine Rolle. Aber was muss ich mit einem Male merken? Doch, wie mir die Aufsichtsräte und die Steuerbehörden wie die Teufel im Nacken sitzen und wie die Mitarbeiter mich verfluchen.

Nein, so habe ich mir mein Glück bestimmt nicht vorgestellt. Nein, so sollte mein Glück bestimmt nicht sein! Aber wie soll es dann sein? Wie sollte denn mein Glück sein, damit ich mich wirklich glücklich fühle und mich auch wirklich auf das Neue Jahr freuen kann?

Nun wissen wir alle, was für eine Fülle von Angeboten es da in der heutigen Zeit gibt. Und wir wissen auch, wie uns hier die Werbung in Radio, Fernsehen, Internet mit großem Geschick bewusst oder unbewusst lockt und wie sie verspricht, uns wirklich, wirklich glücklich zu machen. Und wie das gehen soll? Dazu müssen wir doch nur eine Kleinigkeit tun, nämlich z.B. das richtige Auto, die richtige Zahnpasta, die richtige Pizza oder das richtige Urlaubsticket kaufen, ja dann, dann haben wir das wahre Glück gefunden, einfach das Paradies! So oder so ähnlich wird es uns tagtäglich in buntesten Farben und einschmeichelnden Tönen nahe gebracht.

Nun bestimmt nichts gegen Autos, Zahnpasta Pizza und Urlaub, das kann alles sehr schön sein, aber kann das das wahre Glück sein, aber kann das das wahre Paradies sein?

Trotz raffiniertester Werbung ist uns allen bewusst oder unbewusst klar, dass das nicht stimmt. Trotz raffiniertester Werbung ist uns allen klar, dass unser „wahres Leben“ anders ist. Viel zu groß sind unsere eigenen Dauerprobleme und das Elend der Welt!

Allerdings haben uns die Sätze der Werbung unbeabsichtigt auf eine Spur gebracht. Denn es sind wirklich gute Gründe, weshalb die Werbung die gerade benutzten Ausdrücke verwendet, um etwas am höchsten zu preisen. Sie benutzt ganz bewusst solche Ausdrücke, dass es etwa ein (Betten-, Back- oder Spielzeug-) „Paradies“ sei, oder dass etwas „himmlisch“ schmecke, oder etwas einfach „göttlich“ sei. Offensichtlich benutzt die Werbung hier ganz geschickt etwas, was im Gedächtnis der Menschheit schon immer so verstanden wurde, nämlich, dass das Beste und Schönste etwas ist, was letztlich - von Gott her kommt. Dass eben alles Glück im Himmel und auf Erden letztlich von Gott her kommt! Dass eben das, was unaussprechlich schön und unvorstellbar herrlich ist, letztlich von Gott her kommt!

Genau darum muss ich mir, wenn ich mir das Beste und Schönste wünschen will, oder wenn ich meinen Lieben das Beste und Schönste wünschen will mit allem Glück im Himmel und auf Erden, eben das wünschen, was von Gott her kommt! Und darum muss sie auch einfach richtig sein, diese Jahreslosung 2014 „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“. Denn das wusste die Menschheit schon immer: Es gibt eben nichts Besseres nichts Schöneres und nichts Erfüllenderes als in der Nähe Gottes zu sein, von seiner Gegenwart umschlossen zu sein und in ihr zu versinken.

Aber wenn die Menschheit das schon immer wusste, wie kann ich das nun heutzutage erreichen? Was müsste ich denn konkret tun, damit ich so das Beste und Schönste und alles Glück im Himmel und auf Erden erreiche?

Ja, so fragen wir Menschen heutzutage. Denn jedermann ist es völlig selbstverständlich, dass man für dieses großartige Glück etwas tun muss, und das nicht zu wenig, oder zumindest muss man sehr sehr viel dafür bezahlen. So denken wir uns das eben.

Aber genau das ist viel zu kleinkariert gedacht. Denn Gott, von dem das Glück kommt und in dessen Nähe das Glück erfahren wird, der hat da ganz anderes für uns vorgesehen. Und vielleicht hat der eine oder andere davon schon etwas in den letzten Tagen spüren dürfen – nämlich zur Weihnachtszeit! Und genau die ist nämlich ein Zeichen dafür! Denn dafür, dass Gott uns als Kind in der Krippe nahe sein will, was hätten wir denn dafür tun können? Doch wirklich gar nichts! Wie hätten wir das kaufen können? Niemals! Nein, so ist alles ganz anders! Denn Gott will sich uns mit allen unseren verdrehten Erwartungen, trotz aller üblen Erfahrungen, trotz Leid, Schuld und Unvollkommenheit einfach zur Hl. Nacht schenken! Er will uns, so wie wir sind, als Menschen nahe sein und uns Heil und Lebenserfüllung schenken! Und das ist wirklich unglaublich!!

Denn was würde das nicht alles für uns bedeuten können, wenn wir auch im Neuen Jahr genau das von ihm erwarten dürften, nämlich dass der Gott, von dem das Glück kommt und in dessen Nähe das Glück erfahren wird, dieses Glück uns einfach nur schenken wollte, ja, dass er sogar Größeres, Schöneres, einfach Glücklicheres für uns vorgesehen hat, als wir uns mit unserem begrenzten menschlichen Verstand vorstellen können?

Auf jeden Fall wäre das eine unglaubliche Aussicht für das Neue Jahr! Auf jeden Fall wäre das eine Aussicht, die Mut machen, die einen anspornen und mitreißen könnte – und einen gleichzeitig dazu bringen könnte, auch anderen Mut zu machen, andere anzuspornen, zu trösten und anderen beizustehen!

Ja, was wäre das für eine Perspektive für das Neue Jahr: Eben nicht nur sich und anderen Glück wünschen, sondern aus dem Glück leben, das unser Gott uns um Christi willen schenken will, ob wir es nun verstehen oder nicht, ob wir noch eine gewisse Zeit Leiden und Fragen haben oder auch nicht! Aus dieser Perspektive eben nicht sorgenvoll verkrampft dem Glück nachjagen, und andere dabei zurückstoßen und benachteiligen, sondern tief dankbar darin leben, bei Gott das eigentliche Glück gefunden haben und deshalb das Glück anderen weitergeben und mit ihnen teilen! So soll es doch sein im Reich Gottes!

Ja, was wäre das für ein Neues Jahr, wenn davon auch nur ein Abglanz für uns erkennbar, fühlbar, schmeckbar wäre! Aber genau so steht es eben über dem Neuen Jahr als Verheißung für einen jeden von uns! „Gott nahe zu sein ist mein Glück!“ Und wer’s glaubt wird selig! Gott sei Dank! Amen.

 

Perikope
01.01.2014
73,28

Gedanken zur Jahreslosung 2014 und zur künstlerischen Umsetzung von Friedhelm Welge

Gedanken zur Jahreslosung 2014 und zur künstlerischen Umsetzung von Friedhelm Welge
73,28

Gedanken zur Jahreslosung 2014 und zur künstlerischen Umsetzung von Friedhelm Welge (siehe unten "Downloads")

„Gott nahe zu sein ist mein Glück.“ (Psalm 73, 28)

Jetzt hat er also auch die Kirchen ergriffen, der Glückswahn. Glück ist in den letzten Jahrzehnten vermutlich das Wort mit der steilsten Karriere. Fand es sich früher vor allem in Neujahrswünschen, Geburtstagskanons und Poesiealbumversen, so kommt uns das Glücksversprechen heute auf den Titeln unzähliger Ratgeber und in den Werbeslogans für alle nur erdenklichen Produkte entgegen. Sogar ein Schulfach „Glück“ gibt es seit einigen Jahren. Und jetzt begegnet uns das Glück also auch in der Jahreslosung 2014. Soweit ich mich erinnern kann, wird bei der Jahreslosung zum ersten Mal die Einheitsübersetzung zugrunde gelegt und nicht die Lutherübersetzung, die lautet: Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte … Die Einheitsübersetzung wird aber auch nicht vollständig zitiert: Das Ich aber, mit dem der Vers dort beginnt, ist weggefallen. Übrig geblieben ist ein geglätteter, sprachlich leicht verständlicher und wohlklingender Satz, der in jeden Glückskeks passen würde. Er lässt nichts mehr erahnen von den Abgründen des Beters oder der Beterin von Psalm 73. Die Losung suggeriert: Glauben macht glücklich. Aber stimmt das denn?

Wenn wir den ganzen Psalm 73 lesen, dann wird dort gerade das Gegenteil beschrieben. Der Psalm beginnt mit einem Bekenntnis, das unmittelbar erkennen lässt, dass es aus dem Prozess einer heftigen inneren Auseinandersetzung, aus einer Krise oder religiös gesprochen aus der Anfechtung hervorgeht: Dennoch - gut für Israel ist Gott, für die die reinen Herzens sind. (eigene wörtliche Übersetzung) Es mag anders aussehen, es mag sich nicht immer gut anfühlen, es mag der Erfahrung nicht immer zugänglich sein, aber: Dennoch - gut für Israel ist Gott, für die die reinen Herzens sind. Das ist der Glaube, in dem der Psalmbeter namens Asaph, erzogen wurde. Das ist der Glaube seines Volkes. In Vers 73, 2 wird dieser kollektive Glaube dann kontrastiert mit der persönlichen Erfahrung des einzelnen Beters: Ich aber… Was ist mit mir? Welche Bedeutung hat dieses Bekenntnis für mein Leben und Denken? Ist das auch meine Glaubenserfahrung?

Im folgenden Abschnitt des Psalms erzählt dieses Ich dann von einer tiefen Lebens- und Gotteskrise sowie von seinem Weg aus dieser Krise.[1] Der Grund der Verzweiflung war die Erfahrung, dass es in der Welt genau umgekehrt zugeht als es der Glaube des Volkes Israel erhofft: Nicht die, die reinen Herzens sind haben es gut, sondern die die auf Gott und die Moral pfeifen. Das unverdiente Glück der Gottlosen und Frevler inspiriert den Beter zu einer Art Poesie des Bösen, der man seine ohnmächtige Wut abspürt. Ich zitiere die Einheitsübersetzung, aus der die Jahreslosung stammt:

4 Sie leiden ja keine Qualen, / ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. 5 Sie kennen nicht die Mühsal der Sterblichen, / sind nicht geplagt wie andere Menschen. 6 Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, / wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. 7 Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, / ihr Herz läuft über von bösen Plänen. 8 Sie höhnen, und was sie sagen, ist schlecht; / sie sind falsch und reden von oben herab. 9 Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf / und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. 10 Darum wendet sich das Volk ihnen zu / und schlürft ihre Worte in vollen Zügen. 11 Sie sagen: «Wie sollte Gott das merken? / Wie kann der Höchste das wissen?» 12 Wahrhaftig, so sind die Frevler: / Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum.

Wie kann es sein, dass die Hochmütigen mit Gesundheit gesegnet werden, dass Betrug und Gewalt mit Reichtum belohnt werden und dass den Großmäulern gebratene Tauben in den Mund fliegen und das Volk an ihren Lippen hängt, während die Unschuldigen an ihrer täglichen Plackerei fast irre werden? Es gibt genug Menschen in Deutschland, die Anlass haben, so zu fragen, und es sind unermesslich viele, wenn wir die ungerechte Verteilung von Reichtum weltweit in den Blick nehmen. Den Armen in Bangladesch oder Äthiopien müssen wir Europäer vorkommen wie diejenigen, die vor Fett kaum aus den Augen schauen können und deren aufgerissene Mäuler die Weltpolitik beherrschen.

Der Beter des Psalms beschreibt sich selbst als jemand, der sich stets um ein reines Herz und unschuldige Hände bemüht hat (V. 13), aber jeden Tag als Plage und jeden Morgen als Strafe empfindet (V. 14). Neid und Verbitterung bohren sich so in seine Eingeweide, dass er fast den Verstand verliert. Er fühlt sich seiner Menschenwürde beraubt wie ein Stück Vieh (V. 22). Aber als er in die Versuchung gerät, es den Übeltätern einfach gleich zu tun und ein ebenso rücksichtslosen Leben zu führen wie sie, wird er vom Glauben seines Volkes zurück gehalten. Es ist ihm unmöglich, an dem Verrat zu üben, was in Israel von Generation zu Generation weiter gegeben wurde (V. 15). Ein radikaler Individualismus, ein praktischer Atheismus oder eine Flucht in den Zynismus sind dem Beter nicht möglich. Aber er findet aus eigener Kraft auch keine befriedigende Antwort auf seine drängenden Fragen (V. 16).

Die noch unvollendete Skulptur von Friedhelm Welge (Datei und Bestellhinweis siehe unten "Downloads") fängt diesen Moment der ungelösten quälenden Fragen ein. Sie heißt „Der Turm der Gefährten“. Auf der für uns sichtbaren Seite ist die zentrale Figur der Nachdenkliche oder Zweifelnde. Er umfasst mit einer überproportional großen Hand sein Kinn und sieht ganz und gar nicht glücklich aus. Mehrere in Stein gehauene Gestalten sind um ihn herum und deuten Antwortmöglichkeiten auf die Frage nach Gott und die Sehnsucht nach dem Glück an.

Ganz oben rechts ist ein über den Dingen stehender Kopf abgebildet. Sein Gesichtsausdruck ist neutral, unbewegt von den Problemen und Fragen seiner Zeit. Dieses Gesicht scheint uns zu fragen: Warum lässt du auch alles Leid der Welt immer so nahe an dich heran? Warum bist du derart sensibel? Hast du noch nicht verstanden, dass die Welt ist wie sie ist? Sein Ratschlag für unser Leben könnte sein: Bleibe distanziert und mach dir keine Illusionen – das ist der Weg zu mehr Ausgeglichenheit und zu mehr Zufriedenheit.

Rechts neben dem Zweifler ist eine Gestalt zu erkennen, die an einen Moai von der Osterinsel erinnert. Friedhelm Welge hat sich lange mit diesen über lebensgroßen Skulpturen beschäftigt. Sie wecken eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und scheinen in ein Leben nach dem Tod zu weisen. Könnte das eine Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit sein? Vielleicht wird die Ungerechtigkeit der Welt ja im nächsten Leben ausgeglichen.

Ganz unten ist eine Liebesszene zu erkennen. Ein Mann und eine Frau sitzen bzw. liegen auf dem Boden und nähern sich einer Umarmung. Sie symbolisieren die von den meisten Menschen gegebene Antwort auf die Frage nach einem glücklichen Leben: das Glück finden wir in der Liebe und am intensivsten erfahren wir es in der sexuellen Liebe. Vielleicht ist die Ungerechtigkeit der Welt am besten zu ertragen, wenn man sich an seinem privaten Glück erfreut! Aber dieses Glück ist zerbrechlich. Das liebende Paar bildet in der Skulptur eine Art Dreiecksbeziehung mit einer daneben stehenden Gestalt. Man weiß nicht recht, ist sie Mann oder Frau, aber die stehende Person ist dem Paar sehr nahe: der sitzende Mann lehnt sich an das Bein der stehenden Gestalt. Der Stehende wirkt wie ein Ausgeschlossener aus der Intimität des Paares. Was ist mit seinem Glück? 

Die stehende Person hat Kontakt zu zwei unbehauenen Flächen im weißen Marmor. Unter ihren Füßen ist mit Bleistift die Möglichkeit einer Treppe angedeutet, vielleicht sind es aber auch Schienen, auf denen das Leben in vorgefertigten Bahnen verläuft. Der Blick der stehenden Person richtet sich auf die noch freie Fläche in der Mitte der Skulptur. Sie wurde in der künstlerischen Umsetzung für die Jahreslosung 2014 zur Projektionsfläche von Euromünzen. Dadurch nimmt die Skulptur den Zusammenhang von Glück und Geld auf, der auch in Psalm 73 hergestellt wird: Wahrhaftig, so sind die Frevler: / Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. (V. 12) Geht es im Wesentlichen also doch nur darum, ums Geld? Wären alle glücklich und zufrieden, wenn sie reich wären? Wenn selbst ein Künstler mit der Möglichkeit spielt, sich das Geld zum Gefährten zu erwählen, ist dann nicht jeder und alles käuflich?

Unter den abgebildeten Euromünzen fällt die italienische 1-Euro-Münze mit dem „vitruvianischen Menschen“ von Leonardo da Vínci besonders auf: ein Mensch mit Idealmaßen in einem Kreis und einem Quadrat, den Grundelementen des Gestaltens. Wird nun, nachdem der Mensch lange Zeit das Maß aller Dinge war, das Geld zum Maß des Menschen? Der Psalm 73 und die Gesamtkomposition der künstlerischen Umsetzung der Jahreslosung weisen uns einen anderen Weg.

Im Psalm kommt es zu einer Wende in der intellektuellen und religiösen Krise des Beters, indem er ins Heiligtum Gottes eintritt (V. 17). Hier kommt es zu einer Begegnung mit Gott, der ihm eine neue Sichtweise auf die Welt ermöglicht. Der Beter begreift plötzlich, dass das Glück eines menschlichen Lebens erst von seinem Ende her bemessen werden kann und dass es am Ende darauf ankommt, wie Gott das Leben eines Menschen beurteilt: Erst dann entscheidet sich, ob ein Leben Bestand hat oder ob es wie ein unangenehmes Traumbild verscheucht und vergessen wird.

Also doch eine Vertröstung auf die ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits? Der Psalm rechnet sowohl mit der Möglichkeit einer ausgleichenden Gerechtigkeit noch in diesem Leben, z.B. durch einen schrecklichen Tod des Gottlosen, als auch mit einem Leben nach dem Tod. Viel wichtiger aber als eine intellektuell befriedigende Lösung des Problems der Ungerechtigkeit ist für den Beter aber die Erfahrung, von Gott an der Hand gehalten zu werden: Du hältst mich an meiner Rechten. (V. 23b)  Es ist letztlich dieses sinnlich spürbare Nahekommen Gottes, das die aufwühlenden Fragen des Beters zur Ruhe bringt. Die beruhigende Wirkung eine Händedrucks hat jeder Mensch schon erfahren. Plötzlich fühlt man sich weniger verloren, weniger allein, in Sicherheit, zum Weitergehen ermutigt. Der wohltuende Händedruck Gottes, den der Beter erlebt, stärkt in ihm die Hoffnung auf ein gutes Ende: Du leitest mich nach deinem Ratschluss und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit. (V. 24) Es ist das sinnlich erfahrbare Handeln Gottes, das im Psalm die Wende bewirkt und den Beter im letzten Vers sagen lässt: Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück. In einer wörtlichen Übersetzung dieses Verses wird deutlich, dass der letzte Vers des Psalms in doppelter Weise an seinen Anfang anknüpft: Ich aber – Gottes Nahen ist gut für mich. Am Anfang des Psalms wurde die Glaubensüberzeugung, dass Gott gut für das Volk Israel ist, kontrastiert mit dem Zweifel des betenden Ichs: Ich aber – fast wären meine Füße gestrauchelt, beinahe wäre ich gefallen. (V. 2) Am Ende des Psalms wird beides zusammengeführt – der Beter kann sich wieder mit dem Glauben seines Volkes identifizieren und bekennen: Gott ist auch gut für mich! Der Glaube seiner Gemeinschaft hat ihn davor bewahrt, sich von Gott abzuwenden, und Gott selbst hat den Beter mit einem Händedruck davon überzeugt, dass die Begegnung mit Gott dem Menschen gut tut.

In der bildlichen Umsetzung der Jahreslosung wird das Nahekommen Gottes durch einen Regenbogen symbolisiert. Durch eigenes Nachdenken fand der Beter sein Glück nicht, aber die Zeichen, die Gott uns sendet, können uns auf beglückende Weise erfahren lassen, dass wir von Gott durchs Leben geführt werden. Wir haben es nicht in der Hand, wann wir den Händedruck Gottes spüren oder das wann das Zeichen des Regenbogens am Himmel erscheint. Wir können das Nahen Gottes nicht bewirken. Aber wir können selbst Gottes Nähe suchen (im Gottesdienst, in der Heiligen Schrift, im Gebet, im Gesang, im Gespräch mit anderen Christinnen und Christen) und wir können mit wachen Augen die Zeichen Gottes in der Welt wahrnehmen, sei dies ein Regenbogen oder der Händedruck eines anderen Menschen, der uns den Händedruck Gottes bezeugt.

Die Jahreslosung 2014 steht auf der Karte/dem Plakat wie der „vitruvianische Mensch“ in einem Kreis und einem Quadrat. Dadurch gewinnen die harmonischen Idealmaße des Menschen eine neue Interpretation: Zu seinen „Idealmaßen“, d.h. zu seiner wahren Harmonie und Schönheit findet der Mensch, wenn Gott ihm nahe kommt. Trotz allem, was dagegen zu sprechen scheint: Gott ist gut für Israel, Gott ist gut für Asaph, Gott ist gut für jeden Menschen, Gott ist gut für mich. So verstehe ich die Jahreslosung: Gott nahe zu sein ist ein Glück. Ich brauche kein dauerhaftes Glücksgefühl, aber den Glauben, dass Gott gut für mich ist, möge er mir durch sein Nahekommen auch im Jahr 2014 erhalten.

[1] Vgl. hierzu den Beitrag von Erich Zenger in Frank-Lothar Hossfeld/Erich Zenger: Die Psalmen. Psalm 51-100. Würzburg 2002, 418-422. (= Die Neue Echter Bibel: Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, Lfg. 40)

Hinweis: Friedhelm Welge • Skulptur „Turm der Gefährten“, Ital. Marmor, 2013, www.bildhauerwelge.de, Datei s. unten "Downloads". BESTELLUNG: http://www.werkdruckedition.de/

 

Perikope
01.01.2014
73,28